Anders in den 1930er-Jahren dürften es AfD und Identitäre schwer haben, für ihre Nazi-Phantasien die Unterstützung der Wirtschaft zu erhalten. Als die historischen Nazis begannen, die “Endlösung” zu planen, waren gerade 0,75% der Bevölkerung des Deutschen Reichs jüdisch. Selbst in Polen mit seiner damals großen jüdischen Gemeinschaft waren es nur 11%. Würden die “Remigrationspläne” tatsächlich umgesetzt, bräche der Arbeitsmarkt zusammen.
Von Ianka Pigors, Hamburg
Die Gruppe, die mit dem “Remigrationsplan” angegriffen wird, ist sehr viel größer. In Deutschland haben heute 30% der Bevölkerung einen „Migrationshintergrund“. In Großstädten sind es fast 40%. 12,2 Millionen von ihnen sind deutsche Staatsangehörige. Über 40% aller Kinder unter fünf Jahren stammen aus Familien mit Migrationserfahrung.
Kapital nutzt Rassismus – anders
Es ist deshalb nicht überraschend, dass echte Wirtschaftsgrößen in der Nazi-Runde bei Potsdam fehlten. Das bedeutet nicht, dass die deutschen Kapitalist*innen darauf verzichten, die rassistische Karte zu spielen, um ihre Interessen durchzusetzen. Ihre Einwanderungspolitik steht unter dem Motto: “Nützliche Fachkräfte anwerben – migrantische Beschäftigte disziplinieren – ökonomisch unverwertbare Zuwander*innen loswerden.” Ihr Rassismus richtet sich daher gezielt gegen die schwächsten Teile der migrantischen Bevölkerung: Geflüchtete, prekär Beschäftigte, Erwerbslose, Frauen und LGBTQI*-Personen.
Die Ampel-Koalition hat parallel zwei große Gesetzespakete auf den Weg gebracht. Einerseits das “Fachkräfteeinwanderungsgesetz”. Es erleichtert Unternehmen den gezielten Import von Fachkräften, die im Ausland – auf eigene Kosten oder auf Kosten ihrer Herkunftsländer – Qualifikationen und Sprachkenntnisse erworben haben und hier beschäftigt werden sollen. Gleichzeitig wurde das “Rückführungsverbesserungsgesetz” verabschiedet. Es dient dazu, Geflüchtete, die an ihrer Lage nichts ändern können, noch stärker zu drangsalieren. Staatlichen Stellen wird erlaubt, jederzeit ohne richterliche Anordnung die Wohnräume Unbeteiligter in Wohnunterkünften nach abzuschiebenden Dritten zu durchsuchen. Menschen, die durch Verlust ihres Aufenthaltsrechts vollziehbar ausreisepflichtig geworden sind, können bis zu sechs Monate lang in Abschiebungshaft genommen werden. Wer im Asylverfahren “unvollständige oder unrichtige Angaben macht“, wird in Zukunft mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht.
Erfahrungen aus Nazi-Zeit ignoriert
Bisher waren Falschangaben im Asylverfahren nicht strafbar. Damit trug das Gesetz den Fluchterfahrungen der Verfolgten des Nazi-Regimes Rechnung. Auf der Flucht war es nicht selten überlebensnotwendig, eine falsche Identität anzunehmen. Immerhin wurde selbst der vierte deutsche Bundeskanzler als Herbert Ernst Karl Frahm geboren und nahm den Namen „Willy Brandt“ erst im Untergrund an. Nun riskiert jede Person, die einen Asylantrag stellt, eine Gefängnisstrafe, denn wie soll jemand kurz nach der Einreise in ein fremdes Land wissen, was “vollständige” Angaben in einem Asylverfahren sind?
In Deutschland leben 250.000 Geduldete, also Menschen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind. Nur 9% von ihnen haben eine Duldung gemäß §60b AufenthG, weil ihnen vorgeworfen wird, nicht an der eigenen Abschiebung mitzuwirken. In den übrigen Fällen gibt es objektive Gründe, aus denen die von den Behörden ersehnte Abschiebung nicht durchgeführt werden kann – weil es keine Abschiebeflüge in Krisengebiete gibt, die Leute hier ihre deutschen Kinder versorgen müssen oder sie reiseunfähig erkrankt sind. Daran werden auch neue Schikanen nichts ändern.
Die Maßnahmen werden vor allem dazu führen, dass Geflüchtete sich nicht trauen, einen Asylantrag zu stellen und lieber untertauchen, um zu versuchen, illegal zu überleben. Sie werden aus den Sozialsystemen gedrängt und verlieren jeden arbeits- und mietrechtlichen Schutz, so dass sie wirtschaftlicher und oft auch sexueller Ausbeutung ausgeliefert sind. So können sie leicht missbraucht werden, um Löhne zu drücken und Mieten – vor allem in benachteiligten Wohngegenden – nach oben zu treiben. Die Armutskriminalität wird steigen. Ausbaden müssen das neben den direkt Betroffenen migrantische und alteingesessene Arbeiter*innen. Wir bekämpfen daher den “Verwertungsrassismus” der sogenannten politischen Mitte ebenso wie den völkischen Rassismus von AfD & Co.