Wenig Geld für uns, Milliarden für ihre Kriege 

Union, SPD und Grüne beschließen größtes Aufrüstungspaket der bundesdeutschen Geschichte

Die neue Regierung aus Merz-Union und SPD hat im undemokratischen Eilverfahren eine neue Grundgesetzänderung durch den alten, längst abgewählten Bundestag gepeitscht, welche das größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik einleiten soll. Dabei soll nicht nur ein neues Sondermögen von 500 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt werden. Nach oben offene Rüstungsausgaben über 1% des BIP sollen bei Umgehung der Schuldenbremse über Steuern finanziert werden. Das geht einher mit einer aggressiven Kriegsrhetorik und ideologischer Einstimmung auf eine neue Führungsrolle Deutschlands in der Welt. 

Von Marcus Hesse, Aachen

Jahrelang galt das Diktat der “Schwarzen Null”, womit jede Forderung nach Investitionen zu Gunsten der Mehrheit der Bevölkerung blockiert wurde. Für Hochrüstung und Kriegsertüchtigung Deutschlands gelten andere Regeln. Propagandistisch schmackhaft gemacht wurde diese teilweise Lockerung der Schuldenbremse mit einem zusätzlichen “Sondervermögen” in Höhe von 500 Milliarden Euro für Infrastrukturprojekte von Bund und Ländern. Dabei dient auch dieser Infrastrukturausbau teilweise der Kriegsvorbereitung. Marode Straßen und Schienen eignen sich kaum für Waffentransporte und Truppenverlagerungen. Zudem dient eine allgemeine Verbesserung der Infrastruktur den Gesamtinteressen der deutschen Industrie und Wirtschaft – im sich verschärfenden, auch durch “friedliche” Handelskonflikte ausgetragenen globalen Wettbewerb. 

Die Schuldenbremse wurde in der Epoche des liberalen Kapitalismus eingeführt, um der Kürzungspolitik Gesetzesrang zu verschaffen und eine Politik der breiten Investitionen in Soziales, Bildung und Gesundheitswesen oder klassisch keynesianischer Wirtschaftspolitik einen Riegel vorzuschieben.

Militärpolitisch hatte sich Deutschland zu Beginn des Jahrhunderts auf eine kleine, schlagkräftige Berufsarmee festgelegt, die als Junior-Partner der USA oder Frankreichs bereit war, in Out-Of-Area-Einsätze von Afghanistan bis Mali geschickt zu werden. Die Wehrpflicht wurde 2011 ausgesetzt. Doch die Weltlage hat sich nach zwei Jahrzehnten radikal geändert.

Inzwischen bestimmt eine scharfe Konfrontation imperialistischer Blöcke die Lage. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 sprach die deutsche herrschende Klasse, repräsentiert von Olaf Scholz, offen von der “Zeitenwende”. Über Nacht wurde das 100-Milliarden-Paket für Aufrüstung geschnürt. Der Machtwechsel in Washington Ende letzten Jahres markiert eine verstärkte Neuorientierung des US-Imperialismus auf die Durchsetzung seiner Interessen im Alleingang und Konzentration auf den Hauptkonflikt mit China – zu Lasten des ukrainischen Verbündeten. EU-Europa – unter Führung Deutschlands und Frankreichs –  gerät jetzt an die vorderste Front des Kampfes mit Russland.

Propagandistisch wird von den Regierenden hierzulande immer wieder darauf hingewiesen, wie sehr Europas Armeen der russischen Aufrüstung hinterherhinken. Ein objektiver Blick relativiert die Aussage. Zusammengenommen sind die Armeen der EU-Staaten sowie Großbritanniens in Bewaffnung und Truppenstärke stärker als die russische Armee. Auch kaufkraftbereinigt liegen die russischen Militärausgaben unter denen der europäischen NATO-Staaten. Die europäische Industrie ist leistungsfähiger. Was der EU als loser Bund eigenständiger und miteinander konkurrierender Staaten allerdings fehlt, ist ein einheitlicher Nationalstaat. Die herrschenden Klassen innerhalb der EU versuchen sich gegen die Konkurrenz aus China und Russland zu verbünden, haben jedoch auch unterschiedliche Interessen. 

Ökonomische Folgen

Russland hat seine im Vergleich zur EU schwache Ökonomie, die sich seit 2022 stark nach China orientiert hat, erfolgreich auf Kriegswirtschaft umgestellt. Kein europäisches Land oder die USA sind seit dem Zweiten Weltkrieg einen solchen Schritt gegangen. Es ist daher korrekt, mit dem britischen Ökonomen Adam Tooze von einer “Vorkriegs”- oder “Aufrüstungsökonomie” zu sprechen. Noch soll nicht die ganze Volkswirtschaft an die Bedürfnisse des Militärs angepasst werden, wie es in Deutschland während des Ersten und Zweiten Weltkriegs der Fall war. Damals flossen nicht 2-5% des BIP´s ins Militär, sondern 30-40%. In Größe und Umfang ist das aktuell geplante Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik allerdings ohne Beispiel, auch wenn der Anteil der Militärausgaben am damals geringeren BIP in der Zeit der Remilitarisierung unter Adenauer höher war als heute und Richtung 5% ging. 

Volkswirtschaftlich bleibt die Aufrüstung nicht ohne Folgen. Unmittelbar profitiert die Rüstungsindustrie. Die Rheinmetall-Aktie geht an die Decke, ganze bisher kriselnde Industriezweige profitieren kurzfristig von Aufträgen fürs Militär oder den Infrastrukturausbau. Doch mittelfristig ist Aufrüstung extrem unproduktiv: Panzer, Kriegsschiffe, Drohnen, Kampfjets und Raketen vermehren nicht den Reichtum der Gesellschaft, schaffen keine neuen Werte. Das Institut für Wirtschaftskraft (IfW) in Kiel schätzt in einer aktuellen Studie, dass das BIP pro Jahr um 0,9 % pro Jahr steigen könnte, wenn 3,5% des BIP in die Produktion eigener europäischer Hightech-Waffen fließen würden. Mittel- und langfristig aber wird die gewaltige Aufrüstung die Inflation in die Höhe treiben und die Staatsverschuldung zu einem Problem machen. Hochrüstung ist gemäß der Logik der kurzfristigen Profitabilität für Investoren und Konzerne lukrativ, aber auf Dauer wirtschaftlich destruktiv. Darüber hinaus ist klar: Was ins Militär fließt, fehlt anderswo. Die Bundesregierung hält in allen anderen Bereichen an der Schuldenbremse fest – die durch Schulden finanzierten Milliardeninvestitionen in die Aufrüstung und Kriegsvorbereitungen werden im Gegenzug rigide Kürzungen in allen anderen Feldern mit sich bringen. Einschränkungen beim Bürgergeld werden schon geplant, Angriffe auf die Rente, Feiertage oder im Gesundheitswesen können folgen.

Staatsverschuldung im Kapitalismus bedeutet, dass der Staat Kredite bei Reichen aufnimmt, vor allem bei Banken. Die Zinsen bedient er aus den Steuereinnahmen, die per Lohnsteuer und Verbrauchssteuern überwiegend von den arbeitenden Menschen kommen. Ist die Verschuldung hoch genug, verschiebt sich die Tilgung weiter in die Zukunft. Den Banken kann es egal sein, Hauptsache die Zinsen fließen und der Staat garantiert für die Kredite. Ohne die massive Besteuerung der Reichen und die Verstaatlichung von Banken wird die geplante Verschuldung über Aufrüstung und “Sondervermögen” die Umverteilung zu Gunsten der Reichen massiv befördern.

Brandgefährlich

Aufrüstung und die Erreichung von “Kriegstüchtigkeit” in Deutschland und Europa führen nicht nur zu mehr Sozialabbau und wirtschaftlichen Krisen – vor allem sind sie brandgefährlich. Denn es geht darum, gegen die imperialistischen Konkurrenten kriegsfähig zu sein. Seit 2022 wird in gedanklichen Vorstößen ein Tabu nach dem anderen gebrochen. Macron redet seit dem Frühjahr 2024 über die Entsendung von Truppen in die Ukraine. Die NATO stellt sich massiv Verbände im Baltikum auf.

Bürgerliche Politiker*innen und “Expert*innen”, fordern eine militärische Dienstpflicht: Krankenhäuser sollen “kriegstauglich” gemacht werden, um rund “1000 Schwerverletzte täglich” versorgen zu können. Das Narrativ dabei ähnelt dem der finstersten Zeiten des Kalten Krieges, nach dem “der Russe” nur darauf warte, Europa zu überrennen, bis 2030 angeblich in Warschau, Berlin oder Paris stünde, wenn “wir” dies nicht durch massive Aufrüstung verhindern. Die Gefahr einer Eskalation zu einem Weltkrieg wird verharmlost. Das lukrative Geschäft der aus Podcast und Talkshows bekannten “Expert*innen” ist es, sich gegenseitig zu überbieten. Der Militärhistoriker und besonders eifrige Kriegsbeschwörer Sören Neitzel sprach Ende März davon, wir könnten 2025 unseren “letzten Friedenssommer” erleben, bevor Russland im Herbst im Baltikum teste, ob die NATO auf Angriffe reagiere.

Tatsächlich macht die Aufrüstung die EU selbst immer gefährlicher. Das wird deutlich im  EU-Weißpapier für die europäische Verteidigungsbereitschaft 2030, mit dem das Ziel von 800 weiteren Milliarden für die EU-Aufrüstung begründet wird.

Unter dem Stichwort “Stachelschwein-Strategie” – das “Stachelschwein” sind die Ukrainer*innen – heißt es darin:

“Das Ergebnis dieses Kriegs wird ein entscheidender Faktor für unsere kollektive Sicherheit in den kommenden Jahrzehnten sein … die Ukraine bleibt die Frontlinie der europäischen Verteidigung und Sicherheit und ist der zentrale Schauplatz der neuen internationalen Ordnung … die militärischen Mobilitäts-Korridore der EU sollten bis in die Ukraine reichen.”

Damit macht die EU deutlich, dass sie das Einfrieren des Konfliktes entlang der derzeitigen Frontlinien nicht akzeptieren will. Das Ergebnis soll verändert werden. Das kann am Ende nur bedeuten, dass sich die herrschenden Klassen in der EU und des Vereinigten Königreichs auf eine “zweite Runde” in der Ukraine vorbereiten wollen, um die Ergebnisse zu revidieren. In diesem Zusammenhang bekommt die von Macron und Starmer angestoßene Debatte über französische und britische “Friedenstruppen” eine andere Bedeutung – es geht weniger um Sicherung eines Waffenstillstandes wie mit UN-Blauhelm-Truppen, sondern um westliche “boots on the ground” in der Ukraine, die einen direkten Krieg mit Russland wahrscheinlicher machen.

Weiterhin wird die russische Peripherie und der nicht unter Moskaus Kontrolle stehende pro-westliche Grenzbereich zwischen Russland und NATO/EU, also Georgien, Moldawien und das Baltikum, als zukünftiges Konfliktfeld gesehen. Trumps Kurswechsel in der Außenpolitik lässt allerdings offen, welche Rolle die NATO noch dabei spielen kann. Womöglich muss für Europas Kriegsfähigkeit aus Sicht der Herrschenden ein Ersatz her. 

Gegen den Kriegskurs!

Politisch verfängt die militaristische Propaganda in Deutschland. Verschiedene Umfragen belegen, dass eine Mehrheit Angst vor Russland hat und 76% befürworten laut ZDF-Politbarometer vom 7.3.2025 mehr Investitionen in die deutsche Aufrüstung. 84% fänden gemeinsame europäische Streitkräfte gut – besonders seit dem außenpolitischen Kurswechsel der USA. Auch viele Wähler*innen der Linken denken so, sowie die meisten Gewerkschaftsmitglieder.

Marxistische Kräfte innerhalb der Linken und in den DGB-Gewerkschaften sind gezwungen, gegen den militaristischen Strom zu schwimmen und geduldig zu erklären, dass die Hochrüstung nicht mehr Sicherheit schafft, sondern die Kriegsgefahr erhöht. Gleichzeitig gibt es aber trotz alledem – zum Missfallen vieler Kriegstreiber*innen in Politik und Medien – wenig Bereitschaft der Deutschen, tatsächlich in den Krieg zu ziehen, zu töten und zu sterben. Seit 2022 verweigern deutlich mehr Reservist*innen den Dienst an der Waffe. Die Bundeswehr schrumpft anstatt zu wachsen, in der Jugend gibt es keine Begeisterung für die Armee. Darum wollen die Herrschenden verstärkt an die Jugend heran und werden immer aggressiver und penetranter dabei, die Bundeswehr und ihre Propaganda an Schulen, Unis und Berufsschulen zu platzieren, und feilen an der Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Die Ablehnung jeder Aufrüstung des bürgerlichen Staates, jeder Militarisierung, ist Pflicht der Linken. Viele Linke, Teile der Friedensbewegung und das aus dem Bundestag abgewählte BSW, haben das jüngste durch Bundestag und Bundesrat gepeitschte Rüstungspaket zurecht mit dem an 1914 erinnernden Begriff “neue Kriegskredite” bezeichnet. Die Zustimmung der sich damals als marxistisch verstehenden SPD dazu war für viele, darunter auch Lenin und Rosa Luxemburg, ein schwerer Schock.

In der Folge wurde der Bruch mit der Sozialdemokratie nötig, in Deutschland durch die Bildung von USPD und später der KPD. In der Gegenwart steht die Partei Die Linke als einzige relevante antimilitaristische Partei da. Es ist leider nichts Neues, dass auch Teile der Partei Die Linke bei der Frage des Militarismus umgefallen sind und offen gegen die Grundsätze und Beschlüsse der eigenen Partei verstoßen haben. Oft “nur” in gedanklichen Vorstößen, aber immer wieder auch in konkreten parlamentarischen Entscheidungen, so bei der Abstimmung der auf dem Ticket der Linken gewählten EU-Parlamentarierin Carola Rackete für Waffenlieferungen an die Ukraine.

Die Zustimmung der Landesregierungen von Bremen und Mecklenburg-Vorpommern – welche die Senator*innen bzw. Minister*innen der Partei Die Linke hätten verhindern können – zur Aufhebung der Schuldenbremse für die Aufrüstung stellt den bisher schwerwiegendsten Bruch der antimilitaristischen Grundsätze der Partei dar.

Die Linke und der DGB sollten gegen das Aufrüstungsprogramm Widerstand leisten und zu Protesten mobilisieren. Besonders die IG Metall, die Beschäftigte im direkten und indirekten Rüstungssektor organisiert, ist in der Verantwortung. Nicht Rüstungswirtschaft, also Produktion für Krieg und Zerstörung, kann die Krise der Industrie beenden, sondern Umstellung der Produktion auf zivile Produkte und die Bedürfnisse von Mensch und Umwelt. Die Linke agiert gegen die Aufrüstung, wenn auch nicht konsequent. Im DGB gibt es keinen Widerstand, teilweise sogar – z.B. in der IGM – aktive Zustimmung zum Ausbau der Rüstungsindustrie. Daher müssen Marxist*innen bereit sein, auch innerhalb ihrer Gewerkschaften eine Zeit lang bewusst gegen den Strom zu schwimmen.

Die Vertreter*innen der Regierungs”linken”, die im Bundesrat gegen einen eindeutigen Parteibeschluss gestimmt haben, gehören nicht in die Partei Die Linke. Sie müssen politisch isoliert und hinaus gedrängt werden. Die Beteiligung an den Landesregierungen ist zu beenden.

Bild: AusleseBeeren – CC BY-SA 4.0