Bericht zu den antifaschistischen Aktionen gegen den "Nationalen Antikriegstag"am 3. September 2011
In Dortmund, der westdeutschen Hochburg der so genannten "Autonomen Nationalisten" (ANs), fand am Samstag, den 3. September 2011 der bereits 7. "Nationalen Antikriegstags" statt. Mit ihrem Aufruf missbrauchen die Nazis die Idee des Antikriegstags (der in der BRD eigentlich am 1. September ist) und täuschen vor, gegen Krieg und Kapitalismus zu sein um Leute für ihre faschistischen Ideen zu gewinnen.
von Sebastian Foerster, Dortmund
Als Aufmarschgebiet versuchen die ANs seit Jahren durch die migrantisch geprägte Dortmunder Nordstadt zu ziehen.
Während es anfangs nur 200 FaschistInnen waren, die dem Aufruf der Gruppen des "Nationalen Widerstands Dortmund" folgten, waren es in den letzten Jahren 1.000-1.200 Nazis, die am ersten Septemberwochenende in die Ruhrgebietsmetropole reisten. In diesem Jahr erlitten die ANs allerdings eine Schlappe und schafften es nur noch 750 ihrer AnhängerInnen zu mobilisieren.
Insgesamt nahmen über 10.000 Menschen an den Gegenprotesten teil, die sich über verschiedene Teile der Stadt erstreckten. Bis zu 3.000 TeilnehmerInnen beteiligten sich dabei an den Versuchen, die Wegstrecke der Nazis zu blockieren.
Bereits in den letzten Wochen waren erhöhte Naziaktivitäten in Dortmund zu verzeichnen. Es gab fast tägliche Anschläge auf aktive AntifaschistInnen und Linke und zahlreiche bewaffnete Überfälle der Rechten, wobei auch Messer und Hiebwaffen eingesetzt wurden. Mit einer Vielzahl kleinerer Demonstrationen und Kundgebung in Dortmund und anderen Städten in Nordrhein-Westfalen versuchten die Nazis für ihren Aufmarsch am 3.9. zu werben. Fast immer gab es jedoch auch Gegenproteste von AntifaschistInnen, AnwohnerInnen und PassantInnen.
Gegenmobilisierung
Vor und nach dem Naziaufmarsch war die Medienaufmerksamkeit deutlich höher als in den Vorjahren: in der örtlichen Presse waren die Aktionen der ANs und die Gegenwehr schon lange zuvor beherrschendes Thema, auch über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus wurde über den Naziaufmarsch in Dortmund berichtet.
Drei verschiedene Bündnisse bereiteten sich auf Widerstand gegen den "Nationalen Antikriegstag" vor: das linke Bündnis "Dortmund stellt sich quer" (DSSQ), in dem auch die SAV aktiv ist, "Alerta", eine von autonomen und antideutschen Gruppen geprägte Struktur, und der bürgerliche Zusammenschluss "Dortmund Nazifrei". Während DSSQ auf den auch in Dresden bewährten Aktionskonsens von friedlichen und entschlossenen Massenblockaden setzt, orientierten die Autonomen im Vorfeld mehr auf Einzelaktionen bei der Anreise der Nazis. Dortmund Nazifrei, dass sich auf Initiative von der Stadt Dortmund, SPD, DGB, Grünen und anderen vor einigen Monaten gegründet hatte, griff ebenfalls die Idee der Blockaden auf, vertrat allerdings eine eher schwammige Vorstellung davon, wie diese aussehen sollten und mobilisierte einen Großteil ihrer UnterstützerInnen zu anderen Orten als zum Aufmarschgebiet der FaschistInnen.
Dass sich auch Bürgerliche wie der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) in den Medien positiv auf die Idee einer Blockade bezog, hat seine Ursache nicht zuletzt auch darin, dass das Bündnis Dortmund stellt sich quer und anderen AntifaschistInnen in den letzten Jahren massiven öffentlichen Druck gegen die Naziaktivitäten und deren Verharmlosung aufgebaut haben.
Dortmund stellt sich quer setzte sich in den letzten Wochen mit zahlreichen Plakatierungen, Flyer-Verteilungen und Infotouren einen Schwerpunkt auf die Nordstadt und versuchte AnwohnerInnen für die Blockaden am 3. September zu gewinnen. Am Vorabend des "Nationalen Antikriegstags" gab es zu dem eine linke Demonstration mit 500 AntifaschistInnen gegen Faschismus, Imperialismus und Krieg durch den Dortmunder Stadtteil Dorstfeld, in dem die Nazigruppen des Nationalen Widerstands und der Skinheadfront ihre Szene aufbauen.
Verlauf der Gegenproteste und Blockaden
Ein wirklicher Durchbruch der AntifaschistInnen blieb leider auch in diesem Jahr aus – die Nazis konnten wieder durch die Dortmunder Nordstadt ziehen. Einen Teilerfolg der GegendemonstrantInnen gab es allerdings, da die Demonstrationsstrecke der Nazis wegen zwei Blockaden von Dortmund stellt sich quer und Dortmund Nazifrei erheblich verkürzt werden musste.
An der Blockade von Dortmund stellt sich quer nahmen etwa 100 AntifaschistInnen teil, darunter auch etliche SAV-Mitglieder. Anders als die bürgerliche Blockade, die etwas 100 Meter entfernt stattfand, wurden die linken BlockiererInnen allerdings von Beginn an mit massiver Polizeigewalt traktiert.
Dass die Nazis aber überhaupt laufen konnten ist einzig und allein der Entscheidung der Einsatzleitung der Polizei zuzurechnen, die an diesem Tag 5.000 PolizistInnen (Quelle: "Lageabschlussmeldung" des Dortmunder Polizeipräsidiums) einsetzte, große Teile der Nordstadt hermetisch abriegelte und mit äußerster Brutalität gegen die AntifaschistInnen vorgingen, die versuchten auf die Naziroute zu gelangen. Insgesamt wurden 271 Personen festgenommen und in die Gefangenensammelstelle gebracht. 95% gehören nicht zum rechten Spektrum. Es wurden Schlagstöcke, CS-Gas, Räumpanzer und Wasserwerfer eingesetzt; es wurde gekesselt, gewürgt und geprügelt. Die Polizei ging mit einer Brutalität vor, wie sie in den Jahren zuvor noch nicht gesehen wurde.
Linke TeilnehmerInnen der Gegenproteste wurden von Polizei-Einsatzleitung und der bürgerlichen Presse pauschal kriminalisiert. Polizeipräsident Hans Schulze (SPD), der in der Vergangenheit mit realitätsfernen Äußerungen wie "Dortmund hat kein Naziproblem" auffiel, sprach von "Gewaltexzessen" am 3.9. – die allerdings von den Linken ausgegangen seien!
Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Erich Rettinghaus, behauptet gegenüber SPIEGEL ONLINE dass die polizeilichen Einsatzkräfte "auf das Brutalste von linken Autonomen angegriffen worden".
Deutlich wahrzunehmen waren in den letzten Wochen Risse in den herrschenden politischen Kreisen der Stadt – der OB Sierau (SPD) befürwortet Blockaden, die der Polizeipräsident Schulze (SPD) bekämpft. Was sich aber auch abzeichnet ist, wie Teile der UnterstützerInnen des bürgerlichen Dortmund Nazifrei den GegendemonstrantInnen in den Rücken fallen. So äußerte der Dortmunder Oberbürgermeister gegenüber des WDRs am Abend nach den Protesten, dass zwar einige Sachen noch mal genauer beleuchtet werden müssten, die Polizei am besagten Tag einen "guten Job" gemacht habe.
Die Landeschefin der Grünen, Monika Düker, deren Partei ebenfalls bei Dortmund Nazifrei engagiert ist, sprach gegenüber der Presse sogar von einer "schwierige[n] Lage", die die Polizeikräfte "hervorragend bewältigt" haben sollen.
Wichtig ist es jetzt neben einer Auswertung der Erfahrungen des 3. Septembers solchen Pressemeldungen öffentlich Gegendruck zu machen und gegen die Polizeirepression der vergangenen Tage zu streiten.
Zu hoffen ist, dass – in dem nicht unwahrscheinlichen Fall, dass die "Autonomen Nationalisten" auch im nächsten Jahr wieder marschieren wollen – dass die Mobilisierungen innerhalb und außerhalb Dortmunds weiter gestärkt werden, damit sich auch hier ein Erfolg wie in Dresden einstellt, wo in diesem und im letzten Jahr die Nazis erfolgreich gestoppt werden konnten.
Kurze Auswertung von Dortmund stellt sich quer:
http://dortmundquergestellt.de
Fotos zum 3.9.2011 im Flickr-Account von Dortmund stellt sich quer:
http://www.flickr.com/photos/dortmundquer/