Aufstieg der niederländischen Sozialistischen Partei

Politischer Erdrutsch in den Niederlanden möglich

Bei den Parlamentswahlen am 12. September deutet sich in den Niederlanden ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der linken Sozialistischen Partei (SP) und der rechtsliberalen VVD an. Nach den meisten Prognosen und Umfragen ist die SP um Parteichef Emile Roemer sogar stärkste Partei. Beide Parteien könnten demnach je 34 Mandate in der 150 Sitze umfassenden Zweiten Kammer erreichen.

von Marcus Hesse, Aachen

Die beiden größten etablierten Parteien, die sozialdemokatische „Partei der Arbeit“ (PvdA) und der christdemokratische CDA, werden wohl deutlich abgeschlagen sein. Gleiches gilt für die Grünen, die die Kürzungspolitik der Regierung mitgetragen haben und denen nun droht, in die Bedeutungslosigkeit abzustürzen. In jedem Fall wird deutlich, dass es eine breite Abkehr von allen Etablierten gibt.

Quittung für „Spar“politik

Sowohl konservative als auch „Mitte-Links“-Regierungen standen und stehen für die immer gleiche Politik der Haushaltskürzungen und des Abwälzens der Krisenlasten auf die Bevölkerungsmehrheit. Die von den Rassisten um Geert Wilders und seiner PVV seit 2010 tolerierte Regierung von CDA und VVD zerbrach am Streit über ein Kürzungen von 14 Milliarden Euro umfassendes „Spar“paket.

Die SP hat sich konsequent gegen diese Kahlschlagspolitik gestellt und lehnt den Fiskalpakt ab. Sie fordert eine Volksabstimmung und ein staatliches Investitionsprogramm. Sie betont die soziale Frage und hat es damit auch geschafft, den Anti-Islam-Hetzern und Rassisten um den Rechtspopulisten Geert Wilders das Wasser abzugraben. Die PVV wird nach den allermeisten Prognosen ihre Sitze halbieren und von der drittstärksten zur fünftstärksten Fraktion zurückfallen.

Geschichte und Charakter der SP

Anders als DIE LINKE in Deutschland gibt es die SP schon mehrere Jahrzehnte. Ihren Anfang machte die 1971 gegründete Partei als kleine maoistische Splittergruppe. Damals hieß sie noch „Marxistisch-Leninistische Partei“ (MLPN). Doch schon Ende der Siebziger löste sie sich vom Stalinismus chinesischer Prägung. Sie benannte sich in SP um. Fortan gab die Partei ihren revolutionären Anspruch auf und vertrat ein im Grunde genommen linksreformistisches Programm.

Was sie aber besonders auszeichnete und noch bis heute ausmacht, ist ihre Basisarbeit und ihre Verankerung in Arbeitervierteln. Sie konnte zahreiche Kommunalmandate gewinnen, organisierte soziale Angebote und orientierte auf Betriebe. Als Interessenvertretung für die Arbeiterklasse und sozial Benachteiligte trat sie immer sehr engagiert und kämpferisch auf. SP-Abgeordnete sind zu außerparlamentarischen Aktivitäten verpflichtet und müssen sich regelmässig der Basis stellen. Alle MandatsträgerInnen erhalten nur einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn und müssen alles, was darüber hinaus geht, an die Partei und an soziale Bewegungen abführen. Dies macht die Partei für viele besonders anziehend.

Der ideologische Rechtsruck der sozialdemokatischen PvdA, die in den Neunzigern vollends verbürgerlichte, hat ein riesiges Vakuum auf der Linken geschaffen. In dieses Vakuum konnte die SP stoßen und in den letzten zwanzig Jahren ihren Stimmanteil fast stetig ausbauen.

Anpassungstendenzen

Vorläufiger Höhepunkt ihres kontinuierlichen Aufstiegs waren die Parlamentswahlen von 2006. Mit 19,6 Prozent der Stimmen und 25 Mandaten wurde die SP erstmals drittstärkste Partei. Die Hoffnungen von 1,6 Millionen WählerInnen, die die SP als radikale Alternative zur Kürzungspolitik der Bürgerlichen betrachteten, wurden aber erst einmal enttäuscht. So trat die SP mit den Sozialdemokraten und selbst mit den Christdemokraten in Verhandlungen über eine Regierungsbildung ein. Dabei wurden ihre VertreterInnen nicht müde, den Bürgerlichen gegenüber ihre Harmlosigkeit zu betonen und weniger radikal aufzutreten. Dass die SP damals nicht Teil einer Regierungskoalition wurde, lag letzlich an der Ablehnung der Christdemokraten.

Diese Anpassungsversuche wurden von der niederländischen Arbeiterklasse entsprechend quittiert: Bei der nächsten Wahl gab es erstmals einen Rückschlag. Sie landete unter der Zehn-Prozent-Marke und verlor zehn ihrer 25 Parlamentssitze. Schlimmer noch: Die PVV von Geert Wilders konnte sich mit ihrer Mischung aus Anti-Islam-Hetze, Rasssismus und sozialer Demagogie als scheinbare Anti-Establishment-Kraft verkaufen und verdrängte die SP vom dritten Platz im Parteienspektrum.

Die SP und die Wahl 2012

Fiskalpakt, Bankenrettung und „Spar“-pakete machen auch in den Niederlanden Millionen wütend. Der SP gelingt es derzeit, dieser Wut eine Stimme zu geben. Die SP ist gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters, für ein Ende der Rotstiftpolitik und für höhere Steuern für Reiche.

Doch ihre politischen Antworten und Lösungen sind begrenzt. So beschränkt sie sich auf Forderungen wie mehr Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Die Senkung des Budgetdefizits soll bis 2015 warten und dann irgendwie angegangen werden. Tatsächlich verfolgt die SP-Spitze nicht das Ziel, auf eine linke Regierungsmehrheit hinzuarbeiten, die auf eine breite Mobilisierung baut und mit dem Kapitalismus brechen will. Leider ist der Sozialismus für die Parteiführung keine konkrete System-alternative. SP-Spitzenkandidat Roemer gibt sich in den Medien auch bewusst gemäßigter als Alexis Tsipras derzeit in Griechenland.

Dennoch ist noch nicht entschieden, wie die Entwicklungen sich weiter vollziehen. Ein Wahlsieg der SP kann jedenfalls eine gewaltige politische Dynamik auslösen und Millionen von Menschen nach links drücken und radikalisieren.