Attac debattiert über „Postwachstumsgesellschaft“
Vom 20. bis zum 22. Mai organisiert Attac gemeinsam mit anderen Gruppen in der TU Berlin einen Kongress unter dem Motto „Jenseits des Wachstums?!“. In der Einladung heißt es: „Wirtschaftswachstum wird weltweit als universales Rezept gegen ökonomische Probleme jeglicher Art angepriesen. Angesichts des Klimawandels, der Prekarisierung von Arbeit, der Zerstörung der Umwelt, der Umverteilung von den Armen zu den Reichen wird deutlich, dass dieses alte Rezept nicht funktioniert. Attac will gemeinsam mit BündnispartnerInnen nach neuen Antworten für die drängenden Krisen unserer Zeit suchen – Antworten, die jenseits des Wachstumswahns liegen.“
Im März 2010 trafen sich – nach einer ersten Zusammenkunft 2008 – in Spanien mehr als 400 Personen aus 40 Ländern zur zweiten „Internationalen Postwachstumskonferenz“. Dort wurde die „Barcelona-Erklärung“ abgegeben.
Gemeinsam mit Matthias Schmelzer hat Alexis Passadakis zu dieser Frage gerade auch ein Buch veröffentlicht: „Postwachstum – Krise, ökologische Grenzen & soziale Rechte“, im VSA-Verlag erschienen.
Alexis Passadakis, Mitglied im KoKreis von Attac
„Die Biosphäre ist bereits derart geplündert und fragil, dass Naturausbeutung zur privaten Anhäufung von Reichtum gestoppt werden muss. Dies aber setzt ein Ende des Wachstums im Norden voraus“, sagte Nicola Bullard von der NGO „Focus on the Global South“ beim Weltsozialforum in Dakar im vergangenen Februar. Die stärksten Impulse einer neuen Bewegung für Umweltgerechtigkeit, die explizit die ökologische und die soziale Frage miteinander verbindet, kommen inzwischen aus dem Süden, insbesondere von den indigenen Bewegungen Lateinamerikas.
Eine Illustration für die anhaltende Plünderung des Südens durch den Norden liefert der „ökologische Fußabdruck“: Er berechnet die Biokapazität der Bundesrepublik mit 1,9 „globalen Hektar“ pro Kopf, während der tatsächliche Pro-Kopf-Verbrauch bei 4,8 liegt. Auch wenn dieser Indikator eher metaphorisch zu verstehen ist, weist er auf die Grundlage der „imperialen Lebensweise“ (Uli Brand/Markus Wissen) des Nordens hin. Denn diese basiert auf dem Zugriff auf die Wälder, Fischbestände und landwirtschaftliche und mineralische Rohstoffe des Südens und benutzt diesen zusätzlich noch als Müllkippe. Auch auf der Wertebene finanziert der Süden den Norden kräftig mit: Allein 2006 betrug der Nettokapitaltransfer von Süd nach Nord circa 650 Milliarden US-Dollar. An dieser globalen stofflichen und finanziellen Ausbeutungsdynamik kommt keine internationalistische Position, die nicht nur deklaratorisch ist, sondern programmatisch ernst gemeint ist, vorbei. Wer von Wachstum im Norden spricht, sollte nicht davon schweigen dürfen, dass ein erheblicher Teil der Ressourcen aus wesentlich ärmeren Ländern stammt.
Die Perspektive in den Metropolen ist jedoch eine ganz andere: Der etwa dreijährige Zyklus der UN-Klimaverhandlungen ab 2006/07 endete mit dem spektakulären Desaster des Klima-Gipfels in Kopenhagen. Parallel zu der ergebnislosen internationalen Diplomatie entfalteten sich neue Diskussionen über Schritte zu einem „grünen“, „nachhaltigen“ Kapitalismus. Und nach dem Kollaps der Lehman Bank im September 2008 fand ein Revival von wirtschaftspolitischen Konzepten statt, die sich an John M. Keynes‘ Ideen anlehnen. Diese beiden Diskussionsstränge wurden als Vorschlag zur Bewältigung der Umwelt- und Weltwirtschaftskrise von Think Tanks, liberalen und grünen Parteien zu dem Konzept eines „Green New Deal“ verwoben, der den kriselnden finanzmarktgetriebenen Kapitalismus durch einen „grünen Kapitalismus“ ersetzen soll – inklusive eines neuen Wirtschaftsbooms mittels massiver Investitionen in neue energieeffiziente Technologien. Das erhoffte Resultat: Umweltschutz, Konzerngewinne und neue Jobs auf einen Streich. Auch viele Gewerkschaften sehen diese Strategie als Option.
Jeder Schritt in Richtung einer Wirtschaftsweise, die auf erneuerbaren Energien beruht, ist wünschenswert. Dennoch stellt sich die Frage, ob eine Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum in dem hohen notwendigen Maße, wie sie nötig ist, um die ökologischen Grenzen zu respektieren, plausibel ist. Simple Arithmetik führt zu verblüffenden Ergebnissen: Die globale Ökonomie ist heute fast fünf Mal größer als vor 50 Jahren. Wenn das Welt-Bruttoinlandsprodukt mit der selben Rate weiter wächst, dann wird im Jahr 2100 das Welt-BIP 80 Mal so groß sein. Selbst bei erheblicher Energieeffizienzsteigerung und ambitionierter Substitution fossiler durch erneuerbare Energien versagt angesichts solcher Zahlen jeder technologische Optimismus. Es gilt, Sand in das Getriebe der Kapitalakkumulation zu streuen, um die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen einzudämmen.
Hinzu kommt, dass zumindest in der deutschen Öffentlichkeit – geschweige denn von Ökonomen – das Phänomen der physischen Endlichkeit von Schlüssel-Ressourcen kaum wahrgenommen wird. Selbst die Internationale Energie-Agentur (IEA), für die dieses Phänomen bisher ein Tabu war, hat inzwischen eingestanden, dass es ein Fördermaximum von Erdöl (Peak Oil) geben wird. Es ist ein riskantes Experiment „zu testen“, wie eine wachstumsbasierte Weltwirtschaft nicht bei Knappheit, sondern bei einem tatsächlichen Mangel ihres wichtigsten Energierohstoffes funktionieren wird.
Nicht zuletzt ist eine attraktive kooperative Lebensweise, die nicht allein auf Lohnarbeit und das Erwirtschaften von Überschüssen fixiert ist, sondern auch Reproduktionsarbeit und politische Betätigung berücksichtigt, kaum mit einer Wachstumsökonomie vereinbar. Eine Kernforderung vieler Wachstumskritiker ist eine radikalen Absenkung von individueller Lohnarbeit auf 20 Stunden. Verknüpft mit einer Verschiebung der Ökonomie in Richtung soziale Dienstleistungen und Umverteilung – national und international – geht es bei der Idee einer solidarischen Postwachstumsökonomie um ein egalitäres, post-kapitalistisches Projekt.
Eduard Jahn, Stuttgart, SAV-Mitglied
Mit dem Bruttosozialprodukt ist das so eine Sache. Wenn es in Form eines Porsche Cayenne vor mir über den Zebrastreifen rauscht, dann ärgert‘s mich. Wenn es mir als Feierabendbier aus dem Glas entgegenleuchtet, dann bin ich ihm gegenüber schon freundlicher gestimmt. Der Hartz-IV-Empfänger, dem die Waschmaschine verreckt ist und dem das Geld für einen schnellen Internet-Zugang fehlt, redet anders über das Wirtschaftswachstum als der, der neben einem Geländewagen eine 15.000-Euro-Kücheneinrichtung abgezahlt und 17 Kaschmirpullover im Schrank hat.
Zur Messung der Wirtschaftsleistung wird heute gerne das Bruttoinlandsprodukt (BIP) herangezogen; das ist die Summe der im Inland erzeugten Waren und Dienstleistungen, so wie sie beim Endverbraucher ankommen. Bevor ich auf die Veränderung der Wirtschaftsleistung eingehe, möchte ich etwas über ihre Zusammensetzung sagen.
Vom BIP der NATO-Staaten entfallen 1,65 Prozent auf Rüstungsproduktion, die für Angriffskriege und den laufenden Bedarf der Armeen verwendet oder exportiert wird. Aus Deutschland werden jährlich Waffen im Wert von 2,5 Milliarden Euro exportiert. Vieles geht davon in die Türkei, nach Griechenland und Südafrika. Mit freundlicher Unterstützung der Bundesregierung wird aber auch in den Iran und nach Libyen exportiert. Vom BIP der EU-Staaten entfällt ein großer Teil auf die düngemittelintensive Überproduktion von landwirtschaftlichen Gütern, die vom Staat hoch subventioniert wird und dazu dient, in Ländern außerhalb der EU deren einheimische Landwirtschaft zu ruinieren und Marktanteile zu gewinnen. Diese Anteile am BIP sollten zurückgeführt werden.
Die Größe des BIP wird von der Art und Weise der Produktion beeinflusst. Die meisten Firmen- und Konzernzentralen befinden sich hinter durchgängigen Glasfassaden und müssen für‘s männliche Personal im Sommer auf 18 Grad heruntergekühlt werden, damit Krawatte und Weste nicht nassgeschwitzt werden. Im Winter wird auf mindestens 24 Grad geheizt, damit es dem weiblichen Personal nicht einfällt, sich warm anzuziehen. Die Kosten der Produktion werden durch Werbungs-, Marketing- und Sponsoringmaßnahmen verteuert, die wiederum Überproduktion anheizen. Die Produktionskosten werden gewaltig durch die rasche Folge von Überproduktion und Kurzarbeit, von Fabrikschließungen und Standortverlegung, von Zentralisierung der Produktion, Eroberung von Märkten und steigenden Transportkosten erhöht.
Was hilft es nun, ein Ende des Wirtschaftswachstums zu fordern? Was hilft es, den Rückgang der Wirtschaftsleistung für die Industriestaaten zu fordern, wie Attac das in der Erklärung 2010 gefordert wird? Es hilft nichts.
In Deutschland und Europa und in anderen Industrieregionen gibt es eine gut ausgebildete und halbwegs gut organisierte Arbeiterklasse. Es gibt eine ausbaufähige Infrastruktur, die den vorhandenen Arbeitern und den Leuten, die aus wirtschaftlichen oder sonstigen politischen Gründen einwandern wollen, sinnvolle Arbeit ermöglicht.
Was vor dreißig oder vierzig Jahren technisch nicht möglich war, ist heute ökologisch zwingend: die Abkehr von der Energieversorgung mit Großkraftwerken und der Umstieg auf eine dezentrale und kommunale Energieversorgung. Dazu müssen Blockheizkraftwerke, Biogasanlagen, Windkraft- und Solaranlagen in großen Stückzahlen produziert und installiert werden. Damit das funktioniert, ist der Umbau von Energie-Verteilnetzen und der Neubau von Speichereinrichtungen nötig.
In den Industriestaaten von Nordasien, -europa und -amerika muss der gesamte Bestand an Wohnungen besser gegen Kälte isoliert werden. Über den Bestand hinaus gibt es eine massenhafte Nachfrage nach neuem bezahlbarem Wohnraum. Der öffentliche Regional- und Nahverkehr könnte ausgeweitet werden, so dass Berufspendler günstig und bequem zur Arbeit kommen und SchichtarbeiterInnen nicht aufs Auto angewiesen sind. Das wird nicht nur durch Fahrpreissenkungen und durch einen dünnen politischen Beschluss verwirklicht, sondern durch Investitionen in Schienenwege und -fahrzeuge, in Omnibusse und in die Entlohnung von Fahr-, Verwaltungs- und Wartungspersonal.
Auch im sozialen Bereich wünsche ich mir keinen Rückgang der Wirtschaftsleistung. In Baden-Württemberg hat die scheidende schwarz-gelbe Landesregierung nach ihrer Wahlniederlage noch schnell das Landesbüro „Ehrenamt“ geschaffen, um eine parteinahe Mitarbeiterin zu versorgen. Die Unterhändler der Landtagsfraktionen von den Grünen und der SPD haben sich währenddessen darauf geeinigt, Lehrerstellen abzubauen. Beide Maßnahmen halte ich für falsch.
Alte, Schwache, Kinder und Kranke sollten von gut ausgebildeten, ausgeruhten und gut bezahlten Fachkräften betreut werden, nicht von Ehrenamtlichen, aber auch nicht von Zwangsverpflichteten wie Zivildienstleistenden und Ein-Euro-Jobbern. In den Schulen müssen die Klassen verkleinert werden. Wir brauchen mehr Lehrkräfte, damit zumindest ansatzweise individuelles Lernen möglich ist.