Drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone von Schuldenkrise getroffen
„Es kann sein, dass Italien sich bereits jenseits von Gut und Böse befindet”, so der düstere Bericht der drittgrößten Bank Großbritanniens „Barclays Capital“ von dieser Woche. „Wir haben Zweifel, dass die italienischen Wirtschaftsreformen alleine ausreichen, um die italienische Kreditwürdigkeit wiederherzustellen und die Möglichkeit einer Vertrauenskrise mit ihren negativen Auswirkungen abzumildern“. Und dann kam es zu den dramatischen Entwicklungen in Rom.
von Chris Thomas, „ControCorrente“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Italien)
Der italienische Premierminister Silvio Berlusconi hat nach dem Verlust der absoluten Mehrheit im Parlament am Ende zugestimmt zurückzutreten. Nach Monaten, in denen von Seiten der Europäischen Union, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Finanzmärkte intensiver Druck ausgeübt wurde, und der italienische Arbeitgeberverband „Confindustria“, die katholische Kirche und schließlich auch Mitglieder seiner eigenen Regierungskoalition und seiner Partei, der von ihm selbst gegründeten „Partei der Freiheit (PDL), sich von ihm abgewendet hatten, sagte er, dass er gehen wird. – Allerdings erst nach der Umsetzung einer abermaligen Runde an Sparmaßnahmen, wie sie in einem abermaligen Brief der EU von Italien gefordert wurde.
Berlusconi „zu opfern“ sollte die „Götter“ an den Märkten beruhigen. Stattdessen hat dies zu weiterer politischer und ökonomischer Destabilisierung mit all den daraus resultierenden Rückwirkungen auf Europa und die Welt geführt. Weltweit brachen die Börsenmärkte ein, und die Zinsen auf italienische Staatsanleihen haben die Marke von sieben Prozent – das ist der Satz, ab dem Griechenland, Irland und Portugal mit sogenannten Rettungspaketen „versorgt“ werden mussten, überschritten. Italien befindet sich wirtschaftlich nun in einer sehr ähnlichen Situation. Beobachter von IWF und EU überprüfen regelmäßig, dass der Patient die ihm verordnete Medizin an Kürzungen, Privatisierungen und Angriffen auf Arbeitnehmerrechte einnimmt. Allerdings kommt die Idee, Italien (mit einem Schuldenstand von neun Billionen Euro und damit mehr als Griechenland, Portugal und Irland zusammen) mit Hilfe des EFSF-Fonds, der insgesamt nur 250 Milliarden umfasst, „zu retten“, dem Vorhaben gleich, als wolle man die Titanic mit einem Fingerhut vor dem Versinken bewahren.
Die Politik der EZB, italienische Staatsanleihen aufzukaufen, hat die Krise nicht eingedämmt, die weit mehr als nur die gesamte Eurozone bedroht. Deshalb wurde in der Hoffnung, eine andere Regierung würde die Märkte beruhigen und die Sparpakete umsetzen, die er aufzulegen nicht Willens schien, Druck auf Berlusconi ausgeübt, das Handtuch zu schmeißen.
Was wird jetzt passieren?
Einige befürchten, dass Berlusconi nur Zeit gewinnen will, um unzuverlässige Abgeordnete „einzukaufen“ und seine Mehrheit sicherzustellen, wie er es in der Vergangenheit auch getan hat. Auch wenn dies jetzt unwahrscheinlich zu sein scheint, ist noch nicht klar, wie die Zeit nach Berlusconi aussehen wird. Wird es zu vorgezogenen Wahlen kommen? Berlusconi selbst hat diese Möglichkeit in Aussicht gestellt. Aber die meisten in seiner Partei und unter seinen Koalitionspartnern, der „Lega Nord“, sehen das anders, weil sie eine Niederlage befürchten müssen. Doch auch die wichtigste Oppositionspartei, die PD („Demokratische Partei“), gerät ob der Möglichkeit vorzeitiger Wahlen in Panik. Sie hat weder intern noch zusammen mit möglichen Koalitionspartnern ein beschlossenes politisches Programm zu bieten und ist bei jeder Frage – außer in der Haltung gegen Berlusconi – gespalten. Sie bevorzugen die Bildung einer technokratischen Regierung (geführt von einem Nicht-Politiker wie Mario Monti, dem ehemaligen EU-Kommissar), um den schmutzigen Job zu machen und Sparmaßnahmen umzusetzen. Auch die Möglichkeit einer Regierung der „nationalen Verantwortung“ unter Einbeziehung aller Parteien gehört zu ihren Prioritäten. Beide Optionen scheinen im Bereich des Möglichen. Desweiteren ist nicht ausgeschlossen (wenn auch weniger wahrscheinlich), dass die PDL eine neue, breitere Koalition unter Führung von Angelino Alfano, Parteisekretär von Berlusconis politischer Kraft und ehemaliger Justizminister, bilden könnte.
Was auf politischer Ebene auch immer am Ende dabei herauskommen mag: Es steht ziemlich fest, was auf die Arbeiterklasse und die Mittelschicht in Italien zukommen wird. Die jüngste EU-Verordnung fordert die Privatisierung von Staatsbesitz und lokalen Diensten, Angriffe auf die Renten, Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben, Arbeitsplatzabbau und weitere Maßnahmen zur vereinfachten Entlassung von ArbeiterInnen.
Auch wenn es reichlich Jubel geben wird, wenn die Arbeiterklasse endlich den Abgang von Berlusconi erlebt, erzeugt die Aussicht auf eine von der PD geführte Regierung kaum Begeisterung. Teile der PD haben das erste Schreiben der EZB, das Einsparungen anmahnt, offen begrüßt, als es im August bekannt wurde. Und die Partei hat keine Alternative zum Vorhaben, den ArbeiterInnen die Medizin der Sparmaßnahmen zu verabreichen. Auch wenn es anfangs aufgrund der allgemeinen Abneigung der Leute gegenüber den Politikern einiges an Unterstützung für eine technokratische Regierung gab, so kann diese Stimmung sich schnell in eine oppositionelle Haltung entwickeln, wenn klar wird, was auch diese in Wirklichkeit für den öffentlichen Dienst, die Arbeitsplatzsituation und die Lebensstandards bedeutet.
Berlusconi wurde durch eine „Palastrevolution“ gezwungen, seinem eigenen Rücktritt zuzustimmen – nicht durch eine Massenbewegung der ArbeiterInnen. Acht „Verräter“ (wie er sie nennt) aus seiner eigenen Partei stimmten mit der Opposition, indem sie sich bei der Abstimmung über Verwaltungsfragen der Stimme enthielten. Aber die „Massen“ sind weit davon entfernt, untätig zu sein. Im September folgten Millionen von ArbeiterInnen dem Aufruf zum Generalstreik durch die Gewerkschaft CGIL. Hunderttausende zogen am 15. Oktober nicht nur gegen die Regierung sondern gegen das „System“ an sich durch die Straßen Roms.
Eine neue Generation junger Menschen rebelliert gegen eine perspektivlose Zukunft (die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Italien bei 30 Prozent) und ein System, in dem die Profite und Interessen einer Minderheit unangefochten an erster Stelle stehen. Die Periode nach Berlusconi wird gekennzeichnet sein durch Kürzungen, Krise, Kampf und Widerstand, in der die Kräfte einer wirklichen, massenhaften, politischen Alternative zum Kapitalismus gestärkt werden können.