Die DDR als Faustpfand

60 Jahre „Stalin-Note“


 

Konrad Adenauer, der erste Kanzler der jungen Bundesrepublik, saß gerade im Hotel Dreesen in Bad Godesberg und speiste im malerischen Ambiente des Rheinlandes mit den drei Hohen Kommissaren der Westalliierten, als ihm die Nachricht von einer diplomatischen Note Stalins überbracht wurde. (Vgl.: Darstellung der Ereignisse durch Wilhelm Grewe, Diplomat der BRD, Stand 08.03.2012.) Damit ändere sich nichts, war seine lapidare Bemerkung bevor er das Papier den drei Repräsentanten Frankreichs, Großbritanniens und der USA zuschob. Auch sie waren sich überraschend schnell einig. Was Stalin da vorschlug war bloße Propaganda und so müsse man die Sache auch in der Öffentlichkeit darstellen. Der Generalsekretär der KPdSU versuche nichts Anderes als die Einbindung des frisch gebackenen westdeutschen Staates zu unterminieren – das werde man nicht zulassen!

von Steve Kühne, Dresden

Eigenartig: Das was der erste Mann der UdSSR da anbot war nichts weniger als die Vereinigung der zwei deutschen Teil- zu einem souveränen Gesamtstaat, also genau das was die westlichen drei Siegermächte des Zweiten Weltkriegs immer gefordert hatten. Doch verdächtig schnell war man sich in den diplomatischen Korps und Regierungen der Westmächte darin einig, dass dieser Vorstoß Stalins nur eine Falle sein könne.

Was schlug Stalin vor?

Die erste „Stalin-Note“ vom 10.März 1952 formulierte das Ziel der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands als ein „[…] unabhängiger, demokratischer, friedliebender Staat […].“ (Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen [Hrsg.]: „Die Bemühungen der Bundesrepublik um Wiederherstellung der Einheit Deutschlands durch gesamtdeutsche Wahlen. Teil 1“, Bonn: 1958, S. 85ff.) Voraussetzung sei der Abzug aller Besatzungsstreitkräfte. Der neue deutsche Staat solle seinen BürgerInnen alle Grundfreiheiten gewähren, […] einschließlich der Offiziere und Generale, allen ehemaligen Nazis […]“, ausgenommen jenen, die rechtskräftig verurteilt wurden.(ebd.) Nur drei Bedingungen knüpfte Stalin an sein Angebot: In dem zu bildenden deutschen Staat müsste die Existenz demokratie- und friedensfeindlicher Gruppen verunmöglicht sein (ebd.), die in der Potsdamer Konferenz durch die Siegermächte festgelegte Oder-Neiße-Grenz müsse unangetastet bleiben (ebd.) und – und diese Forderung war für die drei westlichen Siegermächte der Stein des Anstoßes – Deutschland dürfe sich an keiner Koalition beteiligen, die gegen einen der Staaten gerichtet sei, die am Krieg gegen Deutschland teilgenommen hat. (ebd.)

Es ist wohl am ehesten dieser Punkt, der die Westmächte auf die Hinterbeine trieb. Im März 1952 war die BRD bereits mehr als ein nur ein neugegründeter Staat, der auf den Trümmern des Dritten Reichs entstanden war. Sie mauserte sich schon wenige Jahre nach Ende des Krieges wieder zu einer ökonomisch bedeutenden Macht auf dem europäischen Festland. Der Weststaat, durch ein milliardenschweres Wiederaufbauprogramm, den „Marshall-Plan“, gehätschelt, gefördert durch den faktischen Abbruch der „Entnazifizierung“, die gerade die wirtschaftlichen Eliten bedroht hätte, sollte als „Bollwerk gegen den Ostblock“ in die westliche Hemisphäre integriert werden. Die „Europäische Verteidigungsgemeinschaft EVG“ und der „Deutschlandvertrag“, der die Wiederbewaffnung ermöglichen waren erste entscheidende Schritte auf diesem Weg. Genau diese sahen die Westmächte und Adenauer nun bedroht. So legten sie sich eine entsprechende Bewertung der „Stalin-Noten“ zurecht: „Man wollte in lange Verhandlungen kommen, damit während dieser Zeit die Beratungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, die sowieso schwierig waren, ins Stocken gerieten“, hielt Adenauer in seinen Erinnerungen fest. (Adenauer, Konrad: „Erinnerungen. Band 2“, Stuttgart: 1968, S. 70.) Lief dies noch auf die Darstellung weitere Westintegration oder Verhandlungen mit Moskau hinaus und entbehrte so nicht jeder Grundlage, war der Rest nur noch reine Propaganda: Die Kreml-Führung wolle durch eine Verhinderung der (west-)europäischen Integration den eigenen Machtbereich ausweiten. (Vgl.: Ebd.: S. 70f.) Außerdem – so die Darstellung der bürgerlichen Geschichtsschreibung bis heute – sei die Note nichts anderes als ein geschickter Propagandacoup, mit dem Ziel dem Westen die Schuld an der deutschen Teilung zuzuschieben. (Vgl.: Birke, Adolf M.: „Nation ohne Haus. Deutschland 1945-1961“, Berlin: 1989, S. 312.)

Wirklich nur Propaganda?

Will man die tatsächlichen Absichten der „Stalin-Noten“ verstehen, dann muss man die Rolle der in der UdSSR herrschenden bürokratischen Führungsschicht verstehen. Stalins Machtergreifung ging einher mit einer Abkehr von den grundliegenden Prinzipien der Politik der Bolschewiki unter Lenin und Trotzki vor und nach der Oktoberrevolution 1917. Statt sich am sozialistischen Gleichheitsideal zu orientieren, lag das Interesse der undemokratisch herrschenden Sowjet-Bürokratie vor allem in der Erhaltung der eigenen sozialen und politischen Position. Tausende Morde an überzeugten Revolutionären in der UdSSR und weltweit waren die unweigerliche Folge. Die eigene Macht musste geschützt werden, egal zu welchem Preis. Dies führte nicht nur zu Terror gegen jede Opposition im Innern, sondern auch zum Kampf gegen wirklich sozialistische Revolutionen in anderen Ländern. Das Beispiel Spanien 1936 und 1937 zeigt dies exemplarisch. Dort beteiligte sich die unter Kontrolle aus Moskau stehende KP an der Niederschlagung einer Revolution.

Nach dem Sieg im Zweiten Weltkrieg und der Teilung Europas in einen von kapitalistischen Westmächten und Stalinismus besetzten Teil. Stellte sich die Frage des weiteren Vorgehens. Deutschland sollte u.a. durch die Abtrennung Österreichs dauerhaft geschwächt werden und zwischen Ost und West eine Pufferzone aus abhängigen Staaten entstehen. (Vgl.: Laufer, Jochen (2004): Der Friedensvertrag mit Deutschland als Problem der sozialistischen Außenpolitik“, in: „Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte“ (1/2004), München, Oldenbourg, 2004, S. 99-118, S. 101f.

) Eine unabhängige sozialistisch-demokratische Entwicklung wollte die UdSSR nirgends dulden, sie hätte den eigenen Machtanspruch gefährdet. Diese Überlegungen brachten den Aufbau von Vasallenstaaten in Ost- und Mitteleuropa mit sich und machte die stalinistische Führung zu einem Komplizen der Westmächte beim Wiederaufbau des Kapitalismus in Westeuropa. (Vgl.: Bechert, Robert: „Die gescheiterte Revolution. DDR 89-90“, Köln: 1999, S. 22f.)

In dieser Konzeption kam der Aufbau eines nicht-kapitalistischen „Oststaates“ nicht vor. Selbst als nach der Gründung der BRD am 23.05. und der der DDR am 07.10.1949 formal eine andere Situation entstanden war, notierte Otto Grotewohl, DDR-Regierungschef von Moskaus Gnaden, in seinen Kalender: „Provisorium für längstens ein Jahr.“ Das Sicherheitsbedürfnis der Kreml-Oligarchie ließ eine nicht-kapitalistische DDR nicht als unbedingt notwendig erscheinen. Wenn man im Austausch für die Neutralisierung Deutschlands die DDR hingeben musste – so waren Stalin und Konsorten dazu gern bereit. Die DDR war ein Faustpfand, nicht mehr.

Schon seit einigen Jahren spielte man in Moskau entsprechende Sandkastenspiele: (Vgl.: Ebd.: S. 99) Grundüberlegung war die Frage, was könne man dem Westen anbieten, damit dieser dazu bereit sei die Westintegration der BRD aufzugeben und einer Vereinigung und Neutralisierung Deutschlands zuzustimmen. Bei dem Versuch vom März 1952 ging Stalin auf diesem Weg verdammt weit. Nicht nur, dass er die Existenz deutscher Streitkräfte und Rüstungsunternehmen als indiskutabel ausgab, er bot auch allen(!) Deutschen, explizit auch den Nazis, die Bildung einer „Volksfront für die Vereinigung Deutschlands“ an. Nach der Abkehr von der antifaschistischen Einheitsfront aus Arbeiterorganisationen vor dem Krieg und der Propagierung der antifaschistischen Volksfront aus Arbeiterorganisationen und bürgerlichen Gruppierungen, war dies ein weiterer Schritt nach rechts. Durchaus kein prinzipieller. Prinzipien waren ein Luxus, den sich die Moskauer Bürokraten im Kampf um die Erhaltung ihrer Macht nicht leisten konnten. Aber doch ein deutlicher Rechtsruck in der nationalen Frage Deutschlands.

Die Stalin-Noten und Deutschland

Die Frage des Umgangs mit der Offerte Stalins war in Deutschland von Anfang an nicht unumstritten. Seit der ersten Veröffentlichung der Stalin-Note in der „Täglichen Rundschau“ vom 12.März diskutierte man die Frage beinahe unentwegt. Selbst in der CDU war man zunächst gespalten (Vgl.: Birke: S. 312). Erst Adenauers vehementer Einsatz brachte die eigene Partei wieder auf Linie. Adenauer kannte nur die Politik der Westintegration um jeden Preis. Sein Ziel war der Aufbau der BRD zu einem der bedeutendsten kapitalistischen Staaten der Welt. Damit vollstreckte er den Willen der deutschen Kapitalisten und zugleich, durch die Wiederbewaffnung, den Willen der Westalliierten.

Kurt Schumacher, der erste Vorsitzende der Nachkriegs-SPD, quittierte diese Politik im Bonner Bundestag gar mit dem Zwischenruf: „Sie sind der Kanzler der Alliierten“, während einer Rede Adenauers, was Schumacher den Ausschluss von mehreren Sitzungen einbrachte. Schumachers Sozialismusvorstellungen waren im Wesentlichen die von einer Wirtschaft mit hohem Staatsanteil. Darauf verpflichtete er seine Partei.

Der gesundheitlich schwer gezeichnete Kurt Schumacher, der im ersten Weltkrieg seinen rechten Arm und als Folge dreizehnjähriger KZ-Haft sein linkes Bein verlor, war es denn auch, der in einem Brief an Adenauer diesen dazu aufforderte, nichts unversucht zu lassen, um die Möglichkeiten der „Stalin-Note“ auszuloten (Vgl.: Adenauer: S. 84f.). Auch die deutsche Öffentlichkeit verband mit dem Angebot Stalins große Hoffnungen.

Imperialismus und Stalinismus

Während der westliche Imperialismus einen westdeutschen Staat als festen Bestandteil der westlichen Militärgemeinschaft anstrebte und ihn gegen den Ostblock in Stellung zu bringen gedachte. Wurde Stalins Verrat am Sozialismus im März 1952 einmal mehr deutlich. Trotz der überwältigenden Stimmungen für eine sozialistische Umgestaltung in ganz Europa, wollte Stalin einen vereinten bürgerlich-demokratischen Staat. Sozialismus – Fehlanzeige.

Eine wirklich unabhängige, demokratische Entwicklung Europas hätte eine war weder unter der einen, noch unter der anderen Fahne möglich. Diese wäre nur dann erreichbar gewesen, wenn sich die EuropäerInnen gemeinsam erhoben hätten, um den Kapitalismus endgültig zu stürzen und den Stalinismus durch sozialistische Demokratien zu ersetzen. Ansätze dafür gab es zur Genüge: Fabrikkomitees in Deutschland, Aufstände in Griechenland sind nur einige Beispiele dafür. Doch daran hatten weder Stalin, noch der westliche Kapitalismus ein Interesse.

Die Westmächte erledigten Stalins Angebot einfach mit einem sich ewig hinschleppenden Notenaustausch, der auch weitere „Stalin-Noten“ nach sich zog. Die Verträge zur Westintegration wurden dennoch unterschrieben. Stalin musste begreifen, dass seine einstigen Verbündeten nur noch wenig von ihm hielten.

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