Mit Bomben und Knarren gegen das System? Zur Geschichte und Rolle der RAF

Die “Rote Armee-Fraktion” (RAF) bestand von 1970 bis 1998. Der Höhepunkt ihrer Aktivitäten lag in den 1970er Jahren. Ihr selbst erklärtes Ziel, als “Stadtguerilla” mit Waffengewalt das System der BRD zu stürzen, erreichte sie wenig überraschend nicht. Im Kampf gegen die RAF zeigte der westdeutsche Staat aber schnell sein repressives Gesicht: Mit “Anti-Terror-Gesetzen” wurde massiv in demokratische Rechte eingegriffen, die radikale Linke unterlag Repressalien und geriet unter Rechtfertigungsdruck. 

von Marcus Hesse, Aachen

Das Gespenst des “Linksterrorismus” ist in der Propaganda der Herrschenden bis heute noch sehr präsent. Die Ergreifung Daniela Klettes am 26.2. in Berlin gab dieser Propaganda neuen Schub. 

Aber schon vorher wurde die Schimäre einer “neuen RAF” häufig beschworen, so als CSU-Mann Dobrindt Aktivist*innen als “Klima-RAF” titulierte. Aktuell skandalisieren bürgerliche Politiker*innen und Medien Sympathisant*innen Klettes in der linksradikalen Szene. Die echte RAF war in all ihren drei Existenzphasen (jeweils als 1.-3. Generation in unterschiedlicher Besetzung) eine recht kleine Organisation. Etwa 60-80 Personen gehörten jeweils zu ihrem bewaffneten Kern, der ein Leben im Untergrund führte. Dieser bewaffnete Kern stützte sich auf eine aktive Sympathisant*innenszene. Neben der RAF gab es in den 1970ern noch die “Bewegung 2. Juni”, die jedoch nur in West-Berlin aktiv war und die “Revolutionären Zellen”, deren Mitglieder, anders als die der ersten beiden Gruppen, nicht im Untergrund abgetaucht waren.

Was wollte die RAF?

1970 kam es zur Gründung, als einige Aktivist*innen um Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin, Holger Meins und der damals noch linke Horst Mahler sich entschlossen hatten, in den bewaffneten Untergrund zu gehen. Sie gelten als “1. Generation” der RAF. Es war vor allem Ulrike Meinhof, die in langen Grundsatzerklärungen, “Die Rote Armee aufbauen!”, “Der bewaffnete Kampf in Westeuropa” und “Das Konzept Stadtguerilla” die Ideologie und das strategische Konzept der RAF erklärte. Danach verstand sich die RAF als antiimperialistische Gruppe, die den bewaffneten Kampf in der Dritten Welt – bezugnehmend auf Vietnam und Lateinamerika – in die Metropole BRD tragen wollte. Bezugnehmend auf die Ideen von Che Guevara und Mao sollte ein bewaffneter Kampf den Auftakt zur Revolution bilden. Der ursprünglich für den ländlichen Raum konzipierte Guerillakrieg sollte in die urbanen Zentren der BRD getragen werden. Ein direktes Vorbild dafür waren die Tupamaros in Uruguay, die explizit als “Stadtguerilla” agierten. Die Idee einer solchen “Stadtguerilla” kam in kleinen Teilen der radikalen Linken in vielen Ländern auf, die enttäuscht waren vom Scheitern von linken Massenbewegungen und von deren Integration ins bestehende System und nach vermeintlich radikalen Abkürzungen suchten. In den 1970ern gab es auch Stadtguerillas in anderen Staaten, wie in Italien “Brigate Rosse”, in Japan “Nihon Sekigun”(“Japanische Rote Armee”) oder in den USA, wo Teil der Black Panthers als “Black Liberation Army” zu Methoden des individuellen Terrors abdrifteten. 

In Ulrike Meinhofs Schriften wird die zentrale Rolle des Proletariats theoretisch nicht geleugnet, doch praktisch wird der Erfolg jeder Massenaktion (selbst eines Generalstreiks) verneint und auf die Stärke und Härte der staatlichen Repression verwiesen. Generalstreik und revolutionäre Massenaktivitäten der Arbeiter*innenklasse könnten, so die RAF, den bewaffneten Kampf nur “in seiner siegreichen Endphase ergänzen”. Bezugspunkt für ihre Analyse des Kräfteverhältnisses waren die Notstandsgesetze und die Repression gegen die Studierendenbewegung von 1967/1968, vor allem die Ermordung Benno Ohnesorgs durch die Polizei und das Scheitern einiger Streiks in den frühen 70er Jahren. Für Meinhof und die RAF könne nur der unmittelbare bewaffnete Kampf das System der BRD besiegen – sie schienen ernsthaft zu glauben, dass dieser, sofort begonnen, der Motor für eine sozialistische Revolution in den Metropolen sein könne. Der bürgerliche Staat sollte angegriffen und provoziert werden, sich von seiner repressiven Seite zu zeigen – was das Bewusstsein der Massen revolutionieren sollte.

Die RAF verstand sich als “marxistisch-leninistisch”, aber ihr strategisches Konzept entsprach eher den Narodniki in Russland am Ende des 19. Jh., die mit Attentaten auf Zaren und einzelne Minister die Bauernschaft zur Revolution treiben wollten. Lenin und Trotzki stellten diesen Methoden das Konzept des geduldigen Arbeitens in der Masse der Arbeiter*innenklasse entgegen. Strategien des individuellen Terrors hingegen handeln stellvertretend für die Massen und machen diese zu passiven Zuschauer*innen.

Auswirkungen des individuellen Terrors

Die führenden Köpfe der 1. Generation landeten nach und nach im Gefängnis. Dadurch bildete sich ein neuer Kern – die 2. Generation – der mit spektakulären und recht brutalen “Kommandoaktionen” wie einer Geiselnahme in der BRD-Botschaft in Stockholm, den Attentaten auf den Deutsche Bank-Manager Jürgen Ponto und Generalbundesanwalt Siegfried Buback und vor allem der Entführung und Erschießung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer 1977 von sich reden machte. Ziel dabei war die Freilassung der Inhaftierten aus der 1. Generation, worauf die Regierung Schmidt nicht eingehen wollte. Der Unternehmer Schleyer war ein übler kapitalistischer Hardliner mit SS-Vergangenheit. Seine Ermordung aber erreichte vor allem, dass Unternehmen und DGB gemeinsame Gedenkminuten für ihn organisierten. Die Aktivitäten der RAF stießen in der breiten Masse der Arbeiter*innenklasse auf Ablehnung. Jedoch genoss vor allem die 1. Generation Umfragen zufolge eine nicht geringe Sympathie in der Jugend. 

Die Perspektiven der RAF waren im Kern pessimistisch gegenüber jeder Massenaktion. Die Repression gegen die radikale Studierendenbewegung der 1960er und deren Scheitern verabsolutierte sie, die großen Streiks ihrer Zeit interessierten sie wenig, auch wenn sie manchmal abstrakt darauf Bezug nahm. Die frühen 1970er waren unter der neuen SPD-geführten Regierung eine Zeit von sozialen Zugeständnissen und progressiver Reformen zu Gunsten der Arbeiter*innenklasse. Es gab einen Massenzustrom linker Aktivist*innen zu SPD und Jusos. Zehntausende gingen in die DKP oder in K-Gruppen und betrieben Massenarbeit in Betrieben, Unis und Stadtteilen. Zwar waren die Berufsverbote der Regierung Brandt gegen Kommunist*innen ein harter Schlag, doch das Narrativ der RAF vom sich unaufhörlich in den Faschismus entwickelnden, immer repressiver werdenden Staat BRD entsprach nicht dem Bewusstsein der Massen und der objektiven Lage. Die RAF-Aktionen im “Deutschen Herbst” 1977 erreichten nur, dass der deutsche Staat die Repressionsschraube massiv anzog: “Anti-Terror”-Gesetze, Einführung der Rasterfahndung und andere Maßnahmen wurden möglich. Die radikale Linke geriet in die politische Defensive und moralischen Rechtfertigungsdruck. Der Vorwurf des “Sympathisantentums” wurde zum Stigma. Der Staat zeigte seine Zähne, und anders als die RAF es sich vorstellte, sollte dies die Massen nicht aufrütteln. 

Vom Deutschen Herbst bis zum Ende

Die gescheiterten Aktionen zur Befreiung der in Isolationshaft gefangenen Führungsfiguren der ersten Generation im Herbst 1977 endeten mit dem Tod von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl-Raspe  unter ungeklärten Umständen in Stammheim. Nur Irmgard Möller überlebte schwer verletzt. Ulrike Meinhof war bereits im Mai 1976 in der Haft gestorben, nach offiziellen Angaben durch Suizid, aber wie in der Todesnacht von Stammheim wurde auch hier seitens der Anwälte der Gefangenen der Vorwurf erhoben, dass der Staat nachgeholfen habe.

Die 2.Generation geriet auch nach und nach in Gefangenschaft. Horst Mahler wandte sich in der Haft von der RAF ab, wurde erst vom Establishment gefeierter geläuterter Anhänger der bürgerlichen Demokratie, bis er in den 90ern politisch zum Neonazi mutierte. Manche konnten sich ins Ausland absetzen. Einige aus RAF und “Bewegung 2. Juni”, wie Susanne Albrecht und Inge Viett, konnten mit Hilfe der Stasi in der DDR untertauchen, bis sie nach 1990 enttarnt wurden. Der (west-)deutsche Staat verhängte gegen gestellte RAF-Leute wie Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt jahrzehntelange Gefängnisstrafen unter harten Bedingungen.In den 80ern und 90ern bildete sich die “3. Generation” aus, die durch Anschläge auf US-Militäreinrichtungen und 1989 durch den tödlichen Sprengstoffanschlag auf den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, Schlagzeilen machte. Daniela Klette wird dieser RAF-Generation zugerechnet. Nach der kapitalistischen Wiedervereinigung erschoss die RAF 1991 in Düsseldorf den ersten Chef der Treuhand, Detlev Rohwedder. Die Treuhand organisierte Privatisierung und Ausverkauf der DDR-Wirtschaft an westliche Unternehmer*innen. 1993 wurde das RAF-Mitglied Wolfgang Grams bei einem Schusswechsel mit der GSG-9 im mecklenburgischen Bad Kleinen getötet. Birgit Hogefeld geriet in Gefangenschaft. Danach endeten die Nachrichten über die RAF, die 1998 nach Jahren der Inaktivität schlussendlich ihre offizielle Auflösung bekanntgab. 

Als Christian Klar 2008 nach 26 Jahren freigelassen wurde, skandalisierten die bürgerliche Presse und die CDU in den Folgejahren, dass er immer noch Antikapitalist geblieben war und einen Job bei einem MdB der LINKEN fand.

Der individuelle, gegen einzelne Repräsentanten des Großkapitals und bewaffnete Teile des bürgerlichen Staates gerichtete Terror der RAF sollte insgesamt 33 Tote fordern. 20 ihrer eigenen Mitglieder starben, entweder in Gefangenschaft oder in Feuergefechten mit der Polizei. Zum Vergleich tötete die Bundeswehr 2009 in Kundus an nur einem Tag viermal so viele Menschen wie die RAF in ihrer gesamten Geschichte. Mindestens 530 Menschen wurden seit 1952 in Deutschland durch Polizeikugeln getötet. Und dennoch: Der Befreiung der Arbeiter*innenklasse half der bewaffnete Kampf der RAF nicht. Dem Staat gab er vor allem Vorwände, um Überwachung und Repression gegen alle radikalen Linken zu begründen und durchzuführen. Daher lehnen wir als Sozialist*innen die Methoden der RAF und ähnlicher Gruppen ab. 

Lesehinweise: 

Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, ID-Verlag, Berlin 1997

Leo Trotzki, Über den Terror (1911)

Foto: Selbstgebaute RAF-Raketenwerfer, Quelle: Wikipedia