Bericht vom Landesparteitag der LINKEN in Niedersachsen
Der Landespartei der niedersächsischen LINKEN in der Stadthalle Braunschweig vom 2. Oktober fand bei schönem Wetter statt, war aber überschattet von Niederlagen der Partei in diesem Super-Wahljahr, das mit dem unfreiwilligen Ausscheiden der Berliner LINKEN aus der dortigen Landesregierung zu Ende gegangen ist.
von Heino Berg, Delegierter des Kreisverbandes DIE LINKE Göttingen
Mit 186 anwesenden Delegierten hatten nur drei von vier das Mandat ihrer Basisorganisationen wahrgenommen. Im Zentrum der Diskussion stand das nach Einschätzung fast aller Redner „enttäuschende“ Ergebnis der niedersächsischen Kommunalwahlen, das mit 2,4 Prozent nicht annähernd für einen Wiedereinzug in den Landtag ausreichen würde. Politische Konsequenzen daraus und Signale für eine Erneuerung der Partei gingen von dem Landesparteitag trotzdem nicht aus: Für den unmittelbar bevorstehenden Programmparteitag in Erfurt wurde kein einziger substanzieller Antrag auf den Weg gebracht.
Kommunalwahlen und Regierungsfrage
Der geschäftsführende Landesvorstand hatte dazu einen Initiativantrag eingebracht, dem zufolge die Partei ihr „Hauptziel“ (also eine Verdoppelung der kommunale Mandatsträger) „erreicht hat“, obwohl die absolute Zahl der WählerInnen der niedersächsischen LINKEN seit den Bundestagswahlen von 360.000 um 150.000 zurückgegangen ist. Die Landesspitze hatte ihre stark parlamentsfixierten Ziele von 1.000 Mandatsträgern im November 2010 im April auf 600 und unmittelbar vor den Wahlen auf eine Verdoppelung der vorher 143 Mandate reduziert (und immer noch verpasst). Wer (ähnlich wie die „etablierten Parteien“) solche Niederlagen verharmlost und schönredet, hat keinen Anlass zur Selbstkritik oder Kurskorrekturen. Politische Konsequenzen fehlen daher in diesem Leitantrag vollständig.
Dagegen stand ein kritischer Gegenantrag aus der Basisorganisation Hannover Linden-Limmer zur Diskussion, der von einem „desaströsen Ergebnis“ der Kommunalwahlen spricht. Einer der Gründe dafür sei „der von den Landesvorsitzenden und einigen niedersächsischen Bundestagsabgeordneten verfolgte Kurs einer möglichen Regierungsbeteiligung im Land Niedersachsen. Im Wahlkampf selbst wurde mit unpolitischen Losungen wie „Hier sind wir zuhause“, „Solidarität statt Spaltung, „Her mit dem ganzen Leben“ erfolglos um die Wählergunst geworben.“ Ein weiteres „zentrales Problem“ sei, „dass sich der Apparat der Partei immer mehr verselbständigt. (…) Die Ergebnisse der Landestags- und Kommunalwahlen sind eine Aufforderung zur Erneuerung der Partei.“
Zahlreiche Delegierte (darunter auch die AutorInnen dieses Berichts) unterstützten in der Antragsdebatte diese Kritik am gescheiterten Kurs auf ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis und verlangten eine Umorientierung auf verstärkte Teilnahme am außerparlamentarischen Widerstand. DIE LINKE werde für eine Regierungsbildung ohnehin nicht benötigt. Außerdem sei antikapitalistische Politik nicht im Regierungsbündnis mit Parteien zu verwirklichen, die gerade erst erneut Milliarden für die Rettung der Banken in der Euro-Krise bewilligt hätten, während gleichzeitig die Kommunen ausgehungert und zu massivem Sozialabbau gezwungen würden.
Der ehemalige Landesvorsitzende Diether Dehm und die Fraktionsvorsitzende Tina Flauger sahen sich darauf hin zu persönlichen Erklärungen genötigt. Diether Dehm, der vor einem Jahr nach dem Hustedter Treffen mit Vertretern von SPD und Grünen eine Tolerierung von beziehungsweise Beteiligung an einer rot-grünen Landesregierung als kleineres Übel gegenüber Schwarz-Gelb an keine inhaltlichen Bedingungen geknüpft hatte, erklärte nun, „DIE LINKE ist eine Oppositionspartei, verweigert sich aber keinem Machtwechsel“. Auch Tina Flauger wehrte sich gegen den Vorwurf, DIE LINKE „schiele nur auf Regierungsposten“. Man müsse darüber zwar mit SPD und Grünen Gespräche führen, dürfe sich aber nicht festlegen.
Um eine Kampfabstimmung über diese gegensätzlichen Anträge zu vermeiden, schlug die Antragskommission vor, den (erst am Vortag eingebrachten und sehr umfangreichen) Antrag von Linden-Limmer als Material an den Landesvorstand zu verweisen, was dann mit großer Mehrheit auch beschlossen wurde.
Bundesparteitagsinitiativen: Fehlanzeige
Nach einigen Einzelanträgen (darunter einer Unterstützung für die am gleichen Tage stattfindende Anti-AKW-Demo in Grohnde sowie einer Kampagne für den Abzug aus Afghanistan anlässlich des Petersberger Treffens) standen Anträge zum Bundesparteitag in Erfurt auf der Tagesordnung.
Leider lagen zu den seit langem umstrittenen Punkten des Parteiprogramms (zur Eigentumsfrage, zu Mitbestimmung und Belegschaftsaktien, zur Frage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr sowie zur Regierungsfrage) keine Anträge aus dem Landesverband vor. Entsprechende Vorschläge aus dem Göttinger Kreisverband waren kurz vor dem Landespartei wieder gekippt und ersatzlos zurückgezogen worden. Die Debatte beschränkte sich unter diesen Umständen auf Randthemen wie diverse Anträge zur sogenannten „4-in-1-Perspektive“ sowie zum „bedingungslosen Grundeinkommen“ , wozu auch eine „moderierte Podiumsdiskussion“ mit Katja Kipping und Hans Modrow stattgefunden hatte.
Auf Antrag von Sabine Lösing, die diese Anträge als Versuch gewertet hatte, die Arbeiterklasse als handelndes Subjekt von gesellschaftlichen Veränderungen zu ersetzen und grundlegende Traditionen der Arbeiterbewegung über Bord zu werfen, wurden sie (mit jeweils überwältigenden Mehrheiten) abgelehnt. Übrig blieb damit als Beitrag aus Niedersachsen nur der Vorschlag, Bert Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“ in die Präambel des Parteiprogramms aufzunehmen. Faktisch hat sich damit der Landesverband in Braunschweig aus der Grundsatzdebatte über die programmatischen Ziele der Partei verabschiedet, was angesichts der Krise der Partei für Mitglieder und WählerInnen der LINKEN nicht gerade motivierend wirken dürfte.
Immerhin wurde danach noch mit großer Mehrheit ein (allerdings nicht an den Bundesparteitag gerichteter) Initiativantrag von Sabine Lösing verabschiedet, der sich gegen Versuche des Regierungsflügels wandte, Militäreinsätze, die mit einem Mandat der Vereinten Nationen versehen sind, zu akzeptieren. Der Sicherheitsrat sei nicht demokratisch legitimiert. „Auch UN-Kriege würden zur Durchsetzung nationalstaatlicher Interessen dienen und dürfen kein Mittel der Politik sein.“
Fazit
Der Landesparteitag in Braunschweig spiegelte zwar die wachsende Unzufriedenheit der Parteibasis über den auf Parlaments- und Regierungsmandate fixierten Kurs der Bundes- und Landespartei, hat daraus aber – im Gegensatz zum Landesparteitag von NRW – keinerlei sichtbare Konsequenzen für die anstehenden Richtungsentscheidungen auf dem Bundesparteitag abgeleitet. Die Sorge von vielen Delegierten, dass DIE LINKE nach ihrem vielversprechenden Aufbruch inzwischen ebenso wie die anderen Parlamentsparteien als „etabliert“ wahrgenommen wird und damit den Platz für die „Piraten“ frei gemacht hat, fand keinen organisierten Ausdruck, weil sich die meisten VertreterInnen des linken Parteiflügels auf eine unkritische Unterstützung des vorliegenden Programmentwurfs beschränkt haben. Politische Impulse oder gar Aufbruchssignale sind vom Braunschweiger Parteitag daher nicht ausgegangen. Umso größere war das Interesse vieler Delegierter an Vorschlägen und Änderungsanträgen, die von SAV-Mitgliedern für den Parteitag in Erfurt zusammengestellt und in der neuen Ausgabe der „Solidarität“ dokumentiert worden sind. Das gilt besonders für einen Änderungsantrag von Kreisverbänden aus Kassel und Bremen, der eine klare Absage an die gescheiterten Regierungsambitionen und eine Rückbesinnung auf den antikapitalistischen Oppositionsauftrag der LINKEN verlangt.