“Teil der steigenden Flut des Rechtspopulismus in ganz Europa”
Ein Interview mit Tom Costello. Tom ist seit 2016 Mitglied der Socialist Alternative England, Wales & Schottland. Er lebt in Liverpool und ist Mitglied des politischen Ausschusses der Sektion der ISA in England, Wales & Schottland.
In Großbritannien kam es Anfang August zu Pogromen gegen Geflüchtete. Was ist passiert?
Auslöser war der tragische Mord an drei Kindern in Southport. In den sozialen Medien wurden Gerüchte verbreitet, dass es sich bei dem Täter um einen kürzlich angekommenen Flüchtling handelte. Dies war zwar falsch, hat die Rechtsextremen aber nicht davon abgehalten, zu mobilisieren.
Aber die grundsätzliche Schuld liegt unserer Meinung nach beim gesamten kapitalistischen Establishment. Die von Milliardären beherrschten Medien verbreiten seit vielen Jahren Panik über Migration, v.A. Geflüchtete.
Und es sind nicht nur die Medien. Die Partei Reform UK um Nigel Farage, die die Tories in rassistischer Rhetorik übertrifft, erlebt großen Aufschwung. Das ist ein weiterer Teil der steigenden Flut des Rechtspopulismus in ganz Europa – von Le Pen in Frankreich bis zur AfD in Deutschland.
Du warst mittendrin im Geschehen. Wie habt ihr euch an den Gegenprotesten zu den rechten Ausschreitungen beteiligt?
Wir haben uns schnell an den Aufbau der Gegenmobilisierungen gemacht, um unsere Communities zu verteidigen, mit Protesten zur Verteidigung der Moscheen und Asylzentren gegen rassistische Gewalt. Aber wir haben es nicht dabei belassen. Wir haben Forderungen erhoben, die den Kampf gegen Rassismus mit dem Kampf für sozialistische Veränderungen verbinden, weil letzten Endes der Kapitalismus die Schuld trägt.
Wir haben aufgezeigt, dass wir kein Vertrauen in Starmer, die etablierten Parteien oder die Polizei haben können, um die steigende Flut der Rechten einzudämmen. Stattdessen geht es um den Aufbau von Massenmobilisierungen und Selbstverteidigung, die auch von den Gewerkschaften unterstützt werden.
Wir haben auch einen Brief veröffentlicht, der von prominenten Gewerkschafter*innen unterzeichnet wurde und in dem zu einer landesweiten Demonstration gegen Rassismus aufgerufen wird, den haben wir auf Demonstrationen vorgebracht. Damit sind wir aber im Moment noch allein.
Was führt deiner Meinung nach dazu, dass der Rassismus eine solche Stellung gewinnen konnte?
Die Tories, die seit 14 Jahren an der Regierung sind, haben den Rassismus gegen Migrant*innen geschürt. Das tägliche Leben von Millionen von Menschen hat sich drastisch verschlechtert, aber sie wollen nicht, dass die arbeitenden Menschen die wahren Schuldigen für den Abstieg britischer Gesellschaft und Wirtschaft verantwortlich machen – die Regierung, die Großgrundbesitzer und Milliardäre. Also schieben sie es stattdessen Migrant*innen und Geflüchteten in die Schuhe.
Die von Milliardären beherrschten Medien verbreiten seit vielen Jahren Panik über Migration, v.A. Geflüchtete. Und es sind nicht nur die Medien. Die Partei Reform UK um Nigel Farage, die die Tories in rassistischer Rhetorik übertrifft, erlebt großen Aufschwung. Das ist ein weiterer Teil der steigenden Flut des Rechtspopulismus in ganz Europa – von Le Pen in Frankreich bis zur AfD in Deutschland.
Wie reagierten Arbeiter*innen auf die drohende Eskalation der rechtsextremen Aufstände?
Am 9. August gab es einige wirklich starke Massenmobilisierungen. Die Rechtsextremen hatten Angriffe auf Asylbewerberzentren und Moscheen geplant. In Walthamstow, London, waren 10.000 Menschen auf der Straße, in Bristol waren es 3.000. Dies wiederholte sich in ganz England. In Belfast in Nordirland gingen 15.000 Menschen auf die Straße, wobei die Gewerkschaften stark vertreten waren.
Aber es gab auch schon vorher instinktive Aktionen. Die trauernde Community in Southport ging gleich am Morgen nach den Aufständen auf die Straße, um die von den Rassist*innen zerstörten Straßen wieder aufzubauen. Bauarbeiter*innen kamen, um die Mauern der örtlichen Moschee kostenfrei wiederherzustellen. Das zeigt dass wenn insbesondere die Gewerkschaften eine direkte Führung bei der Mobilisierung gegen rassistische Spaltung und Islamfeindlichkeit übernehmen würden, potenziell eine viel breitere Schicht von Menschen aus der Arbeiter*innenklasse mobilisiert werden könnte.
Die Labour Party behauptet, die Polizei habe die Eskalation verhindert. Welche Botschaft richtet das an die Tausenden von Menschen, die am 09. August auf die Straße gingen?
Labour ist heutzutage eine kapitalistische Partei, die nicht auf der Seite der arbeitenden Menschen steht. Starmer versucht verzweifelt, die Interessen der Milliardäre zu vertreten, und das gelingt ihm letzten Endes auch gut.
Wenn er die Macht der Massenmobilisierungen offen anerkennen würde, könnte das ein Zeichen dafür sein, dass der Kampf etwas bewirken kann. Das Letzte, was er tun möchte, ist, diese Botschaft an die Gewerkschaftsbewegung oder die Gaza-Solidaritätsbewegung zu senden.
Was muss die arbeitende Bevölkerung als nächstes tun, um die Rechtsextremen weiter abzuschrecken?
Die Gewerkschaften müssen Kampagnen für die massenhafte Integration von Migrant*innen in die Arbeitnehmer*innenbewegung starten, wodurch auch die falsche und schädliche Vorstellung untergraben werden kann, dass Migrant*innen „Dienstleistungen in Anspruch nehmen“ und „Arbeitsplätze wegnehmen“. Sie kann auch zeigen, wer unsere wahren Feinde sind – die Bosse und Kapitalisten, die uns ausbeuten.
Vor allem muss eine neue linke Partei aufgebaut werden, um das Wachstum der Rechten wirklich zu untergraben – eine Partei, die für eine sozialistische Politik kämpft und sich gegen jegliche Unterdrückung stellt. Gegen den falschen „Anti-Establishment“-Schwachsinn von Farage, Le Pen, Trump und der AfD braucht es einen vereinten Kampf für sozialistische Veränderungen, der sich wirklich gegen das Establishment richtet. Das kann uns aus der Lage rausholen, bei Wahlen lediglich für das „kleinere Übel“ stimmen zu können.