Mit Trumps Wiederwahl und einer weiteren Verschärfung der multiplen Krisen des kapitalistischen Systems brach am 6. November auch die Ampel-Koalition zusammen. Für die Neuwahlen war bereits zu diesem Zeitpunkt nichts Gutes zu erwarten. Und so ist es am letzten Sonntag auch gekommen: die AfD ist zweitstärkste Partei und Möchtegern-Trump Friedrich Merz wird neuer Kanzler. Allerdings: Der Rechtsruck bleibt nicht unbeantwortet.
Von Conny Dahmen, Köln
Die Wahlbeteiligung war mit 82,5% die höchste seit der deutschen Einheit 1990. Wenig überraschend wurde die Ampel abgewählt: mit einem Ergebnis von 16,41% (-9,3% gegenüber 2021) hat die SPD alle bisherigen Tiefs unterboten; mit 11,61% haben die Grünen ebenfalls verloren, und die FDP verabschiedet sich mit 4,33% aus dem Bundestag und Lindner aus der Politik. Wie erwartet erstarkte die Rechte: die CDU/CSU wird mit einem Stimmenanteil von 28,52% stärkste Partei, die AfD folgt ihr mit 20,8%.
Eine überraschende Wendung und der größte Erfolg im Wahlkampf für arbeitende Menschen und Jugendliche sind die 8,77% der Wähler*innen, die für die Partei Die Linke gestimmt haben. Eine Partei, die trotz aller programmatisch guten Punkte noch bis in den Januar hinein am Boden schien, ein politischer Loser mit überalterter Mitgliedschaft, heillos erfolglos besonders in der Jugend, verlassen von den Wähler*innen im Osten. Eine Partei, die in den letzten Jahren so ziemlich alles falsch gemacht hat, was sie hätte falsch machen können, und die bei den Europawahlen 2024 nur noch auf 2,7% kam und in Bewegungen meist im Hintergrund blieb. Diese Partei ist nun auf einmal zum Hoffnungsschimmer für alle geworden, die den Rechtsruck nicht kampflos hinnehmen und dem allgemeinen Wahnsinn des Kapitalismus etwas entgegensetzen wollen.
Wahlkampf gegen Geflüchtete
Der Wahlkampf war so ekelhaft wie selten zuvor: Alle bürgerlichen Parteien haben versucht, die Krisen der Welt – ob ökonomisch, politisch, ökologisch oder sozial – mit einer riesigen Rassismus-Dampfwalze platt zu rollen. “Ausländer raus!” wurde unisono der Wahlkampfslogan von SPD bis AfD und die generelle Antwort auf jede Art von Gewalttat. Vorbereitet wurde dies schon länger durch die Asylrechts-Verschärfungen der Ampel, Repressionen gegen pro-palästinensische Aktivist*innen sowie unsoziale Politik aller bürgerlichen Parteien mit genereller Hetze gegen die Schwächsten der Gesellschaft wie z.B. die Bürgergeldempfänger*innen.
Das hat bei vielen Menschen verfangen: In einer Umfrage nach den größten Problemen für das Zusammenleben in Deutschland nannten 77% die Unterschiede zwischen Arm und Reich, aber auch 63% “kulturelle Unterschiede zwischen Menschen mit unterschiedlicher Herkunft” (Deutschland-Trend, 9.1.25). 68% sagen, Deutschland solle weniger Flüchtlinge aufnehmen (Deutschlandtrend, 30.1.25).
Auch, als die rassistische Hetze am 29. Januar in Merz` Abstimmungscoup im Bundestag kulminierte, Beschlüsse zu Grenzschließungen mit Stimmen der AfD durchsetzen zu wollen, unterstützten 43% der Bevölkerung dieses Vorgehen, und weitere 23% zumindest den Inhalt der CDU-Anträge (Deutschland-Trend, 6.2.25).
Genutzt hat dies keiner der etablierten Parteien, auch der CDU hat es eher Stimmen gekostet. Merz peinliche Aktion, zwei Tage später noch weitergehende Beschlüsse gegen Geflüchtete durchzusetzen, scheiterte und beschädigte sein Image. Wie immer bei diesen “Wir schlagen die Nazis, indem wir selber rechte Politik machen”-Manövern profitierten die Rechten, und der Stimmanteil der AfD stabilisierte sich. Die Wähler*innen ziehen das Original einer schlechten Kopie vor – vor allem, wenn sie gleichzeitig Hass aufs Establishment schieben.
Beispiel dafür ist der Wahlsieg der AfD in Gelsenkirchen im verarmten Ruhrgebiet, wo zuvor die SPD dominierte oder in den ostdeutschen Bundesländern (außer Berlin), wo die AfD alle Direktmandate bis auf Leipzig und Weimar – dort siegte Die Linke – holte.
Nur bei älteren Menschen können SPD und CDU noch punkten, nur eben unterschiedlich stark. Generell gilt: Je älter, desto mehr CDU. Bei Wähler*innen im Alter von 18-24 Jahren beträgt ihr Stimmanteil 13%, bei über 70jährigen 44%. Es sind 42,1% der Wähler*innen älter als 60 Jahre; Unter-30-Jährige stellen lediglich 13,3% der Wahlberechtigten.
Mit 14% bzw. 15% sind FDP und Grüne in der Altersgruppe 24-35 am stärksten. Der absurde Hype um die FDP bei den letzten Bundestagswahl in der Jugend ist längst vorbei, hier gibt es keine Illusionen mehr in irgendeinen Aufstieg. Im Osten hatte sich die Partei ja bereits bei den Landtagswahlen im letzten Herbst ins Nirvana unter 1% gewählt.
Der Wahlsieger dieser letzten Landtagswahlen, das BSW, ist klar ans Ende seines Erfolges gekommen, mit nur 4,97% ist die Partei nicht im Bundestag. Der Bedarf nach einer Polit-Promi-basierten Mixtur aus ein bisschen Retro-Sozialdemokratie, AfD-Querfront und Pseudo-Antimilitarismus ist gering. In der Konkurrenz zur AfD blieb das BSW auf der Strecke, lediglich 60.000 Wähler*innen liefen über. Durch pragmatische Regierungsbeteiligung hat sich die Partei als vermeintliche Anti-Establishment-Kraft entzaubert. Die linkeren Wähler*innen sind vom Rassismus des BSW abgeschreckt, den Rechten geht er nicht weit genug.
Die Linke: Wundersame Wende
Partei Nr. Eins bei jungen Wähler*innen und bei noch jüngeren Noch-Nicht-Wähler*innen, ist eindeutig Die Linke: bei den Erstwähler*innen erreichte sie 27% (+19 Prozentpunkte seit 2021), die 18-24jährigen wählten sie zu 25%. Die etablierten Parteien inklusive Grüne bleiben jeweils zwischen 5 und 13%. Allerdings wählen auch 20% bzw. 21% in diesen Gruppen die AfD, hier ist die politische Polarisierung besonders deutlich zu sehen. Noch schärfer ist diese im Osten, wo 34% der jungen Wähler*innen Die Linke und 32% die AfD wählten. Nur 23% der ostdeutschen Jugendlichen haben für Parteien gestimmt, die es bereits vor 1990 in Westdeutschland gab.
Zum einen wurde Die Linke als Gegengewicht zur rassistischen und insgesamt menschenverachtenden Propaganda der Etablierten gewählt – als einzige Partei, die nicht “Ausländer raus” rief.
Hinzu kam Merz` Abbruch der Brandmauer, der in den letzten Wochen bundesweit über zwei Millionen Menschen auf die Straßen getrieben und kampfbereit gemacht hat. Viele dieser Menschen haben mittlerweile ihre Schlussfolgerungen aus den Massenprotesten von Anfang 2024 gezogen, die mit 2 Millionen Teilnehmenden enorm beeindruckend waren, aber am Ende scheinbar folgenlos verebbt sind. Diese Aktivst*innen wollen sich jetzt links politisch organisieren und den Trumps, Merzes und Höckes dieser Welt entgegen treten, für ihre Rechte kämpfen und etwas verändern. Nicht wenige haben vorher die Grünen gewählt, sind aber enttäuscht von deren klimafeindlicher, unsozialer und kriegstreiberischer Politik.
Über 35.000 meist junge Menschen sind in den letzten Monaten neu in die Partei eingetreten, die Linke ist damit auf über 100.000 Mitglieder gewachsen und so mitgliederstark wie noch nie. Über 50% davon sind seit dem Abgang von Wagenknecht und ihrer Anhänger*innenschaft eingetreten.
Nicht zuletzt wegen dieser neuen Mitglieder, die zu Zehntausenden jeden Tag aktiv waren, hat Die Linke diesmal einen guten Wahlkampf gemacht. Sie gewann sechs Direktmandate, vier in Berlin, wo sie mit 20% auch stärkste Partei bei den Zweitstimmen wurde. In Berlin-Neukölln konnte Ferat Kocak das erste Direktmandat für eine Partei links von der SPD im Westen Deutschlands seit der KPD in den frühen 1930er Jahren holen. Die Linke gewann nach einem unermüdlichen Wahlkampf auf der Straße und an den Hunderttausend Haustüren des Stadtbezirks, an denen sich Tausende aktiv beteiligten, 30% der Erststimmen und 25,3% der Zweitstimmen.
Weitere Faktoren waren eine sehr erfolgreiche Social-Media-Arbeit auf TikTok und Instagram und überzeugende Auftritte von Heidi Reichinnek und Jan van Aken sowie eine inhaltliche Konzentration auf Fragen von Vermögensverteilung und soziale Themen wie Mieten. Seine Rede bei einer großen Demonstration gegen Rechts in Köln am 1. Februar begann Jan van Aken mit den Worten “Ich will keine Milliardäre“ und erklärte den Zusammenhang zwischen Kapital und Faschismus.
Stadt und Land, jung und alt
Die Polarisierung wächst nicht nur zwischen jungen und alten Menschen, nicht nur zwischen Stadt und Land, sondern auch zwischen den Geschlechtern. Einer Umfrage von Infratest/dimap zufolge wählten “jüngere Frauen in der Stadt” zu 35% Die Linke, zu 10% AfD, und zu 9% CDU, “Ältere Männer auf dem Land” hingegen zu 4% Die Linke, zu 19% AfD und zu 41% CDU.
Anders als früher ist Die Linke heute mit 3.030.000 Stimmen stärker im Westen als im Osten. Ihre (neuen) Wähler*innen kommen, genauso wie die neuen Mitglieder, vor allem von den Unis und aus städtischen, gut gebildeten Schichten der arbeitenden Klasse, z.B. aus dem Bildungsbereich, dem Gesundheitswesen sowie aus der Medien- und IT-Branche. Viele handwerkliche und Produktions-Arbeiter*innen hingegen wählten die AfD, die arbeiter*innenfeindlichste Partei von allen (Arbeiter*innen: 38%, +17 Prozentpunkte seit 2021; Erwerbslose: 34%, +17% Prozentpunkte seit 2021). Die AfD hat auch mit Abstand am meisten der bisherigen Nicht-Wähler*innen mobilisiert (+1.810.000 Stimmen), während Die Linke nur 320.000 vorherige Nicht-Wähler*innen mobilisierte.
Kann Die Linke ihre neue Dynamik nutzen, um die massive Frustration und Wut der Arbeiter*innenklasse auf das Establishment und das System von links aufzugreifen und in Richtung Widerstand zu lenken? Kann sie Menschen davon überzeugen, dass das Problem nicht im Schlauchboot sitzt, sondern im Privatjet?
Waffe für kommende Kämpfe
Friedrich Merz sagte direkt nach den Wahlen, er strebe eine neue GroKo mit der SPD an. Eine Koalition mit der AfD scheint sich die CDU noch nicht erlauben zu können. So oder so stehen uns heftige Angriffe bevor. Bereits vor den Wahlen sickerten die Pläne eines 700-Milliarden-Militarisierung-Programms der EU durch, viele EU-Staaten planen eine Erhöhung der Militärausgaben auf 5% des BIP und mehr.
Für die Masse der Bevölkerung bedeutet dies, neben der ständigen Gefahr militärischer Eskalation und der möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht, brutale Sozialkürzungen, wie sie schon in zahlreichen Kommunen anstehen. Kürzungen und Zwangsmaßnahmen bei Bezieher*innen des Bürgergeldes sowie Angriffe auf die Lohnfortzahlung drohen, möglicherweise auch auf demokratische Rechte wie das Streikrecht.
Noch ist nichts Genaues klar, aber fest steht: Wir müssen den Widerstand vorbereiten. Hier stehen die Gewerkschaften in der Pflicht. Die Linke ist wieder zu einer Kraft mit viel Kampfpotenzial geworden. Sie sollte ihre parlamentarische Stärke vor allem dazu nutzen, die Arbeiter*innenbewegung und soziale Bewegungen aufzubauen. Sie darf nicht weiter in die alten, erwiesenermaßen fatalen Fallen von Kumpelei mit SPD und Grünen oder gar Regierungsbeteiligungen auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene tappen.
Die Linke muss konsequent gegen Krieg und Waffenlieferungen auftreten sowie gegen Militarisierung und Wehrpflicht kämpfen, gegen Rassismus und alle Angriffe auf Lebens- und Sozialstandards. Dabei geht es nicht nur ums Besteuern von Millionär*innen, sondern darum, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse anzugreifen und abzuschaffen, die eine kleine Handvoll Milliardäre und Milliarden Arme produzieren. Die Linke hat keine Zukunft, wenn sie mitmacht bei der kapitalistischen Krisenverwaltung, sondern nur, wenn sie konsequent für die Enteignung und Vergesellschaftung der Produktionsmittel und für ein sozialistisches Wirtschaftssystem eintritt.
Foto Linke : Martin Heinlein – CC BY 2.0