Einzelne Landkreise haben sie schon eingeführt, bundesweit kommen sie wohl Ende des Jahres, in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern schon früher: Bezahlkarten für Geflüchtete, mit denen der Zugang zu Bargeld eingeschränkt werden soll.
Jan Hagel, Hamburg
Im Rahmen des allgemeinen Rechtsrucks suchen regierende Politiker*innen nach Möglichkeiten, das Leben von Geflüchteten in Deutschland möglichst unangenehm zu gestalten. 2023 kam dabei die Idee auf, die bisher in bar ausgezahlten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) als Guthaben auf Bezahlkarten zu verteilen. Das betrifft alle Menschen, die sich im Asylverfahren befinden oder deren Asylantrag abgelehnt wurde.
So soll verhindert werden, dass Geflüchtete Geld an ihre Angehörigen im Herkunftsland schicken. Die Auszahlung von Sozialleistungen in bar sei ein „Pull-Faktor“ und würde Menschen motivieren, nach Deutschland zu flüchten. Man setze sich also wegen maximal 460€ im Monat in ein Schlauchboot übers Mittelmeer. Das klingt ziemlich unwahrscheinlich, und sogar der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration der Bundesregierung gibt zu: „aus der Forschung wissen wir, dass Sozialleistungen keinen entscheidenden Pull-Faktor darstellen.“ Auch die meisten beteiligten Politiker*innen von der CSU bis zu den Grünen werden nicht ernsthaft glauben, dass die Bezahlkarte Menschen davon abhält, nach Deutschland zu kommen. Die eigentlichen Gründe für die Einführung müssen andere sein.
Hetzkampagne und Symbolpolitik
Der Ansatz ist an sich nicht neu: Schon seit den 1990er-Jahren gaben Ausländerbehörden Gutscheine, teilweise auch schon in Form von Plastikkarten, statt Bargeld aus – mit der gleichen Begründung wie heute. Damit konnten Geflüchtete nur in bestimmten Supermärkten einkaufen und wurden an der Kasse stigmatisiert. Die Gutscheine galten offiziell nur für Waren des „täglichen Bedarfs“, Kassierer*innen wurden zur Hilfspolizei gemacht und mussten letztlich willkürlich entscheiden, wem sie was verkauften. In Bayern ist das wohl bald wieder so. Laut Markus Söder sollen Geflüchtete dort nur noch „bestimmte Warengruppen“ kaufen dürfen, technisch ist so eine Beschränkung mit den heutigen Bezahlkarten aber nicht umsetzbar.
Für den Staat bedeutete das Gutscheinsystem bürokratischen Aufwand und zusätzliche Kosten. Nach jahrelangen Protesten wurden die Gutscheine weitgehend abgeschafft und seither nur noch als Sanktionsmittel gegen Menschen mit Duldung eingesetzt, denen vorgeworfen wird, die eigene Abschiebung zu sabotieren.
Die Wiederbelebung dieser Idee im neuen Gewand dient vor allem propagandistischen Zwecken. Damit sollen zwei Botschaften übermittelt werden. Einerseits zeigen die beteiligten Politiker*innen Härte gegen Geflüchtete und hoffen, so ihre Wahlchancen zu steigern.
Andererseits knüpfen sie mit der Debatte über den „Pull-Faktor“ Bargeld an die Hetze von Merz und anderen Unionspolitiker*innen gegen Geflüchtete als „Sozialtourist*innen“ an und schaffen gemeinsam mit Medien wie der Springer-Presse überhaupt erst das Problem, das sie mit der Bezahlkarte angeblich lösen. Bild behauptet in jedem Artikel zum Thema, die Möglichkeit deutsche Sozialleistungen ins Heimatland zu schicken sei „für viele […] DER Anreiz, nach Deutschland zu kommen.“
Mit der Berichterstattung rund um den Beschluss der Länder zur Einführung eines bundesweiten Bezahlkartensystems am 31.1. ergab sich für sie eine Möglichkeit, den Rechtsruck weiter voranzutreiben und gleichzeitig von den Massenprotesten dagegen abzulenken.
Daneben gibt es auch ökonomische Gründe – Geflüchtete sollen noch stärker als bisher unter Druck gesetzt werden, prekäre, körperlich anstrengende und schlecht bezahlte (Mini-)Jobs anzunehmen. Der Niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) behauptet zynisch, die Bezahlkarte würde „[Menschen] die Aufnahme einer regulären Arbeit erleichtern. Sie sollen möglichst rasch aus dem Transferleistungsbezug herauskommen.“ – Ginge es tatsächlich darum, läge es näher, die vielfältigen Arbeitsverbote für Geflüchtete abzuschaffen- z.B. die Vorschrift, die es Kinderlosen, die in Aufnahmeeinrichtungen leben, in den ersten neun Monaten verbietet, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Auch Sprachkurse und Qualifizierungsmaßnahmen wären hilfreicher.
Menschen, die kein Bargeld mehr bekommen, werden unter starken Druck geraten, irgendwie Geld zu beschaffen, wenn sie zum Beispiel für Rechtsberatung zahlen müssen oder Verwandte im Heimatland krank werden und um Geldsendungen für Medikamente und Behandlungskosten bitten. Das gilt auch für Suchtkranke, zumal es in einzelnen Bundesländern wie Bayern Pläne gibt, den Kauf von Alkohol mit der Karte zu verbieten. In all diesen Fällen werden Betroffene in illegale Ausbeutungsjobs, Prostitution und Kriminalität gedrängt. Aus Sicht rassistischer Politiker*innen wohl ein wünschenswerter Nebeneffekt, weil man dann die Propaganda gegen “Kriminelle Flüchtlinge” verstärken kann.
Wie funktioniert die Bezahlkarte?
Aktuell gibt es in einzelnen Städten und Landkreisen bereits Geldkartensysteme, mit denen Menschen ohne Bankkonto Sozialleistungen bekommen, zum Beispiel die SocialCard in Hannover. Damit kann aber – gebührenpflichtig – auch das gesamte Guthaben in Bar abgehoben werden.
Mit der Bezahlkarte geht das nicht – je nach Bundesland wird die monatliche Bargeldauszahlung auf 50 bis 204 Euro begrenzt, die genauen Beträge sind in den meisten Ländern noch nicht festgelegt. In Bayern steht schon fest, dass nur 50 Euro in bar ausgezahlt werden.
Es gibt verschiedene Kartenanbieter, deren Karten unterschiedlich funktionieren. Prinzipiell sind sie zwar alle „normale“ Debitkarten und sehen auch so aus, aber bei Anbietern wie Givve, dessen Karten in zwei Landkreisen in Thüringen schon im Einsatz sind, kann nur bei bestimmten Geschäften („Akzeptanzpartner“) bezahlt werden. Um Akzeptanzpartner zu werden, muss jedes einzelne Unternehmen einen Vertrag mit Givve und der zuständigen Behörde abschließen, für jeden Einkauf erhält der Kartenanbieter dann Provision vom Verkäufer. Es ist absehbar, dass diese Karten in vielen Läden, bei Verkehrsbetrieben oder Anwaltskanzleien nicht funktionieren werden. Der Flüchtlingsrat Thüringen berichtet schon über Probleme in diversen Bereichen.
Die Kartenanbieter bieten den Ausländerbehörden unterschiedliche Möglichkeiten, die Nutzung der Karten zusätzlich einzuschränken. Zum Beispiel können sie die Gültigkeit auf eine bestimmte Region beschränken oder ganze Branchen ausschließen – auch für einzelne Karten. Es ist zu befürchten, dass solche Ausschlüsse künftig als individuelle Sanktionsmaßnahme verwendet werden können.
Eingeführt werden die Karten in Bayern und den meisten Kreisen in Sachsen wohl schon im April. Bundesweit läuft bis zum Sommer eine Ausschreibung zur Auswahl eines Anbieters, Ende 2024 könnten die Karten kommen.
Protest ist nötig – auch gegen staatlichen Rassismus
Die Einführung der Bezahlkarte und die politische Debatte darum sind gleichzeitig Ausdruck und wirksamer Bestandteil des Rechtsrucks. Bei Demos gegen Rassismus und AfD müssen wir diese Maßnahme und den staatlichen Rassismus allgemein kritisieren. Schon in den 2000er- und 2010er-Jahren haben Proteste von Betroffenen und mit ihnen solidarischen Menschen eine wichtige Rolle bei der Abschaffung des damaligen Gutscheinsystems gespielt. Dieses Mal können auch die Gewerkschaften eine Rolle spielen, wenn zum Beispiel Supermarkt-Kassierer*innen gezwungen werden sollen, zu kontrollieren, was Geflüchtete kaufen dürfen.