Gaza vor dem Angriff auf Rafah

Bild: duncan cumming, CC BY NC 2.0

Scholz und Baerbock: Mitverantwortlich für Elend und Tod

30.000 Menschen in Gaza sind bis Ende Februar durch das israelische Militär getötet und 100.000 verletzt worden. Die Armee bereitet sich darauf vor, die Bodenoffensive nach Rafah an der Grenze zu Ägypten auszuweiten. Bis zu 1,4 Millionen Menschen sind nach Rafah geflohen, weil ihre Wohnviertel bereits zerstört sind, insgesamt zwischen 50 und 70% aller Gebäude. Auch wenn das Bombardement sofort enden würde, ginge das Sterben durch Hunger und Krankheiten weiter.

Von Claus Ludwig, Köln

In Gaza sind 100% der Zivilbevölkerung von Ernährungsunsicherheit betroffen, eine Situation, wie es sie noch in keinem Land gab, so die Hilfsorganisation Oxfam. Jedes sechste Kind ist unterernährt. Lebensmittellieferungen verlaufen chaotisch, weil hungernde Menschen versuchen, auch gewaltsam an Essen zu kommen. Auf den Hunger folgen Infektionskrankheiten. Bis zu 70% der Kinder haben Durchfall. Unter anderem die deutsche Regierung hat in dieser Situation der Hungersnot die Mittel für das Palästina-Hilfswerk der UNO, UNRWA, gestrichen, auf der Grundlage der Propaganda-Kampagne der israelischen Regierung, die UNRWA würde Hamas unterstützen. Damit tragen Scholz und Baerbock direkte Mitverantwortung für Leiden und Sterben in Gaza.

Zeltlager im Sinai

Die Rechtsextremen in Israels Regierung fordern offen den Völkermord durch Massenvertreibung und die erneute Besetzung und Besiedlung Gazas. Netanyahu und seine Likud-Partei lehnen dies ab, wollen jedoch den Gaza-Streifen durch Straßen, Pufferzonen und Checkpoints zerschneiden und damit der dauerhaften direkten Kontrolle des israelischen Militärs unterwerfen. Die zivile palästinensische Verwaltung – unter Ausschluss der Hamas – wäre dem israelischen Militär unterstellt.

Die Rechtsextremen in Israel haben für ihre grausamen Fantasien der vollständigen Vertreibung des palästinensischen Volks keine Mehrheit, weder in der Bevölkerung noch in der herrschenden Klasse Israels. Das Problem mit Netanyahus Zerstückelungsplan ist jedoch, dass er nicht funktioniert. Keine palästinensische Gruppe und auch nicht die UNO kann es sich leisten, unter der Knute der israelischen Besatzungsarmee als Aufseher über die Trümmerlandschaft zu agieren. Entweder das Militär kontrolliert Gaza komplett oder es zieht sich wieder zurück. Wenn Letzteres passiert, werden die Kämpfer*innen der Hamas und der anderen Gruppen nachrücken. Deren Einheiten sind zwar durch das Bombardement dezimiert, aber sie dürften keine Probleme haben, in der entwurzelten und traumatisierten Jugend neue Unterstützung zu bekommen.

Der Sturm auf Rafah könnte eine Massenflucht auslösen und Hunderttausende über die Grenze nach Ägypten treiben. Die dortige Regierung hat im Sinai bereits vorsorglich Zeltlager für rund 100.000 Menschen aufbauen lassen. Die Pläne der faschistischen Elemente in der Regierung inklusive einer weiteren Eskalation des Tötens könnten in einer chaotischen Kriegssituation zumindest teilweise wahr werden. Die ägyptische Regierung hat angekündigt, für den Fall der Vertreibung der palästinensischen Flüchtlinge über die ägyptische Grenze das Camp-David-Abkommen auszusetzen. Damit würde der Konflikt den nächsten Eskalationsschritt nehmen, nachdem die israelische Armee schon in Libanon, Syrien und Iran mit heftigen Militärschlägen provozierte.

Massenbewegung

Millionen Menschen haben seit dem 7. Oktober gegen den israelischen Angriff demonstriert, in der arabischen Welt, in den USA und Großbritannien. Die Kraft der Bewegung hat dazu geführt, dass Biden und Sunak nicht mehr von einer „unbedingten“ Unterstützung Israels sprechen, sondern einzelne Maßnahmen Netanyahus kritisieren. Das ändert jedoch nichts daran, dass die westlichen Regierungen Israels Krieg finanzieren und durch militärische Präsenz in der Region Feuerschutz liefern. Allein die deutschem Waffenexporte nach Israel haben sich 2023 von 30 auf rund 300 Millionen Euro verzehnfacht. Deutschland lieferte unter anderem Panzerabwehrwaffen und 500.000 Schuss Munition für Maschinengewehr und Maschinenpistolen.

Die Genozid-Klage Südafrikas vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag führte dazu, das der IGH Israel aufrief, Zivilist*innen zu schützen. Damit wurde zwar die Kritik am Vorgehen der IDF gerichtlich bestätigt, aber das Urteil hat keine Folgen, solange die USA und Westeuropa Israel den Rücken frei halten. Diese Unterstützung wird nicht enden, weil Biden oder Baerbock irgendwann mal erkennen, wie verwerflich Israels Vorgehen ist. Sie wissen das schon jetzt. Die Unterstützung des gewaltsamen Besatzungsregimes ist jedoch ein strategischer Pfeiler für den westlichen Imperialismus: Sie brauchen ihren unsinkbaren Flugzeugträger zwischen Jordan-Fluss und Mittelmeer, um den Nahen Osten samt Rohstoffen und Handelsrouten zu kontrollieren.

Streiks und Blockaden

Diplomatie und Argumente werden die Angriffe der IDF auf Gaza und den Terror der faschistischen Siedler*innen im Westjordanland nicht beenden. Dazu ist eine Massenbewegung nötig, welche die Waffenlieferungen an Israel effektiv stoppt.

Nach einem Aufruf palästinensischer Gewerkschaften hatten im November Gewerkschaften in Belgien, Katalonien und Italien angekündigt, Waffenlieferungen nach Israel zu bestreiken. In den USA kam es zu direkten Aktionen gegen Waffentransporte. In Oakland (Kalifornien) und Tacoma (Washington) wurden Schiffe mit militärischer Ausrüstung für mehrere Stunden blockiert. In Großbritannien wurden die Büros von Elbit und ZIM besetzt, Unternehmen, die Teil des militärischen-industriellen Komplexes in Israel sind. Vor dem Werkstor der britischen Rüstungsfirma BAE hat die Gruppierung „Workers for Palestine“ Blockaden durchgeführt.

Diese Ansätze müssten miteinander verbunden werden, zu einer breiten Kampagne von Blockaden und Streiks gegen Rüstungslieferungen. Dabei geht es nicht nur um die konkreten Auswirkungen auf die Versorgung der israelischen Armee. Die politische Botschaft wäre ein starkes Signal der Solidarität an die Menschen in Gaza: Arbeiter*innen können etwas erreichen, wenn sie gemeinsam kämpfen. Dies wäre auch eine Botschaft zum Nachdenken für die israelischen Arbeiter*innen, die heute noch dem Regime Netanyahu folgen.

Die Bewegung gegen den Gaza-Krieg verläuft unterschiedlich in jedem Land und scheint bisher unkoordiniert zu sein, es gibt zumindest dem Anschein nach keine langfristige Planung von aufeinander aufbauenden regionalen, landesweiten und internationalen Aktionstagen. Eine grenzüberschreitende Koordination von Protesten würde jedoch dabei helfen, die Bewegung in Ländern zu stärken, in denen sie aktuell noch schwach ist, und wäre eine notwendige Rückendeckung für effektive Streiks und Blockaden.

Alternativen zum blutigen Chaos

Ohne die Arbeiter*innen in Rüstungsbetrieben und im Transportwesen ist kein Krieg zu führen. Die leidenden Menschen in Palästina brauchen die Solidarität der internationalen Arbeiter*innenbewegung. Internationale Solidarität ist aber auch ein Schlüssel dazu, die jüdisch-israelische Arbeiter*innenklasse zu gewinnen, der die Unterdrückung der Palästinenser*innen weder Sicherheit noch Wohlstand bringt.

Der palästinensische Widerstand war immer besonders wirkungsvoll, wenn er durch Massenkämpfe und Streiks auch eine Brücke zur ebenfalls unter Ausbeutung und sozialen Problemen leidenden israelischen Arbeiter*innenklasse baute – nicht mit den destruktiven Methoden der Hamas, die keine Befreiung bringen, sondern mit den Methoden der ersten Intifada von 1987-1991, mit demokratischer Selbstorganisation, Streiks, Boykotten und militanten Massenaktionen.

Die nationale Frontstellung erneuert die existenzielle Angst ständig wieder. Das nutzt der zionistischen Rechten – und reaktionären Strömungen wie Hamas. Das wahre Hindernis für Frieden und Sicherheit sind die kapitalistischen Klassen. Auf Grundlage des Kapitalismus mit seiner globalen Konkurrenz, der zum imperialistischen Kampf um Einflusssphären, Märkte und Rohstoffe führt, ist es unmöglich, zu einer zufriedenstellenden Regelung zu kommen. Das kann nur von den Massen in Palästina und den Nachbarländern erkämpft werden, zusammen mit einer weltweiten Solidaritäts-Bewegung. Eine sozialistische Lösung ist eine praktische Notwendigkeit.


Hessen“ im Kriegsgebiet

Fregatte "Hessen"
Bild: Fregatte Hessen. CC-BY-SA-3.0/Brian Burnell

Ohne großes öffentliches Aufsehen hat der Bundestag die Fregatte „Hessen“ in das Rote Meer entsandt. Die Wirtschaftswoche titelte ehrlich: „Ein Kriegsschiff für die deutsche Wirtschaft“ zur „Verteidigung der Lieferketten“ und zitierte Marinechef Vizeadmiral Jan Christian Kaack: „Ein Einsatz der Marine im Roten Meer ist erweiterte Landes- und Bündnisverteidigung“. „Verteidigung“ und „Schutz von Schiffen“ klingt freundlich. Doch mit der Entsendung ist Deutschland Kriegspartei im jemenitischen Bürgerkrieg und der erweiterten Konfrontation im arabischen Raum. Die Marine agiert damit zusammen mit den USA, Frankreich und Großbritannien faktisch auf Seiten Saudi-Arabiens und Israels, gegen den Jemen, Syrien und Iran. Der Einsatz gilt als der bisher gefährlichste, da die „Hessen“ unter scharfen Beschuss kommen kann. Die Marinesoldat*innen sollen ihr Leben für die Lieferketten und die Flankierung des israelischen Angriffes auf Gaza riskieren.