Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft

Rezension des Buches von Nouriel Roubini und Stephen Mihm


 

Als Dr. Doom (Dr. Untergang) oder Kassandra wurde Nouriel Roubini bezeichnet als er sehr früh und detailliert als einer der wenigen bürgerlichen Ökonomen vor der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2007 begann, warnte.

von Lucy Redler, Berlin

Während andere eine Fortsetzung des Immobilienbooms voraussagten, sprach der Wirtschaftsprofessor der Stern School of Business der New York University bereits 2006 davon, dass ein Absturz der Weltwirtschaft und eine tiefe Rezession drohen. Und er behielt recht.

Jetzt hat Roubini gemeinsam mit Stephen Mihm, Professor für Geschichte an der University of Georgia, eine 400 Seiten umfassende Analyse der Weltwirtschaft und ihrer Zukunft veröffentlicht, gespickt mit zahlreichen Vorschlägen zur Bekämpfung der jetzigen und künftiger Krisen.

Der Anspruch von Roubini/Mihm ist nicht weniger als einen „Beitrag dazu“ zu leisten „wie ein Kapitalismus reformiert werden könnte, der uns eine Krise nach der anderen beschert hat, statt beständig und verlässlich zu halten, was er verspricht.(…) Dieses Buch zeigt nicht nur auf, wie wir in diesen Schlamassel geraten sind, sondern wie wir ihm entkommen können – und zwar endgültig.“ (S. 24)

Roubini ist ein bürgerlicher Ökonom, der als Wirtschaftsberater unter Bill Clinton arbeitete und heute das Beratungsunternehmen Roubini Global Economics (RGE Monitor) leitet. Er berät Notenbankchefs und referiert seine Standpunkte beim Weltwirtschaftsforum in Davos.

In ihrem Buch geht es Roubini/Mihm darum, „unserer kapitalistischen Wirtschaft zur alten Stärke zurück zu verhelfen.“ (S. 243)

Dabei bedient Roubini sich in seiner Rolle als Wirtschaftswissenschaftler pragmatisch unterschiedlicher ökonomischer Theorien und Handlungsansätze, wenngleich seine Orientierung an John Maynard Keynes („der wichtigste Ökonom der Weltwirtschaftskrise“) und Hyman Minsky („den radikalsten Vertreter des Keynesianismus“) noch am deutlichsten erscheint. Doch weit davon entfernt Linkskeynesianer zu sein, beziehen sich Roubini/Mihm ebenfalls positiv auf Joseph Schumpeter und seine Theorie der „kreativen Zerstörung“: „Anhänger von Keynes und Schumpeter sprechen in der Regel nicht miteinander. Das ist bedauerlich, denn beide Denker- und die Denkrichtungen für die sie stehen – können in der gegenwärtigen Situation einen wichtigen Beitrag leisten. Das heißt, dass ihre Erkenntnise zusammengebracht und auf die heute anstehenden Probleme angewendet werden können. Wir sind der Ansicht, dass eine erfolgreiche Lösung der Krise einen pragmatischen Ansatz erfordert. Er übernimmt das Beste aus beiden Lagern und erkennt, dass staatliche Konjunkturprogramme, Rettungsaktionen, Unterstützung durch letztinstanzliche Kreditgeber und Geldpolitik kurzfristig sinnvoll sein können, während andererseits eine langfristige Kalkulation erforderlich ist, um zum Wohlstand zurückzukehren. Daher befürworten wir in diesem Buch eine >kontrollierte Zerstörung>“.(Seite 86f)

Roubini und Mihm erklären ausführlich und in weiten Teilen anschaulich wie Schattenbanken, Hedgefonds, Carry trades in Währungen und neue Finanzinnovationen funktionieren.

Aus marxistischer Sicht ist das interessante an diesem Buch jedoch weniger ihre Analyse der Krisenursachen, die trotz detailgetreuer Beschreibung der (Nicht)-Funktionsweise der Finanzmärkte an der Oberfläche verbleibt.

Vielmehr ist ihre für bürgerliche Ökonomen erstaunliche Einschätzung der Tiefe und Bedeutung der jetzigen Krise und die Perspektive der Wahrscheinlichkeit einer lang anhaltenden ökonomischen Stagnation oder auch einem erneuten Eintauchen in die Rezession von Bedeutung.

Im folgenden werden kurz zentrale Thesen zur Krisenanalyse, der Krisenperspektive und den Lösungsvorschlägen Roubinis/Mihms skizziert.

Krisenanalyse

Laut Roubini/Mihm haben verschiedene Faktoren zur Krise geführt: „Die Verbriefung von Subprimekrediten war also nur ein Faktor. Eine wichtige Rolle spielten auch langfristige Veränderungen der Unternehmensaufsicht und den Managerbezügen. Und auch der Staat trägt einen Teil der Schuld, allen voran die Geldpolitik von Alan Greenspan. Dazu kommt die jahrzehntelange Politik zur Förderung von Wohneigentum.“ (Seite 90)

An anderer Stelle schreiben Roubini/Mihm: „In der Geschichte des Kapitalismus sind Krisen die Regel, nicht die Ausnahme“ (S. 27). Doch während Roubini/Mihm viele Parallelen zwischen der jetzigen und früheren Krisen wie der britischen South Sea Bubble im 18. Jahrhundert oder der Weltwirtschaftskrise 1929 ziehen, bleibt ihre Erklärung der Ursachen für die Entstehung von Spekulationskrisen an der Oberfläche.

Richtig ist, dass verschiedene neoliberale Maßnahmen die Krise verschärft haben. Roubini/Mihm dringen aber nicht zur grundlegenden Ursache von Krisen im Kapitalismus. Laut Marx ist die Profitrate das „wirkliche Triebwerk des Kapitals“. Dass heißt: Investiert wird nur dort, wo Profite winken. Die Entstehung von Spekulationsblasen ist daher nicht Krisenursache, wie Roubini/Mihm auf 400 Seiten versuchen zu erklären, sondern Ausdruck davon, dass es in der sogenannten Realwirtschaft (nach einem langen Nachkriegsaufschwung spätestens seit den 70er Jahren) nicht mehr ausreichend profitable Anlagemöglichkeiten für das überschüssige Kapital gibt und Kapital stattdessen lieber auf den Finanzmärkten angelegt wurde wie beispielsweise in der jetzigen Krise in hypothekenbesicherte Wertpapieren. Profit als Triebfeder der Produktion, Konkurrenz und der Gegensatz zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung führen im Kapitalismus immer wieder zu Überakkulumation von Kapital und zu Krisen, in denen die Profitraten tendenziell sinken.

In Kapitel 2 beschäftigen sich Roubini/Mihm mit verschiedenen ökonomischen Theorien von Adam Smith über Joseph Schumpeter, John Maynard Keynes und dem Verhaltensökonom Robert Shiller. In diesem Ritt durch die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften streifen die beiden Autoren in einer verkürzten Zusammenfassung auch Karl Marx und würdigen seine Erkenntnis „dass Krisen fester Bestandteil des Kapitalismus“ sind als „immens wichtig“, kommentieren ansonsten jedoch nur, dass Marx" „Vision“ sich bisher nicht bewahrheitet habe (S. 70).

Perspektive der Krise

Von größerer Bedeutung ist dagegen, was Roubini/Mihm über den weiteren Verlauf der Krise schreiben. In scharfem Gegensatz zu all den selbsternannten Ökonomen in bürgerlichen Medien, Konzernen und Regierungen, die jetzt den Aufschwung herbeireden, warnen Roubini/Mihm deutlich vor einer langgezogenen Krise: „Leider haben Krisen die Angewohnheit, an Stärke zu- und abzunehmen – es kommt selten vor, dass sie nur einmal zuschlagen und sich dann wieder legen. Sie haben eine gewissen Ähnlichkeit mit Wirbelstürmen, die sich allmählich aufbauen, sich dann wieder abschwächen, nur um dann erneut an Kraft zu gewinnen und zerstörerischer zu werden als je zuvor.“ (S. 142)

Und konkret auf die aktuelle Lage der Weltwirtschaft bezogen: „Die jüngste Krise hat deutlich gemacht, dass uns wohl eher ein Zeitalter der großen Instabilität bevorsteht als ein langer Aufschwung. Spekulationsblasen und Einbrüche können sich mehren, und Krisen, die nach früherer Überzeugung nur ein- oder zweimal im Jahrhundert auftreten, könnten die Weltwirtschaft deutlich öfter beuteln.“ (S. 399)

Auch die Rettungsmaßnahmen der Regierungen bewerten die beiden kritisch-ambivalent: „In der Summe verhinderten die Maßnahmen vermutlich, dass sich die globale Rezession zur neuen Weltwirtschaftskrise auswuchs. Doch ob die Medizin nicht gefährlicher ist als die Krankheit, steht auf einem anderen Blatt.“ (S. 184)

In diesem Sinne warnen Roubini/Mihm sowohl vor der Entstehung der nächsten noch größeren Blase durch die „extrem großzügige Geldpolitik und quantitative Lockerungen in Kombination mit wachsender Abhängigkeit vom Carry Trade in US-Dollar“ als auch vor Staatsbankrotten aufgrund horrender Staatsverschuldung, einem Zerfall des Euros, einer möglichen Wiederkehr der Deflation in Japan und einem Absturz der chinesischen Wirtschaft. (S. 369).

Zur Frage, ob die Krise einen V-, U- oder W-Verlauf nehmen wird, prognostizieren die beiden Ökonomen für die Industrienationen aufgrund verschiedener Faktoren einen U-Verlauf mit Jahren unterdurchschnittlichen Wachstums, also einer Periode der langgezogenen Stagnation.

Doch sie schließen auch andere Entwicklungen nicht aus und fürchten in Kapitel 10, dass auch ein richtiger „Knall“ oder ein „gewaltiges Erdbeben“ eintreten können, wenn es nicht zu einem Abbau des US-amerikanischen Leistungsbilanzdefizit und dem Abbau der Überschüsse der chinesischen Wirtschaft und anderer exportorientierter Ländern kommt. (S. 340)

Lösungsvorschläge

Ihren anfänglichen Anspruch, Vorschläge zu unterbreiten, mit denen „wir dem Schlamassel entkommen können – und zwar endgültig“ (s.o.) halten die beiden am Ende ihres Buchs selbst nicht aufrecht, wenn sie schreiben: „Krisen lassen sich nicht abschaffen. Sie können aber gemanagt und gemildert werden.“ (S. 367)

Roubini/Mihm plädieren in ihrem Buch vor allem für mehr staatliche Regulierung und eine stärkere Rolle der Notenbanken. Ihre konkreten Vorschläge reichen unter anderem von einer strengen Regulierung zur Verbriefung von Wertpapieren und eine Reform der Derivate über neue Vergütungsstrukturen für Händler und Bänker, eine Reform der Ratingagenturen, die Trennung von Investment- und Geschäftsbanken bis hin zur Zerschlagung von großen Banken und Finanzunternehmen wie Goldman Sachs, Citigroup, Bank of America, UBS und anderen.

Die Zentralbanken sollen ihnen zufolge eine größere Rolle zum Schutz des Finanzsystems als bisher einnehmen. Da jedoch die globalen Leistungsbilanzungleichgewichte die langfristige Stabilität der Wirtschaft bedrohen, sei zum einen die Stärkung des Internationalen Währungsfonds und zum anderen die Einführung einer neuen internationalen Reservewährung (durch die Emission internationaler, auf Sonderziehungsrechte lautende Anleihen) nötig. China müsse die Aufwertung des Renminbi zulassen und die US-Regierung Schritte ergreifen, um das Leistungsbilanzdefizit abzubauen.

Mihm und Roubini erwischen sich selbst dabei, dass die von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen auf erhebliche Widerstände stoßen. Sie geben zu, das die chinesische und US-amerikanische Regierungen „leider“ nicht bereit zu sein scheinen, „die notwendigen Schritte zu unternehmen.“ (S. 340). Sie räumen ein, dass die Zentralbanken in der Vergangenheit das genaue Gegenteil von dem betrieben haben, was sie vorschlagen, wenn sie ausführen, dass diese nichts unternommen hätten, um dem Spekulationswahn Einhalt zu gebieten oder dass Finanzunternehmen sich in der Vergangenheit der Regulierung widersetzt haben, in dem sie ihren Sitz in weniger stark regulierte Rechtsräume verlegt haben (S.365f).

Erinnert sei auch daran, dass ein Oskar Lafontaine 1999 als SPD-Finanzminister versucht hat, ähnliche Regulierungsmaßnahmen einzuführen und aufgrund von Drohungen von Investitionsboykott und Kapitalflucht schließlich kapituliert hat.

Der Hölle entkommen

Das alles spricht nicht dagegen, sich mit dem Kapital anzulegen, es spricht jedoch dafür, in dem Prozess die tatsächlichen Krisenursachen zu überwinden. Kontrollieren kann man bekanntlich nur das, was einem gehört.

Roubini und Mihm sind jedoch weit davon entfernt (Oskar Lafontaine leider auch), das Privateigentum an Produktionsmitteln und die kapitalistische Marktwirtschaft in Frage zu stellen und beseitigen zu wollen. Je weiter man jedoch auf den 400 Seiten vorstößt, desto stärker fühlt man sich als Leserin darin bestärkt, dass nicht einzelne Reformen des Systems nötig sind, sondern eine sozialistische Lösung der Krise, indem die Produktionsmittel vergesellschaftet und eine demokratisch geplante Wirtschaft an die Stelle der chaotischen Marktwirtschaft tritt.

Roubini/Mihm zitieren Frank Borman, Chef von Eastern Airlines, der in den 80er Jahren meinte: „Kapitalismus ohne Konkurse ist wie Christentum ohne Hölle“ (S. 211), ziehen aber nicht die Schlussfolgerung daraus, der Hölle tatsächlich zu entkommen.

„Kontrollierte Zerstörung“

Was sie unter „kontrollierter Zerstörung“ verstehen, wird deutlich, wenn sie beschreiben, was nach kurzfristigen keynesianischen Maßnahmen langfristig nötig ist: „Um diese Kollateralschäden zu vermeiden, erscheint es sinnvoll, auf kurze Sicht dem Keynes"schen Drehbuch zu folgen. (…) Kurzfristig ist es besser, durch eine Lockerung der Geldpolitik und andere vorbeugende Maßnahmen wie Kredite oder Kapitalspritzen einen ungeordneten Zusammenbruch des Finanzssystems zu verhindern. Genauso sinnvoll ist es, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch staatliche Konjunkturprogramme und Steuerkürzungen anzukurbeln.“ Dadurch lasse sich, so Roubini und Mihm das Szenario einer lang anhaltenden Stagnation wie in Japan in den neunziger Jahren verhindern. „Langfristig gesehen ist es unabdingbar, dass insolvente Banken, Unternehmen und Haushalte in Konkurs gehen und von vorn anfangen können.“ (S. 86)

Die Vernichtung und Entwertung von Maschinen, Betrieben und Arbeitskräften in der Krise ist dem kapitalistischen Prozess immanent. Roubini und Mihm plädieren im Rahmen des Systemerhalts logisch, wenn sie sich faktisch für Ausgabenkürzungen und Entlassungen aussprechen, um Haushalte zu konsolidieren und nicht profitträchtige Betriebe pleite gehen zu lassen.

In dieser Logik schlagen sie vor, dass die Schwellenländer an dem marktorientierten Kurs festhalten sollen, den sie vor der Krise eingeschlagen haben und die Arbeitsmärkte weiter liberalisieren.

Für Irland, Großbritannien, Griechenland, Spanien und Portugal befürworten die Autoren „empfindliche Einschnitte, statt eine Zahlungskrise zu riskieren“ (S. 389). In Bezug auf die USA fordern sie von der Obama-Regierung von massiven Konjunkturpaketen zum Sparen überzugehen.

Ihre Vorschläge im Rahmen der kontrollierten Zerstörung laufen darauf hinaus, entweder die Profite von Finanzunternehmen zu beschneiden oder die Kaufkraft der Verbraucher. Im Endeffekt senkt beides die Profitaussichten des Kapitals und ist nicht dafür geeignet, die grundlegende Ursache der Krise zu lösen.

Doch auch wenn Roubini und Mihm die Interessen des Kapitals und nicht der Millionen Lohnabhängigen, Erwerbslosen und Armen vertreten, lohnt die Lektüre ihres Buchs. Es vermittelt zum einen interessante Daten und Fakten und eine für bürgerliche Ökonomen beachtliches Eingeständnis der Schwächen des eigenen Systems.

Zum anderen ist es ein interessanter Ausdruck der ideologischen Krise der Kapitalisten und widerspiegelt, dass ein Teil der Bourgeoisie Antworten auf das Ende des neoliberalen Paradigmas sucht.

„Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft“ ist Roubinis und Mihms Versuch solche Antworten zu liefern, ohne ein neues Paradigma anzubieten, denn die „kontrollierte Zerstörung“ ist weniger ein neues Leitbild als vielmehr ein Potpourri unterschiedlicher Maßnahmen.

Nouriel Roubini, Stephen Mihm: Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft (original: Crisis Economics. A Crash Course in the Future of Finance), erschienen 2010 im Campus Verlag, 470 Seiten, 25,60 Euro.