aus dem Buch: Der Spanische Bürgerkrieg 1936-1939
„Das Proleteriat von Barcelona verhinderte die Übergabe der Republik an die Faschisten. Am 19. Juli stürmten sie, nahezu mit bloßen Händen, erfolgreich die ersten Kasernen. Am nächsten Tag, um 2 Uhr nachmittags, waren sie die Herren von Barcelona.“ (1)
Unter hohen Opfern konnten die Franco-Faschisten zurückgeschlagen werden. Die spontane Bewegung von hauptsächlich anarchistisch organisierten ArbeiterInnen übernahm mit großem Elan das Transportwesen, große Teile der Industrie und die Flotte unter eigene Kontrolle. Verkehrsbetriebe, Eisenbahnen, Ölgesellschaften, die Montagewerke von Ford und der Hispano-Suiza, die Hafenanlagen, Kraftwerke, Warenhäuser, Theater und Kinos, Metallfabriken, Textilindustrie, Exportfirmen für landwirtschaftliche Produkte und die großen Weinkellereien wurden von den ArbeiterInnen beschlagnahmt und kollektiviert. An den Grenzposten wurde der Zoll durch bewaffnete ArbeiterInnenkomitees ersetzt. Mehr als vier Monate lang wurden die Betriebe Barcelonas von ArbeiterInnen verwaltet.
Das Programm
Der Anarchosyndikalismus hatte in Spanien eine starke, militante und antikapitalistische Tradition. Die anarchistische Gewerkschaft CNT war bei den LandarbeiterInnen Andalusiens und den Industriezentren Kataloniens verankert. Sie hatte 1933 nach unterschiedlichen Angaben 1 bis 1,6 Millionen Mitglieder.
Das Programm der CNT sprach sich gegen die Beteiligung an Politik und an den Wahlen aus. Sie übten Opposition gegenüber jeglicher staatlichen Regierungsform. Gewerkschaften sollten den Kampf gegen den Kapitalismus aufnehmen. Als Mittel wurde der spontane Kampf der ArbeiterInnen in militanten Massenaktionen oder individuelle Terrorakte gegen Vertreter des Staatsapparates gewählt. Den Stalinismus in der UDSSR lehnten sie als „Einparteien-Diktatur“ ab. Sie forderten stattdessen den „libertären“ Kommunismus.
Die Praxis
Sobald sich die revolutionäre Situation in Spanien zuspitzte wurde ein Prinzip nach dem anderen gebrochen. Zuerst wurde der Wahlboykott aufgegeben. Die CNT rief zuerst zu den Wahlen auf und nahm dann selbst daran teil. Dabei unterstützte sie die Volksfrontregierung. Im September 1936 saß die CNT in der katalanischen Regierung in Barcelona. Kurze Zeit darauf auch in der Zentralregierung Madrids. Mit ihren Stimmen wurde die Auflösung des katalanischen Zentralkomitees der Milizen beschlossen. Wenig später wurde die Auflösung aller lokalen Räte und Komitees in Katalonien durchgeführt. Auch bei der Auflösung der Milizen, sowie dem Verbot vom Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit stimmte die CNT zu.
In den Mai-Tagen 1937 rief die CNT-Führung ihre AnhängerInnen zurück, die einen spontanen Aufstand gegen eine stalinistische Provokation organisieren. Es gab 500 Tote und viele Gefangene in Barcelona. „Der CNT-Minister Garcia Oliver erklärt: >Wir können nichts anderes tun, als die Ereignisse abwarten und uns ihnen auf die bestmögliche Art und Weise anpassen. Damit war dem spanischen Anarchismus das Rückgrat gebrochen; die CNT führte fortan nur noch ein Schattendasein und sah ohnmächtig zu, wie die Reste der spanischen Revolution liquidiert wurden.“ (2) Trotzki verglich die anarchistische Doktrin mit einem durchlöcherten Regenmantel: sie taugte gerade dann nichts, wenn es regnete.
Gefangen in der Volksfront
Nichts von den anarchistischen Prinzipien blieb letztlich übrig. Wie konnte sich diese starke Organisation mit langer Tradition und Verankerung in die politische Bedeutungslosigkeit manövrieren?
Die CNT-FührerInnen sahen sich gerne als Opfer der stalinistischen Machtspiele. Richtig ist, dass Stalin kein Interesse an einer erfolgreichen Revolution in Spanien hatte und für die Niederlage gegen die Faschisten verantwortlich ist. Eine bittere Wahrheit ist jedoch auch, dass Stalin dazu ohne die Mithilfe der anarchistischen FührerInnen nicht in der Lage gewesen wäre. Am 1. Mai 1936 konnten die AnarchistInnen in Barcelona ohne viel Aufwand 100.000 ArbeiterInnen mobilisieren, die spanischen KommunistInnen im Vergleich dazu nur 6-7.000. Bereitwillig haben die anarchistischen FührerInnen sich vor den Karren der Stalinisten spannen lassen und mit der leeren Versprechung Waffen aus der UDSSR zu bekommen, jeder entscheidenden politischen Maßnahme zugestimmt. In allen Punkten haben die FührerInnen der Anarchosyndikalisten sich von der Volksfront erpressen lassen und eine eigene offensive Politik aufgegeben. Zuerst sollte der Krieg gewonnen, dann über die Revolution nachgedacht werden. Kein Misstrauen durfte bei den in der Republik verbliebenen Bürgerlichen und im bürgerlichen Ausland geweckt werden. Somit wurde auf alle revolutionären Forderungen verzichtet.
Durruti – das andere Gesicht des Anarchismus
Im Gegensatz zu der Volksfronttheorie sah Durruti, der anarchistische Führer der Milizen in Aragon, den Krieg eng mit der sozialen Revolution verzahnt. Seine Miliz wusste wofür sie kämpfte. Es ging ihnen um die Enteignung des Landes, der Fabriken, der Transportmittel, des Brotes und einer neuen Kultur. Ihre Zukunft hing von dem Sieg der Milizen ab. Trotz miserabler Bedingungen an der Front und chronischem Waffenmangel konnte er einen erfolgreichen Weg aufzeigen. Sein Feldzug war der einzige wesentliche militärische Vormarsch des gesamten BürgerInnenkriegs.
Sobald seine Kolonne die Faschisten aus einem Dorf verjagt hatte, wurden Dorfversammlungen einberufen. Hypotheken und alle Eigentumsdokumente wurden in einem großen Freudenfeuer vernichtet. Alle Ländereien, Vorräte, Vieh und Getreide wurden enteignet und der Dorfversammlung unterstellt. Alle wichtigen Fragen wurden hier erörtert und entschieden. Die Produktion wurde auf eine neue Grundlage gestellt und in Kollektiven organisiert. Der Ertrag der Landwirtschaft steigerte sich in kurzer Zeit um 30-45%. Mit dem Überschuss in der Produktion wurden Schulen subventioniert. Es wurden Milizen zur Verteidigung des Dorfes aufgebaut. Gefangene Reaktionäre wurden der Dorfversammlung vorgeführt. So wurde aus jedem Dorf eine Festung der Revolution. Sein Programm war erfolgreich, aber es stellte nicht nur einen Bruch mit der Volksfrontpolitik sondern auch mit der klassischen anarchistischen Herangehensweise dar.
Er hielt den Aufbau von Sowjets und staatliche Repression gegen die Konterrevolution für notwendig. Ohne sich um die Reaktionen des bürgerlichen Auslands zu scheren, gegen den Willen der Volksfrontvertreter und seiner eigenen Organisation setzte er den Rat von Aragon durch. Die Wirtschaft sollte durch die Verbindung der verschiedenen Kommunen effektiver organisiert werden können. Die Bedürfnisse der BäuerInnen besser berücksichtigt und das unabhängige Agieren der verschiedenen Dorfversammlungen miteinander abgestimmt werden.
Nach dem Tod Durrutis gründete sich eine Gruppe „Die Freunde Durrutis“, die sich in dieser Tradition sah. Sie grenzten sich öffentlich von den CNT-Ministern ab und warfen ihnen Kollaboration mit der Bourgeoisie vor. Sie konnten jedoch in den schnellen Zeiten der Revolution ihren Einfluss nicht schnell genug ausbauen, um noch wesentlich einzugreifen.
Die praktische Politik der CNT:
Keine Sowjets, keine Nationalisierung, keine Machtergreifung
Auf dem Land hatte die CNT die Losung ausgegeben: „Kollektivierung von großen Landbesitzungen und die Achtung des kleinen Landbesitzes“. Mit dieser Einschränkung wurde das Privateigentum nicht gänzlich abgeschafft. Landkauf sowie -verkauf war weiterhin möglich. Hinzu kam, dass das bundesweite Dekret nicht in Frage gestellt wurde, welches nur die Kollektivierung der faschistischen Ländereien vorsah. Die kollektivierten Betriebe wurden nach vier Monaten durch ein Dekret der katalanischen Regierung anerkannt. Es wurde aber gleichzeitig ein Versuch unternommen, erste Beschränkung einzufügen. Betriebe, die weniger als 100 Beschäftigte hatten, sollten von der Kollektivierung ausgenommen werden. Dies waren zu der Zeit 70% aber aller Betriebe in Katalonien!
Kein Aufbau von Sowjets
Die Nationalisierung des Bankenwesens, eine der ersten und wichtigsten Maßnahmen in der russischen Revolution, wurde bis auf weiteres vertagt. Damit wurde ein gewaltiges Mittel aus der Hand gegeben die Produktion umzugestalten und auf eine neue Grundlage zu stellen. Die besetzten Betriebe waren weiterhin abhängig von ihren Kreditgebern und konnten somit stark unter Druck gesetzt werden.
Die fehlende Vernetzung der Betriebe untereinander führte dazu, dass sie vereinzelt und verstreut waren. Es entstand eine Ungleichheit zwischen Betrieben, die gut liefen und welche, die Schwierigkeiten hatten. Eine übergeordnete Planung war nicht möglich und sollte so auch verhindert werden. Es entwickelte sich die Einstellung unter den Gewerkschaften und teilweise unter den ArbeiterInnen, die die Besetzung durchführten, sich als Eigentümer des Betriebes zu sehen. Die besetzten Betriebe begannen als unabhängige Produktionskooperativen zu verkümmern.
Felix Morrow schreibt, dass es keine revolutionäre Partei gab, die den Aufbau von Sowjets kühn und energisch vorantrieb. „Er (der Arbeiterstaat) wurde niemals in nationalen Soldaten- und Arbeiterräten zentralisiert, wie es in Russland 1917, in Deutschland von 1918 bis 1919 gewesen war (…) trotz der Tatsache, dass die wirkliche Macht des Proletariats weit größer war, als die von den Arbeiter in der deutschen Revolution ausgeübten Macht, oder, in der Tat, als jene, die die russischen Arbeiter vor dem November ausübten.“ (1)
Der Staat und die Macht
Die Anarchosyndikalisten, die den Staat abschaffen wollten, haben sich blenden lassen. Der bürgerliche Staat ist intakt geblieben. Er ist vorübergehend aus der Sichtweise verschwunden. Er ist jedoch weder zerschlagen, noch übernommen oder durch einen ArbeiterInnenstaat ersetzt worden. Die eigentlichen Grundlagen des kapitalistischen Systems wurden nicht angetastet. So konnten die alten Zustände schnell wieder eingeführt werden, als sich das Kräfteverhältnis zu Ungunsten der Revolution änderte.
Die anarchistischen Führer wollten die Macht nicht ergreifen. Sie waren gegen jegliche Diktatur, auch gegen ihre Eigene. Trotzki schrieb dazu: „Auf die Eroberung der Macht zu verzichten, heißt, freiwillig die Macht dem zu überlassen, der sie besitzt, daher den Ausbeutern.“ (3)
Quellen:
(1) Morrow, Felix: Revolution und Konterrevolution in Spanien
(2) Enzensberger, Hans Magnus: Der kurze Sommer der Anarchie
(3)Trotzki, Leo: Die Spanische Lehre – eine letzte Warnung
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