Macron ebnet den Rechten den Weg

In der ersten Wahlrunde der Neuwahlen in Frankreich ist der rechtsradikale Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen stärkste Kraft geworden. Präsident Emmanuel Macron hatte die Neuwahlen nur wenige Wochen vorher, nach der Niederlage seiner Liberalen bei der Europawahl und dem Sieg des RN angekündigt und wurde abgestraft. Die Neue Volksfront (NFP), das Wahlbündnis der linken Partei La France Insoumise (LFI) mit den Grünen, der Sozialdemokratie und kleineren Gruppen, kam auf 28%.

Von Linda Fischer, Hamburg

Seit 2022 verfügte Macron nicht mehr über die absolute Mehrheit der Abgeordnet*innen in der Nationalversammlung. Die letzten zwei Jahre mussten seine Liberalen ständig auf die Suche nach Verbündeten gehen. Während der massiven Bewegung gegen die Rentenreform scheiterte ein Misstrauensvotum im März 2023 an nur neun Stimmen. Zuletzt hatte Macron auch die Unterstützung von Les Républicains (Die Republikaner, Schwesterpartei der CDU/CSU) verloren. Diese könnten nun zum Mehrheitsbeschaffer von RN werden. 

Gefahr von Rechts

Der RN steht für einen autoritären, rassistischen Staat. Eine RN-Regierung hätte eine weitere Entfesselung der Polizeigewalt samt ihrer stark rassistischen Elemente, eine Aushöhlung von Gewerkschaftsrechten, Kürzungen im Sozial- und Kulturbereich, die Privatisierung des öffentlichen Rundfunks, eine Anti-Klimapolitik und eine Flut von Ernennungen ultrarechter Kräfte in Verwaltung und Justiz zur Folge. Vom Versprechen, die Rentenreform Macrons zurückzunehmen, ist der Spitzenkandidat Jordan Bardella bereits abgerückt.

Dennoch konnte der RN am meisten von dem Hass auf Macron profitieren und hat seine Stimmenanzahl im Vergleich zu den Wahlen 2022 mehr als verdoppelt. Macrons Politik hat diesem Aufstieg den Weg geebnet – mit der Rentenreform, repressiven Gesetzen wie dem „Loi sécurité globale“ (dem Gesetz für „umfassende Sicherheit“) und rassistischen Gesetzen wie dem verschärften Einwanderungsgesetz, welches Ende 2023 mit den Stimmen der kompletten RN-Fraktion verabschiedet worden war und von Marine Le Pen als “ideologischer Sieg” gefeiert wurde.

Rechtspopulisten als Machtoption

Macrons Neuwahlen-Schachzug, um einem erneuten Misstrauensvotum im Herbst zuvorzukommen und auf die Zersplitterung der Linken zu hoffen, damit sich die Stimmen gegen die Rechten auf ihn vereinen, ist im ersten Wahlgang gescheitert. Macron hat bewusst in Kauf genommen, dass das Rassemblement National massiv gestärkt aus der Wahl geht, bis 2027 bei den Präsidentschaftswahlen die Karten neu gemischt werden. Dass Macron kein Problem hat, auf den RN zuzugehen, um regierungsfähig zu bleiben, hat er bereits beim Einwanderungsgesetz bewiesen.

Die “Brandmauer” bröckelt, Rechtspopulist*innen sind als mögliche Partner angekommen, weil dem Establishment die Handlungsmöglichkeiten für andere Machtoptionen fehlen. Nationalistische und rassistische Ideologie wird auch bei Liberalen und Konservativen salonfähig, weil sie in Zeiten von kapitalistischer Krise, Blockkonfrontation, Krieg und Militarisierung notwendiger ist, um dieses System am Leben zu erhalten. Auch deswegen kann die Einbindung rechtspopulistischer Kräfte aus Sicht der Bürgerlichen strategisch Sinn machen. Zuletzt hatte die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen EU-Komissionspräsidentin von der Leyen und Meloni auf EU-Ebene Schlagzeilen gemacht. 

Die Republikaner in Frankreich, zunächst gespalten in ihrer Unterstützung für den RN, scheinen sich mittlerweile einig darin zu sein, in der Stichwahl für den RN zu stimmen. Der EU-Spitzenkandidat und mögliche Nachfolger an der Parteispitze Francois-Xavier Bellamy sagte im TV-Interview: „Die Gefahr für die Republik droht von der extremen Linken“.  Der Rassemblement National inszeniert sich als einzige Alternative zu der Gefahr von Links. Hauptfeind ist nicht mehr das Macron-Lager, sondern Mélenchon (LFI).

Deutsches Kapital besorgt

Auch das deutsche Establishment fürchtet die Linken um Mélenchon mindestens genauso wie die Rechten. Die FAZ schreibt: „Die neue Volksfront könnte mit Mélenchon einen Scharfmacher an die Regierungsspitze befördern, der das Land genauso spalten dürfte wie die Rechtspopulisten um Marine Le Pen.“ Die Stärkung der Linken ist für das deutsche Kapital besorgniserregend, da die Gefahr besteht, Frankreich in Zeiten der Blockkonfrontation als zweitwichtigsten imperialistischen Player in der EU und relativ verlässlichen Partner in der Außenpolitik zu verlieren. Mélenchon und seine La France Insoumise (LFI)  haben sich in der Vergangenheit gegen Waffenlieferungen in die Ukraine ausgesprochen (sind davon aber mittlerweile leider abgerückt), sind gegen die EU-Sparvorgaben für die Haushalte, gegen die NATO und solidarisch mit palästinensischen Kampf gegen Besatzung und Krieg. Auch deswegen wird seit Monaten innerhalb Frankreichs und darüber hinaus eine massive Hetzkampagne gegen LFI wegen angeblichen “Antisemitismus” gefahren.

Die Neue Volksfront

Die Ankündigung von Neuwahlen hat auf der breiteren “Linken” den Druck erhöht, sich zusammenzutun. Innerhalb von 24 Stunden nach Verkündung einigten sich La France Insoumise (LFI) um Mélenchon, Parti Socialiste (die Sozialdemokraten, PS), Les Ecologistes (die Grünen), Parti Communiste Français (die kommunistische Partei, PCF) sowie einer Reihe weiterer linker Organisationen auf das Wahlbündnis Nouveau Front Populaire (Neue Volksfront,NFP). 

Direkt nach der EU-Wahl hatte es Demos gegen Rechts gegeben und am Wochenende des 15. und 16. Juni wurden große Aktionen mit Hunderttausenden auf der Straße von Gewerkschaften und linken Parteien organisiert. Der nach Mitgliedern größte Gewerkschaftsverband Frankreichs, die Confédération Générale du Travail (CGT), hatte diesmal ausdrücklich dazu aufgerufen, die Neue Volksfront zu wählen –  bei den letzten Wahlen war nur dazu aufgerufen worden, „gegen rechts“ zu wählen. Der Druck auf der Straße und die Zusage wichtiger Gewerkschaften gibt der Neuen Volksfront Aufwind.

Mit einigen wichtigen sozialen Forderungen bildet die Neue Volksfront ein linkes Gegengewicht zum bürgerlichen Einheitsbrei. Sie plant unter anderen die Aufhebung der Rentenreform, die Reform der Arbeitslosenversicherung, das Einfrieren der Nahrungsmittelpreise, die Anpassung der Löhne an die Inflation, eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung und eine Anhebung des Mindestlohns auf 1600 Euro Netto.  

Gleichzeitig sind die inhaltlichen Widersprüche in der Zusammensetzung des Bündnisses bereits angelegt. Auf der einen Seite steht Mélenchon mit La France Insoumise und auf der anderen Seite die Sozialdemokrat*innen mit Personen wie dem ehemaligen französischen Präsidenten Hollande, der wegen seiner autoritären und arbeiter*innenfeidlichen Reformen zu Recht verhasst ist, oder der ehemalige Gesundheitsminister Aurélien Rousseau, der die Rentenreform konzipierte die unter Macron umgesetzt wurde. 

Mélenchon hatte 2022 durch sein sehr gutes Ergebnis in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen die Hegemonie von LFI auf der Linken besiegelt. Nach der EU-Wahl und dem relativen Erfolg von PS (mit einem Stimmenzuwachs von sechs auf 14%) hat sich das Kräfteverhältnis leicht zugunsten der Sozialdemokraten verschoben. Letztendlich repräsentieren die PS (und die Grünen) den Druck des bürgerlichen politischen Establishments innerhalb der NPF und versuchen, sie als echte Alternative der Arbeiterklasse zu neutralisieren.

Verkomplizierend kommt hinzu, dass Teile des Lagers von Macron angekündigt haben im zweiten Wahlgang ihre Kandidat*innen nur in den Wahlkreisen zurückzuziehen und eine Wahlempfehlung für die Volksfront zu geben, in denen es sich um Kandidaten der Sozialdemokratie, der Grünen oder der Kommunist*innen handelt. Das könnte den Einfluss von LFI innerhalb der Neuen Volksfront schwächen. Umgekehrt hat Mélenchon seine drittplatzierten Kandidat*innen dazu aufgerufen, ihre Kandidatur zurückzuziehen. Ein Fehler, da er die Wähler*innen vor die Wahl zwischen Pest und Cholera stellt und es dem RN ermöglicht, sich als einzige Alternative zu Macrons Politik im Interesse der Konzerne darzustellen.

Die Neue Volksfront ist ein auf Wahlen ausgerichtetes Projekt. Das Programm enthält wichtige Reformforderungen, aber keine Durchsetzungsstrategie. Es umgeht in weiten Teilen die notwendige Schlussfolgerung, dass die Interessen der Arbeiter*innen, Jugendlichen und Unterdrückten nur im Kampf gegen die Interessen der Banken und Konzerne durchgesetzt werden können. Ein wirkungsvolles Programm, was eine echte und glaubwürdige Alternative zu den Rechten, Krieg und Krise darstellt, muss Fragen nach der Überführung der Schlüsselsektoren der Wirtschaft in öffentliches Eigentum unter demokratischer Verwaltung und Kontrolle in den Mittelpunkt stellen. Das wird mit der Sozialdemokratie oder den Grünen nicht möglich sein – davon abgesehen, dass die Arbeiter*innenklasse sich noch schmerzlich daran erinnert was eine sozialdemokratische Regierung für sie bedeutet.

Es ist richtig, die Neue Volksfront als Alternative gegen rechts zu wählen, doch das ist keine Alternative zum Aufbau von Bewegungen in den Betrieben, Unis, Schulen und Stadtteilen. Diese werden entscheidend im Widerstand sein, ob gegen die regierende extreme Rechte, Macron oder um Druck auf die gewählten Vertreter*innen der Neuen Volksfront auszuüben. 

Nötig ist eine Partei, welche die verschiedenen sozialen Bewegungen der Arbeiter*innenklasse, Jugend und Unterdrückten zusammenführt, ihre potenzielle Kraft bündelt, demokratische Strukturen schafft und ein sozialistisches Programm entwickelt, was die Macht der Kapitalist*innen herausfordern kann. Ob Teile der Neuen Volksfront ein Ansatz dafür sind, wird nach der Wahl entschieden und hängt davon ab, ob sie dem Druck der Herrschenden nachgeben, oder an der Seite der Bewegungen stehen.

Bild: Jeanne Menjoulet, CC BY 2.0