Die Mobilisierungen von Fridays for Future (FFF) erreichen nicht mehr das Ausmaß von 2019. Selbst in Deutschland, wo die Demonstrationen anlässlich der Global Climate Strikes noch am größten sind, sinkt die Beteiligung. Die Letzte Generation hat ein Ende der Klebe-Aktionen verkündet, setzt auf andere Aktionsformen und gibt damit indirekt zu, dass sie in einer Sackgasse geendet ist. Ist die Klimabewegung in der Krise?
Von Claus Ludwig, Köln
Es gibt auch positive Entwicklungen: bei #wirfahrenzusammen (s. Artikel nächste Seite) unterstützen Klima-Aktive streikenden Beschäftigte im Nahverkehr. Bei Protesten wie gegen das Tesla-Werk in Brandenburg wird die Frage des Umbaus der Produktion und der Besitzverhältnisse aufgeworfen. In mehreren Städten entwickeln sich Initiativen gegen Autobahn-Projekte.
Angesichts der Dramatik der Klimakrise irritiert es, dass die Klimabewegung nicht im Aufschwung ist. Bei Meinungsumfragen in Deutschland ist die Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen sogar deutlich zurückgegangen. Paradoxerweise ist es exakt der Umfang der Klimakrise, zusammen mit den politischen Schwächen der führenden Gruppen der Klimabewegung, welche zu einem – vorübergehenden – Abflauen von Sympathien für die Klimabewegung geführt haben.
Appelle ins Nirgendwo
Die Methode von FFF war und ist es, an die Herrschenden zu appellieren, die Wissenschaft ernst zu nehmen und Maßnahmen für das Klima umzusetzen, verbunden mit der oft nur verschämt ausgesprochenen Hoffnung, die Grünen an der Regierung würden diesen Prozess absichern. Dafür gab es 2019 riesige Sympathien. Doch die Appelle sind verhallt. Konzerne und Regierung machen weiter wie bisher: die Verkehrswende fällt aus, die Autoindustrie wird für den Konkurrenzkampf gegen China gepampert und produziert weiter Verbrenner oder fette E-SUV. Öffentliche Investitionen in erneuerbare Energien sind auf einem lächerlichen Niveau. Statt russischem Gas wird LNG importiert. Noch immer wird Kohle abgebaggert. Gleichzeitig sind die Energiepreise für viele Menschen unerträglich gestiegen, Belastungen werden den Arbeitenden und Armen aufgebürdet, nicht den Reichen und den Konzernen. Die geplante Ausgleichszahlung – Klimageld genannt – wird es nicht geben.
Bei Teilen der arbeitenden Bevölkerung kommt es so an, dass es vielleicht doch nicht so schlimm mit der Klimakrise ist, wenn alle etablierten Parteien, inklusive der Grünen, die Appelle ignorieren. Seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine erleben wir zudem ein politisches und mediales Trommelfeuer, die Frontstellung gegen verfeindete imperialistische Mächte, Aufrüstung und „Kriegstüchtigkeit“ werden als die zentralen gesellschaftlichen Aufgaben beschrieben. Klimakrise, das war einmal.
Letzte Generation
Die Letzte Generation (LG) hatte einige richtige Ideen: 1) Die Notwendigkeit, sich nicht brav an die Regeln zu halten, sondern zivilen Ungehorsam zu entwickeln; 2) Die Dringlichkeit des Anliegens, die Warnung davor, nicht ewig Zeit zu haben. Dies hat dazu geführt, dass die LG innerhalb von zwei Jahren von einer Handvoll Leute zu einer Organisation mit über 1000 Aktiven und mehr Unterstützer*innen geworden und medial bundesweit präsent ist.
Inzwischen ist LG von den Klebe-Aktionen abgerückt und propagiert „ungehorsame Versammlungen“, Straßenblockaden im Stehen oder Sitzen, die nicht angemeldet werden. Durch die Masse der Teilnehmenden soll Druck erzeugt werden, dass die Polizei die Aktionen dulden muss. Diese Änderung der Taktik ist ein indirektes Eingeständnis, dass die Methode der medienwirksamen Provokation gescheitert ist. Die Klebe-Aktionen zogen Menschen an, die bereit waren, Opfer für den Kampf ums Klima zu bringen. Aber sie zeigten keine Perspektive auf, die Klimabewegung zu verbreitern, inhaltlich vorwärts zu bringen und die Herrschenden unter Druck zu setzen.
Stattdessen nutzten die Herrschenden die Konfrontation zwischen LG und Pendler*innen als Fokus ihrer Propaganda, um die Klimabewegung zu isolieren und zu schwächen und die Repression zu verschärfen. Die Stimmungsmache war absurd, allein die Idee, LG als Hauptverantwortliche für Staus darzustellen, ist angesichts des alltäglichen Chaos auf den Straßen schlicht lächerlich. Doch es funktionierte und die Letzte Generation musste den Rückzug antreten.
Die Letzte Generation hatte richtigerweise bei einigen Aktionen die Idee aufgegriffen, dass die Luxus-Emissionen der Reichen in den Mittelpunkt gerückt werden sollten, z.B. bei Aktionen gegen Privatflugzeuge und Luxus-Hotels. Wenn LG weiter in die Richtung arbeitet, kann die Gruppe eine positive Rolle spielen.
Klimaschutz und Klassenkampf
Entscheidend für die Klimabewegung wird, die Klimafrage als Klassenfrage zu begreifen. Der Kapitalismus als System ist – zumindest bisher – unfähig umzusteuern. Der im System immanente Zwang zum Wachstum und die Konkurrenz um Märkte, Rohstoffe und geopolitischen Einfluss befördern die Zerstörung. Ein Milliardär ist so klimaschädlich wie eine Million Menschen. Wenn die ökonomisch Herrschenden und ihre Parteien unfähig und unwillig sind, die Klimakatastrophe abzuwenden, dann helfen keine Appelle, sondern die Masse der Bevölkerung, die arbeitenden Menschen, müssen das Umsteuern selbst übernehmen – und sie haben potenziell die Macht dazu. Die Produktionsumstellung der Autoindustrie auf sinnvolle Produkte kann nur durch die Beschäftigten selbst erfolgen. Das mag heute wie eine Utopie erscheinen, doch wenn Arbeitsplätze vernichtet werden, ohne dass es irgendeinen Vorteil für das Klima dafür gibt, ermöglicht das die Möglichkeit für einen gemeinsamen Kampf von Klimabewegung und Arbeiter*innen.
Position gegen Krieg nötig
Krieg und Imperialismus sind Themen, die in der Klimabewegung häufig gemieden werden. Teile der Bewegung sind von den Grünen beeinflusst, die beim Ukraine-Krieg zu den Hardlinern zählen. FFF Deutschland distanzierte sich von den völlig korrekten Positionen Greta Thunbergs, die sich gegen Israels Massaker in Gaza und gegen die Besatzung aussprach. Andere trauen sich keine Positionierung zu. Die Bewegung kann diesem Thema allerdings nicht entgehen. Der Neue Kalte Krieg zwischen den von USA und China geführten Blöcken, der zunehmend heißer wird, ist ein Kind des fossilen Kapitalismus. Die Kriegsgefahr lässt sich nicht beseitigen, indem der eine außer Kontrolle geratene Bösewicht militärisch besiegt wird. Die Konkurrenz der imperialistischen Mächte um Rohstoffe, Absatzmärkte, Handelsrouten und Einflusszonen reproduziert die Kriegsgefahr immer wieder von neuem.
Wir brauchen eine antikapitalistische, antiimperialistische Klimabewegung, die bewusst die Verbindung mit der Arbeiter*innenbewegung vorantreibt und für eine demokratische, vergesellschaftete Produktion eintritt. Gleichzeitig muss die Praxis konkretisiert werden: Regelmäßige Demonstrationen müssen unterfüttert werden mit praktischem Widerstand, oft lokal, gegen klimaschädliche Projekte wie den Bau von Autobahnen, U-Bahn-Tunneln, Pipelines oder neuen Bergbau-Vorhaben (z.B. Lithium in Baden-Württemberg). Zudem sollte sich die Klimabewegung gegen die Vernichtung von Arbeitsplätzen in der Autoindustrie und bei den Zulieferern positionieren und versuchen, mit den Beschäftigten zusammen für den Erhalt aller Jobs und die Umstellung der Produktion zu kämpfen.