Ein paar Stunden war es ruhig in Gaza. Das Surren der Drohnen, die donnernden Kampfjets und die ständigen Raketeneinschläge wurde unterbrochen, das Auge der israelischen Militärmaschine war ganz auf die Abwehr des iranischen Angriffs gerichtet, bei dem hunderte Raketen und Drohnen auf Israel abgefeuert wurden. Doch die Ruhe war trügerisch.
Von Sebastian Rave, Bremen
Der weitestgehend abgewehrte Angriff vom 13. April war ein eher symbolischer Akt der Vergeltung nach dem Luftangriff auf den Gebäudekomplex der Iranischen Botschaft in Syrien. Die begrenzte Antwort – ein israelischer Drohnenangriff auf die Militärbasis in Isfahan – wird möglicherweise nicht das letzte Wort gewesen sein. Auch wenn beide Regimes kein Interesse an einer Eskalation haben: Vollständig unter Kontrolle haben sie die kriegerische Dynamik nicht.
Zweite Nakba?
Für die Menschen in Gaza wiederum hielt die trügerische Ruhe in Gaza nur kurz. Während die israelische Armee ihren Angriff auf Rafah vorbereitet, wurde ein Massengrab mit den Leichen von gefesselten Palästinenser*innen gefunden. Die ISA in Israel-Palästina hat zu Anfang des Krieges die Dimensionen des Massakers betont und vor der Zunahme von genozidalen Elementen gewarnt. Einige Mitglieder der israelischen Regierung und des Generalstabs hatten ganz offen eine zweite „Nakba“ [„Katastrophe“; die erste Nakba war die Vertreibung und Entrechtung von hunderttausenden Palästinenser*innen zur Staatsgründung Israels] zum Kriegsziel erklärt. Mittlerweile charakterisieren unsere Genoss*innen das Vorgehen als einen „genozidalen Krieg“. 35.000 Menschen wurden in Gaza ermordet, der Hunger ist allgegenwärtig, es gibt keine Fluchtmöglichkeiten. Gleichzeitig erreichen Morde und Vertreibungen durch rechtsextreme israelische Siedler*innen und die israelische Armee im Westjordanland eine neue Qualität. Am 21. April wehrten sich die Menschen dort mit einem Generalstreik gegen den rechten Terror.
Die internationale Bewegung, die auch symbolische Blockaden von Waffenlieferungen durch Gewerkschaften einschließt, sowie die wiederholten Angriffe auf humanitäre Hilfskräfte haben Israels westliche Unterstützer*innen, allen voran USA und Deutschland, unter Rechtfertigungsdruck gesetzt. Das führte zu den Appellen zu größerer Zurückhaltung. Mittlerweile scheint es einen Deal zu geben: Biden gibt grünes Licht für den Angriff auf Rafah, wenn Israel auf einen größeren Vergeltungsschlag gegen den Iran verzichtet. Dahinter steht unter anderem, dass die USA befürchten, die Kontrolle über die Lage vollends zu verlieren.
Die Militärschläge Israels und des Iran sind die nächsten Eskalationsschritte eines Krieges, der tief in die globalen Widersprüche eingebettet ist. Die relative Schwäche des US-Imperialismus geht einher mit der stärkeren Blockbildung auf der Gegenseite. Die Achse Beijing-Moskau-Teheran wird eine immer offenere Herausforderung für den Westen und konsolidiert sich – bei aller politischen und ökonomischen Instabilität der jeweiligen Regimes. Die diplomatischen Schritte mit dem chinesischen Ruf nach „Frieden“ in der Ukraine und in Nahost sind auch der Versuch, die zunehmende antiamerikanische Stimmung im globalen Süden aufzugreifen, und gehen einher mit gegenseitigen Waffenlieferungen zwischen Iran und Russland und immer stärker werdenden ökonomischen Verflechtungen. Gleichzeitig nehmen die Spannungen im Südchinesischen Meer zu.
Repression in Deutschland
Aufrüstung und Militarisierung nach außen gehen einher mit der Repression nach innen. Die polizeiliche Auflösung des Palästina-Kongresses in Berlin ist nur ein Ausdruck davon. Die Wucht der Repression trifft vor allem jüdische Aktivist*innen, die sich gegen Israels Krieg richten. Das zeigt, dass es dem deutschen Staat nicht um eine „historische Schuld“ geht, sondern um die eigenen kapitalistischen Interessen. Die relative Selbstständigkeit der von Deutschland geführten EU ist Geschichte, Deutschland hat sich mit der „Zeitenwende“ für den „großen Bruder“ USA als strategischem Verbündeten entschieden.
Die Bewegung gegen das Massaker in Gaza muss diese globalen Verhältnisse im Blick haben. Und sie sollte sich keine Illusionen machen, dass die Herausforderer des US-Imperialismus auf ihrer Seite stünden. Den reaktionären Diktaturen Iran, Russland und China geht es genauso wenig um Frieden und Menschenrechte wie den immer weniger liberalen Demokratien im „Westen“. Nur die Beseitigung der kapitalistischen Welt-Unordnung und ihre Ersetzung durch sozialistische Demokratien von unten kann die Kriegsgefahr bannen.