Seit 16 Jahren organisiert der sogenannte Bundesverband Lebensrecht jährlich den „Marsch für das Leben“. „Für das Leben“ steht in diesem Falle nicht für den Schutz von Menschen, deren Leben bedroht ist, zum Beispiel durch Krieg oder Verfolgung, sondern dafür, Abtreibungsrechte einzuschränken.
Von Kennet Tebert, Köln
Am 21. September treffen sich in Köln und Berlin christliche Kleinfamilien mit radikalen christlichen Fundamentalist*innen, Burschenschaftlern, Nazis und der AfD, um gemeinsam im Namen des Kinderschutzes gegen Selbstbestimmungsrechte zu demonstrieren. Bis 2022 fand der Marsch nur in Berlin statt, 2023 wurde er zum ersten Mal parallel in Köln durchgeführt. In Berlin gab es jedes Jahr Gegendemonstrationen von linken Organisationen und auch in Köln gab es eine Gruppe von 2500 Gegendemonstrant*innen, die es sich letztes Jahr zur Aufgabe gemacht hatten, den knapp 1500 Abtreibungsgegner*innen den Tag zu versauen. Dies gelang, indem durch Blockieren der geplanten Demoroute, ein Rückzug zum Kundgebungsplatz mit nur wenigen hundert Metern Demoroute, sowie einige Stunden Stillstand erzwungen wurde. Auch dieses Jahr organisiert das Pro-Choice Bündnis Köln eine Gegendemonstration.
Rechter Kulturkampf und Anti-Feminismus
Der „Marsch für das Leben“ ist Teil des rechts-konservativen Kulturkampfes, der sich den Kampf gegen die „woke Gesellschaft“ auf die Fahne schreibt und die Rückkehr zur patriarchalen bürgerlichen Familie und die Einschränkung der Entscheidungsfreiheit von Frauen und allen gebährfähigen Personen fordert.
Sie versuchen, das krisengeschüttelte, kapitalistische System durch ein autoritäres Programm auf der Grundlage von Geschlechterunterdrückung zu stabilisieren. Die patriarchalische, heteronormative Kleinfamilie wird als notwendiger Grundpfeiler gepredigt. Doch die versprochene Sicherheit und Stabilität bietet die Kleinfamilie nicht. Der gefährlichste Ort für Frauen bleibt das eigene Zuhause. Die Fälle häuslicher Gewalt steigen an.
Frauen zurück an “Heim und Herd” ist eine Illusion verquerer Reaktionärer. Die Lebensrealität der meisten Familien macht ein doppeltes Vollzeiteinkommen notwendig, unabhängig davon, ob man will oder nicht. Ob Erziehende gerne weniger arbeiten würden, um mehr Zeit für Kinder und Freizeit zu haben, spielt dabei keine Rolle. Dazu kommt, dass Frauen trotzdem zusätzlich einen Großteil der Care-Arbeit übernehmen sollen, anstatt diese als gesellschaftliche Aufgabe zu begreifen. Die Ideologie der Kleinfamilie bleibt für den Kapitalismus notwendig, um einen Großteil der Pflege-, Haus- und Erziehungsarbeit in die Familie – und dort vor allem auf Frauen – abzuschieben.
Pro-Choice heißt absolute Selbstbestimmung
§218 muss abgeschafft werden. Doch der Kampf für wahre Selbstbestimmung endet nicht bei §218. Neben der Möglichkeit, sich gegen das Austragen einer Schwangerschaft zu entscheiden, muss es auch für alle die Möglichkeit geben, sich dafür zu entscheiden. Die Geburt eines Kindes ist aber das größte Armutsrisiko in Deutschland. Über 84% der Alleinerziehenden in Deutschland sind Frauen. Sie haben es schwerer auf dem Arbeitsmarkt und leiden besonders unter dem Mangel an Kita-Plätzen und dem Abbau der Sozialleistungen.
Auch in Partnerschaften führt die Geburt eines Kindes häufig dazu, dass Frauen mehr Care-Arbeit leisten und beruflich zurücktreten müssen. Für die meisten Frauen ist die Entscheidung für ein Kind gleichzeitig eine Entscheidung für Armut oder wirtschaftliche Abhängigkeit. Um eine echte Wahlfreiheit zu haben, bräuchte es eine bessere soziale Absicherung. Es muss möglich sein, als Mutter vollzeit berufstätig zu sein, dafür ist eine allgemeine, deutliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich notwendig, damit Arbeit und Kinder vereinbar sind. Die Sozialsysteme müssen besonders Alleinerziehende zuverlässig vor Armut schützen. Solche Forderungen findet man auf dem sogenannten “Marsch für das Leben” nicht.
Um eine Gesellschaft mit sicheren Abtreibungsmöglichkeiten und echter Selbstbestimmung zu erreichen, müssen wir den Kapitalismus überwinden. Die Vergesellschaftung der Care-Arbeit, die für die wahre Selbstbestimmung nötig ist, ist im Kapitalismus eine unerfüllbare Forderung, da Care-Arbeit als private Angelegenheit betrachtet wird, die überwiegend von weiblich gelesenen Menschen verrichtet und nicht als echte Arbeit anerkannt wird. Nur in einer sozialistischen Gesellschaft ist es möglich, das Patriarchat und dessen Auswirkungen abzuschaffen.
Auf die Straße!
Um dem Rechtsruck und der anti-feministischen Bewegung etwas entgegenzusetzen, reicht es nicht, an die Regierung zu appellieren und kleine Verbesserungen in einem von Grund an ungerechten System zu fordern. Man muss den Kampf auf die Straße bringen und den Abtreibungsgegner*innen zeigen, dass sie ihre Propaganda gegen die Selbstbestimmung von gebährfähigen Personen nicht ungestört in der Öffentlichkeit verbreiten können.
Keine Aktion gegen unsere Freiheiten darf unbeantwortet bleiben. Kommt deshalb am 21.9 gegen den “Marsch für das Leben” mit uns auf die Straße in Köln, in den Block der SAV, um für Selbstbestimmung und einen sozialistischen Feminismus zu kämpfen!
Die SAV ist Teil des Bündnisses “Pro Choice Köln“, das die Gegenproteste organisiert.