Der ehemalige Unternehmer und Jurist Alexey Nawalny erlangte in den letzten zwei Jahrzehnten durch seine Antikorruptionsermittlungen und scharfe Kritik an Putin Bekanntheit. Nawalnys politischer Werdegang spiegelt die turbulenten politischen Entwicklungen der postsowjetischen Gesellschaft wider.
von Sascha Rakovski, Aachen
Seine politische Laufbahn begann in der linksliberalen Oppositionspartei Yabloko. Inspiriert von den Erfolgen der „Farbenrevolutionen“ in Ukraine und Georgien suchte er später Unterstützung bei den Nationalisten und beteiligte sich bis 2012 an den kontroversen „russischen Märschen“. Nawalny gründete die Partei „Volksallianz“, die er selbst als „nationaldemokratisch“ charakterisierte. Im Laufe der Zeit distanzierte er sich jedoch von rechtsextremen Strömungen und initiierte die Gründung der Partei „Russland der Zukunft“, in der er Liberalismus mit teilweise linkspopulistischen Forderungen zu vereinen versuchte. In seinen Streams kritisierte Nawalny nicht nur die Ära Putin, sondern auch die brutalen neoliberalen Reformen der 1990er-Jahre. In den letzten Jahren rückten soziale Themen verstärkt in den Fokus von Nawalnys Ermittlungen. Er setzte sich für die Bildung unabhängiger Gewerkschaften ein und bezeichnete Russland 2016 als „mittelalterliche, kleindörfliche, homophobe Sackgasse“, was ihm Ablehnung von rechter Seite einbrachte. Aufgrund seiner Rolle als Symbolfigur für Millionen von Jugendlichen aus der Mittelschicht und Arbeiterschaft sowie seiner Kritik an russischen Milliardären, korrupten Staatsbeamten und Putin persönlich wurde er 2020 zum Ziel eines Vergiftungsversuchs durch Geheimdienstler. Trotz seiner Inhaftierung setzt Nawalny seinen Kampf fort und positioniert sich unter anderem vehement gegen den Krieg in der Ukraine. Seiner Überzeugung nach liegen die wahren Gründe für diesen „ungerechten aggressiven Krieg “ in politischen und wirtschaftlichen Problemen innerhalb Russlands, Putins Streben nach Machterhalt um jeden Preis und seiner Obsession mit historischem Erbe. Diese Haltung führte dazu, dass der Oppositionelle faktisch zu einer lebenslangen Haftstrafe und indirekt zum Tod verurteilt wurde.
Tod in Haft
Am 16.02.2024 wurde eine Erklärung der Föderalen Strafvollzugsbehörde Russlands für den Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen über den Tod des oppositionellen Politikers Alexei Nawalny veröffentlicht: “Am 16.02.2024 fühlte sich der Verurteilte Nawalny nach einem Spaziergang in Strafkolonie Nr. 3 schlecht, verlor praktisch sofort das Bewusstsein. Sofort trafen medizinische Mitarbeiter der Einrichtung ein, ein Rettungsdienst wurde gerufen. Alle erforderlichen Wiederbelebungsmaßnahmen wurden durchgeführt, die jedoch keine positiven Ergebnisse zeigten. Die Rettungsdienstärzte stellten den Tod des Verurteilten fest.” Auf die Frage, ob Informationen darüber aufgetaucht seien, dass Nawalny durch ein Blutgerinnsel verstorben sei, antwortete der Pressesprecher von Präsident Putin, Peskow, dass er nichts über die Todesursachen wisse und dies von den Ärzten geklärt werden müsse.
Wir lehnen es bewusst ab, Verschwörungstheorien zu erstellen und über mögliche Todesursachen des oppositionellen Politikers zu fantasieren. Fakt ist jedoch, dass Nawalny bereits vom Putin-Regime zu einem langsamen Tod verurteilt wurde. Nawalny sollte 19 Jahre in der Hochsicherheitsstrafkolonie IK-3 in der arktischen Siedlung Charp verbringen. Diese Strafe wurde ihm letztes Jahr vom Moskauer Stadtgericht im Strafverfahren wegen der Gründung einer „extremistischen Gruppierung“ – des Anti-Korruptionsfonds – auferlegt. Fast 20 Jahre in einem arktischen Hochsicherheitsgefängnis hätten den 47-Jährigen ohne Zweifel vorzeitig völlig ruiniert.
Am 14. Februar wurde Nawalny zum 27. Mal in die Disziplinar-Isolationsabteilung eingewiesen, wo er in den letzten Jahren bereits 300 Tage verbracht hatte. Seine Mitstreiter*innen und Ärzt*innen hatten mehrfach auf seinen schlechten Gesundheitszustand hingewiesen und erklärt, dass sein Leben in Gefahr sei. Bis Februar 2023 hatte Nawalny 7 kg abgenommen und hatte auch Magenschmerzen. Über den enormen psychologischen Druck auf Nawalny hatten sein Anwalt und Familienmitglieder mehrmals berichtet. Schwere Arbeit wurde mit politischer Erziehung kombiniert, bei der Nawalny stundenlang unter dem Bild von Putin sitzen musste.
Nawalnys Politische Rolle
Wir hegen keine Illusionen bezüglich der politischen Pirouetten von Alexei Nawalny. Er war ein Vertreter der gebildeten Kleinbürgertums, der akrobatische Sprünge vom linken Liberalismus zum rechten Populismus und zurück machte. Dennoch wurde er in einer Situation des politischen Vakuums und des Mangels an einer starken linken Alternative zum Symbol der demokratischen anti-bonapartistischen Bewegung. Am 17. Januar 2021 kehrte Nawalny aus Deutschland nach Russland zurück, wo er sich wegen der Folgen einer Vergiftung behandeln ließ. Für die deutsche herrschende Klasse spielte Alexei Nawalny eine zwiespältige Rolle. Man hegte die Erwartung, dass er als eine Art politischer Vermittler dienen könnte, der die Interessen des deutschen Kapitals mit denen der russischen Milliardäre in Opposition zu Putin zusammenführen würde. Die Vorstellung war, dass Nawalny eine Ära wiederbeleben sollte, in der uneingeschränkte Investitionen sowie Zugang zum russischen Markt, natürlichen Ressourcen und Arbeitskräften Russland gewährleistet waren. Das verschaffte Nawalny den Status des prominentesten russischen Politikers in Deutschland und machte ihn zu einer Märtyrerfigur in den Berichten der deutschen Medien. Nawalny hoffte, dass seine Rückkehr eine neue Protestwelle gegen das Putin-Regime auslösen und vielleicht zu dessen Sturz führen würde. Für diesen zweifellos mutigen Schritt bezahlte er mit seinem Leben, indem er buchstäblich drei Jahre im Gefängnis verbrannte.
Die Generation der Arbeiter und Jugendlichen, die es nicht geschafft hat, die Putin-Clique abzusetzen, wird an die Front und in die Rüstungsfabriken getrieben. Fast eine Million Gegner*innen der Putin-Politik haben das Land verlassen und sind gezwungen, im Exil zu leben. Dutzende Millionen Menschen, eingeschüchtert durch den Druck von Polizei und Geheimdiensten, fürchten sich davor, ihre Meinung nicht nur auf der Straße, sondern sogar in anonymen Chats zu äußern. Die Verhaftungen prominenter Oppositionsführer, direkte Morde an einigen von ihnen und die Verhinderung der Teilnahme bedeutender politischer Persönlichkeiten an Wahlen haben die Möglichkeiten für legale politische Auseinandersetzungen in Russland stark eingeschränkt. In diesem politischen Dunkel wurde die Stimme von Nawalny, der konsequent für den sofortigen Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine, die Ablehnung jeglicher territorialen Annexionen und Demontage des Putinismus eintrat, für Millionen von Menschen zu einer politischen Orientierungsachse.
Wut und Widerstand gegen den Krieg
Die Enttäuschung über das blutige Regime, das eine für niemanden notwendigen Krieg begonnen hat, und der Hass auf die reichen Parasiten, die selbst während des blutigen Gemetzels immer reicher werden, werden früher oder später auf den Straßen der russischen Städte zum Ausdruck kommen. Spontane Massenproteste in Baschkortostan und im Kaukasus aufgrund sozialer Probleme führten rasch zu Fragen über den Krieg und den Tod von Tausenden Landsleuten. Selbst Frauen, die noch gestern politisch desinteressiert waren, beteiligen sich nun regelmäßig an Demonstrationen und fordern die Rotation der mobilisierten Soldaten sowie die Rückkehr ihrer Väter, Ehemänner und Söhne nach Hause. Student*innen der Universitäten von Ural und Kasan brachten beinahe die Auftritte von Jekaterina Misulina, einer loyalen Unterstützerin Putins, zum Scheitern, die sich durch ihre Denunziationen von Oppositionsaktivist*innen einen Namen gemacht hat.
Der schnelle Krieg hat sich in einen langsamen, blutigen Fleischwolf verwandelt, die systematisch die menschlichen und finanziellen Ressourcen des Landes vernichtet. Der wirtschaftliche Aufschwung der letzten beiden Jahre, unterstützt durch beispiellose militärische Aufträge des Verteidigungsministeriums, kann nicht endlos fortgesetzt werden. Die Reduzierung der erwerbstätigen Bevölkerung, die Mobilisierung von Arbeitskräften an die Front, Inflation und die Beschränkung des Zugangs zu westlichen Technologien zerstören, wie tausend Termitengänge, allmählich Putins scheinbar uneinnehmbare Festung.
Foto: Evgeny Feldman, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons