Buchrezension: „PKK – Perspektiven des kurdischen Freiheitskampfes: Zwischen Selbstbestimmung, EU und Islam“ von Nikolaus Brauns und Brigitte Kiechle
Die Kurden sind das größte Volk der Welt ohne eigenen Staat. Heute leben zwischen 10 und 15 Millionen Kurden in der Türkei, 2 Millionen in Syrien, 8 Millionen im Iran und 5 Millionen im Irak. Als „Spielfiguren auf dem Schachbrett der Groß- und Kolonialmächte“ (Zitat aus dem rezensierten Buch, S. 17) zeigte sich im Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts immer wieder, dass die nationale Frage unter kapitalistischen Verhältnissen für strategisch, ökonomisch und politisch so bedeutsame Regionen wie Kurdistan unlösbar wird. In allen Teilen Kurdistans waren und sind Kurden mit den unterschiedlichsten Formen von besonderer Ausbeutung, Unterdrückung ihrer Kultur und Sprache bis hin zu Vertreibungen und Massenmorden konfrontiert.
Die 1978 – als ein Ergebnis der starken Studierenden- und Arbeiterbewegung in der Türkei in den 70er Jahren – gegründete PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) stellt zweifelsohne den bedeutsamsten organisatorischen Ausdruck der kurdischen Befreiungsbewegung in der Türkei dar. Sie verfügt über breite Unterstützung unter in der Türkei lebenden Kurden, aber auch darüber hinaus, zum Beispiel unter Kurden, die in Deutschland leben.
Mit dem im Schmetterlings-Verlag erschienenen Buch „PKK – Perspektiven des kurdischen Freiheitskampfes: Zwischen Selbstbestimmung, EU und Islam“ legen Nick Brauns und Brigitte Kiechle eine wertvolle Zusammenstellung von Informationen, sowie eine zusammenhängende Darstellung der Geschichte der PKK von ihren Anfängen in den 1970er Jahren, über den bewaffneten Kampf ab 1984, den kurdischen Massenaufstand zu Beginn der 1990er Jahre, die Abkehr von zentralen Forderungen wie die nach einem eigenen Staat um die Mitte der 1990er Jahre bis zur Verhaftung Abdullah Öcalans 1999 und der Entwicklung der Organisation beziehungsweise der in der Kontinuität der PKK stehenden Organisationen seitdem, vor.
Neben einer gründlichen Untersuchung der Entwicklung der PKK und der zivilen Organisationen der kurdischen Befreiungsbewegung (heute ist dies – nach dem Verbot der DTP – die BDP) kommentieren die Autoren Programm und Aktivität der PKK kritisch. Ihren Blickwinkel auf die PKK beschreiben sie in ihrem Buch folgendermaßen: „Unsere Analyse erfolgt unter dem Blickwinkel der Anerkennung der berechtigten Interessen der kurdischen Bevölkerung. Wir wollen mit dem vorliegenden Buch jenseits des Totschlagarguments „Terrorismus“ oder der kritiklosen Unterstützung der PKK einen neuen Zugang zur „kurdischen Frage“ erarbeiten, und so dazu beitragen, einen anderen Blick auf die kurdische Freiheitsbewegung zu eröffnen.“ (S.15)
In ihrem Buch konzentrieren sich Brauns und Kiechle auf die kurdische Befreiungsbewegung in der Türkei. Darüber hinaus enthält das Buch Kapitel zur kurdischen Frauenbewegung als wichtiger Teil der kurdischen Befreiungsbewegung, zur kurdischen Frage und Situation in den anderen Teilen Kurdistans und zur aktuellen Situation in der Türkei, wo in den letzten Jahren neben einer Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Interessen innerhalb der herrschenden Klasse der Türkei vor allem die Umsetzung einer neoliberalen Agenda unter der AKP einerseits und eine ansteigende Linie von Klassenauseinandersetzungen andererseits bedeutsam sind. Ein Kapitel beschäftigt sich mit der Rolle deutscher Unternehmer und des deutschen Staates, die sich durch Waffenlieferungen an die Türkei und die Kriminalisierung von politisch aktiven Kurden in Deutschland zu Unterstützern eines brutalen Krieges des türkischen Militärs in Kurdistan machte und macht.
An vielen Stellen im Buch machen die Autoren deutlich, weshalb alle Ansätze und Hoffnungen zur Lösung der kurdischen Frage innerhalb des Kapitalismus zum Scheitern verurteilt sind, ohne sich dabei an den Rand der berechtigten kurdischen Bewegung zu stellen.
Das Buch ist empfehlenswert für alle die sich mit der kurdischen Frage und/ oder der aktuellen Situation in der Türkei beschäftigen (wollen). An einigen Punkten sollten aber die Diskussionen über marxistische Standpunkte fortgeführt werden. So enthält das Buch zum Beispiel keine grundlegend kritische Auseinandersetzung mit Guerilla-Taktik aus marxistischer Sicht.
Brauns, Nikolaus / Kiechle, Brigitte: PKK – Perspektiven des kurdischen Freiheitskampfes
erschienen im Schmetterlings-Verlag – 1. Auflage 2010 – 510 Seiten, kartoniert – ISBN 3-89657-564-3 – 26,80 EUR (inkl. MwSt., zzgl. Porto)