Zu den Aufgaben der Friedensbewegung und der LINKEN
Dieser Artikel beschäftigt sich mit einigen Argumenten und Debatten zum Syrienkrieg innerhalb Deutschlands. Zu aktuellen Informationen und zu unserem Programm zu Syrien, gibt es hier einen Artikel in englischer Sprache.
Das Leid der Menschen in Syrien übersteigt jedes Vorstellungsvermögen. ‘Dagegen muss man doch etwas tun’, denkt zu Recht jeder, der ein Herz hat. Allerdings gibt es noch etwas anderes in diesem Krieg, das unser Vorstellungsvermögen immer wieder übertrifft: Das ist die unglaubliche Heuchelei und Scheinheiligkeit, die jetzt von den Befürwortern einer Militärintervention an den Tag gelegt wird.
von Georg Kümmel, Köln
Die meisten Menschen durchschauen nach den Erfahrungen mit den Kriegen im Irak und Afghanistan mittlerweile dieses Spiel. Selbst in den USA lehnt eine klare Mehrheit einen Militäreinsatz ab. Für die Obama-Regierung ist es jedoch eine Prestigefrage, ob sie sich in Syrien durchsetzt. Syrien ist zum Schauplatz eines Stellvertreterkonflikts zwischen Russland, China und den USA um geostrategische Interessen geworden. Auch deshalb versucht die US-Regierung weiter eine Mehrheit für die Option einen Militärschlags zu bekommen. Es geht bei der Diskussion um ein (weiterhin drohendes) militärisches Eingreifen des Westens den Herrschenden um alles mögliche – nur nicht darum, das unsägliche Leid der Menschen zu beenden. Hier nur zwei Beispiele von vielen für die doppelte Moral des Westens:
Die USA, die vorgeben die Welt immer und überall vor der Verletzung von internationalen Kriegskonvetnionen schützen zu müssen, dieselbe USA hat in den 80er Jahren dem irakischen Diktator Saddam Hussein dabei unterstützt, Giftgas gegen den Iran einzusetzen. Nachzulesen zum Beispiel hier.
Ähnlich heuchlerisch und menschenverachtend ist auch die Politik der deutschen Regierung. Die Bundeskanzlerin empört sich über die Grausamkeit des Krieges im Allgemeinen und des Giftgaseinsatzes im Besonderen. Um dann im nächsten Atemzug zu erklären, dass Deutschland ein Kontingent von 5000 Kriegsflüchtlingen aufzunehmen bereit wäre. Mit andern Worten: mehr dürfen nicht kommen, egal was ihnen in diesem Bürgerkrieg widerfährt. Diese Regierung stellt also eiskalt ihre Flüchtlingspolitik als humanitäre Großzügigkeit dar, eine Politik die in Wahrheit politisch und moralisch den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung erfüllt.
Dass die Bundesregierung unter Angela Merkel einem Militärschlag reservierter gegenübersteht als andere Länder, entspringt ebenfalls nicht einem humanitären Ideal. Es geht um die bevorstehenden Bundestagswahlen und die wirtschaftlichen und politischen Beziehung zu Russland, das wiederum das Assad-Regime stützt. Außerdem macht Deutschland (genauer gesagt: machen deutsche Banken und Konzerne) im Nahen Osten traditionell lieber leise und dafür einträgliche Geschäfte mit allen Seiten. So zum Beispiel mit dem Iran, der das Assad-Regime unterstützt und gleichzeitig mit Saudi-Arabien, das die fundamentalistischen Rebellen in Syrien fördert.
Dass hinter einer Militärintervention keine humanitären Motive stecken, wissen oder ahnen die meisten Menschen, aber wie sehr die Regierenden auf allen Seiten bereit sind, für die jeweiligen Macht- und Profitinteressen über beliebig hohe Berge von Leichen zu gehen, überfordert die Vorstellungskraft regelmäßig.
Um so bedeutender ist es, dass DIE LINKE als einzige Kraft den Krieg entschlossen ablehnt. Ein Kommentar im Focus machte sich Sorgen darum, dass Merkel die Wahl verliert und zwar wegen dem Syrienkrieg: „ein Thema, bei dem laut Umfragen fast drei Viertel der Deutschen die Auffassung der Linken teilen.“ Die LINKE wählen und aufbauen ist ein Beitrag, um die Position der Kriegsgegner hierzulande zu stärken.
Wichtig dabei ist nicht nur gegen einen Militärintervention des Westens zu sein, wichtig ist auch, diesen aus den richtigen Gründen abzulehnen. Die LINKE argumentiert korrekt, wenn sie darauf hinweist, dass es am Ende nur noch mehr Tote und mehr menschliches Leid geben würde.
Gleichzeitig begründet sie ihre Opposition immer wieder mit dem fehlenden UN-Mandat. Das ist aber eine falsches Argument. Im Umkehrschluss heißt das nämlich: Wenn es ein UN-Mandat gäbe, wäre man nicht mehr prinzipiell gegen eine militärische Intervention. Das Argument „fehlendes UN-Mandat“ vermittelt eine völlig falsches Bild vom Charakter der UNO. Wer sind denn die „Vereinten Nationen“? Das ist nämlich nicht die freie Versammlung aller Völker, sondern das ist die Ansammlung der Regierenden dieser Welt. Das ist die Versammlung der Staaten, die Waffen ohne Ende produzieren, darunter, Landminen, Uranmunition und Giftgas. Das ist die Versammlung von Staaten, die fleißig Waffen exportieren, das sind die Staaten, in denen Diktatoren wie Assad ihre Auslandskonten haben, das sind die Staaten die mehrheitlich die Menschenrechte mit Füßen treten, das sind die Staaten, die ihre Polizei bei Demonstrationen gegen ihre eigene Bevölkerung einsetzen.
Diese „Staatengemeinschaft“ war in den vergangenen Jahren meistens uneins, wenn es um Kriegseinsätze ging. Nicht aus unterschiedlichen moralischen Bewertungen sondern aus unterschiedlichen ökonomischen und politischen Interessen, insbesondere im Konkurrenzkampf zwischen den mächtigsten Staaten und Wirtschaftsblöcken. Aber das muss nicht immer so sein. Man stelle sich vor, in Ägypten hätte es eine gut organisierte antikapitalistische Bewegung der Arbeitenden und der Armen gegeben, die in diesem Sommer gleichermaßen gegen die Muslimbrüder und das Militär gekämpft und obendrein auch noch die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse in Frage gestellt hätte – dann wäre die sonst so zerstrittene, kapitalistische “Staatengemeinschaft“ sehr schnell einig gewesen, dass man diese Bewegung zerschlagen muss. Sicher, dass stand jetzt noch nicht auf der Tagesordnung, aber in Zukunft kann das geschehen, in Ägypten oder einem anderen Land, und wie will dann die LINKE argumentieren, wenn sie jahrelang Militärinterventionen insbesondere mit dem Argument abgelehnt hat, diesen fehle der Segen der UNO?
‘Aber irgendetwas muss man doch tun’ – unter Ausnutzung dieses ehrlichen Mitgefühls der Menschen weltweit, wollen Obama und seine Komplizen ihrem Kriegseinsatz eine moralische Legitimation verleihen.
Doch neue Bomben würden neue Opfer unter der Zivilbevölkerung fordern. Der Krieg würde Konflikte in den Nachbarländern verschärfen und möglicherweise die ganze Region in ein großes Schlachthaus verwandeln.
Also kann man nichts tun? Doch, man kann – nur darf man die Hilfe nicht ständig von der falschen Seite erwarten, nicht von den Obamas, Putins und Merkels dieser Welt.
Was können wir tun?
Was können wir in Deutschland tun? Die Flüchtlinge aus Syrien müssen aufgenommen und anständig versorgt werden. Dazu gehört eine gute Unterbringung, dezentral in verfügbaren Wohnungen und eine angemessene humanitäre Versorgung.
Die Antikriegsbewegung muss gestärkt werden. Über die Hintergründe der Kriege muss öffentlich breite Aufklärungsarbeit geleistet werden. Durch den enormen Unmut und ein Bewusstsein für die Hintergründe der Kriege kann Druck aufgebaut werden. Das war auch ein wichtiges Element in der Abstimmungsniederlage der Cameron-Regierung in Großbritannien. Die Stimmung und die Proteste gegen den Krieg in der US-Bevölkerung haben Obama bisher an einem schnellen Militärschlag gehindert.
Protest gegen Krieg muss auch die deutsche Rüstungsindustrie ins Visier nehmen. Alle Rüstungsexporte müssen sofort gestoppt werden. Während die Bundeskanzlerin ihre Betroffenheit heuchelt, werden Schiffe in deutschen Häfen mit Waffen aus deutscher Produktion beladen, um sie in die Krisenregion zu transportieren, mit ausdrücklicher Genehmigung der Bundesregierung.
Die Gewerkschaften müssen für den Kampf gegen Krieg gewonnen werden und können darin eine herausragende Rolle spielen. Der letzte DGB Bundeskongress hat bereits die Forderung nach Abzug aller Truppen aus Afghanistan beschlossen. Es reicht natürlich nicht, an die Bundesregierung und die Rüstungslobby zu appellieren: Wie wäre es, wenn die Gewerkschaft ver.di einen Streik der Hafenarbeiter organisieren würde, damit die für Saudi-Arabien bestimmten Panzer, die für die Türkei bestimmten Waffen nicht verschifft würden? Wenn für die US-Bomber auf den Militärbasen in Deutschland kein Kerosin geliefert würde? Wie wäre es, wenn die IG-Metall damit beginnen würde, einen Streik in den deutschen Waffenschmieden vorzubereiten? Und sei es zunächst nur für einen einzigen Tag, um gegen die Panzerlieferungen an Saudi-Arabien zu protestieren. Wie wäre es, wenn sie das mit der Forderung nach Umstellung der Rüstungsindustrie auf zivile Produktion verbinden würde? Wenn Friedensbewegung und Gewerkschaften in den USA, in Frankreich und der Türkei diese Beispiele aufgreifen würden?
Und wie wäre es, wenn man, um den Giftgaseinsatz zu untersuchen, eine wahrhaft unabhängige, internationale Untersuchungskommission zusammenstellen und öffentlich deren Einreise nach Syrien verlangen würde? Eine internationale Kommission aus VertreterInnen von Menschenrechts- und Friedensinitiativen, von demokratisch gewählten VertreterInnen von Journalistengewerkschaften und Fachleuten? Könnte man deren Recherchen nicht viel mehr trauen, als den von oben eingesetzten UN-Inspektoren?
Aber ist das nicht alles unrealistisch, angesichts der Schwäche der Linken, der Friedensbewegung und der derzeitigen politischen Zusammensetzung der Führung der Gewerkschaften? Dieser Weg ist gewiss nicht einfach, aber er ist tausendmal realistischer als an Obama, Merkel oder Putin zu appellieren und tausendmal realistischer als eine dauerhafte friedliche Lösung von den Verbrechern auf beiden Seiten des syrischen Bürgerkriegs zu erwarten.
Alle Kriege beenden
Wir dürfen unseren Blick durch die alltägliche Propaganda auch nicht auf Syrien oder einen Stadtteil von Damaskus verengen lassen. Im Bürgerkrieg im Kongo starben in den vergangenen Jahren schätzungsweise über fünf Millionen Menschen und der Konflikt geht weiter. Frauen werden vergewaltigt und ermordet, Kinder werden zum Töten gezwungen. Muss man nicht auch dagegen etwas unternehmen? Was ist mit den Kriegen und Konflikten in Afghanistan, Irak, Kurdistan, Kaschmir, Sudan, Somalia, Sri Lanka? Wo ist da die Lösung? Appelle an die „Vereinten Nationen“?
Letztendlich muss man eine Lösung finden, die alle Kriege beendet und künftige verhindert. Die letzte Ursache für Krieg ist nun mal der gnadenlose Konkurrenzkampf um Märkte, Rohstoffe und den dazugehörigen politischen Einflusszonen. Der konkrete Einsatz für Flüchtlinge und gegen Waffenexporte muss verbunden werden mit dem Kampf für eine friedliche, demokratische, sozialistische Welt.