Bericht vom bundesweiten Bildungsstreiktreffen vom 18. bis 20. Dezember in Potsdam
Nachdem in den letzten Monaten über siebzig Universitäten und Fachhochschulen in der ganzen Bundesrepublik – und auch darüber hinaus – besetzt wurden und wieder zehntausende SchülerInnen und Studierende gegen die Missstände im Bildungssystem protestierten, trafen sich vom 18. bis 20. Dezember circa 150 AktivistInnen aus 43 Städten in den besetzten Räumen der Universität Potsdam, um über Probleme und Perspektiven der aktuellen Bewegung zu beraten.
von Paula Rauch, Berlin
Überschatten von endlosen Verfahrensdebatten über den Einsatz von Mikrofonen, Entscheidungsfragen und ein "korrektes" Diskussionsverhalten, wurde in verschiedenen Arbeitsgruppen zu Problemen und Perspektiven des Bildungsstreiks beraten. So ging es beispielsweise um eine Auswertung der letzten Monate, die allerdings in einer Diskussion um Struktur und Selbstverständnis unterging und daraus resultierend die Aufstellung eines neuen Protestfahrplans für 2010. Der von SAV-Mitgliedern und anderen eingebrachte Vorschlag für eine dreiteilige Eskalationsstrategie wurde in Teilen aufgegriffen. Mit einer Fortsetzung und Eskalation der Bewegung, beginnend bei Vollversammlungen in allen Bildungseinrichtungen Anfang Januar, einem Höhepunkt am Ende des Semesters und Schulhalbjahres mit zeitgleichen regionalen und themenbezogenen Demonstrationen und einer strukturierten Vorbereitung der nächsten Protestwelle während der Semester- und Osterferien hätte eine Steigerung der Proteste in Quantität und Qualität ermöglichen können. Neben dem Bolognajubiläum vom 11. bis 13. März in Budapest und Wien, zu denen es einen Gegengipfel und eine internationale Großdemonstration in Wien geben wird, wurde allerdings nur ein grober Rahmenplan für die Proteste im April und Juni ausgearbeitet, der auf dem nächsten bundesweiten Treffen Anfang Februar in Bielefeld weiter ausgearbeitet werden soll. Der Plan, anlässlich der NRW-Landtagswahl am 9. Mai mit bundesweiten Aktionen und einer zentralen Demo in NRW das neue Semster zu beginnen um dann vorraussichtlich in der zweiten Juni-Woche eine unbefristete Streik- und Besetzungszeit auszurufen, kann einen besseren Aufbau und Organisation der Bewegung als im Herbst ermöglichen. Ein- oder mehrtägige Streiks an Schulen oder sogar weiter gehende Schulbesetzungen müssten in einen solche "Bildungsstreikagenda" eingearbeitet werden. Ein weiterer von SAV-Mitgliedern unterstützter Termin ist der 12. Juni, an dem das "Wir zahlen nicht für eure Krise"-Bündnis einen gemeinsamen Aktionstag mit dem Bildungsstreik vorschlägt. Wenn diesmal mehr Studierende, SchülerInnen und Beschäftigte mit einbezogen werden können, ist ein Streik möglich, der an Dynamik gewinnen und substantielle Verbesserungen erringen kann.
Forderungen und Verbreitung
In weiteren Arbeitsgruppen wurde über die Einbeziehung von Beschäftigten, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen debattiert, andere beschäftigten sich mit einer Neuaufstellung der bundesweiten Forderungen, die jetzt in eine längerfristig arbeitende Arbeitsgruppe gegeben wurde. Wieder ein anderes Thema ist Ausgrenzung der SchülerInnen aus der Bewegung: Sie wurden von Medien und Politikern zwar bewusst, durch die Studierenden, aber größtenteils unbewusst und ungewollt ausgegrenzt. Um dem entgegen zu wirken soll ihnen jetzt mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dass SchülerInnen und ihre Forderungen schon seit dem Juni in der Berichterstattung und durch die verantwortlichen PolitikerInnen nicht mehr zur Geltung kommen und wie dies in Zukunft verhindert werden kann, kam allerdings wenig zur Sprache. Hier hätte es eigentlich darum gehen müssen, wie die Forderungen der SchülerInnen so unmissverständlich klar und in einem auf die Kernforderungen reduzierten Katalog zugespitzt werden können, dass es unmöglich wird sie zu ignorieren. Und es ist nötig, Strukturen zu schaffen, in denen Schülerinnen und Schüler einen Platz finden, den sie selbständig ausfüllen und durch den sie ihre spazifischen Forderungen und Anliegen zum Ausdruck bringen können.
Sozialistische Ideen für den Widerstand
Zu Beginn der Konferenz gab es wegen dem Verkauf der Solidarität – Sozialistische Zeitung, eine Diskussion, ob politische Gruppen Materialien verbreiten dürfen. Es ist sicher verständlich, dass die Ablehnung etablierter Parteien und negative Erfahrungen mit Vereinnahmungsversuchen durch politische Gruppen bei AktivistInnen Skepsis gegenüber organisierten politischen Gruppen haben entstehen lassen. Aber der freie Austausch von Meinungen und Ideen ist eine notwendige Voraussetzung für den Aufbau und den Erfolg einer demokratischen Widerstandsbewegung. Gemeinsam mit anderen verteidigten SAV-Mitglieder die Notwendigkeit für Meinungsfreiheit in der Bewegung und dass Organisationen und weitergehende Ideen ihre Berechtigung im Bildungsstreik haben. Das in Potsdam geltende Materialverbot wurde daraufhin teilweise aufgehoben. Bildung ist nicht losgelöst von gesellschaftlichen Verhältnissen und wenn wir für bessere Bildung kämpfen, müssen wir die Verteilung von Reichtum, die Frage, wer über Bildungsinhalte und Gestaltung bestimmt und das Profitsystem als ganzes debattieren. Deshalb stärkt eine sozialistische Perspektive die Bewegung und ist es sinnvoll, dass sich SchülerInnen und Studierende auch sozialistisch organisieren.
Insgesamt war das Treffen mit über 150 AktivistInnen aus über 40 Städten sehr gut besucht, was auf die Stärke der Bewegung in den letzten zwei Monaten zurückgeht, allerdings wurden Produktivität und Motivation der TeilnehmerInenn durch die endlosen Verfahrensdebatten gedämpft. Anstatt sich stundenlang über den Entscheidungsfindungsmodus zu streiten müssen wir endlich zu einer inhaltlichen Diskussion zurückkehren, aus der wir alle auch viel mehr mitnehmen können.