Schikanen und Repressalien, um Gegenwehr einzuschüchtern
Um ihren Klassenkampf von oben durchzusetzen, fahren die Herrschenden immer schärfere Geschütze auf. Damit sie ihre Profitkrise auf dem Rücken der abhängig Beschäftigten und ihrer Familien abwälzen können, müssen auch demokratische Rechte dran glauben.
So wurde in den letzten Jahren jede Gelegenheit beim Schopfe gepackt, diese anzugehen, zum Beispiel durch Schilys Gesetze zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die Überwachung des öffentlichen Nahverkehrs und öffentlicher Plätze in verschiedenen Städten, aber auch auf betrieblicher Ebene durch die Aufweichung des Flächentarifvertrages und des Kündigungsschutzes, sowie härteres Vorgehen gegen AktivistInnen im Betrieb.
Gerade in den letzten Monaten wehte ein deutlich schärferer Wind. So wurde zum Beispiel im Juli eine Hausdurchsuchung bei drei Redakteuren des labournet durchgeführt, wobei sämtliche Computer, viele CD-ROMs, Disketten und Teile des archivierten Schriftverkehrs beschlagnahmt wurden. Es gab unzählige Vorfälle, bei denen betriebliche AktivistInnen aufgrund ihres Engagements gegen Stellenabbau im Betrieb harten Repressionen bis hin zur fristlosen Kündigung ausgesetzt waren, wie bei Eichbaum in Mannheim oder Cinram bei Aachen. Mitte Oktober verweigerte die deutsche Botschaft in Bagdad zudem die Einreise von zwei irakischen AktivistInnen der GUOE (Allgemeine Gewerkschaft der Beschäftigten im Ölsektor) aus Basra.
Aber auch linke Jugendliche sind ein Angriffsziel verstärkter Schikane durch den Staatsapparat. In Berlin fanden in den letzten Monaten eine Reihe von Übergriffen auf Linke und Anghörige der Antifaszene durch die Polizei statt. So beispielsweise Angriffe auf das besetzte Haus in der Yorkstraße in Berlin-Kreuzberg, auf die Diskothek Jeton oder Hausdurchsuchungen von Wohnungen und Läden der Antifaszene. Im August wurde das Camp Summer of Resistance in Berlin von einer Hundertschaft der Polizei gestürmt.
Notstandsgesetze
Was ist in puncto demkratische Rechte von der neuen Bundesregierung zu erwarten? Sicherlich nichts Gutes! 1968 verabschiedete die damalige Große Koalition unter Kiesinger (CDU) und Brandt (SPD) die so genannten Notstandsgesetze. Diese ermöglichen den Einsatz von Bundesgrenzschutz und Bundeswehr für den Fall der Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Dies könnte auch bei inneren Unruhen und politischen Streiks der Fall sein, falls die verfassungsmäßige Ordnung gefährdet wäre. Auch ist die Möglichkeit der Beschneidung von Brief- und Postgeheimnis sowie der so genannten Freizügigkeit vorgesehen. Viele gingen damals auf die Straße, um diesen massiven Einschnitt in die demokratischen Rechte zu verhindern – ohne Erfolg. Vor dem Hintergrund der polarisierten Lage in der Bundesrepublik und der zu erwartenden Klassenkämpfe könnten sie unter der neuen Großen Koalition erstmals in die Tat umgesetzt werden.
Parlamentarische Demokratie
Die BRD ist eine parlamentarische Demokratie, die uns, obwohl die eigentliche Macht in den Chefetagen der Konzerne konzentriert ist, doch eine Reihe von demokratischen Freiheiten zugesteht – die in der Vergangenheit von unten erkämpft wurden. Es gibt im Kapitalismus verschiedene Formen staatlicher Herrschaft. Dabei ist die Basis (die Eigentums- und Produktionsverhältnisse), überall die gleiche, während sich der staatliche Überbau unterscheiden kann (konstitutionelle Monarchie, parlamentarische Repu-blik, Militärdiktaturen und Faschismus).
Aus Sicht der Herrschenden hat sich die parlamentarische Demokratie heute als die billigste und effektivste Form erwiesen. Trotzdem gibt es – abhängig vom Kräfteverhältnis zwischen Arbeiter- und Unternehmerklasse und der allgemeinen ökonomischen und politischen Lage – immer ein Ringen darum, wie sehr uns demokratische Rechte zugestanden werden. So sind alle Errungenschaften auf diesem Gebiet Ergebnisse von Massenprotesten bis hin zu revolutionären Bewegungen, wie zum Beispiel die Koalitionsfreiheit (also das Recht, sich in Gewerkschaften zu organisieren), das Wahlrecht und vieles mehr. Tarifverträge oder Betriebsräte waren Zugeständnisse der Herrschenden, um die Ausbreitung revolutionärer Bestrebungen einzudämmen.
Wie sehr demokratische Rechte beschnitten werden können, hängt also immer vom Kräfteverhältnis ab. Nur eine starke Arbeiterbewegung kann den Vorstößen der Herrschenden Einhalt gebieten. Wirkliche demokratische Freiheit, die mehr bedeutet, als jedes vierte Jahr ein Kreuzchen machen zu dürfen, wird jedoch nur in einer sozialistischen Gesellschaft möglich sein.
von Nelli Tügel, Berlin