Das Superwahljahr steht im Zeichen des Rechtsrucks. Die Wahlumfragen zur Europawahl sehen in Deutschland die AfD als zweitstärkste Kraft (12.4.24: 17,4%) hinter der CDU. Die arbeiter*innenfeindliche Politik von CDU bis Grüne wird den Rechtsruck nicht aufhalten.
von Linda Fischer, Hamburg
In Österreich könnte die rechtsradikale FPÖ stärkste Kraft bei den österreichischen Nationalratswahlen im September werden und ihr prozentuales Ergebnis von 2019 verdoppeln. Auch bei den Sonntagsumfragen zur Europawahl liegt die FPÖ vorn. In den meisten anderen EU-Mitgliedsstaaten sieht es nicht besser aus. Insgesamt würden die beiden rechtspopulistischen bzw. nationalistischen Fraktionen mehr als ein Fünftel (21,8 %) aller gewählten Abgeordneten des EU-Parlaments stellen, ein neuer Rekord: 2019 lag dieser Wert noch bei 18%, 10 Jahre davor bei 11,8 Prozent (vgl. Wahlprognose Ipsos).
Der Rechtsruck ist gefährlich: Die Gefahr rassistischer Übergriffe nimmt zu, demokratische Rechte werden weiter ausgehöhlt, die öffentlichen Debatten werden rassistischer, antifeministischer und queerfeindlicher. Gewerkschaftliche Rechte werden ebenso angegriffen wie Arbeitsbedingungen, Löhne und Sozialleistungen.
„Wertebasierte“ EU als Alternative gegen Rechts?
Die bürgerlichen Parteien von CDU bis Grüne propagieren als Alternative zu den Rechten die EU, die angeblich wertebasiert sei, für Frieden stehe und ein Bollwerk gegen autokratische Regime wie Russland darstelle.
In der Realität ist die EU ein neoliberales und militaristisches Projekt. Sie war nie dafür da, Frieden in Europa zu schaffen. Bereits der EU-Vertrag von Lissabon aus dem Jahre 2007 beinhaltet ein Aufrüstungsgebot, welches die Mitgliedsstaaten verpflichtet, ihre militärischen Fähigkeiten zu stärken. Er definiert die Sicherheits- und Verteidigungspolitik als integralen Bestandteil der EU.
Die Vorläufer der EU hießen nicht ohne Grund „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS), „Europäische Atomgemeinschaft“ (EURATOM) und „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG). Sie wurden mit dem Zweck der Erhöhung der Profite der europäischen Kapitalistenklassen, allen voran der Sicherung und des Ausbaus der dominanten Stellung der deutschen und französischen Herrschenden, gegründet. Olaf Scholz hat dieses Ziel auf dem diesjährigen SPD-Europawahlparteitag bekräftigt, als er sagte: „Die Nationalisten handeln gegen das nationale Interesse. Das stärkste nationale Interesse, das wir in Deutschland haben, ist eine starke europäische Union.“ Gemeint ist selbstverständlich das Interesse des deutschen Kapitals und nicht das von z.B. Arbeitnehmer*innen.
Der Grüne Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Europaausschusses Anton Hofreiter warnte, dass ein Rechtsruck bei den Europawahlen vor allem ein Ruck in Richtung Russland sei. Die Skandalisierung, die AfD habe Gelder von prorussischen Organisationen erhalten, ist heuchlerisch. Bei ihrer Kritik an Russland geht es den Herrschenden nicht um das Wohl der ukrainischen Bevölkerung, Menschenrechte oder demokratische Werte. Die strategische Abkehr vom russischen Imperialismus ist getrieben von einer ebenso nationalistischen Ideologie der Konkurrenz zwischen den Blöcken, Staaten und Nationen.
Wenn es um die Sicherung von Profiten, Vormachtstellungen und Absatzmärkten deutscher Unternehmen geht, dann sind Waffenlieferungen an die ultrakonservative Monarchie Saudi-Arabien, die Mitfinanzierung des genozidalen Kriegs Israels in Gaza, oder sogenannte EU-Migrationsabkommen mit autokratischen Regimen völlig in Ordnung.
Die Herrschenden reagieren auf die soziale, ökologische und ökonomische Krise des globalisierten Kapitalismus mit Aufrüstung, Abschottung und einer Umverteilung von unten nach oben. Das vor kurzem verabschiedete GEAS (Gemeinsame Europäische Asylsystem) ist der traurige Höhepunkt dieser rassistischen und tödlichen Abschottungspolitik der Festung Europa. Die Gründe mögen andere sein, doch diese Politik unterscheidet sich nicht grundsätzlich von den „Remigrationsideen“ der AfD.
Linke Alternative nötig
Die Kommunistische Partei Österreich (KPÖ) macht es im Kleinen vor. Bei der Salzburger Gemeinderatswahl in diesem Jahr konnte sie ihren Stimmenanteil von 3,7 % 2019 auf 23,12 % versechsfachen. Ihr Erfolgsrezept: Konzentration auf Themen, welche die arbeitenden Menschen unmittelbar bewegen – vor allem die Frage des leistbaren Wohnraums. Statt standardisiertem Wahlkampf bestand ihr Wahlauftakt aus einem Protest gegen den drohenden Abriss eines großen Wohnkomplexes günstiger Wohnungen. Die KPÖ organisiert regelmäßige Sozialberatung und alle KPÖ-Politiker*innen erhalten nur einen durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn.
Auch wenn das Programm begrenzt ist, die KPÖ macht deutlich, dass eine unangepasste Linke, die sich glaubwürdig um die Belange der Arbeiter*innenklasse kümmert, erfolgreich sein kann.
In Deutschland schafft es Die Linke nicht, sich als wirkliche linke Alternative zum Establishment zu präsentieren. Das Europawahlprogramm tut so, als könne es einen EU-Neustart geben. Es verschleiert damit die Tatsache, dass Staatenzusammenschlüsse auf kapitalistischer Basis nicht neutral sein können oder für Frieden und soziale Gerechtigkeit sorgen werden. Allgemein richtige Forderungen wie höhere Löhne, Klimaschutz, funktionierende soziale Dienstleistungen und Umverteilung von oben nach unten bleiben relativ abstrakt, da Die Linke keine Durchsetzungsstrategie liefert und die Ursache Kapitalismus nicht klar benennt. Da, wo sie an der Regierung beteiligt ist, ist sie leider auch für Kürzungen verantwortlich, in Bremen wird zum Beispiel das Krankenhaus Links der Weser geschlossen – unter einer linken Gesundheitssenatorin! Die Logik des Profitsystems wird nicht durchbrochen. Gerade in Zeiten des kapitalistischen Niedergangs kann das nur in die Sackgasse führen. Die Mehrheit in der Partei krankt schon lange daran, im Zweifel auf Parlamentsposten zu orientieren und sich an die etablierten Parteien anzupassen. Nötig wäre der Aufbau einer konsequenten, antikapitalistischen Alternative, die in den Betrieben und Stadtteilen verankert ist.
Dennoch ist Die Linke in Deutschland die einzige größere Kraft, die nicht nur soziale Fragen aufwirft, die Reichen zur Kasse bitten will und Streiks unterstützt, sondern auch dem rassistischen und militaristischen Einheitsbrei etwas entgegensetzt, wenn auch leider häufig viel zu schwammig. Es bleibt richtig, die Partei Die Linke zu wählen.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist keine Alternative. Die ursprünglich versprochene Politik im Interesse der kleinen Leute sucht man beim BSW vergebens. Stattdessen wird gegen den angeblichen Missbrauch von Bürgergeld und die „Genderideologie“ gewettert und werden immer rassistischere Thesen zur Migrationspolitik aufgestellt wie die Forderung, Leistungen für abgelehnte Asylbewerber*innen zu streichen.
Eine Kraft, welche die Rechten wirklich herausfordern kann, muss sich gegen die Militarisierung und Aufrüstung der EU zur Wehr setzen, die unweigerlich zu mehr Nationalismus und Rassismus führt. Ein radikaler Bruch mit diesem Profitsystem, was die Ursache für die soziale, ökologische und ökonomische Krise ist, ist notwendig. Eine Alternative zu den Rechten muss daher auch die bürgerlichen Parteien und das kapitalistische System, was sie verteidigen, herausfordern. Es braucht eine international koordinierte Kraft der Arbeiter*innenklasse, die sich aus diesem Verständnis heraus organisiert. Eine Kraft, die an den konkreten Belangen der arbeitenden Bevölkerung und Jugend ansetzt und Strukturen in den Stadtteilen, Betrieben, Unis und Schulen aufbaut. Eine Kraft, die betriebliche Streiks unterstützt, zusammenführt und politisiert. Eine Kraft, die organisierender Teil der sozialen, feministischen, antirassistischen und Antikriegsbewegungen ist und diese in allgemeine, antikapitalistische Kämpfe zusammenführt.