Verhandlungen in der Sackgasse

Auch nach 35 Jahren ist in Zypern keine Einigung in Sicht


 

Vorbemerkung

Die im östlichen Mittelmeer gelegene Insel Zypern (750.000 Einwohner) wird im Wesentlichen von zwei Nationalitäten bewohnt. Nach den letzten Erhebungen (vor 1974) waren dies zu 80 Prozent Griechen und zu 20 Prozent Türken. Bis 1974 rechtsradikale zypriotische Griechen putschten und daraufhin die türkische Armee in den Norden der Insel einmarschierten, lebten die beiden Nationalitäten untereinander vermischt auf die gesamte Insel verteilt. 1974 vertrieb die türkische Armee alle Griechen aus dem von ihr besetzten Nordteil und die Türken verließen Südzypern und sammelten sich im türkischen Nordteil. Danach kamen noch Siedler aus der Türkei in den Norden. Immer wieder fanden Vereinigungsverhandlungen statt, die jedoch sämtlich scheiterten. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Süden 2008 siegte der linke Kandidat Christofias von der Fortschrittspartei des Arbeitenden Volkes (AKEL). Diese ist die ehemalige KP, die heute reformistisch orientiert ist. Dadurch kamen Hoffnungen in ganz Zypern auf, dass das Zypernproblem gelöst werden und die beiden Teile der Insel wieder auf irgendeine Weise vereinigt werden könnten. Dies deshalb, weil die Führer der beiden Teile, Christofias für den griechischen Süden und Talaat für den türkischen Norden sich kompromissbereit gaben und auch persönlich ganz gut miteinander auskamen. Die wiederaufgenommenen Verhandlungen befinden sich heute jedoch wieder in einer tiefen Sackgasse.

Die Schwesterorganisation der SAV in Griechenland „Xekinima“ veröffentlichte dazu am 9. Oktober 2009 auf ihrer Webseite einen Artikel, der hier in einer Übersetzung zugänglich gemacht werden soll.

Ende September begann in Zypern die zweite Runde der Gespräche zwischen Christofias und Talaat. Verschiedene Veröffentlichungen der Tagespresse verbreiteten Optimismus hinsichtlich der Lösung des Zypernproblems. Es ist jedoch rätselhaft, woher dieser Optimismus geschöpft wird. Das Bild im jetzigen Moment ist, dass es Meinungsverschiedenheiten in allen grundlegenden Fragen gibt. Wir bestreiten nicht, dass es Übereinstimmung bei Hunderten oder Tausenden von kleinen sekundären Fragen geben kann, doch ob es schließlich eine „Lösung“ geben kann, hängt von einer Einigung in den zentralen Fragen ab.

Die zentralen Fragen betreffen letztlich das Thema, wer die Macht auf der Insel ausübt und konkreter, wer den Nordteil kontrolliert. Dieser wird im Moment von der türkischen Seite kontrolliert und zwar von der türkischen und zyperntürkischen herrschenden Klasse und den jeweiligen Regierungen.

Worin bestehen die Meinungsverschiedenheiten?

Einige der grundlegenden Meinungsverschiedenheiten sind folgende:

1.Die Zuständigkeiten der Bundes – d.h. der Zentralregierung. Diese Zuständigkeiten betreffen die Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Verteidigung sowie die Außenpolitik.

2.Die türkisch-zypriotische Seite verlangt, dass die Zentralbank Zyperns keine entscheidende Rolle im Norden der Insel spielen soll, der sich unter türkisch-zypriotischer Verwaltung befindet. Stattdessen soll es im Nordteil eine autonome Abteilung der Zentralbank geben. Dies bedeutet, dass auf den beiden Seiten unterschiedliche Wirtschaftspolitiken umgesetzt werden können. Dies bedeutet weiterhin, dass die zentrale Bundesregierung eines zukünftigen möglichen zypriotischen Staates keine einheitliche Wirtschafts-, Finanz-, Währungs- oder Haushaltspolitik umsetzen kann.

3.Die türkisch-zypriotische Seite will, dass die beiden Seiten, die den zukünftigen möglichen zypriotischen Staat bilden werden, eine eigenständige Außenpolitik haben können. Mit anderen Worten, es wird keine einheitliche Außenpolitik geben können.

4.Beim Thema der Verteidigung betrachtet die türkisch-zypriotische Seite die Garantien der Türkei als unverhandelbar. Auf der anderen Seite kann die griechisch-zypriotische Seite auf keine Weise das einseitige Recht der Türkei akzeptieren, in die inneren Fragen Zyperns zu intervenieren.

5.Beim Thema der Gesetzgebung verlangt die türkisch-zypriotische Seite, dass es eine unabhängige Gesetzgebung des türkisch-zypriotischen Teils gibt, die gleichwertig ist mit der Gesetzgebung des Bundesstaates. Mit anderen Worten: die Gesetze des zypriotischen Bundesstaates werden nicht auf der Gesamtheit der Insel gültig sein können. Der südliche und der nördliche Teil werden ihre eigenen unterschiedlichen Gesetze haben.

6.Die griechisch-zypriotische Seite verlangt, dass Teile des nördlichen Teils der Insel über diejenigen Territorien hinaus, die ihr zurückgegeben werden (wie zum Beispiel Ammochostos), griechisch-zypriotische Enklaven bilden innerhalb des türkischen Teils (beispielsweise Karpasia und 2-3 weitere Gebiete). Die türkisch-zypriotische Seite verweigert dies nachdrücklich und will ein geografisch einheitliches Nordzypern unter türkisch-zypriotischer Verwaltung. Und zwar ohne bedeutende Ansammlungen von griechisch-zypriotischen Bevölkerungen auf ihrem Gebiet, die dem griechisch-zypriotischen Bestandteil des Staates unterstehen würden.

7.Auch ist die türkisch-zypriotische Seite nicht dazu bereit, Freiheit der Kapitalbewegung, des Erwerbs von Besitz und Niederlassungsfreiheit zu akzeptieren.

8.All dies steht im Widerspruch zu EU-Prinzipien (Südzypern ist im Gegensatz zum Norden ein Mitgliedsstaat der EU, Anm. d. Übers.). Die türkisch-zypriotische Seite verlangt eine ständige Ausnahmeregelung von diesen EU-Prinzipien. Dies ist etwas, was die griechisch-zypriotische Seite nicht akzeptieren kann.

9.Entsprechend große Differenzen gibt es bei den Themen der Siedler (türkische Bevölkerung aus der Türkei, die nach Nordzypern übergesiedelt ist, Anm. d. Übers.) sowie der Anwesenheit türkischer Truppen. Die griechisch-zypriotische Seite dagegen unterstützt die Demilitarisierung der Insel, was die türkisch-zypriotische Seite ausschließt. Außerdem schlägt die griechisch-zypriotische Seite vor, dass nicht mehr als 50.000 Siedler bleiben dürfen, was die türkisch-zypriotische Seite als wahnsinnig niedrig betrachtet.

Es ist außerordentlich schwierig, zu sehen, dass es bei diesen fundamentalen Gegensätzen eine Einigung geben kann. Denn diese betreffen nicht die Frage, ob die Gebiete, die an die griechisch-zypriotische Seite zurückgegeben werden, ein oder zwei Prozent mehr oder weniger sind. Ebensowenig betreffen sie die Frage, ob die 1974 aus dem Norden in den Süden geflüchteten griechischen Zyprioten, die zurückkehren werden können, ein oder zwei Prozent mehr oder weniger sind. Wenn die Differenzen sich auf diesem Niveau bewegen würden, wäre eine Einigung relativ einfach.

Doch die derzeit bestehenden Differenzen berühren das Wesentliche des Zypernproblems. Sie betreffen die Frage, wer im Norden der Insel die Macht ausübt. Was im Wesentlichen die „türkische Seite“ verlangt, ist, dass die griechischen Zyprioten kein wesentliches Mitspracherecht bei der Verwaltung von Nordzypern haben sollen. In diesem Staat werden die türkisch-zypriotische und die türkische herrschende Klasse das Sagen haben. Wenn die Forderungen der türkisch-zypriotische Seite akzeptiert würden, wäre dies in der Praxis gleichbedeutend mit zwei unabhängigen Staaten. Wenn dies von der griechisch-zypriotischen Seite akzeptiert würde, dann würde die schon bestehende Teilung sich beschleunigen. Ebenso die Anerkennung von Nordzypern durch das Ausland, was in der Praxis ebenfalls zwei unabhängige Staaten bedeuten würde. (Der türkische Nordteil ist von der UN und den meisten Staaten nicht anerkannt, Anm. d. Übers.)

Das Bild sieht sehr pessimistisch aus. Nach 35 Jahren Verhandlungen bleiben die Differenzen im Wesentlichen dieselben. Dies bestätigt die Position, an der wir seit vielen Jahren festhalten, dass es nämlich auf der Basis des Kapitalismus keine Lösung geben kann, die die beiden Gemeinschaften der Insel vereint, die griechischen und die türkischen Zyprioten.

Eine Lösung kann es nur geben im Rahmen der gemeinsamen Kämpfe der griechisch-zypriotischen und der türkisch-zypriotischen Lohnabhängigen und einfachen Leute, die nichts trennt. Gegen die herrschenden Klassen, die um die Herrschaft konkurrieren, gegen die Nationalisten, gegen die Vaterländer (gemeint sind Griechenland und die Türkei, Anm. d. Übers.) und gegen die ständigen Einmischungen der Imperialisten.

Übersetzung aus dem Neugriechischen von Hubert Schönthaler