200.000 auf Demos in ganz Südafrika
Als die größte und kämpferischste Gewerkschaftsföderation Südafrikas, der Kongress Südafrikanischer Gewerkschaften (Cosatu), am 7. März einen eintägigen Generalstreik ausrief, den ersten seit mehr als zehn Jahren, nachdem sie sich monatelang gegen diesen Schritt gestellt und mehrere vorher angekündigte Streiks abgesagt hatte, wurde der Aufruf von der Arbeiterklasse als lang erwarteter frischer Wind begrüßt. Trotz einer bestenfalls halbherzigen Mobilisierung durch die Gewerkschaftsführung war die Beteiligung an den Demonstrationen in Johannesburg, Kapstadt und Durban hoch und auch in weiteren 29 Städten und Dörfern fanden Demos statt. Insgesamt gingen landesweit 200000 Menschen auf die Straße, der größte Protest seit der Massenbewegung gegen die Apartheid Anfang der 1980er.
von Reportern des Democratic Socialist Movement (CWI in Südafrika)
An der größten Demo nahmen in Johannesburg etwa 100000 ArbeiterInnen teil. Ungefähr 20000 demonstrierten in Kapstadt und weitere 20000 in Durban. In vielen Branchen, insbesondere im Bergbau, der Metall- und weiteren Industrien und im Einzelhandel wirkte sich der Streik deutlich wirtschaftlich aus.
ArbeiterInnen nutzten die Gelegenheit, ihre Wut über die besonders ausbeuterische Praxis der Leiharbeit und die faktische Privatisierung der Autobahnen in der Provinz Gauteng durch ein „E-Maut“-System, das im nächsten Monat eingeführt werden soll (dagegen richteten sich die Hauptforderungen des Cosatu) auszudrücken. Die DemonstrantInnen zeigten auch eine allgemeinere Wut über die unbarmherzigen schleichenden Angriffe auf die Lebensstandards der ArbeiterInnen und die schamlose Bereicherung der korrupten Politiker und ihres Umfelds. Südafrika ist offiziell das Land mit der größten Ungleichheit auf der Erde, eine Hälfte der Bevölkerung bekommt 92% des gesamten Einkommens, die andere Hälfte nur 8%.
Prekäre Beschäftigung
Ein sehr großer Teil der Arbeitenden in Südafrika, bis zu 30%, arbeiten für Zeitarbeitsfirmen oder unter ähnlich prekären Bedingungen, sie bekommen üblicherweise nur ein Drittel der Löhne der Stammbelegschaften und haben keinen Kündigungsschutz, keine automatischen Gehaltserhöhungen, keine Boni und kein Recht sich zu organisieren. Davon profitiert eine Armee ausbeuterischer Mittelsmänner. In Südafrika wie überall ist die Leiharbeit ein Werkzeug, um die Arbeiterklasse zu spalten (die schon unter einer Arbeitslosenquote von 40% leidet) und Ausbeutung zu intensivieren. Die ANC-Regierung von Jacob Zuma hatte im Wahlkampf 2009 ein Verbot der Leiharbeit versprochen. Änderungen im Arbeitsrecht, die die Leiharbeitsbranche bis zur Handlungsunfühigkeit einschränken und einem Verbot gleichkommen würden wurden im letzten Jahr angekündigt (Verbot der Zeitarbeit über mehr als 3 Monate und der unterschiedlichen Entlohnung gleicher Arbeit, „Arbeitgeber“-Status des entleihenden Unternehmens usw). Während die Regierung unter dem Druck der verängstigten Unternehmer versucht, die Änderungen (die als eine Art peinlicher Fehler dargestellt werden) in Schweigen und endlosen Formalitäten zu begraben werden sie auch von der Cosatu-Führung abgelehnt, die nur ein explizites „Verbot“ akzeptieren will. Die Verhandlungen dauern an, und die Arbeitgeberseite hat schon die Verlängerung der Höchstdauer von Leiharbeitsverträgen auf 6 Monate erreicht. Aus der Sicht des Democratic Socialist Movement (CWI-Sektion in Südafrika) ist die Position des Cosatu scheinradikal und hilft den Bossen beim Versuch, die „Regulierungs“-Vorschläge komplett zu verhindern. Stattdessen rufen wir zu einer Kampagne für die Einführung und Durchsetzung der Gesetzesänderungen zu Leiharbeit auf, die auf dem Papier ein faktisches Verbot bedeuten. Die Kampagne muss für einen echten Schlag gegen Leiharbeit kämpfen, denn egal wie klar ein Verbot formuliert ist – die meisten bereits in den Arbeitsgesetzen verankerten Verbesserungen werden nicht durchgesetzt. ArbeiterInnen suchen verzweifelt nach einem wirksamen Mittel gegen den neoliberalen Angriff Zeitarbeit, und viele übernehmen die Position des Cosatu.
Die Einführung eines neuen Mautsystems auf den Straßen (zunächst in Gauteng, aber wenn es dort funktioniert, wird es wahrscheinlich auch in weiteren Provinzen eingeführt) wird zu dramatisch steigenden Lebenshaltungskosten führen, nicht nur für AutofahrerInnen sondern für Alle, durch allgemein steigende Preise. Die Maut ist ebenso wie die Ausbreitung der Leiharbeit ein Angriff auf die Arbeiterklasse. Dagegen gibt es verbreitete Wut, auch in der Mittelklasse.
Der Cosatu-Führung zum Trotz…
Die Frage des Generalstreiks hing wie ein Schatten über den Kämpfen der letzten Jahre und konnte nicht mehr ignoriert werden. Die Cosatu-Führung schreckte davor zurück, obwohl sich der Generalstreik beim massiven Streik im öffentlichen Dienst 2010 als nächster Schritt anbot und der logische Schluss der Streikwelle 2011 gewesen wäre. Als der Streik nach zwei abgebrochenen Versuchen endlich stattfand, hielten sich die Gewerkschaftsführer auffallend zurück. Es gab praktisch keine öffentliche Mobilisierung, in Johannesburg war kein einziges Flugblatt oder Plakat zu sehen, in Durban wurden erst am Tag vor dem Streik am späten Nachmittag Flugblätter verteilt. Außerhalb der anscheinend unvollständig Mobilisierung innerhalb der Cosatu-Gewerkschaften wurden Aufrufe nur über die Medien und Zeitungen verbreitet, und selbst das passierte erst in letzter Minute. Die Cosatu-Führung traute sich trotz ihrer Vorliebe für radikale Phrasen nicht einmal, den Generalstreik beim Namen zu nennen und sprach lieber von „landesweiten Demonstrationen“. Erst am Tag vor den Demos gab die Führung über die Medien den Generalstreikaufruf bekannt, durch den alle Beschäftigten im Land unabhängig von ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft rechtlich geschützt sind. Deshalb blieb trotz der großen Beteiligung an den Demonstrationen der angekündigte komplette Stillstand der Wirtschaft aus. In Johannesburg schlossen sich PassantInnen der Demo an, die vorher nicht vom Generalstreik gewusst hatten.
Kampfeswille der ArbeiterInnen gestärkt
Die trotz der halbherzigen Politik der Führung große Beteiligung zeigt den Kampfeswillen und die -fähigkeit der südafrikanischen Arbeiterklasse. Gleichzeitig versuchte die Führung, den Generalstreik als Beweis für ihre kämpferische Haltung zu nutzen. Der Cosatu-Generalsekretär Zwelinzima Vami bezeichnete in seiner Rede in Johannesburg den Streik als „Warnschuss“ und versprach weitere Aktionen, darunter Autobahnblockaden, wofür er massiven Applaus bekam. S"dumo Dlamini, der Präsident des Cosatu, sagte in Durban dass es im August einen zweiten Streik geben könnte. Der Streik hat eindeutig den Kampfeswillen der ArbeiterInnen und Jugendlichen gestärkt, die auf weitere Aktionen drängen. Spaltungen in der Cosatu-Führung scheinen sich im Zusammenhang mit den bevorstehenden Kämpfen um den Vorsitz des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), der Partner-Partei des Cosatu, schnell zu vertiefen. Beim Generalstreik trat auch Julius Malema auf, der Vorsitzende des ANC-Jugendverbandes, der kürzlich aus der Partei ausgeschlossen wurde. Die Anwesenheit Malemas, der sich gegen die Wiederwahl des südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma zum ANC-Vorsitzenden auf dem Parteitag im Dezember 2012 einsetzt, auf der Demo in Johannesburg wurde von vielen TeilnehmerInnen begrüßt. In Limpopo, Malemas Heimatprovinz, weigerten sich Streikende Berichten zufolge, sich Reden von Malema nahestehenden ANC-Politikern anzuhören.
Der Versuch des sich als links ausgebenden rechten Demagogen Malema, zusammen mit der Cosatu-Führung auf dem Tiger Arbeiterklasse zu reiten schafft einige Komplikationen für das Bewusstsein der Arbeiterklasse, aber keine die sich nicht im Lauf der Kämpfe klären werden, die in Südafrika in den kommenden Jahren zweifellos ausbrechen werden.
In weiteren großen Klassenkämpfen wird die organisierte Arbeiterklasse die Politik der Klassenzusammenarbeit zurückweisen und die Basis wird für Demokratie in den Gewerkschaften und für die Gründung einer Massenpartei der Arbeiterklasse eintreten. Eine solche Partei kann alle Stränge des Kampfes der Arbeiterklasse zusammenführen – in Wohngebieten, Arbeitsplätzen und sozialen Bewegungen – und mit unabhängiger Klassenpolitik für eine Regierung der ArbeiterInnen und Armen kämpfen.