Zu früh gefreut, Herr Merz!

Die Auswirkungen des Ostmetallerstreiks für den Klassenkampf in der Bundesrepublik.

Stellungnahme der SAV-Bundesleitung vom 6. Juli 2003
 
Der von der IG Metall-Führung veranlasste Abbruch des Streiks für die 35-Stunden-Woche in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie ist ein Geschenk an Regierung und Kapital.
Diese haben keine Sekunde gezögert, die Niederlage der Gewerkschaft auszunutzen und die Offensive zum Abbau von Rechten und vom Lebensstandard der ArbeitnehmerInnen und Erwerbslosen zu steigern. Es ist wichtig, dass innerhalb der Gewerkschaftsgliederungen und der sozialen Bewegungen eine realistische Bilanz dieser Kapitulation und die Lehren für die Zukunft gezogen werden.

Nicht hilfreich bei einer solchen Bilanz ist das Triumphgeheul der bürgerlichen Medien von FAZ bis taz im Chor mit Westerwelle, Merz und Schröder. Genauso wenig hilfreich sind die Erklärungsversuche der IG Metall Spitzenfunktionäre, ob sie nun Zwickel, Huber, Peters oder Düvel heißen. Letztlich sind diese sich mit der bürgerlichen Journaille und den kapitalistischen Politikern in einem Punkt einig: verantwortlich für den Streikabbruch ist die Arbeiterklasse, sind die Kolleginnen und Kollegen. Diese seien nicht für den Streik mobilisierbar gewesen – oder in den Worten von Streikleiter Hasso Düvel nach der Empfehlung zum Streikabbruch: „Der Streik war nicht steigerbar.“

Eine Bilanz des Streiks muss zum Ausgangspunkt nehmen, dass es überhaupt zu diesem Streik gekommen ist. Die Tatsache, dass während einer wirtschaftlichen Krise und vor dem Hintergrund von massivem Sozialabbau durch die Schröderregierung und einer permanenten „Gürtel-enger-schnallen“-Propaganda ein Streik für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen eines Teils der Arbeiterklasse stattgefunden hat, ist erst einmal Ausdruck der Stärke der Arbeiterklasse und eines vorhandenen und mobilisierbaren Bewusstseins, dass Verbesserungen gegen das Kapital zu erkämpfen sind. Sicherlich hatte dieser Streik ostspezifische Charakteristika – es ging vielen Kolleginnen mehr um die grundsätzliche Frage der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland, als um Arbeitszeitverkürzung an sich. 13 Jahre nach der Vereinigung von BRD und DDR sind die Menschen in Ostdeutschland weiterhin in vielerlei Hinsicht Menschen Zweiter Klasse. Sie müssen länger arbeiten und erhalten dafür weniger Lohn. Und dies obwohl in vielen Betrieben mittlerweile die Produktivität höher und die Lohnstückkosten niedriger sind als in Westdeutschland. Viele KollegInnen sind nicht länger auf die Unternehmerpropaganda reingefallen, die davon spricht, dass der billigere Preis der Ware Arbeitskraft im Osten ein Standortvorteil sei und Arbeitsplätze sichern würde. Zurecht sagte ein VW-Kollege: „Die haben drüben die 35-Stunden-Woche und nur neun Prozent Arbeitslose, wir haben 38 Stunden und 20 Prozent Arbeitslose.“ Angesichts der steigenden Massenarbeitslosigkeit wird aber die Frage der Arbeitszeitverkürzung auch in anderen Gewerkschaften und auch in Westdeutschland wieder verstärkt thematisiert, wie unter anderem die arbeitszeitpolitische Konferenz von verdi zeigt.
Der Streik hat auch die große wirtschaftliche Macht der Arbeiterklasse und einzelner Belegschaften gezeigt. Selbst ein Streik in nur einem Werk oder einer Abteilung, kann die Produktion in einem ganzen Konzern lahm legen.

Die Streikfront stand

„Der Herr Zwickel kann uns gestohlen bleiben“ – so zitierte SPIEGEL ONLINE einen Metallarbeiter, der von der Gewerkschaftsführung zum Streikabbruch gezwungen wurde. Ein Kollege bei VW Mosel ging weiter: „Sollte er (Zwickel) hierher kommen, ich würde ihm in die Fresse hauen, vor allen Leuten.“ Der VW Mosel-Betriebsrat Frank Breuer wird zitiert: „Ich dachte, sie wollen uns verarschen, als ich es am Sonntagmittag im Radio gehört habe; gerade jetzt aufgeben, wo der Streik auch im Westen Wirkung zu zeigen beginnt.“
Die Wut unter den Kolleginnen und Kollegen, die am Streik teilgenommen hatten ist groß. Dies ist Ausdruck der Tatsache, dass die Streikfront stand und dass die Niederlage vermeidbar war. Der Streik stand trotz widriger Bedingungen. Denn alle Kräfte des bürgerlichen Deutschlands hatten sich gegen die Streikenden vereint: kaum eine Tageszeitung, die nicht gegen den Streik gehetzt hätte; keine Partei, die sich auf die Seite der Gewerkschaft gestellt hätte. Gerichte verhängten Bußgelder an Gewerkschaftsvorsitzende und schränkten die Tätigkeit von Streikposten ein. Politiker führten Streikbrecher in Fabriken. Und einige Betriebsratsfürsten westdeutscher Automobilkonzerne riefen öffentlich zum Streikabbruch auf.
Die Haltung kapitalistischer Medien und PolitikerInnen sollte nicht verwundern. Sie vertreten die Interessen des Kapitals und jede Stunde verkürzte Wochenarbeitszeit bedeutet einen Einschnitt in die Profite der Bosse und Großaktionäre.
Meinungsumfragen ergaben eine Mehrheit für die Forderung nach der 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland. Trotzdem gab es eine passive und bei Teilen der Bevölkerung ablehnende Haltung zum Streik. Dies ist einerseits die massive Medienpropaganda gegen den Streik verantwortlich. Andererseits – und vor allem – aber die Tatsache, dass die IG Metall-Führung darauf verzichtet hat, eine breite Informationskampagne durchzuführen, die den Beschäftigten in Westdeutschland und in anderen ostdeutschen Branchen und den Erwerbslosen erklärt hätte, dass die 35-Stunden-Woche auch in ihrem Interesse erkämpft werden sollte. Die IG Metall-Spitze hat auch darauf verzichtet Solidaritätsaktionen in westdeutschen Betrieben durchzuführen. Dass dies sehr wohl möglich gewesen wäre, zeigte die über fünf Stunden dauernde Betriebsversammlung bei Volkswagen Salzgitter, die Streikbruch-Produktion verhinderte. Noch mehr hätte eine Verbindung des Kampfes für die 35-Stunden-Woche im Osten mit dem notwendigen Kampf gegen den Sozialkahlschlag der Agenda 2010 die gesamte Arbeiterklasse ergreifen können und die Gewerkschaften in die Offensive bringen können. Dies wäre möglich gewesen, wenn die Gewerkschaftsführung im Mai nicht zu halbherzigen symbolischen Demonstrationen, sondern zu echten Kampfmaßnahmen aufgerufen hätte. Die Spitzenverdienerfunktionäre des DGB erklären den Kampf gegen die Agenda 2010 für beendet. Sie begründen das mit der Tatsache, dass am 24. Mai nur 90.000 KollegInnen zu den regionalen Protestdemonstrationen kamen – wofür sie aber selbst gesorgt hatten, indem sie weder mobilisiert hatten noch den Eindruck erwecken wollten, es sei ihnen mit diesen Protesten sonderlich ernst. Doch dieselben KollegInnen, die am 24. Mai keinen Sinn darin sahen, an einer aus ihrer Sicht wirkungslosen Demonstration teilzunehmen, waren bereit am Streik in Ostdeutschland teilzunehmen bzw. haben an Solidaritätsaktionen teilgenommen. Wirkliche Kampfmaßnahmen wirken mobilisierend, halbherzige Pseudo-Proteste nicht.

Die Streiktaktik der IG Metall war ein Rezept für die Niederlage. Es sollte nicht vergessen werden: in der ostdeutschen Stahlindustrie wurde die 35-Stunden-Woche erkämpft (wenn auch in einem viel zu langwierigen Stufenplan bis 2009). Hier haben 5.000 von 8.000 Beschäftigten am Streik teilgenommen und sehr schnell wirtschaftliche Konsequenzen für die Konzerne verursacht, die diese zur Annahme der 35-Stunden-Woche zwangen. In der Metall- und Elektroindustrie haben nur 13.000 der 284.000 IG Metallmitglieder gestreikt. Darüber hinaus wurde einmal mehr die unsägliche Flexi-Streiktaktik angewendet, die Betriebe nur für einzelne Tage in den Streik holt und so die ökonomische Wirkung des Streiks minimiert. Als der Streik dann endlich wirtschaftliche Auswirkungen hatte und die Produktion in einigen westdeutschen Automobilfabriken stockte, weil wichtige Teile aus dem Osten nicht mehr geliefert wurden, hat die Gewerkschaftsspitze die entscheidenden Betriebe aus der Streikfront genommen. Mit dem Abschluss verschiedener Haustarifverträge während des Streiks wurde die Streikfront geschwächt. Das zeigt, dass die Gewerkschaftsführung von Beginn an nicht das Ziel hatte die 35-Stunden-Woche zu erkämpfen, sondern darauf setzte mit dem Druck weitgehend symbolischer Streikaktionen einmal mehr einen faulen Kompromiss mit den Unternehmern zu erzielen. Aber diesmal hatte sie sich bzgl. der Haltung der Arbeitgeber verschätzt. Zwickel und Peters hatten die Zeichen der Zeit nicht erkannt. .

Neue Gangart von Regierung und Kapital

Denn angesichts der tiefen wirtschaftlichen Krise haben Regierung und Kapital eine neue Gangart eingelegt und neue Ziele formuliert. Die grundlegenden Errungenschaften des sogenannten Sozialstaates sollen zerschlagen werden, der Lebensstandard der Bevölkerung zugunsten der Profite der Banken und Konzerne massiv gesenkt werden. Aber das reicht den Herren nicht: Flächentarifvertrag, betriebliche Mitbestimmung, Streikrecht sollen zur Disposition gestellt werden. Da passte ein offensiver Kampf für die Durchsetzung einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen von ArbeiterInnen nicht ins Konzept. Folglich blieben die Bosse hart und wurden durch das Vorgehen der IG Metall-Führung auch geradezu dazu eingeladen, hart zu bleiben. Die Signale der Herren Zwickel und Peters waren so deutlich, dass die Arbeitgeber die Möglichkeit einer empfindlichen Niederlage für die IG Metall erkannten.

So manches bürgerliche Blatt vergleicht die Niederlage in diesem Kampf für die Einführung der 35-Stunden-Woche mit der Niederlage der britischen Bergarbeiter 1984. Hier ist der Wunsch Vater des Gedankens. Die britischen Bergarbeiter gaben ein Jahr lang alles und mobilisierten ihre gesamte Kampfkraft. Sie wurden von den Führungen der anderen Gewerkschaften nicht ausreichend unterstützt, ein Generalstreik blieb aus, und sie verloren einen historischen Kampf. Es handelte sich auch nicht um einen Offensivkampf, sondern um einen Verteidigungskampf. Die Bergarbeiter verloren ihre Arbeitsplätze, viele Zechen wurden dichtgemacht. Die Voraussetzungen für weitere Kämpfe zerstört. Diese Niederlage ermöglichte der damaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher ihre Offensive gegen die Gewerkschaften erfolgreich zu Ende zu führen. Drakonische Anti-Gewerkschaftsgesetze wurden durchgesetzt und die britische Arbeiterbewegung um Jahre zurückgeworfen. Die Niederlage der Bergarbeiter hatte nicht nur materielle Konsequenzen, sondern hinterließ tiefe Spuren in der Psychologie der Arbeiterklasse. Das Selbstbewusstsein und das Vertrauen in die eigene Kampfkraft wurden nachhaltig zurückgeworfen. Für viele Jahre ging daraufhin die Streikrate zurück und war der gewerkschaftliche Widerstand nachhaltig geschwächt.
Mit dieser Situation in Großbritannien vor fast zwanzig Jahren sind die Folgen des Streikabbruchs im Osten der Republik nicht vergleichbar. In gewisser Hinsicht ging der Streik nicht verloren. Er wurde sabotiert, abgebrochen, verraten. Es kam nicht einmal annähernd zu einem wirklichen Kräftemessen zwischen den Beschäftigten und den Arbeitgebern, denn die Gewerkschaftsspitze hat die Kampfkraft der Kolleginnen und Kollegen nicht wirklich in die Waagschale geworfen. Der Kampf und die Niederlage hat auch das Bewusstsein der gesamtdeutschen Arbeiterklasse weniger tief erfasst, als der britische Bergarbeiterstreik das Bewusstsein der Arbeiterklasse in Großbritannien erfasst hatte. Gerade weil die Gewerkschaftsführung die bundesweite Bedeutung des Streiks nicht erklärte und kaum Solidarität organisierte, haben viele diesen Kampf nicht als ihren Kampf begriffen. Das bedeutet aber auch, dass sie die Niederlage nicht als ihre Niederlage begriffen haben. Selbstbewusstsein und Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse sind nicht nachhaltig zurückgeworfen. Die Mehrheit der Streikenden selber hat die Erfahrung gemacht, dass Kämpfen möglich ist und war bis zuletzt der Überzeugung, dass der Streik hätte fortgesetzt werden können und sollen.

Der Streikabbruch hat paradoxerweise die Kampfbereitschaft der Beschäftigten in der Bundesrepublik ausgedrückt. Denn die Gewerkschaftsführung hat den Streik in erster Linie abgebrochen, weil sie wusste, dass nach der Blockadehaltung der Arbeitgeber, eine Ausweitung des Streiks die einzige Alternative zum Streikabbruch gewesen wäre. Ausweitung hätte bedeutet auch die anderen Ostbezirke einzubeziehen. Ausweitung hätte bedeutet, dass es zu mehr Produktionsstopps in Westfabriken gekommen wäre und hätte damit die Notwendigkeit von Solidaritätsaktionen und –streiks in Westdeutschland auf die Tagesordnung gesetzt. Das hätte eine Dynamik ausgelöst, die die Frage der Verbindung des Kampfes für die Arbeitszeitverkürzung im Osten mit dem Kampf gegen die Agenda 2010 in ganz Deutschland aufgeworfen hätte. Die Gewerkschaftsspitze befürchtete, dass sie den Tiger, den sie reitet, dann nicht mehr hätte unter Kontrolle halten können. Ihre Strategie der Demobilisierung in Sachen Agenda 2010 wäre dadurch durchkreuzt worden.
Nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum der sächsische Metallarbeitgeberverband jetzt angeboten hat, den bisher geltenden Flächentarifvertrag wieder einzusetzen. Die Bosse sind sich der wütenden Stimmung in den Betrieben bewusst. Sie haben Sorge, dass die Beschäftigten jetzt versuchen werden im Häuserkampf die 35-Stunden-Woche durchzusetzen und es der IG Metall-Führung schwerer fallen wird, einen solchen Häuserkampf unter Kontrolle zu halten. Grund für diese Sorge gibt es reichlich. Der VW Betriebsrat Andreas Paul sagte zum Beispiel: „Leute, es ist noch nicht zu Ende. Jetzt müssen wenigstens firmenintern die 35 Stunden her , wie drüben in Wolfsburg.“ Stefan Kademann, IG Metall Bevollmächtigter in Zwickau kündigte an sich die Unternehmen Stück für Stück vorknöpfen zu wollen. Die Stuttgarter Zeitung zitiert Arbeiter am Werkstor von VW Mosel, die wissen, wie sie auf Schwierigkeiten bei den Verhandlungen mit der Firmenleitung reagieren werden: „dann streiken wir eben für einen Haustarif weiter.“

Ein solcher Häuserkampf sollte aufgenommen werden. Die Kampfbereitschaft in vielen Betrieben ist weiterhin vorhanden. Die ökonomische Macht auch auf der betrieblichen Ebene die 35-Stunden-Woche durchzusetzen auch, warum sonst haben neun Betriebe während des Streiks einem Haustarifvertrag zur Arbeitszeitverkürzung zugestimmt.
Wie sollte die Gewerkschaft vorgehen? Das Angebot der Arbeitgeber zur Wiedereinsetzung des alten Flächentarifvertrages anzunehmen, würde bedeuten die 35-Stunden-Woche auf lange Sicht hin verloren zu geben und die Möglichkeit eines Häuserkampfes zu untergraben. Andererseits werden viele Kolleginnen und Kollegen zurecht auf die Bedeutung eines Flächentarifvertrages hinweisen. Erfolgreiche Kämpfe für die 35-Stunden-Woche in verschiedenen Großbetrieben könnte die Beschäftigten wieder in die Offensive bringen. Auf dieser Grundlage könnte die Frage eines neuen Flächentarifvertrages wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Die Forderung sollte sein, dass sich die Konzerne verpflichten einen zukünftigen Flächentarifvertrag zu unterschreiben. Darüber hinaus sollte auf Betriebsebene die sofortige Einführung der 35-Stunden-Woche als übertarifliche Leistung eingefordert werden. Eine solche Herangehensweise würde beinhalten einen Kampf für einen Flächentarifvertrag durch Haustarife nicht zu unterlaufen, gleichzeitig aber die Herausforderung des Häuserkampfes anzunehmen.

Sabotage der „Modernisierer“

Streik und Streikabbruch müssen auch im Zusammenhang der Auseinandersetzungen der verschiedenen Flügel in der IG Metall-Führung gesehen werden. Die Erkämpfung der 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland sollte die Wahl des sogenannten „Traditionalisten“ Jürgen Peters zum IG Metall-Vorsitzenden beim kommenden Gewerkschaftstag sichern. Zweifelsfrei gab es in der Haltung Zwickels, der während des Streiks kontraproduktive Vorschläge in die öffentliche Debatte brachte und so den Streikenden in den Rücken fiel und auch in der öffentlichen Sabotage durch westdeutsche Betriebsratsvorsitzende ein Element von flügelkampfmotivierter Sabotage. Sicherlich hoffen die ganz Rechten in der IG Metall-Spitze, dass der Streikabbruch Peters noch zu Fall bringen kann. In diesem Sinne geht es in der IG Metall um mehr, als um die Einführung der 35-Stunden-Woche im Osten. Es geht um die Ausrichtung der gesamten Organisation. Peters steht auch fest auf dem Boden der Marktwirtschaft und hat keine Antwort auf die Krise des kapitalistischen Systems, aber er repräsentiert eine reformistische Gewerkschaftspolitik, die zumindest in Grenzen die Auseinandersetzung mit Regierung und Kapital einzugehen bereit ist. Zwickel und Huber stehen für eine offene Kumpanei mit der Regierung und unterstützen die neoliberale Offensive. Dass aus diesem Kreis rechter Gewerkschafter nun der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Schartau als Kandidat für den IG Metall-Vorsitz in die Diskussion gebracht wird spricht Bände: für solche Leute sind Ministerposten mit der Funktion des Gewerkschaftsvorsitzenden einfach austauschbar, sie sehen keinen Interessenskonflikt. Doch auch Peters und Düvel sind keine linken, kämpferischen Gewerkschafter. Auch sie haben den Streikabbruch mitzuverantworten. Peters ist als Verantwortlicher für die Tarifpolitik mitverantwortlich für die schlappen Abschlüsse der letzten Jahre und für den Anfang vom Ausstieg aus dem Flächentarifvertrag durch die Zustimmung zu betrieblichen Öffnungsklauseln. Aber Huber und Co. müssen gestoppt werden. Deshalb kann es nötig sein beim kommenden Gewerkschaftstag für Peters zu stimmen (sollte er kandidieren). Der Aufbau einer programmatischen und personellen Alternative zu beiden Flügeln, die zur Zeit die IG Metall dominieren, ist aber gleichzeitig nötig.

Niederlage einordnen

Natürlich ist der Streikabbruch eine Niederlage. Und wie jede Niederlage wird sie Konsequenzen haben. Zuerst sind da die materiellen Auswirkungen: die ostdeutschen Beschäftigten bleiben ArbeitnehmerInnen zweiter Klasse und sind erst einmal ihren Flächentarifvertrag los. Das bedeutet auch, dass Regelungen wie zur Übernahme von Auszubildenden nicht mehr vertraglich geregelt sind. Es gilt zwar die sogenannte Nachwirkung, das heißt die Regelungen des gekündigten Tarifvertrages gelten bis zum Abschluss eines neuen Vertrags. Aber neu eingestellte KollegInnen fallen nicht unter diese Nachwirkung. Und die Arbeitgeber können natürlich versuchen auf betrieblicher Ebene schlechtere Tarifverträge auszuhandeln.
Zweitens gibt es politisch-ideologische Konsequenzen. Der Flächentarifvertrag ist in Frage gestellt. Die Unternehmer fühlen sich gestärkt und ermutigt auch im Westen und auch in anderen Fragen in die Offensive zu gehen. Ein Teil von GewerkschaftsaktivistInnen ist verunsichert und gerade im Osten werden Zweifel an der Möglichkeit erfolgreicher Gegenwehr zeitweilig wachsen können. Die Gewerkschaftsbürokratie wird die Niederlage in diesem Streik als Totschlagargument benutzen, wenn sie im Herbst Forderungen nach Widerstand gegen die Agenda 2010 zurückweisen wird und Kämpfe blockieren wird. Es ist kein Zufall, dass sich die Gewerkschaftsführer kurz vor dem Streikabbruch mit Gerhard Schröder getroffen haben. Zwickel sagt mittlerweile offen, dass weitere öffentliche Proteste gegen die Agenda 2010 nicht geplant sind. Es ist auch kein Zufall, dass wenige Tage nach dem Streik ein Abschluss bei den Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst von Berlin erzielt wurde. Hier hat die Gewerkschaft verdi einer Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich zugestimmt, die einer bis zu zwölfprozentigen Lohnkürzung gleich kommt. Das zeigt was die Zwickels und Bsirskes erreichen wollen: die Gewerkschaften zu kontrollieren und Widerstand gegen die Angriffe SPD-regierter Regierungen zu verhindern.

Aber die Folgen der Niederlage sind komplexer. Die Gewerkschaftsspitze hat enorm an Autorität verloren. Sicher werden einige Kollegen ihre Mitgliedsbücher hinschmeißen und die Gewerkschaft verlassen. Andere werden die Schlussfolgerung ziehen, dass man die Organisation nicht den Zwickels, Hubers und Peters’ überlassen darf. Die Polarisierung innerhalb der Gewerkschaften und die Offenheit für die Idee des Aufbaus innergewerkschaftlicher Oppositionsgruppen werden zunehmen. Mittelfristig bedeutet das auch, dass die Gewerkschaftsbürokratie Stück für Stück die Kontrolle über die Mitglieder verlieren wird. Immer mehr KollegInnen werden die Entscheidungen der Vorstände hinterfragen und bereit sein unabhängig und gegen die Vorstände zu handeln.

Wut in Widerstand verwandeln ist möglich

Die Stimmung in den Betrieben ist von Unzufriedenheit und Wut geprägt. Sicher sehen viele Kolleginnen und Kollegen zur Zeit – gerade wegen der Haltung der Gewerkschaftsspitze – keinen Weg ihre Wut in Widerstand zu verwandeln. Aber die Wut wiegt schwerer als die Unsicherheit. Auf Personalversammlungen im öffentlichen Dienst in Stuttgart herrscht eine Stimmung, wie sie selbst altgediente GewerkschafterInnen „noch nicht erlebt“ haben. Ein Mitglied des Landesvorstands von verdi Hamburg erklärt, dass er noch nie so viele Gespräche über die Frage eines Generalstreiks in der Gewerkschaft mitbekommen hat, wie in den letzten Wochen. Über 150 Menschen, darunter sehr viele Beschäftigte und Gewerkschaftsmitglieder, haben an einer Versammlung des Berliner Sozialforums teilgenommen und den Aufruf der LabourNet-Redakteurin Mag Wompel unabhängig von der Gewerkschaftsführung in die Offensive zu gehen mit enormem Beifall quittiert. Mehrere RednerInnen forderten unter ebenso großem Beifall dazu auf, von unten die Initiative zu einer bundesweiten Großdemonstration gegen die Agenda 2010 im Herbst zu ergreifen. Andere betonten die Notwendigkeit eines Generalstreiks. Diese Forderung war auch auf Transparenten bei Arbeiterdemonstrationen in Berlin, Wiesbaden, Bochum und Mannheim in den letzten Wochen zu lesen. In Schweinfurt streikten im Frühjahr über 4.000 MetallarbeiterInnen gegen die Agenda 2010 und bewiesen eindrucksvoll, dass politischer Streik möglich ist.

Sicher sind die Voraussetzungen für eine Massenbewegung gegen die Agenda 2010 durch die Niederlage des Ostmetallerstreiks verschlechtert. Die Gewerkschaftsbonzen werden noch mehr auf die Bremse treten, Druck auf kämpferische KollegInnen ausüben und versuchen die Beschäftigten zu demobilisieren. Das bedeutet aber nicht, dass es in diesem Herbst nicht zu Kämpfen kommen kann. In den Gewerkschaften setzt sich bei mehr und mehr AktivistInnen die Erkenntnis durch, dass man nicht auf die Gewerkschaftsführung warten darf, sondern Widerstand von unten organisieren muss. Dies kann sich im Herbst durch lokale Streiks oder durch eine bundesweite Demonstration von Zehntausenden gegen die Agenda 2010, zu der gewerkschaftliche Gliederungen zusammen mit Attac, Sozialforen, Anti-Hartz-Bündnissen und anderen aufrufen, ausdrücken. Ob der Druck von unten schon in diesem Herbst reichen wird, um die Gewerkschaftsführungen zu Mobilisierungen zu zwingen, ist fraglich.

Es ist möglich, dass eine Explosion von Protesten und Kämpfen, die dann auch von der Gewerkschaftsführung aufgegriffen und (zumindest in Worten) unterstützt werden müssen, erst bei einer nächsten Angriffswelle von Regierung und Kapital erfolgt. Eine solche nächste Welle von Angriffen ist angesichts der wirtschaftlichen Krise und der Aussagen aller Kapitalvertreter aber so sicher wie das Amen in der Kirche. Schröder und die Bosse haben Blut geleckt und sie werden das Tempo der Angriffe weiter erhöhen. Sie verschätzen sich, wenn sie an einen widerstandslosen Durchmarsch glauben. In der jetzigen Situation kann jede Maßnahme, mag sie auch noch so begrenzt sein, der Tropfen sein, der das Fass zum überlaufen bringen wird. Möglich ist auch, dass ein betrieblicher Kampf – zum Beispiel der Kampf einer Belegschaft gegen die Schließung ihres Werks oder der Kampf der Beschäftigten eines Konzerns gegen Massenentlassungen – die Initialzündung für eine breite Protestwelle gibt.

Die Aufgaben von Gewerkschaftsaktiven

Kämpferische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sollten sich in oppositionellen Strukturen zusammen schließen und eine programmatische und personelle Alternative zu den heutigen SpitzenfunktionärInnen aufbauen. Die Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken sollte über den Informationsaustausch hinaus gehen und zu einer kampagnefähigen kämpferischen Strömung innerhalb des DGB werden. Dazu ist es nötig arbeitsfähige und demokratische Strukturen und eine gemeinsame programmatische Grundlage zu entwickeln. Es gilt nun nicht darauf zu warten und nicht darauf zu hoffen, dass sich die Gewerkschaftsführung in den nächsten Wochen und Monaten bewegt. Kämpferische GewerkschafterInnen müssen gemeinsam mit den sozialen Bewegungen und linken Strukturen in die Offensive gehen. Dabei darf auf solch „linke“ GewerkschaftsfunktionärInnen, die nicht bereit sind den Kampf gegen die SPD zu führen keine Rücksicht genommen werden. Nur wenn es zu Streiks und Protesten von unten kommt, nur wenn ein breiter Aufruf für eine bundesweite Demonstration gegen die Agenda 2010 für den Herbst zustande kommt, besteht noch die Möglichkeit, dass die gewerkschaftlichen Apparate durch den Druck von unten zum Handeln gezwungen werden. Um dies zu erreichen muss die Gewerkschaftslinke Aufgaben übernehmen, die eigentlich Aufgaben der Gewerkschaften selber wären: zum Beispiel eine breit angelegte Informationskampagne mit Massenflugblättern über die Auswirkungen der Agenda 2010 zu führen und konkrete Kampfmaßnahmen vorzuschlagen und anzustoßen.

Dabei kommt der Frage einer bundesweiten Demonstration eine besondere Bedeutung zu. Innerhalb von verdi Stuttgart wird darüber diskutiert, Druck für eine solche Demonstration zu machen. Lothar Nätebusch, der IG BAU-Vorsitzende von Berlin, hat angekündigt, dass seine Gewerkschaft einen Beschluss für eine solche Demonstration fassen wird und alle Anstrengungen in diese Richtung unterstützen wird. Mag Wompel hat angekündigt, dass sie die Idee bei dem bundesweiten Treffen der Anti-Hartz-Bündnisse am 19. Juli zur Diskussion stellen wird. Die bundesweite Aktionskonferenz, die am 3. August im Rahmen der Attac-Sommerakademie in Münster stattfinden wird, sollte beschließen, eine solche Demonstration zu organisieren und ein Demo-Bündnis ins Leben rufen. GewerkschafterInnen sollten Anträge für eine solche Demonstration in alle gewerkschaftlichen Gliederungen einbringen und konkrete Maßnahmen zur Mobilisierung veranlassen.

Der Streikabbruch der IG Metall in Ostdeutschland war nicht die historische Niederlage, wie es uns die Kapitalistenfreunde aller Coleur weis machen wollen. Es war ein Rückschlag, ein Punktsieg für das Kapital. Aber die größte Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit in der Geschichte der Bundesrepublik hat gerade erst begonnen. Die Bosse und Bonzen haben die ersten Züge ergriffen und eine Klassenkampfoffensive von oben gestartet. Die Arbeiterklasse wurde unvorbereitet getroffen und verfügt zur Zeit über keine Organisationen, die sie unmittelbar für die Verteidigung ihrer Interessen einsetzen könnte. Der Kampf die Gewerkschaften zurück zu erobern und wieder zu Kampforganisationen zu machen, ist Teil des Kampfes gegen die Unternehmeroffensive. Eine Gegenoffensive ist nötig und sie bereitet sich in der wachsenden Wut und Unzufriedenheit unter den Beschäftigten gerade vor. Es ist nicht möglich exakt vorauszusehen, wie schnell sich diese Wut Bahn brechen und in Widerstand verwandeln wird. Dies wird möglicherweise schneller geschehen, als es heute abzusehen ist. In diesem Sinne kann man der nach dem Streikabbruch permanent grinsenden Fratze von CDU-Scharfmacher Friedrich Merz ein „Zu früh gefreut, Herr Merz!“ entgegen rufen.

Neue Arbeiterpartei nötig

Die Angriffe der Agenda 2010, die mit dem neuen Bundeshaushalt verbundenen Kürzungen und die Haltung der rot-grünen Regierung beim Ostmetallstreik belegen einmal mehr, dass diese Regierung einhundertprozentig die Interessen der Banken und Konzerne vertritt. Die Rücksichtnahme der Gewerkschaftsführung auf die SPD-Regierung muss ein Ende haben! Das Argument, dass ein Regierungswechsel zur CDU/CSU keine Verbesserung bringen würde, ist ein Argument für Untätigkeit. Es gibt keinen qualitativen Unterschied zwischen SPD und CDU/CSU mehr. Die SPD ist für die Arbeiterklasse verloren. Das haben nicht zuletzt der Verlauf des Sonderparteitages am 1. Juni und das peinliche Abschneiden des Mitgliederbegehrens gegen die Agenda 2010, das nur von 25.000 SPD-Mitgliedern unterstützt wurde, gezeigt. Immer mehr nehmen das zum Anlass um aus der SPD auszutreten.
Die Antwort auf die zur zeit existierende Alternativlosigkeit zu dieser Regierung (denn auch die PDS hat zu genüge bewiesen, dass sie sich an arbeitnehmerfeindlichen Regierungen beteiligt) kann nur sein, eine Alternative aufzubauen. Die Gewerkschaften müssen mit der SPD brechen! Und sie müssen an die Aufgabe herangehen, eine neue Arbeiterpartei aufzubauen, die konsequent die Interessen der arbeitenden und erwerbslosen Menschen vertritt und den Kampf gegen die Diktatur der Banken und Konzerne aufnimmt. .

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