Debatte in der WASG über Regierungsbeteiligungen und die Realpolitik der Linkspartei/PDS
Bei den aktuellen Auseinandersetzungen über die Frage, ob die Berliner WASG unabhängig von der Regierungspartei Linkspartei/PDS zur Abgeordnetenhauswahl im September antreten soll, geht es nicht um Kleinigkeiten. Sondern um die Kernfrage, was linke Politik in diesem Land überhaupt bedeutet. Um die Alternative: Fortsetzung des Sozial- und Stellenabbaus im Namen der kapitalistischen Sachzwänge und des „kleineren Übels“ – oder Einleitung eines wirklichen Politikwechsels im Interesse der lohnabhängigen und erwerbslosen Mehrheit der Bevölkerung.
von Heino Berg, Bremen
Mit dem Bundesparteitag der WASG im März stehen die politischen Bestrebungen auf dem Spiel, die viele Tausend Mitglieder und SympathisantInnen mit der Wahlalternative verbunden haben. Hoffnungen auf eine neue, linke Sammlungsbewegung, die sich nicht mehr wie die SPD-Führung im Namen der „Sachzwänge der Globalisierung“ dem Willen der Konzernherren unterordnet.
Dieser neue Faktor auf der politischen Bühne, der entscheidend zum Erfolg der Linken bei der Bundestagswahl beigetragen hat, droht wieder in der Versenkung zu verschwinden, falls die WASG ausgerechnet in der Bundeshauptstadt das Ziel eines Politikwechsels einer kritiklosen Unterstützung für die neoliberale Politik des SPD/PDS-Senats opfern würde.
Bisky nimmt Kurs auf Regie-rungsbeteiligung im Bund
Auf dem Dresdner Parteitag hat der Vorsitzende der Linkspartei/PDS, Lothar Bisky, angekündigt, dass seine Partei nicht nur in Landesregierungen, sondern bei einem vorzeitigen Ende der Großen Koalition auch im Bund für eine rot-rot-grüne Koalition „blitzschnell“ zur Verfügung stehen könnte.
Bisky hat diesbezüglich nicht einmal Bedingungen formuliert. Heißt das also, ohne einen Kurswechsel der SPD, ohne ein klares Nein zu Hartz IV, zur Agenda 2010 und zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr?
Da sich der sozialdemokratische Koalitionspartner bisher weder in der Berliner Landesregierung noch im Bund von einer Politik verabschiedet hat, die den Unternehmern Massenentlassungen bei gleichzeitigen Rekordgewinnen erlaubt, beginnt sich Bisky seinerseits von den Zielen zu verabschieden, für welche die Linke bei der Bundestagswahl angetreten ist.
Der SPIEGEL, jeder Sympathie für die „trotzkistischen Sektierer“ in der Berliner WASG wohl unverdächtig, beschreibt in Heft 51 wie „die Spitze der Linken die Partei auf Realpolitik einschwört – in der Hoffnung auf ein rot-rot-grünes Bündnis. Dafür würde sie sogar die Haltung zu UNO-Einsätzen und Hartz IV überdenken.“ Dafür wollen die linken „Spitzenpolitiker vor allem zwei Hürden schleifen, die den kühnen Träumen von der Macht im Bund bislang im Wege stehen: Die Beschlüsse, die jedes Ja zu UNO-Einsätzen verbieten und die pure Ablehnung der Arbeitsmarktreform Hartz IV. (…) Gysi wirbt für Einzelfallprüfung von Blauhelm-Missionen. Ramelow will Hartz IV nach vorn auflösen. (…) Im Klartext: Deutliche Nachbesserungen – aber keine Rückkehr zum alten System.“
Lafontaine und die Linke im Bundestag
Es ist nicht nur die langjährige Führungsriege der PDS, die auf eine Regierungsbeteiligung im Bund schielt. Auch Oskar Lafontaine hat, zum Beispiel auf eben jenem Dresdner Parteitag, öffentlich der Berliner Senatspolitik seine Unterstützung ausgesprochen. Mit dem gleichen Argument, dass die alternativlose Politik der „Haushaltskonsolidierung“ dank der Linkspartei/PDS wenigstens ein Stück weit sozial abgefedert werden könnte. Ein Argument, das auch bald auf Bundesebene herhalten dürfte.
Vor dem Hintergrund solcher Regierungsambitionen wundert es nicht, dass die Bundestagsfraktion der Linkspartei/PDS nicht einmal die angekündigte Klage gegen Hartz IV auf den Weg gebracht hat und dass bei ihnen nicht mehr von einer Rückkehr zur unbefristeten Arbeitslosenhilfe die Rede ist.
Hier zeichnet sich eine Weichenstellung ab, die um des Regierens willen alles über Bord wirft, was eine Regierungsbeteiligung von Linken erst sinnvoll machen könnte. Anstatt ein Mittel zur Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen gegen das Diktat der Konzerne zu bleiben, droht die Regierungsbeteiligung und die „Einheit der Linken“ ein Selbstzweck zu werden, dem sämtliche Wahlversprechungen unterzuordnen sind.
Die einzige Rechtfertigung für diese Abkehr von allem, was antikapitalistische Politik ausmacht, ist die Drohung mit noch schlimmeren Alternativen schwarz-roter oder schwarz-gelber Koalitionsregierungen. Mit diesem noch größeren, denkbaren Übel begründet die Berliner Linkspartei/PDS ihre Unterstützung für Sozialkürzungen, für den Ausstieg aus Tarifverträgen, für Stellenkürzungen und für den Einrichtung von Ein-Euro-Jobs.
Das Ergebnis waren keine Reformen im Sinne kleiner, aber realer Verbesserungen für die Lage der arbeitenden Bevölkerung, sondern Rückschritte. Mit dieser „Realpolitik“ des angeblich „kleineren Übels“ haben Schröder und Wowereit die Drecksarbeit für die Unternehmer erledigt und die sozialen Errungenschaften ausgehöhlt, die jetzt endgültig zertrümmert werden sollen.
Auf diesem neoliberalen Weg hat die SPD Millionen von WählerInnen und Hunderttausende von Mitgliedern verloren. Warum sollte sich die WASG, die als Alternative dazu gegründet wurde, nun von Bisky und Liebich in dieselbe Sackgasse treiben lassen und dort das hoffnungsvolle Projekt einer neuen, breiten Linkspartei als „Wurmfortsatz der PDS“ beerdigen?
Wann Regierungsbeteiligungen Sinn machen
Die WASG hat sich bisher keineswegs grundsätzlich gegen Regierungsbeteiligungen ausgesprochen, sondern dies an inhaltliche Bedingungen geknüpft, nämlich an die Einleitung eines politischen Kurswechsels. Zu Recht. Die Linke hat die Aufgabe, alle Möglichkeiten auszunutzen, die Lage der arbeitenden und erwerbslosen Menschen zu verbessern. Auch wenn die eigentliche Macht in den Chefetagen der Banken und Konzerne konzentriert ist, können über Regierungsbeteiligungen Sozialkürzungen gestoppt und Maßnahmen im Interesse der Lohnabhängigen ergriffen werden – vorausgesetzt, eine solche linke Regierung kann sich auf Massenproteste stützen, die enormen Druck auf Kapitaleigner und Vermögende ausüben.
Ohne diesen massiven Druck von der Straße und aus den Betrieben ist der von Gysi und Lafontaine, aber auch vielen Noch-Wählern erhoffte Kurswechsel der SPD, der die Voraussetzung für eine linke Koalitionsregierung bildet, ohnehin nicht vorstellbar.
Aufgaben in der Opposition
Auch in der Opposition lassen sich Dinge bewegen. Aber auch in diesem Fall gilt es, das Hauptgewicht auf den Widerstand in den Betrieben und auf der Straße zu legen. Abgeordnete sollten in der Protestbewegung fest verankert sein, diese mit aller Kraft stärken und vor allem die Selbstorganisation der abhängig Beschäftigten, der Erwerbslosen und der Jugend fördern. Auf dieser Basis kann das Parlament zum einen als Plattform genutzt werden, zum anderen können die Forderungen der Bewegung auch im Parlament erhoben werden – in Form von Anfragen, Beiträgen oder Gesetzesentwürfen.
Die Berliner Regierungspolitik ist kein Sonder-, sondern ein Präzedenzfall für die Zukunft der Linken in ganz Deutschland. Darum müssen sich die WASG-Mitglieder und AktivistInnen gegen Sozialabbau nicht nur in Berlin, sondern auch im Bund aktiv in diese Debatte einschalten.
Heino Berg ist Mitglied der WASG Bremen und Redakteur der Website www.linkspartei-debatte.de