In Köln haben über 3000 Menschen an der Demo gegen den von christlichen Fundamentalist*innen und rechten Antifeminist*innen organisierten „Marsch für das Leben“ am 21.9. teilgenommen. Der Gegenprotest mit klaren sozialistischen Positionen war deutlich größer als die Demo der Abtreibungsgegner*innen, die ihre Route nach Blockaden verkürzen mussten.
Der vom „Bundesverband Lebensrecht“ organisierte Marsch wurde von Gliederungen der katholischen Kirche, wie dem Erzbistum Köln, protestantisch-fundamentalistischen Freikirchen, der AfD und Teilen der CDU unterstützt. Beim gleichzeitig stattfindenden „Marsch für das Leben“ in Berlin liefen Prominente wie Beatrix von Storch (AfD) und katholische Bischöfe mit.
In Köln waren der ultrareaktionäre Weihbischof Dominikus Schwaderlapp, der neben Abtreibung auch Homosexualität, Masturbation und Eheschließungen von Geschiedenen bekämpft, rechte Burschenschafter und die katholisch-rechtsextreme Gruppe TFP (Tradition, Familie, Privateigentum) dabei – aber auch Vertreter*innen der „bürgerlichen Mitte“ wie der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe, Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundestag. Insgesamt beteiligten sich etwa 2000 Teilnehmer*innen am Kölner Marsch.
Sozialistisch-feministischer Gegenprotest
Gegen diesen Mix aus bizarr wirkenden Hardcore-Christ*innen und biederem Establishment hatte sich das breite feministisches und linke Pro-Choice-Bündnis gebildet, das eine Gegendemo organisierte. Dort wurde klar, dass es nicht einfach darum geht, den Status quo der „straffreien“, aber formal noch illegalen und mit Zwangsberatung verbundenen Abtreibung gegen reaktionäre Kräfte zu verteidigen. Mehrere Redner*innen forderten die Legalisierung, damit schwangere Menschen endlich selbst über ihren Körper bestimmen können.
In Reden und Ansagen wurde mehrfach betont, dass nur in einer sozialistischen Gesellschaft eine wirklich freie Entscheidung für oder gegen Kinder möglich ist. Im Kapitalismus spielen finanzielle Zwänge eine Rolle – einerseits muss man sich Kinder „leisten können“, andererseits werden die meisten Abtreibungen nicht von der Krankenkasse bezahlt und kosten mehrere hundert Euro.
SAV- und ROSA-Mitglieder beteiligten sich an der Organisierung der Gegendemo und übernahmen z.B. die Moderation auf dem Lautsprecherwagen. Die Rede unserer Genossin Kyra ist unten dokumentiert.
Polizei hilft Fundis
Ursprünglich sollten der Fundi-Marsch und die Gegendemo auf der gleichen Route laufen. Nach einer Blockade der dafür vorgesehenen Deutzer Brücke über den Rhein wurden die Abtreibungsgegner*innen über die benachbarte Severinsbrücke geschickt, Blockadeversuche dort von der Polizei geräumt. Dennoch musste der „Marsch für das Leben“ seine Route verkürzen. Nach der Endkundgebung der Gegendemo griff die Polizei abreisende Teilnehmer*innen auf einer Straßenbahn-Haltestelle an, trieb Menschen mit Knüppeln und Fäusten über den Bahnsteig und gefährdete so auch Unbeteiligte, darunter Kleinkinder.
Dennoch war der Tag aus sozialistisch-feministischer Sicht ein Erfolg: Unsere Demo war erheblich größer als der „Marsch für das Leben“, die Rechten konnten nicht ungestört marschieren und durch die öffentliche Kritik wurden die Verstrickungen zwischen bürgerlich-konservativen, fundamentalistischen und rechten Antifeminist*innen breiter bekannt.
Rede unserer Genossin Kyra auf der Gegendemo
Hallo, schön, dass ihr heute hier seid!
Wir stehen heute hier, weil wir für Selbstbestimmung, für Gleichberechtigung und für das Recht kämpfen, über unsere eigenen Körper zu entscheiden.
Doch wir sind auch hier, um gegen diejenigen zu demonstrieren, die genau diese Rechte angreifen – die Abtreibungsgegner, Fundamentalisten und Nazis, die sich hinter reaktionären Ideologien verstecken und uns in patriarchale Rollenbilder zurückdrängen wollen.
Diese Ideologien, die von konservativen Kräften, Fundamentalisten, der AfD und auch Nazis vertreten werden, gefährden das Leben und die Freiheit von gebärfähigen Menschen. Ihr Ziel ist klar: Sie wollen uns das Recht nehmen, selbstbestimmt über unsere Körper zu entscheiden. Sie wollen, dass gebärfähige Menschen keine Wahlfreiheit mehr haben. Stattdessen sollen wir zurück an den Herd, in die Rolle der stillen Hausfrau gedrängt werden, deren Hauptaufgabe es ist, Kinder zu gebären und unentgeltlich Haus- und Pflegearbeit zu leisten.
Diese reaktionäre Ideologie sieht gebärfähige Menschen nur als Gebärmaschinen und kostenlose Pflegekräfte. Das lehnen wir ab – mit aller Entschiedenheit! Aber lasst uns über die Realität sprechen, die viele von uns betrifft: Nach wie vor ist der Zugang zu Abtreibung und Verhütungsmitteln eine Klassenfrage. In Deutschland, wie auch weltweit, hängt die Möglichkeit, selbstbestimmt zu entscheiden, oft vom Geldbeutel ab. Nicht jeder kann es sich leisten, ein Kind zu bekommen, nicht jeder hat Zugang zu bezahlbaren Verhütungsmitteln.
Und vor allem: Nicht jeder kann es sich leisten, eine Abtreibung durchzuführen. Je nach Region kann es notwendig sein, hunderte Kilometer zur nächsten Klinik zu fahren, um einen legalen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Das bedeutet enorme Kosten und Hürden, die Menschen daran hindern, über ihr eigenes Leben zu entscheiden. Das ist kein Zufall – das ist strukturelle Ungerechtigkeit.
Die Entscheidung, ob man ein Kind bekommen möchte, darf nicht davon abhängen, wie viel Geld man hat oder wo man lebt. Doch genau das sehen wir immer wieder: Wer Geld hat, wer in einer urbanen Region wohnt, hat mehr Möglichkeiten und mehr Rechte. Das ist keine freie Entscheidung.
Während rechte und konservative Kräfte offen die Rolle der Frau auf Mutter und Hausfrau reduzieren wollen, tragen auch neoliberale Parteien zu diesem Problem bei. Zwar reden sie von Selbstbestimmung und Individualität, aber in Wirklichkeit bieten sie keine Lösungen, um diese Versprechen in die Tat umzusetzen. Ein kaputt gespartes Sozial- und Gesundheitssystem nimmt vielen Menschen die Möglichkeit, wirklich frei zu entscheiden. Was nützt uns ein Recht auf Abtreibung, wenn Kliniken schließen oder zu weit entfernt sind? Was nützt uns ein „individuelles Recht“, wenn wir uns die notwendige Versorgung nicht leisten können?
Neoliberale Politik redet von Wahlfreiheit, aber sie schafft die Bedingungen nicht, unter denen diese Wahlfreiheit tatsächlich existiert.
Deshalb sind unsere Forderungen klar und unmissverständlich:
Erstens: Wir fordern einen legalen, kostenlosen und flächendeckenden Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. Überall und ohne Hürden. §218 gehört raus aus dem Strafgesetzbuch! Abtreibung ist keine Straftat, sondern ein grundlegendes Menschenrecht. Es darf keine bürokratischen oder finanziellen Hürden geben, die uns daran hindern, eine informierte und selbstbestimmte Entscheidung zu treffen.
Zweitens: Wir fordern, dass Gesundheitssysteme in öffentliche Hand gehören. Sie müssen bedarfsorientiert, flächendeckend und kostenlos für alle sein. Die Profitlogik hat im Gesundheitswesen nichts zu suchen! Wir sehen es jeden Tag: Wenn Gesundheit privatisiert wird, leiden diejenigen, die darauf angewiesen sind, am meisten. Schluss mit der Profitorientierung auf Kosten unserer Gesundheit!
Drittens: Verhütungsmittel und Menstruationsprodukte müssen für alle zugänglich und kostenlos sein. Es darf nicht sein, dass Menschen ihre Gesundheit und Selbstbestimmung von ihrem Einkommen abhängig machen müssen. Auch hier gilt: Selbstbestimmung darf kein Privileg der Reichen sein, sondern ein Recht für alle!
Doch „Pro Choice“ bedeutet noch mehr. Es bedeutet auch soziale Absicherung. Wir brauchen gute Jobs, von denen man leben kann. Wir brauchen eine Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich und ausreichend Personal. Bezahlbare Wohnungen und eine Senkung der Energie- und Lebensmittelpreise sind dringend notwendig, damit die Entscheidung für oder gegen ein Kind nicht die Entscheidung zwischen Armut und Selbstbestimmung ist.
Pro Choice bedeutet auch, dass wir Pflege-, Haus- und Erziehungsarbeit endlich vergesellschaften müssen. Diese unsichtbare, oft unbezahlte Arbeit wird zum Großteil von FLINTA* geleistet. Diese Arbeit muss sichtbar gemacht, aufgewertet und gerecht bezahlt werden. Wir fordern massive Investitionen in ein kostenloses, hochwertiges und öffentliches Bildungs-, Sozial- und Pflegesystem für alle. Finanziert durch die Superreichen und die Gewinne der Banken und Konzerne, die seit jeher von der Abwertung und Privatisierung von Care-Arbeit profitieren. Es braucht mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten – für alle, die im Care-Sektor arbeiten, sei es in der Pflege, in der Erziehung oder im Sozialwesen.
Wir wissen: Die Krise des Kapitalismus spitzt sich immer weiter zu. Klimakrise, Kriege, Wirtschaftskrise – all das betrifft uns weltweit, und die Kosten dieser Krisen sollen wir tragen. Reaktionäre Kräfte bieten darauf nur eine Antwort: Rückschritt und Unterdrückung. Sie versuchen, uns in alte Rollen zurückzudrängen, sie versuchen, uns unsere Rechte zu nehmen. Doch dem setzen wir etwas entgegen: Unseren gemeinsamen Kampf für eine feministische, sozialistische Alternative.
Wir kämpfen für ein System, das nicht auf Profitmaximierung und Konkurrenz aufbaut, sondern auf Solidarität, Gerechtigkeit und den Bedürfnissen der Menschen. Die Antwort auf die Krise des Kapitalismus ist nicht mehr Ausbeutung, mehr Ungerechtigkeit und mehr Unterdrückung. Unsere Antwort ist ein anderes System – ein System, das die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt, nicht die Profite weniger. Dafür stehen wir heute hier, und dafür werden wir weiter kämpfen.
Für Selbstbestimmung, für eine feministische, sozialistische und solidarische Zukunft! Danke!