Bei der Europawahl haben rechte Kräfte in den meisten Ländern zugelegt. In Deutschland gewinnt die AfD fast 16%, die Linke fällt auf 2,7% der Stimmen. Ein Viertel der Sitze geht an nicht im Bundestag vertretene Parteien. Was kommt auf uns zu?
Lediglich 31% der Wähler*innen haben SPD, Grüne oder FDP gewählt, dagegen hat die Union allein 30% bekommen. Dass sie spätestens ab Ende 2025 den Kanzler stellt scheint sicher. Einige rechte Medien und die CSU fordern Neuwahlen. Doch bisher gibt es keine konzentrierte Kampagne der Kapitalist*innen, die Union an die Macht zu bringen. Die Mehrheit der Wähler*innen ist auch nicht überzeugt: Laut Umfragen sind zwar 76% unzufrieden mit der Politik der Ampel, aber nur 39% glauben, dass eine CDU-geführte Regierung es besser machen würde.
Flirt mit der extremen Rechten
Im neuen EU-Parlament haben die beiden Fraktionen vom rechten Rand – EKR (Europäische Konservative und Reformisten) um die polnische PiS, sowie die italienische FdI und ID (Identität und Demokratie) um die italienische Lega und die französische RN – zusammen mindestens 131 von 720 Sitzen. Weitere Rechte aus bisher nicht im Parlament vertretenen Parteien könnten sich anschließen. Die AfD-Abgeordneten sind zunächst fraktionslos, nachdem sie kurz vor der Wahl aus der ID ausgeschlossen wurden. Spitzenkandidat Maximilian Krah hatte in einem Interview zu offen die Waffen-SS verharmlost, RN und Lega setzten daraufhin die ganze AfD vor die Tür. Sympathien für die SS-Schlächter können sich in Italien und Frankreich offenbar nicht einmal harte Rechtspopulist*innen leisten.
Die größte Fraktion im EU-Parlament, die konservative Europäischen Volkspartei (EVP), machte den extrem rechten Fraktionen vor der Wahl Avancen. Als Kriterien für eine Zusammenarbeit nannte sie 1.) Das Bekenntnis zur EU, 2.) die Nicht-Infragestellung des „Rechtsstaats“ und 3.) Die Unterstützung des Kurses gegen Russlands samt Waffenlieferungen an die Ukraine. Was ein Rechtsstaat ist und wie rechts es im Staat zugehen darf, definiert die EVP je nach taktischen Erfordernissen selbst, das ist nur Wortgeklimper. Entscheidend sind im Neuen Kalten Krieg die außenpolitischen Kriterien – auch Faschist*innen werden von der EVP als potenzielle Partner*innen akzeptiert, wenn sie bereit sind, die Kriegs- und Außenpolitik der NATO abzunicken. Nur die AfD ist nicht stubenrein, daher wird es, anders als mit Meloni, zunächst keine Zusammenarbeit mit ihr geben.
AfD: Symptom und Ursache
Die AfD hat mit 15,9% das beste bundesweite Wahlergebnis ihrer Geschichte erzielt. Sie ist in ganz Ostdeutschland mit großem Abstand stärkste Partei, in allen Bundesländern außer Hamburg erreicht sie zweistellige Ergebnisse. Allerdings bleibt sie unter dem Niveau ihrer Umfragewerte vom letzten Winter, wo ihr teils über 20% prognostiziert wurden. Die riesigen Anti-AfD-Demos in ganz Deutschland und die Konkurrenz durch das BSW haben sie leicht geschwächt.
Die AfD profitiert vom seit 2015 massiv geschürten Rassismus, verstärkt ihn und treibt die anderen Parteien vor sich her. Nicht nur die Angst-Kampagne aller bürgerlichen Parteien gegen Geflüchtete hat Wähler*innen in die Arme der AfD getrieben. Wer vom Rechtsruck redet, darf zu Nationalismus nicht schweigen. Auch die umfassende nationalistische Mobilisierung für die “Kriegstüchtigkeit”, die seit zwei Jahren auf Hochtouren laufende mediale und politische Propaganda-Maschine zur Vorbereitung auf kommende Kriege zur Wahrung des Interessen des deutschen Kapitals, mit den Grünen und der FDP in der verbalen Hauptkampflinie, sind wichtige Faktoren beim Aufstieg der AfD. Wenn nur noch von “Nationen”, “Staaten”, “den Ukrainern” und “den Russen” die Rede ist, profitieren am Ende die entschlossensten Nationalist*innen und Rassist*innen davon, auch wenn diese in der Ukraine-Frage eine andere Position haben. Tatsächlich profitiert die AfD von beiden Aspekten, sowohl von der Dominanz des Nationalismus als auch von der Angst vor der Ausweitung des Krieges.
Das wichtigste Motiv, die AfD zu wählen, ist laut den Nachwahlumfragen von Infratest Dimap immer noch die Feindschaft gegen Geflüchtete. Für 46% ihrer Wähler*innen spielt „die Zuwanderung die größte Rolle“, 95% machen sich Sorgen, weil „zu viele Fremde nach Deutschland kommen“. Daneben werden aber auch Frieden (17%), Soziale Sicherheit (15%) und Wirtschaftswachstum (12%) als Wahlmotive genannt. Die AfD ist zwar keine reine Protestpartei mehr, profitiert aber immer noch von ihrem Image als „einzige Opposition“ – 44% der AfD-Wähler*innen geben an, sie aus Enttäuschung über andere Parteien gewählt zu haben.
Aufstieg des BSW
Sahra Wagenknecht hat mit dem nach ihr benannten BSW 6,3% der Stimmen eingefahren. Auch diese Partei ist im Osten wesentlich stärker. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg steht sie vor dem Einzug in die Landtage, wahrscheinlich mit zweistelligen Ergebnissen. Ihr Erfolg speist sich aus unterschiedlichen Quellen. Die wichtigste Rolle spielt die Außenpolitik. Wagenknecht wird von einem Teil der Wähler*innen als entschiedene Gegnerin von Aufrüstung und Waffenlieferungen wahrgenommen. 37% ihrer Wähler*innen bezeichnen „Friedenssicherung“ als wichtigsten Grund, sie zu wählen.
Auch Wagenknechts Politik gegen Geflüchtete, ihre „anti-Woke“ Haltung und ihre Bemühungen, das breite Milieu der einstigen Corona-Leugner*innen anzusprechen, haben sich offenbar rentiert. Ein Teil ihrer Wähler*inner erinnert sich noch an Zeiten, in denen Wagenknecht klare soziale Forderungen aufstellte: 22% der BSW-Wähler*innen haben sie wegen der „sozialen Sicherheit“ gewählt. Während das BSW in Parlament und Medien sich eher staatstragend gibt und gegen Geflüchtete und Bürgergeld Stellung bezieht, wurden bei den Wahlkampf-Kundgebungen durch Wagenknecht und den EU-Spitzenkandidaten Fabio de Masi vor allem die sozialen Forderungen in den Vordergrund gestellt.
Außerdem profitiert das BSW von seinem Status als „unverbrauchte Kraft“. Etwa 2-4% der Wähler*innen wählen immer die neueste Partei, die Chancen hat, ins Parlament zu kommen. Das drückt eine gewisse Unzufriedenheit aus, aber keine klare Anti-Establishment-Haltung. Von diesem Effekt haben in den letzten Jahrzehnten erst die Linke, dann die Piratenpartei, die AfD und nun eben das BSW profitiert.
Volt: Rich Kids für Europa
Volt ist eine paneuropäische Partei, die 2016 vom Bankierssohn und Unternehmensberater Damian von Boeselager auf einer Wahlparty der US-Demokrat*innen gegründet wurde. In den letzten Jahren zog sie in einige Kommunalparlamenten ein und macht wenig überraschend neoliberale Politik, positioniert sich als Mischung aus Grünen, FDP und unverbrauchter Modernität.
Laut Umfragen haben 9% der Erstwähler*innen Volt gewählt. Neben Social Media-Wahlkampf veranstaltete die Partei mit ihren lila Plakaten ohne erkennbare Forderungen eine enorme Materialschlacht. Neben einzelnen fortschrittlichen Elementen, wie der Ablehnung von GEAS (der EU-Regelung zur Abschottung gegen Geflüchtete) steht Volt vor allem für ein besonders enthusiastisches Abfeiern der EU, die zum Bundesstaat mit gemeinsamer Armee und Atomwaffen weiterentwickelt werden soll. Besonders aggressiv gebärdet sich Volt gegen Gruppen, die Israels genozidalen Krieg in Gaza kritisieren und hat z.B. einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der “Jüdischen Stimme für gerechten Frieden” gefasst, wobei unklar ist, wie viele Wähler*innen das überhaupt wissen. Relevanter dürfte der EU-Patriotismus sein: Wer aus dem Politikunterricht mitgenommen hat, dass die EU die beste politische Idee der Weltgeschichte ist und sich ansonsten auf nichts festlegen will, wählte Volt.
Götterdämmerung für Die Linke?
Das Ergebnis der Linken ist mit 2,7% erwartungsgemäß schlecht. Verglichen mit der EU-Wahl 2019 hat sie fast eine Million Wähler*innen verloren, etwa die Hälfte ihrer Stimmen. Dabei gibt es deutliche regionale Unterschiede. In den ostdeutschen Ländern, wo 2019 noch zweistellige Prozentergebnisse geholt wurden, haben sich ca. 60% der bisherigen Wähler*innen von der Linken abgewendet. In den Stadtstaaten halten sich die Verluste hingegen im Rahmen, in Hamburg konnten vier Fünftel der Stimmen gehalten werden. Nur in Berlin, Bremen, Thüringen und Hamburg bleibt die Linke über 5%.
Seit dem Austritt von Sarah Wagenknecht gab es durchaus Eintritte in die Linke (5000 seit Jahresbeginn), aber die Partei liegt in vielen Orten am Boden, Aktivität und Handlungsbereitschaft sinken. Aus den Medien ist sie weitgehend verschwunden, bei den Wähler*innen hat sie überwiegend ein “Verlierer”-Image.
Die Aussicht, bundesweit über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen, war ein zentraler Grund für die Sozialist*innen, Sozialdemokrat*innen und Linksliberalen in der Linken, eine gemeinsame Partei zu bilden. Das ist bei der kommenden Bundestagswahl unwahrscheinlich. Es ist möglich, dass nach den absehbar schlechten Ergebnissen bei den Ost-Landtagswahlen im Herbst führende Mitglieder und Mandatsträger*innen der Linken den Rücken kehren. Solche Aus- oder Übertritte zu anderen Parteien würden die existenzielle Krise der Partei eskalieren lassen. Das Modell einer „ostdeutschen Volkspartei“ mit starker regionaler Identität, die unter allen Umständen nach Regierungsbeteiligungen strebt, ist mit dem Aufstieg des BSW ohnehin gescheitert. Sahra Wagenknechts Partei wird zudem als unverbrauchte Protestpartei wahrgenommen.
Für die Masse der Wähler*innen ist die Linke als Wahlalternative aktuell nicht existent. Durch ihre Establishment-Politik hat sie ihre Rolle als Protest- und Kümmerer-Partei verloren.
Zunächst rollt eine rechte Welle, linke Ideen sind in der Defensive. Auch mit dem besten Programm hätte Die Linke. kein gutes Wahlergebnis erzielt. Doch mit einer Wende hin zu einer antikapitalistischen Politik würde zumindest die Möglichkeit eröffnet, die Partei zu erhalten und zukünftig wieder neu aufzubauen, auch wenn der Einzug in den Bundestag 2025 nicht gelingt. Es ist fraglich, ob dieser Neuaufbau mit dem “weiter so, aber besser” gelingt, welches jetzt viele beschwören. Erneute Aufschwünge bei Wahlen sind aus Mangel an Alternativen nicht ausgeschlossen, z.B. die Verteidigung der Präsenz in den Landesparlamenten von Hamburg und Bremen, aber keineswegs sicher, auch diese Hochburgen können im Abwärtsstrudel untergehen.
Die verschiedenen Vorschläge aus der Partei, was man jetzt besser machen können, sind nicht alle falsch (z.B. Durchschnittslohn für Abgeordnete, Mandatszeitbegrenzungen), aber sie greifen sämtlich zu kurz. Die Fragen sind scharf gestellt: In der Periode der imperialistischen Zuspitzung müsste die Partei sich klar positionieren gegen Krieg und Militarismus, samt einer eindeutigen Haltung zu Ukraine und Gaza; und gegen die mit der Militarisierung einhergehenden Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse. In der Periode der Klimakatastrophe muss eine linke Partei erklären, dass “Sozialismus oder Barbarei” die Alternativen sind. Oder die Partei sucht weiter nach der nicht existierenden Marktlücke der sozialen Begleitung von SPD und Grünen – und macht sich selbst überflüssig.