Politik, Medien und Wirtschaft jammern im Chor, weil die Beschäftigten ihr Recht auf Streik wahrnehmen. Mal wieder stehen alle Räder still: Ob die stählernen Räder der Bahn, die Räder der Busse und Bahnen im Nahverkehr, oder die Turbinenräder der Lufthansa. Ein weiterer “Mega-Streik” zeigt das Potenzial der Arbeiter*innenklasse, das Land lahmzulegen – einfach, indem sie ihre Arbeit verweigert.
Von Sebastian Rave, Bremen
Der Zufall hat dabei geholfen, dass mehrere für die Verkehrsinfrastruktur wichtige Tarifrunden zusammenfallen. Und natürlich die Verweigerungshaltung der Arbeitgeber*innen, auf die Tarifforderungen einzugehen. Während 28 andere Eisenbahnunternehmen sich schon längst auf Tarifabschlüsse mit der GDL einigen konnten, verweigert die DB auch nach vierwöchigen Verhandlungen ein Entgegenkommen und hat den Streik damit provoziert.
Was fordert die GDL?
Die GDL fordert eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden bei Lohnausgleich für Schichtarbeiter*innen, die DB bietet eine Absenkung bis 2026 auf 37 Stunden an – ohne Lohnausgleich, und nur, wenn es “für den Arbeitgeber umsetzbar ist”. Statt der von der GDL geforderten 5-Tage-Woche beharrt die Arbeitgeberin auf der 6-Tage Woche. Dafür stellt sich der Konzern eine Laufzeit von frechen 36 Monaten vor, um mehr als zweieinhalb Jahre Ruhe vor der lästigen Gewerkschaft der Lokführer zu haben. Es ist absolut richtig von der Gewerkschaft, die Verhandlungen abgebrochen zu haben und zum Streik aufzurufen.
Auch bei der Luftsicherheit (25.000 Beschäftigte), beim Lufthansa-Bodenpersonal (ebenfalls 25.000 Beschäftigte) und bei den Flugbegleiter*innen bei Lufthansa und der Tochter Lufthansa Cityline (19.000 Beschäftigte) fallen Tarifrunden zusammen. Bei beeindruckenden Warnstreiks konnte das Bodenpersonal im Februar schon 1100 Flüge verhindern.
Darum geht’s bei den Tarifverhandlungen im Luftverkehr:
Bei der Luftsicherheit geht es ver.di um eine Erhöhung des Stundenlohnes um 2,80 Euro und mehr Geld für Überstunden bei einer Laufzeit von 12 Monaten, der Arbeitgeber will auch hier länger seine Ruhe vor Streiks haben und fordert eine Laufzeit von 24 Monaten – will aber im Jahr 2024 nur 4% und 2025 nur 3% mehr Geld zahlen, was ein Reallohnverlust bedeuten würde. Das Lufthansa-Bodenpersonal fordert 12,5 Prozent mehr Gehalt, aber mindestens 500 Euro. Das ist alleine schon nötig, um die Inflation auszugleichen. Laut ver.di haben Beschäftigte aktuell 10 Prozent weniger Geld zur Verfügung als noch vor 3 Jahren – trotz Rekordgewinnen des Arbeitgebers, die es ohne die Beschäftigten nicht gegeben hätte. Die Flugbegleiter*innen, die von der Gewerkschaft UFO (Unabhängige Flugbegleiter Organisation) vertreten werden, fordern 15% mehr Geld bei einer Laufzeit von 18 Monaten, die Lufthansa bietet mit 9,25% etwas mehr als die Hälfte davon – dafür aber bei einer doppelt so langen Laufzeit! Bei der Urabstimmung stimmten daraufhin 96 % (Lufthansa) und 97 % (LH CITYLINE) für den Arbeitskampf.
Alleine die Lufthansa hat im vergangenen Jahr ihren Gewinn auf 1,7 Mrd. Euro verdoppelt. Die Beschäftigten machen jetzt klar, dass dieser Gewinn ihrer Arbeitskraft zu verdanken ist, und sie ihren Anteil am Gewinn mehr als verdienen.
ALLEN streikenden Beschäftigten im Luftverkehr gehört unsere Solidarität ebenso wie den Streikenden bei der Bahn. Es liegt auf der Hand, dass die Beschäftigten im Luftverkehr und bei der Bahn ihre Streiks koordinieren müssten. Statt in “Wellen” zu streiken oder nur punktuell einzelne Flug- oder Bahnstrecken zu bestreiken, sollte unbefristet und flächendeckend gestreikt werden. Die kritische Infrastruktur könnte so vollständig zum Erliegen gebracht und der wirtschaftliche Druck damit ins Unermessliche erhöht werden – den Arbeitgeber*innen bliebe sehr bald keine Wahl, als den Forderungen nachzugeben.
Wir fahren zusammen – in einer transformierten Wirtschaft
Bereits letzte Woche fanden Warnstreiks im öffentlichen Nahverkehr statt. In der Manteltarifrunde geht es in 130 verschiedenen Nahverkehrsgesellschaften vor allem um Entlastung. Die Beschäftigten klagen über zu lange Arbeitszeiten, schlechte Arbeitsbedingungen und Überlastung. Bemerkenswert ist das Bündnis, das ver.di mit Fridays for Future eingegangen ist. Mit der gemeinsamen Kampagne #wirfahrenzusammen soll politischer Druck auf die kommunalen Arbeitgeber*innen ausgeübt werden. Dafür haben sich in vielen Städten Ortsgruppen gebildet, die Unterschriften sammeln, Beschäftigte und Fahrgäste ansprechen. In der von 202.437 Menschen unterzeichneten Petition wird gefordert, dass der ÖPNV verdoppelt wird und der Bund ein Investitionsprogramm von 16 Milliarden Euro starten soll.
Die Kampagne ist ein wichtiger erster Schritt. Wir schlagen vor, auch über die Tarifrunde im Nahverkehr hinaus die Verbindung von Klima- und Gewerkschaftsverbindung aufrecht zu erhalten. Denn die Klimabewegung kann nur mit den Beschäftigten zusammen die dringend notwendige Transformation der Wirtschaft auf Klimaneutralität erkämpfen. Es ist notwendig, diese Zusammenarbeit auch auf andere Bereiche auszudehnen, in denen scheinbar ein Interessenwiderspruch zwischen Klimabewegung und Gewerkschaft besteht. Als zum Beispiel die IG BAU vor einigen Jahren im Tagebau für sichere Arbeitsplätze demonstrierte, gab es in der Klimabewegung dafür wenig Verständnis, es gebe schließlich “kein Recht auf Kohlebagger fahren”. Dabei kann und muss der scheinbare Widerspruch zwischen sicheren Jobs und Klimagerechtigkeit aufgehoben werden: Mit der Forderung nach Konversion, also Produktionsumstellung, unter demokratischer Kontrolle und bei vollständigem Erhalt der Arbeitsplätze. Das gilt für den Tagebau ebenso wie für die Autoindustrie, die Rüstungsindustrie und andere klimaschädliche Produkte.
Da, wo die gesellschaftliche Notwendigkeit der Produktionsumstellung besteht, müssen die Beschäftigten unbedingt mitgenommen werden. Beschäftigte könnten mittels Streik die klimaschädliche Produktion sehr viel leichter stoppen als Aktivist*innen durch Blockaden. Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass sie selbst auch etwas davon haben. Wer will schon für den Verlust des sicheren und gut bezahlten Jobs kämpfen? Durch die Umstellung der Produktion könnten Arbeitsplätze erhalten werden. Das technische Know-how wird auch dringend gebraucht für die Transformation. So könnte mit Hilfe der Beschäftigten die Autoindustrie sehr einfach umgestellt werden auf die Produktion von Schienenfahrzeugen für den Nah- und Fernverkehr. Die sprichwörtlichen Kohlebaggerfahrer*innen könnten im dringend benötigten Ausbau des Schienennetzes eingesetzt werden. Luftfahrttechniker*innen können bei der Wartung von Antriebswagen eingesetzt werden, das Bodenpersonal an Bahnhöfen, die Flugbegleiter*innen können auch Züge begleiten.
Der Markt regelt das Klima nicht: Verkehr vergesellschaften
Eine solche radikale Transformation der (Verkehrs-)Wirtschaft wäre angesichts der Dramatik der Klimakatastrophe mehr als angemessen. Die Voraussetzung dafür aber wäre, die Schlüsselindustrien, zu denen auch die Verkehrsinfrastruktur gehört, dem Chaos des Marktes zu entziehen. Die Deutsche Bahn AG muss seit ihrer Rechtsform-Privatisierung versuchen, profitabel zu sein. Die Folge ist, dass sie an kritischer Infrastruktur spart, Wartungen herauszögert, bis es zu spät ist, und Bahnstrecken abbaut.
Schienennetz in Deutschland:
1994: 44.600 Kilometer
2024: 33.288 Kilometer
Autobahnnetz in Deutschland:
1995: 11.143 Kilometer
2023: 13.172 Kilometer
Die Folgen dieser profitorientierten Bahnpolitik: Für Fahrgäste Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit, für die Beschäftigten Stress und Arbeitshetze. Dass der Bahnvorstand jetzt der GDL vorwirft, mit dem Streik die Zuverlässigkeit der Bahn aufs Spiel zu setzen, ist an Dreistigkeit schwer zu überbieten.
Der Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen Logistikkonzernen in der Luftfahrt, im Schienen- und im Straßenverkehr wird auf dem Rücken des Klimas, der Beschäftigten und der Fahrgäste ausgetragen. Jeder Konzern wirtschaftet für sich, treibt die Kosten runter, um die Profite zu erhöhen. Die gesamtgesellschaftlichen Folgekosten, zum Beispiel durch die ausgestoßenen Emissionen, sind nicht Teil der betriebswirtschaftlichen Kalkulation. Deshalb können Airlines und Speditionen mit ihren LKWs Waren häufig günstiger transportieren als die Eisenbahn.
Es gibt nur einen Ausweg aus dem Verkehrschaos des Marktes: Einen gesamtgesellschaftlichen Verkehrsplan, in dem demokratisch darüber entschieden wird, welche Verkehrsmittel welche Ressourcen bekommen. Die verschiedenen Konzerne müssten zu einer Verkehrsgesellschaft in öffentlicher Hand und unter demokratischer Kontrolle überführt werden. Belegschaften, Gewerkschaften, Repräsentant*innen von Fahrgästen und der Bevölkerung müssen gemeinsam über die Verkehrsplanung entscheiden. Nur so schaffen wir einen Verkehrssektor, der freundlich zu Klima, Beschäftigten und Fahrgästen ist.