Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist eine wichtige Errungenschaft der Arbeiter*innenbewegung, die sicher stellt, dass Beschäftigte bei Krankheit ihren vollen Lohn erhalten. Aktuell gibt es Bestrebungen von Arbeitgeber*innen und Politiker*innen, diese Leistung zu kürzen.
Von Kyra Helen Meise, Hamburg
Im Januar 2025 forderte Allianz-Chef Oliver Bäte, die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag zu streichen und einen sogenannten Karenztag einzuführen. Er argumentierte, dass Arbeitnehmer*innen in Deutschland durchschnittlich 20 Tage pro Jahr krank seien, während der EU-Durchschnitt bei acht Tagen liege. Durch die Einführung von Karenztagen könnten jährlich bis zu 40 Milliarden Euro eingespart werden. Unterstützung erhielt Bäte von der Vorsitzenden des “Sachverständigenrats für Wirtschaft”, Monika Schnitzer. Auch innerhalb der CDU/CSU gibt es Stimmen, die eine Diskussion über neue Ideen zur Entlastung der Sozialsysteme befürworten.
Folgen für die Beschäftigten
Die Einführung von Karenztagen würde Beschäftigte vor die Wahl stellen, entweder eine Lohnkürzung hinzunehmen oder trotz Krankheit zur Arbeit zu erscheinen. Gerade für Geringverdienende könnte der Verlust eines Tageslohns erhebliche finanzielle Schwierigkeiten bedeuten. Zudem besteht die Gefahr, dass sich Mitarbeiter*innen aus Angst vor Lohneinbußen krank zur Arbeit schleppen, was nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern auch die ihrer Kolleg*innen gefährdet.
Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Arbeitslohns. Sie dient der Reproduktion der Arbeitskraft und stellt sicher, dass Beschäftigte auch bei Krankheit finanziell abgesichert sind. Eine Kürzung dieser Leistungen käme einer Verschiebung der Kosten von den Unternehmen hin zu den Beschäftigten und der Allgemeinheit gleich. Die Unternehmen würden durch reduzierte Lohnkosten profitieren, während die Belastungen für das Gesundheitssystem und die sozialen Sicherungssysteme steigen.
1996: Streiks verhindern Lohnkürzung
Bereits 1996 versuchte die CDU-FDP-Regierung unter Helmut Kohl, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu kürzen. Damals wurde der Anspruch von 100 auf 80% des Entgelts reduziert. Dies führte zu massiven Protesten seitens der Gewerkschaften, insbesondere der IG Metall. In zahlreichen Betrieben, vor allem der Autoindustrie, kam es zu politischen Streiks und es wurden Haustarifverträge abgeschlossen, die die volle Lohnfortzahlung sicherten. 1999 wurde durch die SPD-Grüne Bundesregierung die 100-prozentige Lohnfortzahlung gesetzlich wiederhergestellt.
Die Verteidigung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erfordert entschlossenen Widerstand. Beschäftigte und Gewerkschaften müssen sich vereint gegen diese Angriffe auf ihre Rechte stellen. Es gilt, die Öffentlichkeit mit aller Kraft über die Bedeutung der Lohnfortzahlung und die fatalen Folgen von Kürzungen aufzuklären. Gewerkschaften müssen ihre Mitglieder mobilisieren und sofort zu Protestaktionen aufrufen, wenn die Pläne konkreter werden, um den Druck auf Arbeitgeber*innen und Politik zu maximieren. Die politische Einflussnahme darf sich nicht auf Gespräche beschränken – es braucht lauten Widerstand. Ein Angriff auf die Lohnfortzahlung ist ein Angriff auf die gesamte Arbeiter*innenklasse – und darf nicht unwidersprochen bleiben.
Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter*innen ist 1957 in einem der härtesten und mit 114 Tagen längsten Streiks der Nachkriegszeit durch 34.000 Metall-Beschäftigte in Schleswig-Holstein erkämpft worden. Gemeinsam können Beschäftigte und Gewerkschaften dafür sorgen, dass diese soziale Errungenschaft nicht den Interessen des Kapitals geopfert wird.
Foto: DGB/IG Metall Zentralarchiv