Ein Elefant in zwei Räumen – Don’t mention the war

Im Juni hat die postautonome Interventionistische Linke (IL) ein “Zwischenstandspapier” veröffentlicht, in der sie die schwere Krise der Linken weltweit und in Deutschland beschreibt und sich auf die Suche nach Möglichkeiten für Interventionen begibt, um Bruchstellen im Kapitalismus zu finden. Im IL-Papier finden sich einige analytisch kluge Gedanken. Beim Versuch, konkret zu werden, und die Handlungsfelder zu benennen, bleibt der Text jedoch überwiegend nebulös und die Phrasendichte nimmt zu.

Von Claus Ludwig, Köln

Das ist verzeihlich, denn die Lage ist kompliziert und auch der Autor dieser Zeilen mag sich im Zeitalter der Unordnung schon mal im Phrasen-Dschungel verirren. Doch bitte, bitte, schreit mich ganz laut an, schüttelt mich, verpasst mir zur Not eine Ohrfeige, wenn ich unter so offensichtlicher Verdrängung (Ignoranz? Selektiver Wahrnehmung? Verlangen, Everybody’s Darling zu sein?) leide wie die IL. 

Das kann man doch mal offen lassen …

In ihrer Analyse schreibt die IL: “Im geostrategischen Konflikt zwischen den USA und China, der gegenwärtig nur als Wirtschaftskrieg ausgetragen wird, liegt das Potenzial für eine weltweite Eskalation. Die falsche Hoffnung auf ein Zeitalter des Friedens ist geplatzt. Längst ringen wieder Machtblöcke um globalen Einfluss. Die EU und Deutschland mischen dabei zunehmend mit, auch wenn sie sich gern hinter Phrasen von Demokratie und Menschenrechten verstecken.”

Bei den Handlungsfeldern taucht der Widerstand gegen den Militarismus jedoch nicht auf. Die IL wirft lediglich Fragen auf: “Wie sieht eine antimilitaristische Haltung aus, die antagonistisch zum deutschen und westlichen Militarismus bleibt, ohne den aggressiven russischen Imperialismus zu leugnen oder unwillentlich zu unterstützen? Wem gilt unsere Solidarität und was heißt das zum Beispiel für unsere Position zu Waffenlieferungen?”

Und kommt zu dem Schluss: “Zu diesen Fragen hat auch die IL viel gestritten und zu wenige Antworten gefunden.” Wir leben im Zeitalter der imperialistischen Konfrontation, der Handelskriege und der wachsenden Kriegsgefahr, die Debatte über “Kriegstüchtigkeit” durchdringt die gesamte Gesellschaft, wir erleben ein mediales und politisches Trommelfeuer der Militarisierung. Dies berührt jeden Aspekt – Sozialausgaben, die Industrie, das Klima, die Schulen. Und radikale Linke finden die Antworten nicht und entscheiden sich daher, diesen extrem gewalttätigen Elefanten im eigenen Porzellanladen zu ignorieren?

Die suggestiven Fragen der IL sind in Wirklichkeit Entschuldigungen, um sich nicht zu positionieren. Es wird unterstellt, dass eine antagonistische Haltung zum deutschen Militarismus – unwillentlich – zur Unterstützung des russischen Imperialismus führt. Oder für die IL möglicherweise genauso schlimm: Es könnte (von wem auch immer?) so interpretiert werden, dass die IL “den russischen Imperialismus leugnet”, wenn sie klare Kante gegen die Militarisierung zeigt. Daher ist wohl auch nicht die Rede vom Krieg in der Ukraine, sondern von der “russischen Aggression”, als wäre diese ein singuläres Ereignis ohne den Zusammenhang der imperialistischen Block-Konfrontation.

Irgendwer irgendwas in Gaza

Es ist kompliziert. Und doch so einfach. Linke und die Arbeiter*innenbewegung müssen gegen alle imperialistischen Lager eintreten, sowohl gegen die, die mit dem Schießen begonnen als auch gegen die, die diese Situation passiv-aggressiv befördert haben. Sie müssen deutlich machen, dass die Unterdrückten und Arbeitenden auf allen Seiten nichts zu gewinnen haben, wenn sie sich gegenseitig umbringen und es nötig ist, die eigene soziale Kraft – samt der Gewehre – gegen die jeweils Herrschenden zu richten. Abstrakt? Ja, doch um die Konkretisierung überhaupt zu ermöglichen, muss man erst einmal Position beziehen.

Das größte militärische Massaker der jüngeren Geschichte taucht nur einmal auf. Die Proteste dagegen werden nicht erwähnt geschweige denn bilanziert. Der Gazakrieg “bedrohe” das Leben von Millionen von Menschen, so die IL. Ross und Reiter? Fehlanzeige. Israels Truppen haben bis zu 40.000 Zivilist*innen abgeschlachtet und die rechtsextreme Regierung will das Töten auf den Libanon ausdehnen. Wen glaubt die IL als Bündnispartner*in zu gewinnen, wenn man zu Gaza nur neutral klingende Andeutungen macht?

Die gleichen Fragen muss sich die Partei Die Linke stellen. Plakate gegen Wohnungsnot, auch mit Vergesellschaftung? Prima. Sozialberatung ausbauen? Kann eine gute Idee sein. Ressourcen in die Vernetzung kämpfender Kolleg*innen in den Kliniken und den ÖPNV stecken? So richtig gut. Doch ohne eine Positionierung gegen den Militarismus sind alle Debatten um die Wiederbelebung der Partei reines Trockenschwimmen.

AfD und BSW gefällt das

Wenn die einzige bundesweit vertretene linke Partei die Frage nicht aufgreift und darauf verzichtet, diese internationalistisch zu beantworten, dann tun es andere Kräfte mit ihrer Fake-Antikriegs-Haltung. Dann werden sich weiterhin die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als Gegner der Kriegstreiberei gebärden können und damit ihre eigene nationalistische Agenda befördern, die Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zu derjenigen der etablierten Parteien aufweist. Weder AfD noch BSW wollen oder können eine Bewegung gegen die Militarisierung ermutigen. Sie profitieren von Passivität und Verwirrung, saugen Honig daraus, dass das Feld für sie frei ist und sie “Friedenspolitik” und Gegnerschaft gegen Waffenlieferungen in die Ukraine mit Abschottung, Rassismus und Antifeminismus verbinden können. Wer die nationalistische militaristische Welle der Aufrüstung gegen den “Feind im Osten”  nicht versteht, wer das Framing von “Demokratie vs. Diktatur” nicht durchschaut, wird auch nicht Aufstieg rechter Kräfte analysieren können.

Linke, IL und andere Kräfte müssen sich der Kriegsfrage stellen. Sonst bleiben alle Überlegungen zu “Rissen, Bruchlinien und Konfliktfeldern” (IL) akademische Fingerübungen; ganz zu schweigen von der religiös anmutenden Vorstellung, das Wunder der Wiederauferstehung der Partei Die Linke über kleinteiliges Drehen an der Schraube der Sozialpolitik zu bewirken.