Kaukasus: Nicht „Kalter Krieg“ sondern imperialistischer Krieg

Waffengang im Kaukasus und weltweit wachsende militärische Konflikte


 

Schrille Töne zwischen Washington und Moskau, russische und US-amerikanische Kriegsschiffe belauern sich im Schwarzen Meer, hektische Reisediplomatie von europäischen Staatschefs, EU- und NATO-Konferenzen lösen einander ab – der Krieg und der andauernde Konflikt um Georgien zog von Anbeginn weltweite Kreise.

von Georg Kümmel, Köln

Dass es in diesem Konflikt nicht um die karge Bergregion Südossetiens mit seinen gerade mal 75.000 EinwohnerInnen ging, weiß jeder. Durch Georgien führen gleich mehrere wichtige Pipelines für Öl und Gas. Aber auch das reicht nicht aus, um zu erklären, welches enorme Konfliktpotenzial sich hier zwischen Russland, den USA und den europäischen Staaten offenbarte.

Kein Systemgegensatz mehr zwischen Ost und West

Politiker und Zeitungs-Kommentatoren sprechen von der Rückkehr des „Kalten Krieges“. Das ist falsch. Erstens starben die Menschen, deren Leichname jetzt in der kalten Erde am Kaukasus liegen, in einem heißen Krieg. Zweitens standen sich im „Kalten Krieg“ zwei unterschiedliche Systeme gegenüber. Das machte den historisch besonderen Charakter dieser Periode aus. Auf der einen Seite stand ein Block kapitalistischer Staaten, militärisch organisiert in der NATO. Auf der anderen Seite die Ostblock-Staaten zusammengeschlossen im „Warschauer Pakt“. Entgegen der westlichen und östlichen Propaganda waren das zwar keine sozialistischen oder kommunistischen Länder, sondern undemokratische stalinistische Staaten. Aber nicht fehlende Demokratie, sondern die Tatsache, dass in diesem Teil der Welt der Kapitalismus abgeschafft war, war die Ursache dafür, dass sich beide Gesellschaftssysteme vierzig Jahre lang feindlich gegenüberstanden. Bis zum Zusammenbruch des Ostblocks wurde auf westlicher Seite die Aufrüstung mit der „kommunistischen“ Bedrohung gerechtfertigt.

Heute ist in sämtlichen Staaten des ehemaligen Ostblocks der Kapitalismus wieder zurückgekehrt. Der Systemgegensatz des „Kalten Krieges“ existiert nicht mehr, warum wird jetzt trotzdem von seiner Rückkehr geredet? Weil die Millionen Menschen, die Angst vor neuer Rüstungsspirale und neuen Kriegen haben, sich mit einer falschen Antwort zufrieden geben sollen, noch bevor sie die richtige Frage stellen: Wieso gibt es Krieg zwischen Staaten mit demselben Wirtschaftssystem? Ist dieses Wirtschaftssystem vielleicht die Ursache?

Kapitalismus bedeutet Krieg

Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri meldete im Juni einen neuen Rekordstand bei den weltweiten Rüstungsausgaben. Im letzten Jahrzehnt sind die Ausgaben für militärische Zwecke real um 45 Prozent gewachsen. Die Begrifflichkeit vom „Kalten Krieg“ wird wieder aufgewärmt, um eine einfache Tatsache zu verschleiern: Kapitalismus bedeutet Aufrüstung und Krieg. Doch warum ist das so? Können die Staaten ihre Konflikte nicht friedlich, „vernünftig“ lösen?

Der Kapitalismus beruht auf dem Konkurrenzkampf, auf dieses Prinzip sind die Verteidiger des kapitalistischen Systems sogar stolz. In diesem Kampf konkurrieren aber nicht nur einzelne Firmen und Konzerne gegeneinander, sondern auch Staaten und Staatenblöcke.

Das Ziel, das Motiv im Kapitalismus ist die Kapitalverwertung. Das eingesetzte Kapital muss ständig profitbringend investiert, das so vermehrte Kapital reinvestiert und abermals vermehrt werden.

Schon vor über hundert Jahren reichten dazu die Märkte im eigenen Land nicht mehr aus. Das britische, französische, deutsche Kapital suchte nach Anlagemöglichkeiten in anderen Teilen der Welt. Konkret suchte es in der restlichen Welt nach Rohstoffquellen, nach Menschen, deren Arbeitskraft ausgebeutet werden konnte und nach Absatzmärkten. Solange alle Beteiligten ihr Kapital vermehren konnten, war der Konkurrenzkampf mehr oder weniger friedlich. Vom wachsenden Kuchen bekam jeder ein wachsendes Stück ab. Sobald aber die ganze Welt unter den imperialistischen Mächten aufgeteilt war, profitable Möglichkeiten zur Neuanlage von Kapital nur noch auf Kosten und in den Einflusssphären der konkurrierenden Staaten gefunden werden konnten, wandelte sich der Konkurrenzkampf vom relativ friedlichen Wettbewerb zum Krieg. Das war die Ursache für den I. Weltkrieg, der erste allgemeine Krieg zwischen den imperialistischen Weltmächten der damaligen Zeit. Auch die kapitalistische Weltwirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre führte letztendlich zum noch grauenhafteren Massaker des II. Weltkrieges.

Zwischenimperialistische Spannungen

Heute stehen die großen kapitalistischen Länder vor einer ähnlichen Situation. Sie streben nach unbegrenzter Kapitalvermehrung und plündern dabei die begrenzten Rohstoffquellen. Auch die Absatzmärkte sind begrenzt, denn alle Kapitalisten wollen, dass ihre Kunden viel kaufen, ihre Beschäftigten aber sollen möglichst wenig verdienen.

Um den ökonomischen Interessen eines kapitalistischen Landes entsprechend Nachdruck verleihen zu können, bedarf es nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch militärischer Stärke. Deshalb wird aufgerüstet. Weil die meisten Länder zu klein sind, um allein in diesem Konkurrenzkampf bestehen zu können, suchen sie Bündnisse und Verbündete, wirtschaftlich und militärisch. Da ist zum Beispiel die Europäische Union (EU) unter der Führung Deutschlands und Frankreichs. Immer offensichtlicher wird der Widerspruch zu den Interessen der USA.

Die NATO hat ihren ursprünglichen Sinn als Bündnis gegen den gemeinsamen Gegner Ostblock verloren. Das wurde auch im Konflikt um Georgien deutlich – die USA sind für dessen Beitritt zur NATO, Frankreich und Deutschland sind dagegen.

Auch innerhalb der EU zeigen sich Risse. Großbritannien setzt mehr auf die USA, ebenso die baltischen Länder und Polen. Letztere sehen in den USA einen Verbündeten gegen die Großmachtinteressen Russlands – aber auch, um im Machtpoker innerhalb der EU nicht von Deutschland und Frankreich beliebig ausgenutzt werden zu können.

Deutscher Imperialismus

Auf globaler Ebene werden unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Terror auch innerimperialistische Machtkämpfe ausgetragen. Die Bundeswehrsoldaten sind nicht in erster Linie in Afghanistan, um den USA zu helfen. Es geht darum, in dieser energiepolitisch wichtigen Region einen Fuß in der Tür zu haben und es geht darum, die Menschen in Deutschland und in der Welt an den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland zu gewöhnen. Dass die BRD bis 1989 als drittstärkste kapitalistische Wirtschaftsmacht militärisch auf das Gebiet zwischen Flensburg und Friedrichshafen beschränkt war, stellte eine historische Ausnahmesituation dar. Im aktuellen „Weißbuch der Bundeswehr“ heißt es: „Aufgrund seiner Größe, Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft und seiner geografischen Lage in der Mitte des Kontinentes fällt dem vereinigten Deutschland eine wichtige Rolle bei der künftigen Gestaltung Europas und darüber hinaus zu.“ Und an anderer Stelle: „Die Bundeswehr beschreitet seit Jahren konsequent den Weg des Wandels zu einer Armee im Einsatz und verändert sich dabei tiefgreifend“ (Weißbuch 2006, Bundesministerium der Verteidigung).

Es gibt eine Alternative

Alle großen Wirtschaftsmächte, auch das aufstrebende China, steigern ihre Rüstungsausgaben. Die weltweite Krise der Wirtschaft, an deren Beginn wir gerade stehen, wird dazu führen, dass sich der globale Konkurrenzkampf um profitable Anlagemöglichkeiten, um billige Rohstoffe und Absatzmärkte noch mal drastisch verschärfen wird. Leidtragende werden die Beschäftigten, Erwerbslosen und armen Bauern rund um den Globus sein.

Doch sie werden sich wehren. Wir MarxistInnen sehen unsere Aufgabe darin, diesen Kampf zu unterstützen, indem wir einen Ausweg aufzeigen. Die Alternative zu kapitalistischer Krise und Krieg ist eine internationale sozialistische Demokratie. Der Aufruf „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“ ist aktueller denn je. Der Kampf für Sozialismus fände heute massenhaft Unterstützung, wenn die Idee nicht durch die Herrschaft einer privilegierten Bürokratie in Sowjetunion, DDR und anderen Ländern diskreditiert worden wäre. Wir verstehen unter Sozialismus eine Gesellschaft, die durch und durch demokratisch ist. Sozialismus ist keine Utopie, sondern Notwendigkeit.