Zur Rolle von Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden in der NSU-Terror-Affäre
Dresden, 19. Februar 2011: Die sächsische Polizei späht in einer großangelegten Aktion über eine Million Mobilfunkdaten, Telefonate und SMS, in der ganzen Stadt aus, mehrere Hunderttausend Handy-NutzerInnen sind davon betroffen. Über zehntausend Polizeibeamte, die gesamte Überwachungstechnik der Behörden und unzählige Arbeitsstunden der Justiz werden aufgewandt, um rund 20.000 Menschen daran zu hindern, dass sie sich auf die Straße setzen, um einen Aufmarsch von Neonazis zu stoppen bzw. um ihnen nachzuweisen, dass sie sich auf die Straße gesetzt haben.
Thüringen, Januar 1998: „Verfassungsschutz“ und Polizei lassen drei offensichtlich gefährliche rechtsextreme Bombenbauer entwischen. Sie tauchen 13 Jahre nicht mehr auf und verüben in der Zeit mindestens 10 Morde und zwei Sprengstoffanschläge sowie Banküberfälle.
von Claus Ludwig, Sozialistischer Stadtrat, Die LINKE.Köln
Es gibt in Deutschland keine Berge und keinen Dschungel, in denen sich eine terroristische Truppe verstecken könnte. Es gibt keine sympathisierenden Stadtteile, in die sich Illegale zurückziehen können, wie in Nordirland oder im Baskenland. Wir leben im Land der Handy-Datenspeicherung, Personalausweispflicht und Verkehrskontrollen. Hier können Musikkonzerne Anwälte und Staatsanwaltschaft in Gang setzen, um auf der Grundlage gespeicherter Internet-Verbindungsdaten Jugendliche mit Geldstrafen im Tausender-Bereich zu überziehen, die ein oder mehrere Songs heruntergeladen haben anstatt brav zwanzig Euro für eine CD zu bezahlen.
Und wir sollen glauben, dass sich in diesem Land eine Gruppe von Nazi-Terroristen an allen Kontrollen vorbei gemogelt hat?
Es ist die Rede von „Pannen“, von nicht vorhandenem Informationsaustausch und mangelnder Koordination. Bürgerliche Politiker fordern eine bessere Arbeit von Polizei und Geheimdiensten und, um diese zu ermöglichen, bessere Ausstattung für die staatlichen Organe. Diese jetzt propagierte Art der „Aufklärung“ soll vor allem dazu dienen, die These vom Versagen und der Notwendigkeit einer weiteren Stärkung staatlicher Repressionsorgane zu untermauern.
Doch die Morde des NSU („Nationalsozialistischer Untergrund“) waren nur möglich, weil zumindest Teile des Staatsapparates sie haben gewähren lassen. Einige zuständige Behörden bzw. ihre Mitarbeiter haben bewusst weg geschaut und die Terroristen machen lassen, obwohl es genug Informationen gab und es immer wieder Möglichkeiten gab, die Zelle auffliegen zu lassen. Der Verdacht liegt nahe, dass die Nazi-Killer bewusste Helfer beim „Verfassungsschutz“ oder der Polizei hatten.
„Wenn sich jemand über viele Jahre einer intensiven Fahndung entziehen kann, dann genießt er staatlichen Schutz“, so der ehemalige CIA-Agent und „Terrorismus-Experte“ Bruce Riedel.
Shoot out in Heilbronn
Die vom stern veröffentlichte Meldung, nach denen US-Geheimdienstler und deutsche „Verfassungsschützer“ den Mord an der Polizistin Michéle Kiesewetter im April 2007 in Heilbronn beobachtet haben, klingt so verrückt, dass sie nicht einmal in einen hanebüchen unlogischen Spionage-Thriller passen würde. Für solch ein Drehbuch müsste man mindestens Zucker, Abrahams und Zucker engagieren, Macher der „Nackten Kanone“ und ähnlicher filmischer Absurditäten.
US-Militärgeheimdienstler der DIA (Defense Intelligence Agency) und deutsche „Verfassungsschützer“ sollen gemeinsam einen Menschen namens Mevlüt Kar observiert haben, nachdem dieser in Heilbronn Bankgeschäfte in Millionenhöhe getätigt haben soll. Mevlüt Kar war angeblich ein V-Mann des türkischen Geheimdienstes MIT und der CIA, den US- und deutsche Behörden an die Schnittstelle zwischen organisiertem Verbrechen und islamistischen (Möchtegern- ?) Terroristen platziert hatten.
Er soll observiert worden sein, weil er zu diesem Zeitpunkt Kontakte zur „Sauerland-Gruppe“ hatte, einer, nach den Vorfällen um die NSU sollte man wirklich vorsichtig formulieren, angeblichen islamistischen Terrorzelle, die im September des gleichen Jahres unter großer medialer Begleitung von der Polizei ausgehoben wurde. Mevlüt Kar soll übrigens, obwohl möglicherweise an mehreren Morden im Bereich der organisierten Kriminalität beteiligt, heute unbehelligt in Istanbul lebeni.
US- und deutsche Geheimdienstler lagen im April 2007 also auf der Lauer und verfolgten ihre Spur zur „Sauerland-Gruppe“ und alle zusammen stolperten auf einem Parkplatz vor Heilbronn über mehrere Nazi-Killer, die gerade eine Polizistin umbrachten und ihren Kollegen schwer verletzten. Laut dem Bericht der US-Agenten waren auch die „Verfassungsschützer“ in die Schießerei verwickelt. Sie berichten von einer „Schießerei, in die BW Ops (gemeint sind Beamte des Baden-Württemberger Verfassungsschutzes) Offizier mit Rechtsextremen und regulärer Polizeistreife vor Ort verwickelt waren.“ii Vier Jahre später wurde diese Top-Secret-Information den Medien zugespielt.
Sollte dies wahr sein, muss die Existenz der rechten Killer-Truppe spätestens 2007 den Spitzen von Polizei und Geheimdiensten auch auf Bundesebene bekannt gewesen sein. An diesem Ereignis waren zu viele beteiligt und es war zu wichtig, weil es mehrere Fälle berührte, es konnte nicht innerhalb einer Behörde bleiben.
Dann wären auch sämtlichen „Ermittlungen“ zum Tod der Beamtin Kiesewetter Ablenkungsmanöver gewesen. Die bundesweit in den Medien diskutierten Spekulationen über „das Phantom“, das an vielen Tatorten seine Spuren hinterlassen und mehrere, nicht miteinander in Verbindung stehende Morde zu verantworten hatte, löste sich in nichts auf, als bekannt wurde, dass die gefundenen DNA-Spuren von verunreinigten Wattestäbchen stammten, die eine Mitarbeiterin der sie produzierenden Firma dort hinterlassen hatteiii. War das eine bewusst fabrizierte Legende? War das der behördeninterne Code dafür, dass der Tod von Kiesewetter Teil einer Mordserie war? Dann wären die Polizeibeamten, denen versprochen wurde, den Mord an ihrer Kollegin mit aller Kraft aufzuklären, vom eigenen Apparat belogen worden.
Es ist jedoch unmöglich zu sagen, ob dieser Bericht von der Zeugenschaft am Mord an der Polizistin stimmt. Die jetzt laufende „Aufklärung“ besteht gewiss nicht nur aus dem schrittweisen Zugeben von „Fehlern“ und dem Sich-Entschuldigen. Es ist davon auszugehen, dass neue Nebelkerzen gezündet werden, die „Aufklärung“ seitens der staatlichen Organe dient auch der erneuten Desinformation.
Als hätten sie Diplomaten-Pässe
Die bizarre Geschichte vom Heilbronner Agenten-Terroristen-Stelldichein darf nicht darüber hinweg täuschen, dass es genug Beispiel von Wegsehen und Nicht-Handeln staatlicher Organe gibt, die eindeutig belegt sind. Einen Anspruch auf Vollständigkeit können wir aufgrund täglich neuer Meldungen nicht erheben.
In einer von dem Trio benutzten Garage in Jena wurden im Januar 1998 funktionsfähige Rohrbomben gefunden. Auf eine Festnahme wurde verzichtet, der Haftbefehl erst einige Tage später ausgestellt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt waren inzwischen untergetaucht.
Der Journalist Nils Minkmar schreibt dazu in seinem lesenswerten Artikel im Feuilleton der FAZiv.„Sie tauchten nicht besonders tief. Es war mehr so ein Schnorcheln, ein Untertauchen in der Badewanne: Sie pflegten ein soziales Leben in Zwickau, unterhielten Kontakte zu einem weiten Unterstützerkreis und besuchten Demonstrationen, Konzerte und Veranstaltungen. Viele wussten, wo die drei waren. Und wenn die rechte Szene in Deutschland ein Problem hat, dann sicher nicht jenes, allzu opak (lichtundurchlässig, d. Red.) und abgeschottet zu agieren, sondern in so hohem Maße von V-Leuten durchsetzt zu sein.“
Die drei waren nicht unbekannt. Mundlos war bereits wegen Volksverhetzung zu einer Jugendstrafe verurteilt worden. Im Umfeld des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS), dem auch die drei Jenaer Nazis angehörten, waren in den 90er Jahren mindestens drei V-Leute des Thüringer „Verfassungsschutzes“ (VS) platziert worden.
Nach Recherchen des MDR hatten Zielfahnder des thüringischen Landeskriminalamtes (LKA) die drei Untergetauchten 1998 oder 1999 aufgespürt, ein Sondereinsatzkommando (SEK) wäre zum Zugriff bereit gewesen. Dieser sei kurz zuvor abgeblasen worden, die Zielfahnder auf Weisung des LKA zurückgepfiffen worden. Dieses bestreitet die Darstellung. Der damalige Innenminister Dewes (SPD) sagte, er dürfte als ehemaliger Amtsträger nichts zu dem Vorfall sagen. Der zwielichtige, selber rechter Sympathien verdächtige damalige Chef des Thüringer VS, Roewer, sieht die Verantwortung für Verzicht auf eine Festnahme der drei Nazis nicht beim VS, sondern bei der Polizei.
Über einen V-Mann hat das Landesamt den drei Untergetauchten sogar neue Pässe finanziert, angeblich, um so eine Spur zu bekommen. Durch das Abhören von Telefonaten hätte man gewusst, dass die drei Probleme hatten, neue Pässe zu bekommen. Dem V-Mann Tino Brandt vom THS habe man 2.000 DM übergeben. Ob dieses Geld beim Trio angekommen ist, ist nicht klar. Auf jeden Fall wurden neue Pässe wären erstellt. Da der VS die Sächsischen Meldeämter aber nicht informiert habe, sei keine Spur aufgetaucht. Auch weitere Geldzahlungen an das Trio über Mittelsmänner seien erfolgt.
Wenn man die alberne Geschichte, der „Verfassungsschutz“ würde eine Mausefalle bauen, indem man Käse hineinlegt, aber den Schnappmechanismus ausschaltet, beiseite lässt, bleibt unter dem Strich die Information, dass die Nazi-Terroristen in ihre Zeit im „Untergrund“ staatlich subventioniert wurden.
Andreas T. aus Hofgeismar, ehemaliger Mitarbeiter des Hessischen Landesamts für „Verfassungsschutz“, trägt wegen seiner faschistischen Gesinnung den Spitznamen „Kleiner Adolf“. Er war kurz vor oder sogar während des Mordes an dem Kasseler Internet-Café-Betreiber Halit Yozgat im April 2006 am Tatort. Er galt als verdächtig, die Ermittlungen gegen ihn wurden allerdings 2007 eingestellt. Bei einer Hausdurchsuchung wurden illegale Munition und Nazi-Propaganda gefunden. Nach wie vor ist nicht geklärt, ob er auch an bis zu sechs anderen Tatorten anwesend war. Wenn auch nur Teile dieser Informationen stimmen, lassen sie nur zwei Deutungsmöglichkeiten zu: Entweder T. war aus persönlicher Motivation an der Terror-Aktionen beteiligt oder der hessische „Verfassungsschutz“ war hautnah an den Killern dran, ohne eine Anstrengung zu machen sie zu fassen.v
Laut ARD hatten auf Serienkiller spezialisierte „Profiler“ der bayrischen Polizei schon zu Beginn der Mordserie an türkischen Kiosk-, Imbiss- und Internet-Café-Betreibern darauf hingewiesen, dass die Taten von einem rechtsextremen Serienmörder verübt worden sein könnten. Ohne jeden Hinweis auf einen mafiosen oder privaten Hintergrund wurde jedoch von den Ermittlungsbehörden die Sonderkommission „Bosporus“ gegründet und der zynische Begriff „Döner-Morde“ geprägt und somit ein Zusammenhang zur Türkei hergestellt.
Als im Juni 2004 die Nagelbombe in der Kölner Keupstraße gezündet wurde, erklärte der damalige Innenminister Schily schon am Tag darauf, es gäbe Hinweise auf das „kriminelle Milieu“, der Anschlag sei definitiv nicht ausländerfeindlich motiviert.
Der Verfasser dieser Zeilen beschrieb schon damals, dass vieles auf einen rechten Anschlag hindeutete:
„Wenn man sich die Zusammenhänge anschaut, wird klar, dass ein rechtsextremer Anschlag zumindest nicht die unwahrscheinlichste Möglichkeit ist: Anschläge zum Zwecke der Einschüchterung von Konkurrenten oder der Schutzgeld-Erpressung sind meist gezielt, sie sollen einen definierten Schaden anrichten, bei bestimmten Menschen Angst schüren und dadurch ein konkretes Ergebnis erzielen. Die Nagelbombe in der Keupstraße war hingegen klassisch terroristisch: sie sollte möglichst großen, ungezielten Schaden anrichten und dadurch Schrecken (lat.: terror) verbreiten. Wer in der Keupstraße eine Bombe legt, weiß, dass dadurch vor allem Menschen türkischer und kurdischer Herkunft getroffen werden (…) Das fehlende Bekennerschreiben ist nicht untypisch, weder beim Anschlag auf das Oktoberfest 1980 noch bei der Terrorserie in Italien Anfang der 70er Jahre gab es Bekennerschreiben. Rechtsextreme Gruppen wollen mit ihren Anschlägen keine gezielten Attacken z.B. gegen Vertreter des Staates durchführen und dies auch politisch begründen, ihnen geht es darum, Angst zu schüren und das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft zu stören. Für sie ist es ein Erfolg, wenn z.B. die Leute in der Keupstraße Angst vor rechtem Terror haben und in den Köpfen von anderen hängenbleibt, ,kriminelle Ausländer” hätten untereinander Streit gehabt.“
Das Phantombild desjenigen, der die Nagelbombe vor dem Friseurladen in der Keupstraße deponiert hatte, ähnelte sehr dem untergetauchten Nazi Mundlos, seine Bombenbautätigkeit war bekannt. Ein Jahr später wurde in Nürnberg der Imbiss-Betreiber Ismail Yasar ermordet. Das Phantombild dieses Täters wiederum hatte eine große Ähnlichkeit mit dem Bild aus Köln. Nach eigenen Angaben hatten Journalisten des Kölner Stadtanzeigers (KStA) dies bei einer Recherche 2006 entdeckt und den Ermittlungsbehörden mitgeteilt. Die Kölner Polizei reagierte laut KStA prompt und erklärte, es handele sich um einen reinen Zufall. Der Stadtanzeiger veröffentlichte 2006 weder seinen Verdacht noch die unverständliche Antwort der Polizei.
Während die Ermittler angeblich keine Hinweise auf einen rechten Hintergrund der Mordserie entdecken konnten, feierte die Szene ihre „Helden“. Die Nazi-Band „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ aus Niedersachsen veröffentlichte im Juni 2010 den Song „Döner Killer“, in dem es u.a. heißt: „Neun mal hat er es jetzt schon getan / Die SoKo Bosporus, sie schlägt Alarm / Die Ermittler stehen unter Strom / Eine blutige Spur und keiner stoppt das Phantom (…) Schließlich am Dönerstand herrschen Angst und Schrecken /Kommt er vorbei, müssen sie verrecken“.
Dieser – legale – Song wurde auf Konzerten gespielt, man konnte ihn im Internet herunterladen, der wurde 2010 zu einem „Sommerhit“ der Nazi-Szene. Nicht einmal die Anspielung auf das „Phantom“, so nannten die Ermittler lange Zeit den Mörder der Polizistin Kiesewetter, brachte die Behörden dazu, den Sänger, Daniel „Gigi“ Giese, zum Verhör zu bitten.
Laut Focus soll der Thüringer VS ein Observationsfoto vom 15. Mai 2000 besitzen, auf dem die drei „Untergetauchten“ zu sehen sind. Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittele zwar wegen „Strafvereitelung im Amt“ gegen mehrere Personen, allerdings sei diese Straftat heute schon verjährt.vii
Es gab unzählige Spuren der „Untergetauchten“, unzählige Hinweise auf einen rassistischen Hintergrund der Morde und Anschläge, unzählige Möglichkeiten zum Zugriff. Zumindest zeitweise war den staatlichen Organen der Aufenthaltsort der drei bekannt. Sie waren ohnehin nicht wirklich abgetaucht, sie hielten Kontakt zur rechten Szene, machten Urlaub, veröffentlichten ein Brettspiel, produzierten Propaganda-Filme. Sie hatten definitiv Beschützer und Helfer im Staatsapparat.
Drei gegen den Rest?
Die noch Anfang November von Polizei und Geheimdiensten verbreitete Legende, man habe die Terror-Zelle nicht entdecken können, weil die drei eine so kleine, komplett abgeschottete Gemeinschaft gewesen seien, löste sich nach wenigen Tagen im Nichts auf. Die Behörden stießen schon nach den ersten zaghaften Ermittlungen auf eine ganze Reihe von Verdächtigen und mussten weitere Festnahmen vornehmen.
Die Ermittlungen verliefen zum Teil absurd. Die Namen von Verdächtigen wurden Tage vor Hausdurchsuchungen und Festnahmen öffentlich hinausposaunt und in den Medien diskutiert. Die Verdächtigen dürften sich mit der Vernichtung von Beweisen und der Warnung ihres Umfeldes für die Offenheit der Ermittlungsbehörden bedankt haben.
Anstatt das mächtige „Anti-Terror“-Instrumentarium des Staates zu nutzen, was im Zuge der RAF und nach 9/11 eingeführt wurde und angeblich die Bevölkerung schützen sollte, wurde gemächlich durch die Gegend ermittelt. Bis zu unserem Redaktionsschluss (20.12.2011) war nicht zu sehen, dass die staatlichen Organe die gesamte gewaltbereite rechte Szene unter Druck setzen würde, um Aussagen zu provozieren,
Der Paragraph 129a des Strafgesetzbuches – „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ – wurde in der Vergangenheit häufig gegen Linke eingesetzt. Er ermöglicht den Ermittlungsbehörden, das gesamte Umfeld der Verdächtigen auszuspähen, die Haft- und prozessualen Rechte der Verdächtigen zu beschneiden und bildet die Grundlage des „Beweisvereinfachungsverfahrens“. Die Logik dieses Verfahrens: Gerichte nehmen an, dass die Mitglieder einer terroristischen Gruppe die Methoden der Gruppe gutheißen. Ihnen muss daher nicht im Einzelfall die Beteiligung an einem Verbrechen nachgewiesen werden, man kann davon ausgehen, dass sie dabei waren. Nach dieser Logik wurden tatsächliche oder mutmaßliche Mitglieder der RAF verurteilt, ohne dass sie die ihnen vorgeworfenen Taten begangen hatten.
Gegen rechte Mörder wurde der Paragraph 129a bisher nicht angewandt, da sie angeblich alle „Einzeltäter“ waren. Es ist auch nicht abzusehen, dass dieses Werkzeug genutzt wird, um das gesamte Umfeld der NSU auszuspähen, schnelle Festnahmen vorzunehmen, sämtliche Verdächtigen voneinander zu isolieren und durch die Drohung, wegen der Mitgliedschaft in der NSU für Banküberfälle und Mord belangt zu werden, die Nazi-Szene weich zu kochen. Der 129a ist und bleibt ein Paragraph, der vor allem zur Einschüchterung und Überwachung der politischen Linken dient.
Inzwischen berichten Zeugen, dass nicht nur eine kleine Gruppe von Faschisten aus den alten Zusammenhängen in Thüringen und Sachsen die in Zwickau basierte Zelle unterstützt hat, sondern dass ein bundesweites Unterstützungs-Netzwerk existiert. Ein Zeuge aus dem Rheinland gab an, die drei wären noch 2009 auf einer Veranstaltung von Nazis in Erftstadt bei Köln zu Besuch gewesen. Ein weiterer, angeblich früher selbst beteiligt, erklärte, die „Kameraden“ vor Ort, z.B. in Nürnberg, hätten die Ziele ausgespäht und logistische Unterstützung geleistet. Nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau hatte die NSU Kontakte nach Rheinland-Pfalz, in Ludwigshafen sei eine weitere terroristische Gruppe um Malte R. entstanden, der auch verdächtigt würde, den Brand in einem Ludwigshafener Wohnhaus gelegt zu haben, bei dem im Feburar 2008 neun türkischstämmige Bewohner getötet worden waren.viii
Auch in diesem Zusammenhang muss nicht jede einzelne Aussage richtig sein. Aber es deutet Einiges darauf hin, dass diese Hinweise stimmen.
Welches Muster kann der bundesweiten Ausbreitung der Morde zu Grunde liegen? Haben die Killer aus Zwickau gewürfelt, in welcher Stadt sie einen Migranten töten? Ist es plausibel, dass sie alle Ziele persönlich ausgespäht, alle Anschläge selbst vorbereitet und eigenhändig durchgeführt haben? Ist es wahrscheinlich, dass sie in allen Fällen nie von einer Entdeckung bedroht waren, obwohl sie sich als Do-it-yourself-Terroristen beteiligten? Ist es realistisch, dass mehr als ein Dutzend Banküberfälle glatt laufen, dass die immer drei gleichen Leute nie erwischt werden?
Wahrscheinlicher ist, dass sie nur ein Teil eines terroristischen Netzwerks waren und Andere an Auswahl, Vorbereitung und zumindest absichernd an der Durchführung beteiligt waren. Darauf deutet auch die regionale Verteilung der Morde und der beiden Bombenanschläge in Köln. Man kann sich auch vorstellen, dass hier regionale Nazi-Gruppen nacheinander einen Beweis ihrer Handlungsfähigkeit und dem, was Nazis unter „Mut“ verstehen, erbracht haben. Vorstellbar ist, dass die Morde durch andere vorbereitet wurden und die Killer aus Sachsen zu deren Vollendung anreisten. Möglich ist aber ebenso, dass die NSU Know-How, Waffen und Technik stellte und örtliche Nazis die Morde ausgeführt haben. Bei jemandem, der einen Mord begeht, dürfte das Risiko, gegenüber der Polizei zu plaudern und andere zu belasten, geringer sein, als wenn man „nur“ der Beihilfe schuldig ist.
Das seltsam plötzliche Aufgeben der drei durch Selbsttötung und Sich-Stellen könnte auch damit erklärt werden, dass diese Zelle als vorderste Linie geopfert wurde, um eine mögliche zweite Reihe zu schützen und deren Weiterarbeit in der Zukunft zu ermöglichen, wenn Verfolgungsdruck und öffentliche Aufmerksamkeit nachgelassen haben.
Angeblich sollten mit dem Anzünden des Wohnwagens, in dem Mundlos und Böhnhardt saßen und der Sprengung des Hauses in der Zwickauer Frühlingsstraße Beweise vernichtet werden. Aber warum wurden ausgerechnet alle wirklich wichtigen Beweise gefunden, allen voran das Bekenner-Video und zwei Pistolen aus den beiden wichtigsten unaufgeklärten Mordfällen der jüngeren deutschen Kriminalgeschichte? Es wäre ein Leichtes gewesen, die Waffen sicher zu entsorgen, z.B. in einem Gewässer. Lassen sich diese Funde mit dem Wunsch der Zwickauer erklären, nach ihrem Ableben zu Nazi-Helden zu werden? Warum wurde dann der Wohnwagen in Brand gesetzt, das Haus gesprengt? Immerhin hätten die Beweise auch vernichtet oder beschädigt werden können.
Der ganze Fall ist wie eine außer Kontrolle geratene Verschwörungstheorie. Insofern ist Vorsicht dabei geboten zu vermuten, dass es nur so oder so gewesen sein könne. Aber zumindest werfen die Umstände des Endes des Trios die Frage auf, ob dieses nicht auch dazu gedient haben könnte, die Verantwortung für alle Taten auf die drei zu konzentrieren. Als unbewiesen muss daher auch die Behauptung gelten, dass sich Mundlos und Böhnhardt selbst getötet haben.
Rechter Terror ganz was Neues?
Die gespielte Überraschung der Behörden, dass Nazis auch zu Terror greifen, grenzt ans Lächerliche. Gundolf Köhler hat beim schlimmsten Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte während des Münchener Oktoberfestes 1980 13 Menschen getötet und 200 schwer verletzt. Obwohl er Verbindungen zur bewaffneten rechtsextremen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ hatte, wurde er als „Einzeltäter“ bezeichnet, der aus privaten Motiven gehandelt hätte, die Ermittlungen wurden schon nach wenigen Monaten eingestelltix.
Seit der Welle rassistischer Pogrome und Brandanschläge Anfang der 90er Jahre sind über 180 Menschen von Nazis und Rassisten getötet worden. Diese Taten wurden überwiegend nicht von langfristig und straff organisierten terroristischen Zellen durchgeführt, sondern waren zum Teil „spontane“ Ausbrüche rassistischen Hasses oder gingen auf das Konto von Gruppen, die sich nur zu einem Anlass zusammen fanden und danach keine weiteren Anschläge unternahmen, wie bei dem Brandanschlag von Solingen, bei dem 1993 fünf türkische Frauen starben. Aber natürlich sind all diese Taten rechter Terror, verübt, um MigrantInnen, Linke, GewerkschafterInnen und alle, welche die Nazis für unwert halten, zu terrorisieren, in Angst und Schrecken zu versetzen.
Neu an der Zwickauer Zelle ist lediglich der langfristige Ansatz und die häufige Verwendung von Schusswaffen. Laut Berichten stammt der Sprengstoff, der beim Nagelbombenanschlag in Köln 2004 verwendet wurde, aus einem 1991 begangenen Einbruch in einem Bundeswehrdepot in Kahla (Thüringen). Der stern berichtete, dass inzwischen – erst 13 Jahre nach deren Entdeckung! – Ermittler herausgefunden hätten, dass auch bei den 1998 vom Nazi-Trio gebauten Rohrbomben das 1991 gestohlene Bundeswehr-TNT verwendet worden ist.
Allein in den letzten zwei Jahren wurden 800 Waffen bei Nazis beschlagnahmt, darunter „laut BKA auch 15 Faustfeuerwaffen, 16 Langwaffen und sogar 8 Kriegswaffen. Zudem fand die Polizei bundesweit 40 Spreng- und Brandvorrichtungen bei rechtsextremen Gruppierungen.“x Allein im kleinsten Bundesland Bremen zogen die Behörden Anfang Dezember sechs Waffenscheine und dazu gehörige legale Waffen von Anhängern der NPD und der DVU ein. Die Erkenntnis, dass Nazis „charakterlich nicht geeignet seien“, Waffenscheine zu führen, kam reichlich spät.
Laut Bundeskriminalamt (BKA) sind derzeit 144 Neofaschisten verschwunden, in den Untergrund gegangen oder ins Ausland verzogen. Alle Bestandteile für den rechten Terror waren und sind vorhanden: Bekennende Nazis haben sich seit Jahren mit Waffen und Sprengstoff ausgestattet. Terror-Strategien wurden in der Szene diskutiert, vieles an den Taten der Zwickauer Zelle erinnert an Konzepte, die im Umfeld des „Blood and Honour“-Netzwerks und „Combat18“ in Großbritannien schon in den 90er Jahren entwickelt wurden. Rechte Gruppen haben mit Waffen trainiert. Die Bereitschaft zum Vernichten ist in der Szene vorhanden, das zeigen die vielen Toten seit 1990.
Von Herrenmenschen und Kettenhunden
Die staatliche Verstrickung in den Terror-Skandal bedeutet nicht, dass die Regierung und die Führung der etablierten Parteien Sympathien für Nazi-Gruppen haben oder diesen den Weg ebnen wollen, zu einer Massenkraft zu werden und die Machtergreifung vorzubereiten. Weder die Spitzen der Politik noch die wirtschaftlich Herrschenden, die Vertreter der Banken und Konzerne, haben in der jetzigen Periode Interesse an einer unkontrolliert agierenden und wachsenden faschistischen Bewegung.
Das Kapital zieht es prinzipiell vor, nicht mit einer offenen Diktatur, sondern vermittels der Parteien und des Parlamentes zu herrschen. Alle bürgerlichen Parteien bedienen qua ihrer materiellen und ideologischen Einbindung in das bürgerliche Establishment die Kapitalinteressen.
Diese Regierungsform ermöglicht es der herrschenden Klasse, aufkommende Kritik früh zu erkennen und beinhaltet die Möglichkeit, diese in für die Aufrechterhaltung der Herrschaft ungefährliche Bahnen zu lenken. Erst wenn die sozialen Widersprüche zunehmen, unversöhnlich werden, die Menschen sich nicht mit kleinen Zugeständnissen und Propaganda ruhig stellen lassen, verliert die parlamentarische Herrschaftsform ihre Vorteile für das Kapital. In solchen Phasen werden autoritäre Herrschaftsformen – z.B. Militär- oder Polizeiregimes – für die herrschende Klasse interessant.
Vorformen solch autoritärer Regimes bilden die Reduzierung demokratischer oder parlamentarischer Rechte oder die Installation von sogenannten „Experten-Regierungen“, wie wir sie jüngst in Griechenland und Italien erlebt haben. Dort können die sozialen Konflikte nicht mehr allein durch parlamentarische Gepflogenheiten in für die Herrschaft der Kapitalisten unschädliche Bahnen gelenkt werden.
Die Machtübergabe an die Nazis in Deutschland 1933 war das Ergebnis einer extrem zugespitzten Krise des Kapitalismus. Der zu spät gekommene, aber dynamische deutsche Kapitalismus, war durch die Niederlage im 1. Weltkrieg von den imperialistischen Konkurrenten zurecht gestutzt worden.
Die deutschen Konzerne brauchten zur Rettung ihres Systems eine massive Ausweitung der Absatzmärkte und der Eroberung von Rohstoffquellen durch eine aggressive, kriegerische Außenpolitik sowie die Zerschlagung der Arbeiterbewegung im Inneren, um die Löhne massiv zu senken, die gesamte Bevölkerung für die Rüstungsproduktion zu mobilisieren und die Gefahr der sozialistischen Revolution ein für allemal zu erledigen.
Sie hatten vor Hitler schon verschiedene Methoden genutzt: Das Regime der „Notverordnungen“ unter Kanzler Brüning, gestützt auch von der SPD, der ähnliche Maßnahmen ohne parlamentarische Beratung durchsetzte wie heute die „Troika“ aus EU, IWF und EZB in Griechenland. Darauf folgten verschiedene autoritäre Regimes unter von Papen und Schleicher, Übergänge zur Militärdiktatur.
Die deutschen Kapitalisten hatten lange gezögert, die NSDAP zu unterstützen und begannen erst ab Anfang der 30er Jahre, Hitler großzügig mit Geld auszustatten und beschleunigten somit den Aufstieg seiner Bewegung.
Die Besonderheit des Faschismus im Unterschied zu anderen reaktionären Regimes ist die Mobilisierung der kleinbürgerlichen und subproletarischen Massen und deren terroristische Wendung gegen die Arbeiterbewegung. Um diese Massen in Wallung zu bringen, musste Hitler zu einer „antikapitalistischen“ Rhetorik greifen. Die alten Eliten waren zu Beginn nicht sicher, ob solch eine Bewegung, einmal an der Macht, nicht unter Druck ihrer Basis geraten würde, wirklich antikapitalistische Maßnahmen durchzuführen. Die Führung der Nazi-Bewegung konnte die Kapitalisten beruhigen, dass ihr System unangetastet bleiben würde.
Er hielt seine Zusagen ein. Der Faschismus mobilisierte zwar die kleinbürgerlichen und verelendeten Massen, doch seine Herrschaft bedeutete nicht, dass deren Forderungen und Erwartungen verwirklicht wurden. Der Faschismus zerschlug die Arbeiterbewegung, sowohl ihren revolutionären als auch ihren reformistischen Flügel, atomisierte sie geradezu. Er machte damit den Weg frei zur vollständigen Durchsetzung der Profitinteressen des Kapitals. Die NSDAP war die einzige Kraft, die dazu Anfang der 30er in der Lage war, eine „normale“ Militärdiktatur hätte dies nicht durchsetzen können. Um die Arbeiterbewegung zu zertrümmern, zu demoralisieren niedergedrückt zu halten, bedurfte es eines Systems des Massenterrors, bedurfte es SA, SS und Blockwarte, die in jedem Stadtteil, jeder Straße ihre Kontrolle ausübten. Eine Militärdiktatur, lediglich gestützt auf bezahlte Soldaten, hätte diese Arbeiterbewegung nicht atomisieren können.
Allerdings bezahlten die Kapitalisten einen hohen Preis für den Sieg der Faschisten. Sie mussten die Abenteurer an die Macht bringen, weil nur diese Abenteurer und Rassenfanatiker den Krieg organisieren konnten. Aber die faschistischen Hasardeure erwiesen sich als unfähig umzuschwenken, als sich ab 1943 die Niederlage abzeichnete. Sie führten den deutschen Kapitalismus in den „Untergang“ von 1945 und schwächten die Macht des deutschen Kapitals für eine ganze historische Periode.
Aus der Erfahrung mit der Nazi-Herrschaft hat die Kapitalistenklasse weltweit gelernt. Sie hatte sich die Finger verbrannt und ist vorsichtiger geworden. Seit dem Ende des Hitler-Regimes und der militärdiktatorischen „Normalisierung“ der faschistischen Regime in Portugal und Spanien hat keine herrschende Klasse ihre politische Macht an eine neue Nazi-Bewegung abgegeben.
Das heißt jedoch nicht, dass die Kapitalisten ihren Staat konsequent gegen Nazis und Rassisten einsetzen oder darauf verzichten, die rassistische Karte zu spielen. Nationalismus und Rassismus sind in einer kapitalistischen Gesellschaft zentrale Mechanismen, um die arbeitenden Menschen zu spalten, zu schwächen, von den sozialen Widersprüchen abzulenken und die Entwicklung eines Klassenbewusstseins zu verhindern.
Strategie der Spannung
In vielen Ländern wurden faschistische Organisationen weiterhin von den Kapitalisten benutzt, allerdings dienten sie immer nur als Hilfstruppe, wurden gehalten wie Kettenhunde, die man mal von der Leine lässt, um die Arbeiterbewegung und die Linke einzuschüchtern, die man aber auch in den Zwinger einsperrt, wenn sie zu laut werden.
Eine besondere Rolle war den Faschisten zu Zeiten der Konfrontation mit der Sowjetunion zugedacht. Mit Gladio (ital. „Schwert“) hatte die NATO eine paramilitärische Geheimorganisation geschaffen, die auf Sabotage und Terror vorbereitet wurde, angeblich für den Fall einer Invasion Westeuropas durch die Truppen des Warschauer Paktes.
Gladio wurde in allen NATO-Staaten aufgebaut. Die Mitglieder rekrutierten sich aus militärischen Spezialeinheiten, Geheimdienstlern und Angehörigen faschistischer Organisationen. Die tatsächliche Arbeit von Gladio hatte wenig mit der Gefahr einer sowjetischen Invasion zu tun. Stattdessen war das Netzwerk für Terroranschläge verantwortlich.
In Italien spitzten sich Ende der 60er Jahre die Klassenkämpfe zu, Millionen ArbeiterInnen und Jugendliche organisierten sich in linken Gruppen, Streiks eskalierten. Die herrschende Klasse Italiens setzte auf die „Strategie der Spannung“, auf die Eskalation von Terror, um Ängste zu verbreiten und autoritäre Maßnahmen gegen die Linke zu rechtfertigen. Ab 1969 erschütterten mehrere schwere Terroranschläge das Land. Beim Anschlag auf der Piazza Fontana in Mailand starben im Dezember 1969 17 Menschen, beim Bombenanschlag auf den Mailänder Hauptbahnhof 80 Menschen. Bekennerschreiben für diesen Massenterror gab es nicht, wegen des Anschlages in Mailand ermittelte die Polizei gegen Linke.
Inzwischen ist bewiesen, dass die Anschläge durch rechtsterroristische Gruppen wie Ordine Nuovo („Neue Ordnung“) in Verbindung mit der Geheimloge P2, welche bis in höchste staatliche Stellen reichte, geplant und durchgeführt wurden. Der Rechtsterrorist Vincenzo Vinciguerra erklärte die „Strategie der Spannung: „Man musste Zivilisten angreifen, Männer, Frauen, Kinder, unschuldige Menschen, unbekannte Menschen, die weit weg vom politischen Spiel waren. Der Grund dafür war einfach. Die Anschläge sollten das italienische Volk dazu bringen, den Staat um größere Sicherheit zu bitten. (…) Diese politische Logik liegt all den Massakern und Terroranschlägen zu Grunde, welche ohne richterliches Urteil bleiben, weil der Staat sich ja nicht selber verurteilen kann.“
Ein Zusammenhang deutscher Ableger des Gladio-Netzwerks mit dem Anschlag auf das Münchener Oktoberfest konnte nicht bewiesen werden, allerdings gab es Verbindungen von Köhler zum Faschisten Heinz Lembke, dessen umfangreiche Waffendepots – u.a. 14.000 Schuss Munition, 50 Panzerfäuste und 156 kg Sprengstoff in moderner Qualität – nach Auffassung mehrerer Journalisten auf eine Verbindung zu Gladio hindeuteten. Lembke erhängte sich einen Tag vor seiner Vernehmung in seiner Gefängniszelle, am 1.11.1981 und wurde im Nachhinein als „Einzeltäter“ bezeichnet.
Die türkischen Faschisten von den „Grauen Wölfen“ trugen durch ihren Terror zur Destabilisierung der Türkei Ende der 70er Jahre und dienten damit zur Rechtfertigung des Militärputsches vom 12. September 1980, den die Generäle damit begründeten, „Ruhe und Ordnung“ wiederherzustellen. Ihre Hilfe beim Vorgehen gegen Linke und die Arbeiterbewegung wurde den Faschisten jedoch nicht gedankt, das Militär wies sie in die Schranken. In der Türkei herrschte ab 1980 kein Faschismus, sondern eine „normale“ kapitalistische Militärdiktatur. Ebenso in Chile 1973, wo auch im Vorfeld des Putsches faschistische Gruppen aktiv waren, aber von den Generälen verboten wurden, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatten. Diese Funktion als Kettenhunde des Kapitalismus hatten und haben die Nazis auch in Deutschland.
Um an dieser Stelle kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die rechten Diktaturen in der Türkei, Chile, Argentinien, Indonesien und vielen anderen Ländern waren brutal und grausam. Zehntausende, im Fall Indonesiens weit mehr, ArbeiterInnen und Linke wurden ermordet. Die Generäle hatten von den Nazis gelernt, verwendeten z.B. deren Foltermethoden. Tatsächlich hilft es jedoch nicht, diese Regime als „faschistisch“ zu definieren, denn der Faschismus ist eine besondere Herrschaftsform des Kapitals, der durch seine Massenmobilisierung der enthemmten Kleinbürger und Lumpenproletarier in der Lage ist, die Arbeiterbewegung tiefer und lang anhaltender zu vernichten, als es jede noch so blutige Militärdiktatur kann.