von Emilia, Aachen
Folgenschweres Urteil vom Bundessozialgericht
Ein Urteil vom Bundessozialgericht hat den Anspruch von trans Menschen auf Bezahlung von geschlechtsangleichende Operationen durch die Krankenkassen gekippt. Bis jetzt bestand für (binär-geschlechtliche) trans Männer und trans Frauen grundsätzlich ein solcher Anspruch, um ihrem Leidensdruck zu begegnen, auch wenn das Verfahren dazu recht aufwändig war. Nicht-binären Menschen war dieser Weg völlig versperrt, da sie die Uneindeutigkeit ihrer Geschlechtsmerkmale erhöhen würden. Schon das ist ungerecht, denn auch Nicht-Binäre können unter Geschlechtsdysphorie leiden. Diese Maßnahmen sind Teil der notwendigen Gesundheitsversorgung und müssen allen trans Menschen gleichermaßen offenstehen. Wie in zahlreichen Studien festgestellt wurde, führt mangelnder Zugang zu Transitionsmaßnahmen zu deutlich erhöhten Raten an Depressionen, Angststörungen und sogar Suiziden. Solange sie die Kosten selbst tragen müssen, ist es eine Frage des Geldbeutels, ob man sich diesen psychischen Belastungen aussetzen muss.
Eine nicht-binäre Person hat nun darauf geklagt, von ihrer Krankenkasse eine Brustentfernung bezahlt zu bekommen. Das Bundessozialgericht hat diese Klage im Oktober 2023 zurückgewiesen. Am 14. März 2024 hat es dazu seine schriftliche Begründung veröffentlicht. Demnach sei die S3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung und Behandlung“, die den aktuellen Konsens der zuständigen deutschen Fachgesellschaften widerspiegelt und die medizinische Behandlung leiten soll, in Bezug auf Operationen eine neue Behandlungsmethode, die zunächst vom Gemeinsamen Bundesausschuss hätte genehmigt werden müssen. Neu sei, dass die Patient*innen nun stärker in die Behandlung eingebunden werden sollen und anerkannt wird, dass es keine objektiven Kriterien gibt, um Transidentität zu diagnostizieren, sondern das nur durch Selbstauskunft möglich ist. Das alte Verfahren ist nicht verfügbar, weil es veraltet ist, das neue Verfahren ist nicht verfügbar, weil es zu neu ist, damit müssen die Krankenkassen keine geschlechtsangleichenden Operationen mehr bezahlen. Allerdings gilt immerhin ein Vertrauensschutz für bereits laufende Behandlungen. Es gibt auch vom Bundesverband der Krankenkassen eine Empfehlung, für binäre trans Menschen die Operationen weiter zu bezahlen. Allerdings ist es eben nur eine Empfehlung und nicht rechtlich bindend. Es ist fraglich, wie sehr man sich darauf verlassen kann.
Der Gemeinsame Bundesausschuss
Nun könnte man erwarten, dass einfach jemand zum Gemeinsamen Bundesausschuss geht und die Leitlinie genehmigen lässt. Leider ist das nicht so einfach. Nur eine Handvoll Organisationen und Einzelpersonen hat auch nur das Recht, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Niemand davon fühlt sich zuständig, darum hat auch niemand einen Antrag gestellt. Und wenn doch mal jemand einen Antrag stellen sollte, dauert es erwartungsgemäß Jahre, bis es eine Entscheidung gibt. Da im Gemeinsamen Bundesausschuss weder entsprechende Spezialist*innen noch trans Menschen sitzen, stellt sich auch die Frage, wie sie eine Leitlinie, die alle zuständigen Fachgesellschaften im Konsens beschlossen haben, überhaupt fachlich überprüfen sollen und warum trans Menschen wieder nur unbeteiligt zuschauen dürfen, wie über ihr Schicksal entschieden wird.
Die Ampel als Retter?
Die Stelle, auf die letztlich alle anderen verweisen, ist die Politik. Der Bundestag könnte ein Gesetz beschließen, das das Recht von (allen!) trans Menschen auf Transitionsmaßnahmen festschreibt. Damit wäre das Problem gelöst. Die gute Nachricht ist: schon im Koalitionsvertrag hat die Ampel-Regierung versprochen, ein solches Gesetz zu verabschieden. Das Gesundheitsministerium verspricht auch, daran zu arbeiten. Nach über 2 Jahren Regierungszeit konnte es allerdings noch keine Ergebnisse vorweisen, nicht einmal grobe Eckpunkte, wie der Plan aussieht.
Natürlich ist es zynisch, wenn das Bundessozialgericht oder der Gemeinsame Bundesausschuss auf die Politik verweisen, um von ihrer eigenen Rolle in der Misere abzulenken. Sie haben aber auch Recht, dass der Gesetzgeber in der besten Position ist, die Krise schnell und gründlich zu beenden.
Gleichzeitig hat die Ampel-Regierung schon mit ihrem „Selbstbestimmungsgesetz“ gezeigt, dass sie sich zwar gerne für trans-freundliche Politik feiern lassen möchte, die Wirklichkeit aber völlig anders aussieht. Es braucht öffentlichen Druck, um sie dazu zu zwingen, endlich aktiv zu werden und um gegen die Fallstricke anzukämpfen, die in ein solches Gesetz eingebaut werden könnten. Die CSDs in den kommenden Monaten sind eine gute Gelegenheit, hier Taten einzufordern.
Natürlich wäre aber auch dann nicht alles gut. Die Ursache des Problems liegt im Gesundheitssystem selbst: aus Sicht der Krankenkassen steht nicht das Wohl der Patient*innen im Mittelpunkt, sondern möglichst wenig Geld auszugeben. Jeder abgelehnte Antrag auf Kostenerstattung ist daher ein Erfolg. Jeder Antrag, der gar nicht erst gestellt wird, weil der Weg dahin durch umständliche Bürokratie zu schwierig ist, ist ebenfalls ein Erfolg. Darum werden die Krankenkassen immer auf möglichst eng gefasste Rechte drängen und möglichst viel Bürokratie einfordern, um diese Rechte wahrnehmen zu können. Solange das so ist, wird es solche und ähnliche Probleme immer geben, für trans Menschen, die medizinische Transitionsmaßnahmen anstreben wie für alle anderen, die eine Gesundheitsversorgung benötigen.