Helmut Born, Betriebsratsvorsitzender in einem Düsseldorfer Warenhaus und Mitglied im Landesvorstand von ver.di NRW*, geht in diesem Gespräch auf den Generalangriff der Unternehmerseite im Einzelhandel ein.
Sämtliche Tarifverträge wurden gekündigt. Welche Folgen hat das?
Für die Beschäftigten bedeutet die Kündigung der Manteltarifverträge durch die Unternehmer eine Infragestellung von wichtigen tariflichen Regelungen, die in den letzten 20 Jahren errungen wurden. Den Unternehmern geht es vor allem um eine weitgehende Flexibilisierung und Deregulierung der Arbeitszeit. Sie fordern unter anderem die Festschreibung von Vertrauensarbeitszeit im Manteltarifvertrag. Außerdem sollen für bestimmte Beschäftigungsgruppen, wie Kassierer und Auffüller, die Löhne auf ein „angemessenes“ Niveau gesenkt und Spätarbeitszuschläge abgeschafft werden. Die Vorstellungen der Unternehmer bedeuten einen massiven Angriff auf die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel.
Mit welchen Forderungen geht ver.di in die Auseinandersetzung?
ver.di lehnt es ab, über den Manteltarifvertrag zu verhandeln. Deswegen sind auch nur Forderungen zu Lohn und Gehalt aufgestellt worden. In NRW haben wir 6,5 Prozent und mindestens 140 Euro gefordert. Für Azubis wurde der Festbetrag von 140 Euro gefordert.
In insgesamt sechs Tarifbezirken wurde die Forderung nach einem Euro mehr pro Stunde aufgestellt, das heißt ein Festbetrag von 163 Euro.
ver.di stellt sich auf einen lang andauernden Arbeitskampf ein. Wie siehst du das?
Ich denke, das ist noch nicht entschieden. Die Unternehmer wollen zwar auch über den Manteltarifvertrag verhandeln, aber da werden sie sich wohl mit einer Regelung, dass später darüber verhandelt werden kann, zufrieden geben müssen. Ich denke, sie wollen nicht noch einmal eine Situation wie 2007/ 08 haben, wo es 16 Monate dauerte, bis es zu einem Ergebnis kam. Damals konnten die Unternehmer ihre Forderungen weitestgehend auch nicht durchsetzen und mussten sich selbst in der unternehmernahen Presse als Verlierer bezeichnen lassen. Aber solche Tarifrunden entwickeln ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten und es kann auch wieder eine lange Tarifrunde geben.
Viele Beschäftigte haben befristete Verträge, oft werden auch Leiharbeiter eingesetzt. Wie kann ein Streik unter diesen Voraussetzungen erfolgreich sein?
Prekäre Arbeitsverhältnisse erschweren generell Auseinandersetzungen in Tarifrunden.Trotzdem haben wir im Einzelhandel eine steigende Anzahl von Betrieben, in denen es zu Streikaktivitäten kommt. Auch wenn es häufig nicht gelingt, die Läden dicht zu halten, bilden die Streiks doch erhebliche Probleme für die Unternehmen. Ganz abgesehen davon gibt es viele kreative Aktionsformen, die für viel Unruhe bei den Bossen und Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit sorgen. Wir müssen im Einzelhandel auch sehen, dass wir es nicht mit Fließbandarbeit zu tun haben, wo 20 bis 30 Prozent der Beschäftigten ausreichen, den Betrieb stillzulegen. Warenhäuser oder Supermärkte können auch mit 30 Prozent der Beschäftigten vorübergehend den Betrieb weiter führen.
Die Übernahme von Karstadt durch Nicolas Berggruen war als Hoffnung auf einen Neuanfang gefeiert worden, auch von ver.di-Seite. Welche Lehren ziehst du daraus?
Wie jetzt zu sehen ist, waren die Hoffnungen in Berggruen unbegründet. Er hat bis jetzt so gut wie keinen Euro investiert und entzieht dem Unternehmen Geld, zum Beispiel weil er sich die Namensrechte gesichert hat. Durch den Rücktritt des Vorsitzenden der Geschäftsführung, Jennings, ist deutlich geworden, dass es auch im Management Kritik an dem Kurs von Berggruen gibt. Durch die Verkündung einer Tarifpause hat Berggruen klar gemacht, dass er seinen Kurs unbeirrt fortsetzen will. Ich hoffe, dass ver.di bei der jetzt festgelegten Linie bleibt und Karstadt wieder in den Tarifvertrag zurück zwingt. Alle Argumente sind auf Seiten der Beschäftigten.
Wie sollte aus deiner Sicht der Streik im Einzelhandel geführt werden?
Aus meiner Sicht sollte dieses Jahr die Strategie der Unternehmer genutzt werden, um neue Betriebe und Belegschaften in die Auseinandersetzung einzubeziehen. Selten hat es solch eine Beitrittswelle im Einzelhandel gegeben. Außerdem wird es sicherlich eine Ausweitung der Dauer der Streiks geben. In Düsseldorf haben wir schon vier Streiktage in der Innenstadt gehabt. Daran waren die Beschäftigten von H&M, Kaufhof, Esprit und Real beteiligt. Wir können hier aber auch noch was drauf legen.
Welche Art von Unterstützung ist möglich und nötig?
Nun, möglich ist viel. Da sollen vor allem die anderen Fachbereiche in ver.di tätig werden. Wir können jede Unterstützung gebrauchen. Leider ist das keine Selbstverständlichkeit.
Oft meinen Mitglieder aus anderen Gewerkschaften, das wären ja keine richtigen Streiks im Einzelhandel. Das zeigt nicht nur, dass sie von den Bedingungen im Einzelhandel keine Ahnung und von Solidarität keine Vorstellung haben. Aber das kennen wir ja auch, wenn es um internationale Solidarität geht.
Du bist auch Mitglied der LINKEN. Was erwartest du von deiner Partei?
Meine Partei ist im Gegensatz zu der Vergangenheit sehr engagiert, wenn es um diese Tarifrunde geht. Sie hat frühzeitig erkannt, worum es geht und die Gefahren aufgezeigt.
Hier in Düsseldorf haben sie einen Stand in der Innenstadt gemacht und die Kunden über die Situation im Einzelhandel informiert und zur Solidarität aufgefordert. Ich kenne keine andere Partei oder politische Organisation, die ähnliches zustande bringt.
*Angaben zur Funktion dienen nur zur Kenntlichmachung der Person