Vor 20 Jahren wurde die Kopfsteuer in Großbritannien verhindert und das Ende der Thatcher-Regierung eingeläutet
Demonstrationen und vor allem der Massenboykott mit rund 18 Millionen Beteiligten waren Anfang der 1990er Jahre wichtiger Bestandteil für den Erfolg des Widerstands gegen die englische Kopfsteuer (Poll Tax). Mittels der Kopfsteuer sollte die Arbeiterklasse Großbritanniens für die neoliberale Politik der damaligen Tory-Regierung herhalten und kräftig geschröpft werden.
Die britische Schwesterorganisation der SAV, die Socialist Party (damals "Militant"), spielte eine wichtige Rolle bei der Organisation der Massenproteste und -boykotts, die letztlich sogar zum Sturz der verhassten Premierministerin Margaret Thatcher führten. Anders als zum Beispiel AnarchistInnen argumentierten, waren aber hierbei nicht die "gewalttätige Ausschreitung gegen die Kopfsteuer" entscheidend.
Dokumentiert ist hier ein Artikel von Louise James, erschienen im Dezember 1990 in der Militant International Review, dem Magazin der britischen Schwesterorganisation der SAV, welches heute Socialism Today heißt. James kommentiert als eine der damals führenden Aktivistinnen der britischen Vereinigung gegen die Kopfsteuer die Aussage von den AnarchistInnen, die die Gewalt während der Ereignisse im März als „positiven und konstruktiven Beitrag des Widerstands“ bezeichneten. Der Artikel ist ein wichtiger Beitrag auch zur Frage, welche Kampfmethoden den Klassenkampf voran bringen können.
Zur Bedeutung der Demonstration am 31. März 1990 und dem Ende der neoliberalen Regierung Thatchers
Die Demonstration der britischen Vereinigung gegen die Kopfsteuer im März, an der sich über 200.000 Menschen beteiligten, war ein Schock für die herrschende Klasse Großbritanniens.
Die wachsende Wut über die Kopfsteuer hatte sich in einer kämpferischen englandweiten Massendemonstration ausgedrückt, die von dem Labour Party-Vertreter Tony Benn zu dieser Zeit als „die größte seit hundert Jahren“ bezeichnet wurde. In den vorhergehenden zwei Monaten hatten lokale Widerstandskomitees, die sogenannten Anti-Poll Tax Unions (APTU), bereits über 6.000 öffentliche Versammlungen und Demonstrationen organisiert, während die öffentliche Unterstützung von Thatchers Tory-Regierung zusammenbrach.
Nicht überraschend war das Vorgehen der Torys, die mit einer "Rote Socken"-Kampagne Panik zu schüren versuchten und behaupteten, dass der Protest gegen die Kopfsteuer von SozialistInnen instrumentalisiert sei, besonders von Militant (heute Socialist Party, britische Schwesterorganisation der SAV), die damals eine marxistische Strömung in der Labour Party war.
Es wurde außerdem versucht, Militant für die gewalttätigen Ausschreitungen verantwortlich zu machen, die im Anschluss an die Demonstration am 31. März 1990 stattfanden. Aber wer hatte eigentlich mit der Gewalt angefangen? Bewiesen ist heute, dass die Polizei während und nach der Demonstration planmäßig die Demonstration und führende AktivistInnen angriff. Bei der Anmeldung der Demonstration getroffene Vereinbarungen zwischen der Vereinigung gegen die Kopfsteuer und der Polizei wurden von dieser gebrochen.
Ohne Angabe eines Grund wurden die Sammelstellen für die anreisenden DemonstrantInnen geändert, so dass OrdnerInnen aus dem Umland nicht den vereinbarten Treffpunkt erreichen und sich so auch nicht koordinieren konnten. Die Polizei missachtete Vereinbarungen was Sitzblockaden während der Proteste anging. Stattdessen nahmen Polizeikräfte die Blockaden als Anlass um DemonstrantInnen zu provozieren und zu attackieren. Dass war der Grund für die Eskalation, die selbst die Polizei überraschte. Aus der Gegenwehr aus den Reihen der Demonstration entwickelten sich ernsthaftere Zusammenstöße mit den Polizeieinheiten und schließlich Ausschreitungen in den Straßen mit Plünderungen von Geschäften.
Bezeichnenderweise wurde direkt nach den Demonstration eine Meinungsumfrage in Auftrag gegeben, in der behauptet wurde, dass Militant und andere anarchistische Gruppen (!) hinter der Gewalt stecken würden, und bei der gefragt wurde, ob die Regierung nicht rechtliche Maßnahmen gegen solche Gruppen ergreifen solle. Das beteiligte Meinungsforschungsintitut weigerte sich Auskunft darüber zu geben, in wessen Auftrag diese Umfrage durchgeführt wurde. Die Tory-Regierung stritt jedenfalls vehement ab, dass sie der Auftraggeber war.
Hatten die Herrschenden also geplant, den 31. März als Anlass zu nehmen, weitergehende Maßnahmen gegen die Führung der Bewegung ergreifen zu können? Zweifellos. So führte doch das Vorgehen der Polizei (das unter dem Decknamen „Operation Carnaby“ lief) zu einer beispiellosen Verhaftungswelle. Insgesamt wurden über 500 Menschen verhaftet. Es folgten frühmorgendliche Hausdurchsuchungen in den Wohnungen führender AktivistInnen der Bewegung gegen die Kopfsteuer in Islington, Hackney und den East Midlands.
Aber der Versuch der Torys, die Bewegung durch das Provozieren gewalttätiger Ausschreitungen von ihrem Kurs abzubringen ging eindeutig nach hinten los. Eine Umfrage, die von der Zeitung The Sundy Correspondent im April 1990 veröffentlicht wurde zeigte, dass dreimal so viel Befragte den Torys die Schuld für die Gewalt in die Schuhe schob als der Labour Party. Zu viele Menschen waren bereits von der Kampagne gegen die Kopfsteuer angesteckt, als dass die "Rote Socken"-Kampagne der Torys hätte Früchte tragen können.
Die Kampagne für einen Boykott der Kopfsteuer, die Auftrieb durch die Größe der Demonstration vom 31. März bekommen hatte, gewann immer mehr an Unterstützung.
Die aus der Stärke der Bewegung erwirkte Unfähigkeit Margaret Thatchers die Kopfsteuer einzuführen war entscheidender Grund dafür, dass sie als Premierministerin ihren Hut nehmen musste.
Die gewalttätigen Zusammenstöße und die Plünderungen, die am Ende der Demonstration stattfanden, sind von verschiedenen "anarchistischen" Gruppierungen dazu benutzt worden, eine theoretische Rechtfertigung der Gewalt als Kampfmittel gegen die Kopfsteuer voranzutreiben. Es erschien ein politisches Magazin mit dem Titel „Die Poll Tax Ausschreitungen: 10 Stunden, die den Trafalgar Square erschütterten“, die in Randgruppen der Bewegung gegen die Kopfsteuer verbreitet wurde.
Produziert wurde die Broschüre von einem anarchistischen Verlag, der ACAB-Presse. Die Schrift sollte angeblich eine Sammlung individueller Zuschriften sein, die dem ACAB-Verlag in den Wochen nach dem 31. März 1990 anonym zugesandt worden sein. Wahr ist das allerdings nicht. Viele der zwölf Autoren der Streitschrift sind Mitglieder anarchistischer Gruppen. Während der besagte Verlag für sich in Anspruch nahm „die andere Seite der Geschichte beleuchten“ zu wollen (in Gegensatz also zu dem, was die bürgerlichen Massenmedien verbreiteten), wurden die Mitglieder der lokale Widerstandskomitees, obwohl diese das Rückgrat des Boykotts der Kopfsteuer darstellten, erst gar nicht gefragt.
Überraschen sollte dies nicht. Die große Mehrheit der an den Proteste gegen die Kopfsteuer Beteiligten würden nicht mit den Aussagen des Magazin der ACAB-Presse übereinstimmen, die zum Beispiel behauptet, dass die Bewegung „nur über einen Weg weiter nach vorne kommen könne“, nämlich „über die extreme Gewalt, eine Reihe eskalierenden Konfrontationen mit "ArbeiterInnen" [diese Anführungsstriche setzten die Verfasser selber, L.J.] und dem Staat, vor allem der Polizei.“ Sie würden es gutheißen, dass der Londoner Convent Garden sowie „der ganze Straßenzug zerstört wurde. Überall Glassplitter, Banken und Geschäfte zerstört, eine wahre Orgie der Zerstörung und Plünderung“, „das war der krönende Abschluss des Tages.“
In der Broschüre „Die Poll Tax Ausschreitungen: 10 Stunden, die den Trafalgar Square erschütterten“ wurden nicht nur Plünderungen und Gewalt gelobt, sondern das als einen „positiven und konstruktiven Beitrag für den Kampf gegen die Kopfsteuer und den aktuellen Klassenkampf an sich“ bezeichnet. Ungeachtet dessen, wie wenig Unterstützung solche Ideen finden, sollten sich MarxistInnen konsequenterweise die Frage stellen, ob Plünderungen und gewalttätige Eskalationen mit der Polizei eine ernsthafte Perspektive für den Kampf gegen den Sozialabbau ist.
Die Hintergründe der Boykott-Kampagne
Die ACAB-Press argumentierte, dass – wenn es keine gewaltsamen Ausschreitungen gegeben hätte – die Demonstration nicht mehr Aufmerksamkeit bekommen hätte als „ein paar Zeilen in der Zeitung oder eine kurze Erwähnung in den Fernsehnachrichten“. Stimmt es, dass – wie die AnarchistInnen behaupten – die Leute, die an der Demonstration teilgenommen haben, die Kopfsteuer bezahlt hätten, wenn es keine große Aufmerksamkeit durch die Medien gegeben wäre? Natürlich nicht!
Tatsächlich widersprachen sich hier die AnarchistInnen selber, wenn sie in der Broschüre schrieben: „Erinnert ihr euch noch an die Demonstration gegen die Kopfsteuer in Glasgow im April 1989? Über 20.000 Menschen kamen, und trotzdem wurden die Proteste von der Presse weitgehend ignoriert.“
Hatten die ACAB-Autoren denn nicht mitbekommen, dass der Boykott der Steuer weiterging, obwohl keine Steine geschmissen wurden oder Geschäfte angezündet wurden?
Die Bewegung gegen die Kopfsteuer konnte sich weiter entwickeln, ungeachtet dessen, wie die Medien Informationen hierüber verbreiteten. In Schottland hatten die bürgerlichen Medien die Boykott-Kampagne drei Jahre lang ignoriert. Aber das Totschweigen der Kampagne hatte nicht verhindern können, dass sie sich weiter nach England und Wales ausbreiten konnte. Die Bewegung hatte sich ihre Strukturen geschaffen und Wege gefunden, wie die eigenen Informationen verbreitet werden können.
Die Demonstration am 31. März 1990 wurde vorbereitet von 1.500 lokalen Widerstandskomitees, die über eine Million Flugblätter und 100.000 Plakate verfügten. Die Demonstration in London wurde allein von der Bewegung gestemmt.
Die täglichen Aktivitäten, wie das Verteilen von Flugblättern in Briefkästen, Anti-Repressionsarbeit und anderes bestimmten die Stärke der Kampagne. Diese Aspekte finden in der anarchistischen Broschüre kaum Beachtung. Stattdessen wird behauptet, dass
die Berichte über die gewaltsamen Ausschreitungen im Fernsehen geholfen hätten, die Boykottkampagne anzukurbeln. Wie das? Welche Botschaft wurden den Menschen denn über die TV-Berichte vermittelt? Dass wir um erfolgreichen Widerstand organisieren zu können, Druck auf die Gewerkschaften ausüben müssen, damit diese uns unterstützen? Dass es notwendig ist, dass die Leute selbst aktiv werden und auch bleiben, dass es regelmäßige Treffen der Bewegung vor Ort braucht, dass eigenes Material (Flugblätter, Poster etc.) produziert werden muss? Wohl eher nicht. Im Gegensatz zu einer gut organisierten Boykottkampagne sind gewaltsame Ausschreitung keine effektive Methode für den Kampf gegen die Kopfsteuer. Die Eskalationen im Anschluss an die Demonstration ist eine Explosion von angestauter Frustration, von Wut und Verzweiflung gewesen. Und kein kollektiver Kampf mit einer klaren Strategie.
Unsere anarchistischen Autoren bestreiten all das natürlich. Die Ereignisse nach der Londoner Demonstration waren – so behaupten sie – ein kollektiver Kampf, ein „organisierter Aufstand“ gewesen. Ein Autor erklärt kühn, dass „wir mit der Gewalt anfingen und stolz darauf sind. Aktiv etwas tun, statt nur passiv daneben zu stehen. So sollte der 30. März 1990 in Erinnerung bleiben, nicht als ein Tag der Polizeigewalt, sondern unserer Gewalt.“ Was für ein Unsinn. Natürlich, einige Wenige sind mit der Absicht auf die Demonstration gegangen, eine Konfrontation mit der Polizei anzuzetteln, so wie die ACAB-Autoren berichteten. Ein Autor beschrieb seine Haltung zu Beginn der noch friedlichen Demonstration so: „nur dumm zusehen (!), schauen, was so der Tag so bringen wird, verachtungsvoll den Geschehnissen gegenüber, bis dann unsere Erwartungen doch noch übertroffen wurden.“ Noch hatten unser beobachtender Zyniker und seine Freunde nichts mit dem Geschehen der Demonstration zu tun. Dies wird auch von einem anderen Autor unbeabsichtigt bestätigt, der – gerade den Kennington Park erreichend – von dem Treffpunkt der AnarchistInnen berichtet: „Als wir dort ankamen, standen nur 150 unserer Leute dort.“
Militant erklärte die tatsächliche Situation direkt nach den Ereignissen. Wenn eine Art von organisierter Störung der Demonstration stattgefunden hatte, dann kam diese aus den oberen Rängen der Polizei. Es war „der Einsatz von Polizeipferden, die Tatsache, dass Fahrzeuge mit 80 km/h in die Menge fuhren, dass Einsatz-Hundertschaften der Polizei auf unschuldige und friedliche DemonstrantInnen losgelassen wurden, was Teile der Demonstration, speziell Jugendliche, ziemlich wütend machte“ (Militant vom 6. April 1990). Viele Jugendliche riskierten ihre körperliche Unversehrheit um die Polizei auf der Demonstration zurückzuschlagen. Hinter diesem Aufstand steckte natürlich keine bewusste Planung dieser Jugendlichen. Das liegt auch in der Natur eines Aufstandes. Er ist keine bewusste Aktion, sondern der Ausdruck von Verzweiflung und Frustation. Diese verrückte Tatsache wurde auch von einem der AnarchistInnen festgestellt. Selbst sie waren gezwungen zuzugeben, dass „es unter den Leuten Widerstand gegen den Angriff (auf den Polizeibus) gab. Einige Leute versuchten die Angreifenden aufzuhalten“, versucht der Autor seine Handlungen zu rechtfertigen. Er tut das nicht mit einer genauen Erklärung, was mit der Strategie von "eskalierender Konfrontation" und Plünderung erreicht werden sollte, sondern durch eine zwar korrekte, aber komplett abstrakte Bezugnahme auf die Frage, warum „eine ganz schön große Menge der Leute die Polizei verdammt noch mal hasst.“
Der Hass, „genährt von der grundsätzlichen Benachteiligung, von dem Gefühl der Schwäche aus der Marginalisierung heraus, von Verzweiflung, von den vergangenen Erfahrungen mit den Gesetzeshütern… all das drückte sich in Aggression, Hass, Frustration und Machtlosigkeit aus und verschmolz zu einer Lawine der Wut. Es ging um das Gefühl des individuell erfahrenen erniedrigenden Daseins im Kapitalismus.“ All dem ist natürlich zuzustimmen. Aber es umschifft den wahren Kern der Sache. Wie können solche gewaltsame Ausschreitungen zu einem Ende dieses „erniedrigenden Daseins im Kapitalismus“ führen?
Gewaltsame Ausschreitungen sind keine Methode des bewussten Kampfes, sondern führen in die Einbahnstraße. Auch wenn wir verstehen, wieso Teile der Jugend randalieren, ändert das nichts an dieser Tatsache. Gerade solche, die anstreben, dieses Gesellschaftssystem zu überwinden, können das Geschehene nicht einfach begrüßen, sondern sind in der Verantwortung zu sagen, welche Kampfmethoden die Klasse vorwärts bringen und welche in die Irre führen.
Gewaltsame Unruhen sind kein „positiver Beitrag“ um eine Boykottkampagne mit Massenbeteiligung zu organisieren. Massenhafter Boykott einigt die Klasse in der konkreten Aktion, während individuelle „heroische“ Taten das nicht vermögen.
Der selbe Autor, der davon spricht, „wie er mit der Gewalt begann“ und dabei fast vor Stolz platzt, erklärt, wie er für einige Stunden „direkt mit der Staatsgewalt konfrontiert“ wurde und wie er dann „nach Hause“ schlenderte und sich zurück „in den mich willkommen heißenden Komfort von Normalität, einem gepflegten Bad und Bett“ fallen lässt.
Als Person mag es dem zitierten Autor gelingen, sich aus dem Klassenkampf zurückzuziehen, wenn es ihm passt. Aber die Aufgabe, eine Massenkampagne zu organisieren, besteht weiterhin. Die NichtzahlerInnen vor den GerichtsvollzieherInnen zu verteidigen, Lohnzurückhaltungen und andere Repressalien zu verhindern, muss kollektiv organisiert werden. Unser „Held“, der seinen Teil zur Demonstration beigetragen hat, geht nach Hause, ohne irgendetwas bewegt zu haben.
Vielleicht ist dieser Held doch nicht so „heldenhaft“, wie er meint. Viele der ACAB-Berichte beschreiben, was die Autoren bei den Plünderungen so alles geklaut haben. Einer schrieb sogar, wie er in ein Musikgeschäft ging und den Rolladen herunter riss um dann zu sehen, dass nichts da war, was er gebrauchen konnte. Ein Anderer hatte etwas mehr Glück. Er erklärt, dass ein Geschäft für Sonnenbrillen angegriffen wurde und eine £150 teure Georgio Armani-Brille geklaut wurde, was die Randalierer „nicht nur wütend, sondern auch cool aussehen ließen“. Ist so etwas wirklich Teil des Weges, eine Massenbewegung aufzubauen? Und wenn ja, wie viele Sonnenbrillen müssen eigentlich geklaut werden, damit die Bewegung gegen die Kopfsteuer die Regierung zu Fall bringt?
Zu den wirklichen Traditionen der Arbeiterbewegung
An einem Punkt versuchen die Autoren die Ereignisse vom 31. März in eine „sehr lange und ehrenhafte Tradition gewalttätigen Kampfes gegen den Staat und die Bosse“ und in ihre Tradition von Unruhen seit 1981 zu setzen. Während sie dann die Unruhen in Toxteth erwähnen, vergessen sie interessanterweise – neben den Chartisten*, dem Generalstreik 1926, den Bergarbeiter-Streiks von 1974 und 1984-85 – den Kampf der Liverpooler Ratsversammlung von 1983-85.
Möglicherweise weil ein Vergleich zwischen den tatsächlichen Ergebnissen der Unruhen in Toxteth mit den erreichten Resultaten des Kampfes in Liverpool – mit Militant an der Spitze – ein vernichtendes Argument gegen die Idee der Ausschreitung als „der einzige Weg nach vorne“ wäre. Die Toxtether Unruhen erreichten für die Menschen in Liverpool 500 befristete Sommer-Jobs auf dem Internationalen Garten-Festival. Zu dem wurden ein paar Bäume in der Umgebung von Toxteth von Michael Heseltine (dem Tory-Umweltminister) eingepflanzt. Im Gegensatz dazu führte der Massenkampf organisiert durch den sozialistischen Rat der Stadt Liverpool zu dem Resultat, dass 5.000 öffentliche Häuser gebaut – 1.000 davon in der Umgebung von Toxteth – 1.000 Arbeitsplätze im Rat gerettet, 1.000 weitere öffentliche Arbeitsplätze geschaffen, Auszubildende übernommen und mit der Gewerkschaft Löhne und Rechte, Kindergärten und Sportanlagen vereinbart wurden. Der Kampf hierfür berührte jeden in Merseyside.
Die AnarchistInnen vergleichen die März-Unruhen mit dem Generalstreik von 1926. Der Generalstreik war die größte Bewegung der britischen Arbeiterklasse, der nur an dem Totalausfall der Führer des Gewerkschaftsbunds scheiterte, die nicht die Entschlossenheit der ArbeiterInnen voran bringen und mit einer kämpferische Strategie und einem Programm bewaffnen wollten.
Es war ein sehr bewusster Kampf mit Millionen von beteiligten ArbeiterInnen, deren Aktionskomitees für einen bestimmten Zeitraum ganze Städte kontrollierten und den Bossen tatsächlich die Macht aus den Händen rissen. Es war eine äußerst disziplinierte Bewegung mit Arbeiterkomitees, die vom Transport bis zur Kontrolle über die Verteilung von Lebensmitteln alles selber organisierten. Die Aktionskomitees forderten die ArbeiterInnen nicht auf, die Läden zu plündern oder untereinander um die beste Beute zu kämpfen. Sie organisierten die Versorgung für die Massen und in vielen Fällen auch eigene „friedlichen Streikposten“, um sporadische Plünderungen zu stoppen.
Diese Besonderheit wurde in allen Generalstreiks wiederholt, die jüngsten, aber nicht die letzten, waren die sowjetischen Bergleute, die sich letzten Sommer in Arbeiterkomitees organisiert hatten und mit einem Alkoholverbot die Disziplin der Bewegung zeigten. Im Gegensatz dazu scheint der Alkohol für unsere anarchistischen Freunde allerdings ein Problem zu sein. Ein Autor kritisierte einige befreundete MitstreiterInnen, die so „blau“ waren, dass sie „nicht richtig Steine werfen konnten.“ Diese Ermahnung wird feierlich durch die redaktionelle Einfügung des Hinweises „Praktische Tipps“ für Randalierer unterstrichen, einschließlich des Ratschlags: „Sauft euch bitte nicht so zu!“ Leider wird sechs Seiten später dann von einem anderen Autor, vermutlich einem der Angetrunkenen ein „magisches Geräusch von zerschlagenen Glas" beschrieben, woraufhin "die Alarmanlage losgeht, die innerhalb von wenigen Minuten wieder ausgeht" und es schließlich – was für eine Freude – „Alkohol für alle!“ gibt. Das soll eine Fortführung der Traditionen des Generalstreiks sein?
Tatsächlich verunglimpfen diese Leute die echten Traditionen des Anarchismus, der früher auch eine Basis in Teilen der Arbeiterklasse hatte. Im revolutionären Barcelona der frühen Tagen des Spanischen Bürgerkriegs stellte die anarchistische CNT Einsatzgruppen, um mit Plünderern fertig zu werden. Die Autoren der Kopfsteuer-Unruhen aber haben sicherlich nichts mit den echten Traditionen des Kampfes der Arbeiterklasse zu tun.
Ihre Verachtung für die organisierte Gewerkschaftsbewegung offenbart sich, wenn sie argumentieren, dass „alle Fotografen, alle TV-Crews, alle Journalisten legitime Zielscheiben“ sind. Komisch, dass BETA, die Gewerkschaft von Filmteams, die einzige englische Gewerkschaft ist, die der Boykottkampagne angeschlossen ist und dass die NUJ einer der wenigen Gewerkschaften ist, welche den Boykott unterstützt. Ist das Steinwerfen auf Menschen eine wirkliche Methode mit der sie glauben Gewerkschaftsmitglieder überreden können mitzumachen, obwohl diese sich der Zusammenarbeit mit polizeilichen Ermittlungen zu verweigern versuchen? In Wirklichkeit ist der Streik von Gewerkschaften der einzige Weg, um die Pressefreiheit vor gerichtlichen Anordnungen zu verteidigen, welche Fotogafen anweisen soll ihre Filme bei der Polizei abzugeben. Aber ein Ziegelstein gegen den Kopf ist viel schneller – und es braucht ja auch nur einen "Helden", der dies tut.
Die Reflexion nach der Demonstration
Die Autoren zeigen noch größere Feindseligkeit gegenüber einer anderen Methode der organisierten Arbeiterklasse – dem Reflektieren und offenen Diskutieren in der (Arbeiter-)Bewegung. Der Vorschlag von Militant, dass eine groß angelegte, gemeinsame Diskussion der Widerstandskomitees der Bewegung zu den Ereignissen organisiert werden sollte, ist für die AnarchistInnen der Beweis, dass Militant „grundsätzlich“ gegen die sich wehrende Arbeiterklasse handelt. Was für ein "Beweis" soll das sein? Einer der führenden Aktivisten der Bewegung gegen die Kopfsteuer, Steve Nally schlug auf ITN News vor „unsere eigenen internen Untersuchungen der Ereignisse zu organisieren, wenn nötig an die Öffentlichkeit zu gehen und eingeschleuste Provokateure der Polizei beim Namen zu nennen“
Eine Reflexion und breit angelegte Diskussion der Arbeiterbewegung ist nichts Neues. Denn, wie sonst, um noch einmal die Worte der ACAB-Presse wiederzugeben, kann "die andere Seite der Geschichte" aufgedeckt werden? Wie können Lehren aus den Ereignissen für zukünftige Demonstrationen gezogen werden, wie kann man besser gerüstet in die Verhandlungen mit der Polizei gehen – außer durch eine vollständige Bewertung der Ereignisse vom 31. März in der gesamten Bewegung? Zweifellos gab es verdeckte Ermittler als Provokateure auf der Demonstration, wie von einem der Autoren sogar bezeugt. Ganz abgesehen von einigen provokativen Aktionen der uniformierten Polizei!
Wie konnten sie unentdeckt der Bewegung eindringen? Wir sollten der Sache mit den Provokationen nachgehen, wogegen sich die AnarchistInnen aussprechen. Tun sie das vielleicht deshalb, weil sie Angst haben, dass die meisten Anti-Kopfsteuer-AktivistInnen ihre Aktionen nicht von denen der Provokateure unterscheiden können?
Das ist der Schlüssel zu der Sache. Eine Untersuchung müsste eine Prüfung der Perspektiven, Programme, Strategie und Taktik der verschiedenen politischen Strömungen innerhalb der Anti-Kopfsteuer-Bewegung nach sich ziehen und daraus eine Debatte eröffnen. Militant wäre zuversichtlich, dass unser politischer Ansatz, der in der Anti-Kopfsteuer-Kampagne bisher vorherrschte, jeder Prüfung standhalten kann. Unsere Strategie und Taktik haben, trotz der vollständigen Ablehnung der Boykottkampagne durch die offiziellen FührerInnen der Arbeits- und Gewerkschaftsbewegung, die Kampagne soweit gebracht, an der heute ein Erfolg der Bewegung greifbar ist.
Für die Autoren von ACAB sind offene Debatten und Diskussionen irritierend. Währenddessen zeigen sie offen ihre Verachtung für die Disziplin und den demokratischen Aufbau einer organisierten Bewegung. Ein Autor bezeichnet seine "solidarische" Methode des Debattierens als „linken Abschaum zusammenschlagen“.
Eine offene Diskussion würde sie dazu zwingen ihre Strategie von Krawallen und Plünderungen und einer "Serie von eskalierenden Konfrontationen mit der Polizei" als den „einzigen Weg nach vorn“ zu verteidigen. Eine wirkliche Antwort auf die brennenden Fragen der Strategie einer Bewegung haben sie nicht.
*Die Chartisten waren eine politische Reformbewegung in Großbritannien Anfang des 19. Jahrhunderts, die u.A. die Zulassung von Gewerkschaften, Arbeitsverkürzung und bessere Arbeitsbedingungen sowie eine Ausweitung des Wahlrechts forderten.