Für einen 48-stündigen Generalstreik, um die Regierung Rajoy zu Fall zu bringen
Folgender Artikel erschien zuerst in englischer Sprache am 17. Juli auf der Homepage socialistworld.net. Der Webseite vom Komitee für eine Arbeiterinternationale (engl. CWI), dem in Deutschland die SAV angehört. Er wurde vor dem Beschluss des Sparpakets, der Großdemonstration sowie den Polizeiübergriffen in Madrid geschrieben.
von John Hird, CWI Spanien („Committee for a Workers´ International“, dessen Sektion in Deutschland die SAV ist)
Als Teil des Kampfes zur Verteidigung ihrer Arbeitsplätze erreichte vergangene Woche ein Protestmarsch tausender Bergleute die spanische Hauptstadt. Sie wurden von tausenden von ArbeiterInnen und Jugendlichen aus Madrid herzlich begrüßt, die auf die Straßen geströmt waren, um ihre Solidarität auszudrücken. Feuerwehrleute eskortierten die MinenarbeiterInnen durch die Stadt bis vor das Parlament.
Am selben Tag, an dem die Bergleute die Hauptstadt erreichten, kündigten Rajoy und seine rechts-konservative Regierung der „Partido Popular“ (PP; „Volkspartei“) einen überarbeiteten Haushaltsentwurf an. Medienberichten zufolge umfasst diese Neufassung die schlimmsten Kürzungen seit 1956, als in Spanien noch die faschistische Diktatur des General Franco herrschte.
Das aktuelle Titelblatt des spanischen Satire-Magazins „EL JUEVES“ zeigt Präsident Mariano Rajoy, wie er dem Nationaltorhüter Iker Casillas einen dicken, fetten Schmatzer verpasst, was an den Kuss erinnern soll, den Casillas seiner Freundin (die ihn in ihrem Beruf als Sportjournalistin interviewt hatte) gab, als Spanien vor zwei Jahren Weltmeister wurde (vgl.: www.eljueves.es/articulo/revista/el_archivo/crisis_campeones_3.html). Rajoy hat einfach alles versucht, um aus dem Gewinn der Europameisterschaft durch das spanische Team vor ein paar Wochen für sich einen Nutzen zu ziehen. Er besuchte die Spiele der spanischen Nationalelf, und ließ sich feiernd neben dem Prinzen von Asturien ablichten. Vor dem Turnier hatte Rajoy sogar an den Nationaltrainer Vincente Del Bosque appelliert, „für Spanien den Cup zu gewinnen, um uns dabei zu helfen, die Krise zu vergessen“. Del Bosque sagte darauf hin, dass seine Mannschaft ihr Bestes geben würde, ein Sieg aber nicht die sozio-ökonomischen Probleme des Landes lösen würde. Ein weiser Mann und großartiger Trainer, dieser Del Bosque!
Die Bergleute aus Asturien und anderen Regionen brachten den Klassenkampf vor Rajoys Haustür und beendeten jäh sein Europameister-Hochgefühl. Fakt ist, dass David Villa, Nationalspieler und Torjäger beim FC Barcelona, den MinenarbeiterInnen in ihrem Kampf per twitter seine Unterstützung zusicherte.
Als die Bergleute am Präsidentenpalast vorbeikamen, skandierten die ArbeiterInnen von Madrid: „Esta es nuestra selección“ („Das hier ist unsere Nationalmannschaft“)! Ein Kumpel meinte, dass er schon davon ausgegangen sei, in Madrid großartig empfangen zu werden. Der derart wunderbare Empfang jedoch, gäbe ihm tatsächlich das Gefühl, zur „La selección“ zu gehören.
Für andere Teile der Arbeiterschaft, die ebenfalls Angriffen auf ihre Lohn- und Beschäftigungsverhältnisse ausgesetzt sind, wirkte die Ankunft der Bergleute in Madrid wie eine Erleichterung. Dies gilt für die Feuerwehrleute, die LehrerInnen und die kommunalen Beschäftigten. „Kumpel, ihr seid die Größten! Unser Stolz!“ Die aufmunternden Rufe der ArbeiterInnen zeigen, dass diese Bergarbeiterbewegung in Spanien wie ein Katalysator wirkt. Die Bergleute riefen ihrerseits: „Löst das Problem oder es gibt Krieg, Krieg, Krieg …!“ Dabei sangen sie die von ihnen übernommene Hymne „Santa Barbara“ aus dem Spanischen Bürgerkrieg.
Sogar die spanische Tageszeitung „El Pais“ musste zugeben, dass die Idee einer „lucha obrera“ (dt.: Arbeiterkampf) sich durchzusetzen scheint. Insgesamt spielen die spanischen Medien aber weiter eine jämmerliche Rolle. NutzerInnen von sozialen Netzwerken im Internet beschwerten sich darüber, dass – während in Madrid tausende von ArbeiterInnen demonstrierten, das Fernsehen sein übliches überladenes Programm aus Sportsendungen, US-amerikanischen Spielfilmen, Fernseh- und Reality-Freak-Shows abspulte.
Lügen und Desinformation
Die regierungsnahe Presse verbreitet Lügen und Desinformation über die Bergleute. Der Zeitung „ABC“ zufolge sind die Minen so sicher, dass weibliche Bergleute in hochhackigen Schuhen zur Arbeit gehen und dass MinenarbeiterInnen Monatslöhne von 2.100 Euro haben! Auch seien Millionen Subventionen verschleudert worden und natürlich wurde auch der abgeranzte Spruch gebracht, wonach Bergleute gewalttätig wären.
In Wirklichkeit bekommen die Bergleute für einen auch heute noch sehr gefährlichen Job einen monatlichen Durchschnittslohn zwischen 1.000 Euro und 1.500 Euro. Zum Vergleich: Bei der Polizei gibt es rund 1.900 Euro.
In Spanien erhält jeder Industriezweig Subventionen, darunter auch das Transportwesen und die Landwirtschaft. Warum werden da die Bergleute herausgepickt, deren Industrie nur ein Prozent aller Subventionen erhält? Vor Kurzem gingen 100.000 Euro an die spanischen Banken. Doch wo ist das Geld jetzt? Von den privaten Minenkonzernen, den Kommunal- und Regionalverwaltungen sind die Subventionen, die in die Bergbaubranche gegangen sind, zweckentfremdet worden. Eigentlich sollten sie investiert werden, um für verbesserte Infrastruktur und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu sorgen. Niemand kann wirklich etwas über den Verbleib der Gelder sagen. Es steht aber zweifelsfrei fest, dass einiges davon auf korrupten Wegen abgezweigt wurde.
Die Bergleute werden genau deshalb ausgesucht, weil sie für eine kämpferische Geschichte und Tradition stehen und das wissen viele ArbeiterInnen in Spanien ganz instinktiv. Und was die Gewalt angeht, möge zuvor eine Antwort auf folgende Frage gefunden werden: Was ist gewaltsamer als der Abbau von 8.000 unmittelbar in den Minen betroffenen Arbeitsplätzen und weiteren 30.000 mittelbar betroffenen sowie der damit einhergehenden Zerstörung ganzer Gemeinden?
Die einzige Antwort, die Rajoy auf die Forderungen der MinenarbeiterInnen hatte, war, dass er die Bundespolizei und die paramilitärisch ausgerichtete Polizeieinheit „Guardia Civil“ mobilisieren ließ, was eine Provokation ist gegenüber den Gemeinden der Bergleute. MinenarbeiterInnen und ihre Familien haben schon unter brutaler Polizeigewalt zu leiden gehabt. In Ciñera (Region Kastilien und León) setzte die Polizei Gummigeschosse ein und beschoss Schulhöfe mit Tränengas.
Auch weibliche Bergleute waren beim Marsch von Asturien nach Madrid mit von der Partie. Und die Ehefrauen der Bergmänner beginnen ebenfalls sich zu organisieren. Bergleute und deren Familien sowie ArbeiterInnen aus allen möglichen Branchen in Madrid, darunter auch die sogenannte „Green Tide“ (Schwemme) der Beschäftigten im Bildungssektor: Es waren tausende, die an der riesigen Demonstration vor dem Bergbauministerium teilnahmen.
Trotz des provokativen Machtgebarens der Polizei verliefen die Demonstrationen im Großen und Ganzen friedlich. Bereitschaftspolizei provozierte die Kumpel, indem sie die Kolonne der Bergleute filmte, als sie am Industrieministerium vorbeikam. Dort kam es zu offenen Auseinandersetzungen. Die PP-Zentrale wurde von elf mit Waffen bestückten Polizeifahrzeugen geschützt.
Die Politiker hingegen leben unter einer Glocke. Esperanza Aguirre, Präsidentin der Comunidad de Madrid, bestritt, dass der Zug der Bergleute groß gewesen sei! Rajoy hat sich bisher gar nicht dazu geäußert. Und im Parlament „Los Cortes“ nimmt nur der Vorsitzende der IU („Vereinigte Linke“) etwas von der Wut auf, die im Lande herrscht, indem er sagte, dass dieser Haushalt „Öl ins Feuer gießt, das auf Spaniens Straßen lodert“.
Frontlinien abgesteckt
Wie die Bergleute aufgezeigt haben, hat Rajoy eine Mehrwertsteuererhöhung von drei Prozent und eine Kürzung des Arbeitslosengeldes um die Hälfte von dem angekündigt, was arbeitslos gewordene ArbeiterInnen zuvor in die Sozialsysteme eingezahlt haben. Rajoy sagte, dass dies die Arbeitslosen „ermuntern“ soll, wieder Arbeit zu finden! Das gibt den fünf Millionen Arbeitslosen sicher wieder Hoffnung. Die neuerlichen Kürzungen, die zu den bisherigen noch dazu kommen sollen, belaufen sich auf weitere 65.000 Millionen Euro. Die unternehmerfreundliche Regierung will zudem die Zahl der hauptamtlichen Beschäftigten bei den Gewerkschaften reduzieren, um es diesen schwerer zu machen, die ArbeiterInnen zu verteidigen. Auf den Straßen kam es zu spontanen Protesten der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes – darunter BeamtInnen, LehrerInnen, Reinigungskräfte, PolizistInnen und sogar Teile der „Guardia Civil“. Laut „El Pais“ kam es dazu, dass die Bereitschaftspolizei an einer Stelle sogar ihre Helme abnahm! Dies ist eine Vorwegnahme der umfassenden sozialen Explosionen und Kämpfe, zu denen es in den kommenden Monaten in Spanien jetzt wahrscheinlich kommen wird.
Aufgrund von Protesten musste Rajoy vergangenen Samstag seine öffentlichen Auftritte absagen. Und auch ehemalige Premierminister wie Aznar und Zapatero machten ähnliche Erfahrungen; allerdings erst, wie „El Pais“ klarmachte, fünf Jahre nachdem sie an der Macht waren. Rajoy dagegen muss seine öffentlichen Auftritte schon nach sechs Monaten im Amt auf ein Mindestmaß beschränken!
Momentan werden die Kampflinien klarer. Die Regierung handelt exklusiv im Interesse der Konzerne. Der einzige Politikansatz, den sie verfolgen, ist, die Armen und die Arbeiterklasse für die kapitalistische Krise zur Kasse zu bitten. Gestern entlud sich aufgrund dieser Perspektive die Wut vieler ArbeiterInnen. Sie haben aber noch nicht das nötige Selbstvertrauen oder eine Vorstellung davon, wie man sich effektiv wehren kann. Das war gestern. Heute haben die spanischen Bergleute ein Feuerwerk entzündet und der ganzen Arbeiterklasse gezeigt, wie man kämpfen kann.
Die Gewerkschaften waren gezwungen, für Donnerstag, den 19. Juli, zu landesweiten Protesten aufzurufen. Das wird allerdings nicht ausreichen. Vielmehr muss als nächster Schritt im Kampf für den Rücktritt der Regierung Rajoy und eine Alternative für die ArbeiterInnen ein 48-stündiger Generalstreik vorbereitet werden.