Bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg könnte laut Umfragen zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik mit der AfD eine rechtsextreme Partei die stärkste Kraft auf Landesebene werden. Doch der Rechtsruck ist kein Ergebnis einer „ostdeutschen Mentalität“. Der Aufstieg der Rechten ist das Ergebnis der Krise des Kapitalismus und seiner Parteien – und der Linken.
von Antje Zander, Berlin
In Brandenburg kann die bisherige Regierung aus CDU, SPD und Grünen nicht mehr mit der Mehrheit der Sitze rechnen, auch in den anderen beiden Bundesländern werden die bisherigen Regierungsparteien (Sachsen: CDU, FDP, Grüne; Thüringen: Linke, Grüne, SPD) wohl keine Mehrheit mehr bekommen. Grüne und FDP schaffen es vielleicht sogar in keines der Landesparlamente. Einzig das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) scheint dem Siegeszug der AfD etwas entgegensetzen zu können.
Unzufriedenheit
Die bisherigen Meinungsumfragen zeigen, dass das Vertrauen in die Regierungsparteien deutlich gesunken ist. Nach einer Umfrage sind 79 Prozent der Befragten unzufrieden mit der Ampelpolitik, 67 Prozent sehen eine steigende Kriegsgefahr. Bei Themen wie Sozialabbau, Klimaschutz, Wohnungsnot oder Migration sehen sich die meisten ebenfalls nicht durch die Regierungspolitik vertreten. Laut einer Forsa-Umfrage im Juli würden nur noch knapp zwei Fünftel der ostdeutschen Wähler*innen eine der „Westparteien“ (SPD, CDU, Grüne, FDP) wählen.
Auswirkungen der Wiedervereinigung
Die Stimmung in Ostdeutschland ist immer noch deutlich von den Auswirkungen der Wiedervereinigung geprägt. Als die Menschen im Herbst 1989 mit einer Revolution das alte DDR Regime stürzten, erhofften sich viele, dass eine Wiedervereinigung und die Einführung der Marktwirtschaft bedeuten würde, dass es mehr Freiheit, Selbstbestimmung und einen schnelle Angleichung der Lebensverhältnisse auf westdeutsches Niveau geben würde.
Stattdessen verloren bis 1991 2,5 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz. Viele erlebten lange Zeiten von Arbeitslosigkeit und die Abwanderung von Kindern, Nachbar*innen und Freund*innen. Seit 1990 hat der Osten zwei Millionen Einwohner*innen verloren, davon 730.000 unter 25 Jahren und sehr oft Frauen. Die meisten gingen nicht wirklich „freiwillig“, sondern weil sie schlicht einen Arbeitsplatz brauchten und deshalb nach Westdeutschland ziehen mussten.
Der damit einhergehende demographische Wandel, abgesehen von einigen in den letzten Jahren wachsenden Städten wie Berlin, Leipzig, Dresden oder Jena, ist vor allem in kleineren Städten und auf dem Land spürbar. Diese sehen oft schick aus, die Bevölkerung ist aber häufig überaltert. Die Straßen sind leer, Kitas, Schulen und Jugendclubs, aber auch Ärzt*innen und andere wichtige Infrastruktur fehlen und veranlassen noch mehr junge Leute, wegzugehen. Viele der Älteren haben aufgrund längerer Phasen der Arbeitslosigkeit Angst vor Altersarmut, während Jugendliche das Gefühl haben, keine Perspektive zu haben.
Hinzu kommt, dass noch heute Menschen in Ostdeutschland bei gleicher Qualifikation 14% weniger als ihre Kolleg*innen im Westen verdienen. Ein wichtiger Grund dafür ist die geringere Tarifbindung. Auch die Einkommensarmut ist größer. Obwohl die ostdeutschen Länder nur ca. ein Fünftel der Gesamtbevölkerung haben, leben 39% der Menschen, die dauerhaft über weniger als 60% des mittleren Einkommens verfügen, in Ostdeutschland.
Diese immer noch bestehende Ungleichheit beim Einkommen, aber auch die Erfahrung, dass ihre Lebensleistung nicht anerkannt wird, geben vielen Ostdeutschen das Gefühl, Menschen zweiter Klasse zu sein. Dazu kommt, dass mehr als die Hälfte der Ostdeutschen denkt, in der Demokratie nichts zu sagen zu haben.
Das ist der Boden, auf dem die AfD gedeiht. Sie versucht, die sozialen Ängste und die berechtigte Wut auf die Politik der etablierten Parteien in reaktionäre Bahnen zu kanalisieren, indem sie eine rassistische und nationalistische Politik propagiert.
Allerdings kann das auch nur funktionieren, weil die etablierten Parteien seit Jahren von den Krisen des Kapitalismus ablenken, und für soziale Missstände Migrant*innen verantwortlich machen. Ob sie auf der EU-Ebene die Beschneidung des Asylrechts beschließen, die Bezahlkarte für Geflüchtete einführen oder über die Verschärfung der Gesetze für Geflüchtete debattieren und Abschieben durchführen – überall hat sich die rassistische Politik verstärkt. Begleitet von einem medialen Dauerfeuer, das Ausländer*innen als Sündenbock und Migration als Ursache allen Übels präsentiert. Vor diesem Hintergrund kann sich die AfD gut als diejenige darstellen, die am konsequentesten rassistische und migrationsfeindliche Politik durchsetzen will.
Doch die Politik der AfD bedroht nicht nur das Leben von Migrant*innen, sie steht dafür, die Mindestlöhne zu senken, die Reichen noch weniger zu besteuern und die Rechte von Frauen und queeren Menschen einzuschränken. Mit ihr wird nicht das Problem von fehlenden bezahlbaren Wohnraum gelöst oder das Bildungssystem aufgebaut.
BSW als neue Hoffnung?
Einzig das BSW scheint dem Aufstieg der AfD auf Wahlebene noch etwas entgegensetzen zu können. Der Partei um Wagenknecht ist es gelungen, sich vor allem bei denen als neue Kraft darzustellen, die von der Linkspartei, aber auch den etablierten Parteien enttäuscht sind.
Sie greift eine Reihe von sozialen Problemen auf, tritt für einen höheren Mindestlohn, höhere Renten und bezahlbare Wohnungen ein. Doch sie verbindet diese Fragen mit einer migrationsfeindlichen Politik, indem sie zum Beispiel weniger Zuwanderung und eine Verstärkung der Polizei fordert. Damit spielt sie aber die Arbeiter*innenklasse gegeneinander aus, und verhindert so einen effektiven Kampf gegen die Missstände. Gleichzeitig hat Wagenknecht sich von einer grundsätzlichen Kapitalismuskritik verabschiedet. Das BSW möchte vor allem die deutschen Unternehmen stärken und hofft dadurch auf einen sozialen Ausgleich.
Vor allem aber gelingt es dem BSW sich als Antikriegspartei darzustellen, die gegen Aufrüstung und Waffenexporte steht und offensiv Friedensverhandlungen mit Russland fordert. Auch wenn das reine Setzen auf Diplomatie und die unkritische Haltung gegenüber der russischen Regierung kein internationalistischer Standpunkt ist, spricht es viele in Ostdeutschland an, die den militaristischen Kurs der Regierung ablehnen.
Versagen der Linken
Die Stärke von AfD und BSW als Alternativen zur etablierten Politik resultiert vor allem aus dem Versagen der Linken und ihrer Vorgängerpartei, der PDS.
Nach der kapitalistischen Wiedervereinigung war die PDS für viele die einzige Partei, die gegen den Kahlschlag im Osten in Opposition gegangen ist. Doch mit zunehmenden Wahlerfolgen und dann auch durch die Regierungsbeteiligung in Kommunen und Ländern beteiligte sie sich zum Beispiel Berlin an Privatisierungen und Lohndumping. Letztendlich stand sie auf der anderen Seite der Barrikade, als es beispielsweise in Berlin zu großen Protesten gegen den Sozialabbau kam.
Überall, wo sie an Regierungen beteiligt ist, stößt sie sehr schnell an die Grenzen reformistischer Realpolitik. Nirgends konnte sie die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen, überall hinterließ sie Enttäuschung bei den Wähler*innen und Ratlosigkeit unter den Mitgliedern. Der Streit mit Wagenknecht und die anschließende Spaltung stürzt die Partei noch weiter in die Krise. Aber die Ursache der Krise der Linken ist die Politik der ständigen Regierungszusammenarbeit mit pro-kapitalistischen Parteien.
Trotz aller Bedenken und Bauchschmerzen, angesichts des Fehlens einer Alternative und um ein Zeichen gegen die Ampel und gegen Rechts zu setzen, ist es wichtig bei den Landtagswahlen die Linke zu wählen. Doch das wird nicht ausreichen.
Notwendigkeit einer starken linken Bewegung
Angesichts der wahrscheinlichen Wahlerfolge der AfD stellt sich die Frage , was wir gegen den Rechtsruck tun können. Notwendig ist eine Debatte zu führen, die die Ursache von Sozialabbau, Wohnungsnot, Umweltkrise und Kriegsgefahr benennt und damit auch einen Weg aufzeigen kann, was zu tun ist. Denn die Ursache liegt im kapitalistischen System, in dem die Profitinteressen einer Minderheit als Maßstab für die Politik gelten. Die Bedürfnisse nach ausreichendem Lohn, sozialer Sicherheit, Gerechtigkeit und Umweltschutz spielen letztendlich keine Rolle. Und nur durch eine Bewegung, die sich nicht dem Diktat der Profitlogik beugt, die klar für den gemeinsamen Kampf unabhängig von Herkunft oder Geschlecht steht und jeglichem Rassismus eine Absage erteilt, wird es gelingen, nicht nur der AfD klare Kante zu zeigen, sondern auch eine Perspektive für Verbesserungen zu eröffnen.