Interview mit Jan Richter, Betriebsratsvorsitzender* von H&M in der Berliner Friedrichstraße
Im Januar haben die Arbeitgeber im Einzelhandel die Manteltarifverträge gekündigt. Im Frühjahr sind zudem die Entgelttarifverträge ausgelaufen. Sowohl Mantel- als auch Entgelttarifverträge werden in den jeweiligen Bundesländern verhandelt. Die Provokation der Arbeitgeber und die Erfahrung mit Streiks hat schon zu 25.000 Neueintritten geführt. Die Bedingungen für Streik sind durch den hohen Anteil an prekären Beschäftigungsverhältnissen nicht einfach. Doch mit der Bewegung entstehen enorme Möglichkeiten zum Aufbau gewerkschaftlicher Strukturen.
Wo steht ihr mit der Tarifbewegung im Einzelhandel? Welche Erfahrungen habt ihr bisher gemacht?
Am 14. August fand die zweite Verhandlungsrunde zwischen dem Arbeitgeberverband und ver.di statt. Es kam nichts dabei heraus. Am 29. August haben wir in der Friedrichstraße mit den Streiks begonnen. Von der ver.di-Geschäftsstelle konnte niemand kommen, aber wir konnten den Streik erfolgreich selbst organisieren. Geholfen hat uns dabei auch die Präsenz der LINKEN. Mitarbeiter der Bundestagsfraktion, der SDS und andere LINKE-Mitglieder kamen zu unserem Streikposten und begleiteten unsere Aktion. Das tat den Kolleginnen und Kollegen sehr gut und sie haben die Erfahrung gemacht, dass man auch mit wenigen Leuten viel erreichen kann. Es gelang, viele Kundinnen und Kunden vom Kaufen abzuhalten.
Am 30. August gab es einen Sammelstreik. Es ist wichtig, dass wir mit einer größeren Anzahl sichtbar werden und alle zusammenkommen. Allerdings bestand das offizielle ver.di-Programm an diesem Tag vor allem aus DJ Ötzi, was bei meinen Kolleginnen und Kollegen nicht zu Begeisterung führte. Hier zeigt sich, dass wir kein streikerfahrener Fachbereich sind, es aber gerade werden. ver.di hat reagiert und beim Streik am 25. September vor unserem Standort die Musikanlage in der Geschäftsstelle gelassen und wir haben unser Hauptaugenmerk auf die Beteiligung der Öffentlichkeit gelegt. Durch das Megafon klärten wir die Passanten auf und parallel verteilten wir mehr als 1.000 Flyer vor unserem kleinen Haus.
Was habt ihr Euch für die nächste Zeit vorgenommen?
Eine Reihe von weiteren Streiktagen ist in Vorbereitung. Dabei gelingt es zunehmend, die Gewerkschaft darüber aufzubauen. Vor vier Jahren waren 30 bis 40 Kolleginnen und Kollegen von ganz H&M Berlin bei Streiks. Heute sind es 200 in sechs Filialen – und es werden immer mehr. In unserer Filiale haben wir inzwischen einen Organisationsgrad von 90 Prozent. Und als nächsten Schritt wollen wir eine berlinweite ver.di-Betriebsgruppe bei H&M gründen. Das bedeutet einen großen Schritt nach vorne und hoffentlich aktivieren sich darüber viele neue Kollegen.
Was ist aus deiner Sicht wichtig, damit dieser Arbeitskampf zum Erfolg für die Beschäftigten wird?
Vor allem müssen die Streikenden aktiv einbezogen werden. Wir haben aus den Erfahrungen der offenen Streikleitungstreffen in Stuttgart gelernt und das auch auf Berlin übertragen. Es wäre wichtig, dass auch bundesweit zu einem Treffen von Delegierten aus den örtlichen Streikleitungen eingeladen wird und sich auf Bundesebene nicht, wie bisher, nur die Fachbereichsleiter zusammensetzen.
Die Überlegungen von einigen aus den Fachbereichsleitungen in Richtung einer sogenannten Prozessvereinbarung, nach der man sich mit den Arbeitgebern darauf einigt, neue Entgeltstrukturen innerhalb der Friedenspflicht auszuhandeln, halte ich für falsch. Darin liegt eine große Gefahr, denn die Arbeitgeber haben ja das Ziel, über eine neue Tarifstruktur niedrigere Eingruppierungen durchzusetzen.
Ein weiterer wichtiger Ansatz ist für mich eine Verbindung der Streiks im Einzelhandel mit Tarifbewegungen in anderen Bereichen. Wir haben hier in Berlin zum Beispiel schon tolle Erfahrungen gemacht, indem wir zu einer Protestaktion bei den Charité-Beschäftigten gegangen sind mit einem eigenen Transparent, auf dem stand: „H&M grüßt Charité“. Wenige Tage darauf kamen Kolleginnen und Kollegen von der Charité zu einer Aktion bei uns mit einem Transparent „Charité grüßt H&M“. Das hat zu einem ganz neuen Gefühl von Solidarität geführt. Beim letzten Streik sprach auch ein Vertreter der Lehrer, die sich in Berlin schon seit Dezember 2012 im Arbeitskampf befinden. Sein Grußwort wurde mit großem Applaus aufgenommen.
Im Arbeitskampf sollten wir uns nicht separieren, sondern Seite an Seite gehen. Das gilt auch für weitere Unterstützung von außen. Arbeitskämpfe können nur erfolgreich durchgeführt werden, wenn sie in die Gesellschaft hineinwirken und die Öffentlichkeit beteiligen.
Wir fordern:
- Nein zu Niedriglohngruppen
- Nein zu weiterer Flexibilisierung
- Verteidigung der Manteltarife
- Volle Durchsetzung der Lohnforderungen
- Vollständige Angleichung der Osttarife nach oben
- Schluss mit prekärer Beschäftigung