Jüngste Meinungsumfragen attestieren der „Arbeitspartei“ in Belgien (PTB/PvdA) beste Chancen für einen Durchbruch
von Eric Byl, LSP/PSL (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Belgien)
Die Ergebnisse der letzten Meinungsumfragen bestätigen, dass die „Arbeitspartei Belgiens“ (PTB/PvdA) bei den kommenden Wahlen einen Durchbruch schaffen kann. Am 25. Mai könnte sie demnach bei den Europawahlen auf einen und auf fünf oder gar mehr weitere Abgeordnete bei den zeitgleich stattfindenden belgischen Parlamentswahlen kommen. Darüber hinaus scheint es möglich, dass sie bei den ebenfalls an diesem Tag durchgeführten Wahlen zu den drei Regionalparlamenten in Belgien auf bis zu zehn Parlamentarier kommen kann. Das wäre das erste Mal seit 30 Jahren, dass eine Formation links von den sozialdemokratischen Parteien und den Grünen im Parlament vertreten wäre. Eric Byl von der LSP/PSL (SAV-Schwesterorganisation und CWI-Sektion in Belgien) wirft einen genaueren Blick auf diese bedeutsame Entwicklung.
Im Vergleich zu ihren wichtigsten Handelspartnern in den Nachbarländern beklagen die Vertreter des Kapitals in Belgien, dass die Kürzungen bei Löhnen und im Bereich des öffentlichen Dienstes in ihrem Heimatland zu langsam vonstatten gehen. Das liegt in erster Linie an der potentiellen Stärke der dortigen Arbeiterbewegung. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad liegt bei beinahe 60 Prozent (ausgenommen FrührentnerInnen und Erwerbslose). Die Bourgeoisie sich dessen dessen sehr wohl bewusst. Bisher war man mit jedem Generalstreik in der Lage, die Arbeitgeberseite zum Schweigen zu bringen. Der letzte landesweite Arbeitskampf fand im Januar 2012 statt.
Das Establishment in Belgien nutzt die nationalen und religiösen Unterschiede für sich aus, um den Gegensatz zwischen den gesellschaftlichen Klassen zu verwischen. Belgien hat sich von einem unitaristischen Staat zu einem komplizierten, föderal organisierten Kompromiss gewandelt, der drei geografische Einheiten umfasst: Flandern, Wallonien und Brüssel. Hinzu kommen die drei Sprachgebiete des Flämisch-Niederländischen, des Französischen und Deutschen. Mit Einsetzen der Wirtschaftskrise haben auch die Konflikte zwischen den Regionen und Sprachräumen zugenommen. Einige Arbeitgeber, deren politische Vertretung auf Landesebene die nationalistisch-flämische „Neue Flämische Allianz“ (N-VA) ist, streben danach, die föderale Staatsstruktur weitergehend zu einem konföderalen Gefüge, wie sie es nennen, zu verändern. Es gibt zwar unterschiedliche Vorstellungen darüber, was genau dies bedeuten soll. Die meisten sind sich aber einig, dass das Zentrum, in dem die politischen Entscheidungen getroffen werden, von föderaler Ebene in die Regionen und Gemeinden verlegt werden soll.
Diese Debatte, die im Wesentlichen darüber geführt wird, wie man die Arbeiterbewegung am besten konfrontieren kann (auf belgischer Landes- oder eher auf regionaler Ebene), ist auch eine Erklärung dafür, weshalb es nach den Parlamentswahlen von 2007 sage und schreibe 194 Tage gedauert hat, bis eine neue Regierungskoalition bestehend aus fünf Parteien zustande kam. Nach den Wahlen des Jahres 2010 brauchte man sogar 541 Tage, um am Ende eine Koalition aus sechs Parteien zusammen zu schustern. Die derzeitige Koalitionsregierung unter der Führung von Elio Di Rupo, dem Vorsitzenden der frankophonen „Parti Socialiste“ (PS), der auch der erste Migrant und Homosexuelle im Amt des belgischen Premierministers ist, hat den Regionen eine ganze Reihe von Befugnissen übertragen. Hinsichtlich der Finanzhoheit gestand man den Regionen jedoch nur teilweise Verfügungsgewalt zu und führte automatisch greifende Kürzungen in den Regionen und Kommunen ein. Zudem wurde ein Kürzungs- und Austeritätsplan im Umfang von mehr als 20 Milliarden Euro beschlossen. Das sind die umfangreichsten Kürzungen in der Geschichte Belgiens. Für die Arbeitgeber und ihre Marionetten in der Politik ist dies allerdings erst der Anfang. Nach dem 25. Mai steht eine fünfjährige Periode ohne Wahlen bevor. Darin besteht ihrer Ansicht nach ihre große Chance.
Eine nicht enden wollende Kürzungspolitik hat dem Ansehen der traditionellen und etablierten Parteien schwer geschadet. Vor allem in Flandern hat dies zur politischen Zersplitterung geführt. In Meinungsumfragen kommt die N-VA nun auf 32 Prozent in Flandern, gefolgt von den Christdemokraten, die bei 18 Prozent liegen, der „Sozialistischen Partei(14,5 Prozent), den „Liberalen“ (13 Prozent), Grünen (8,5 Prozent), dem rechtspopulistischen „Vlaams Belang“ (7,5 Prozent) und der „PvdA+“ (3,7 Prozent). In Wallonien ist die Unterstützung für die traditionellen Parteien eher wechselhaft. Die PS kommt dort normalerweise auf 35 Prozent bis 40 Prozent. Obwohl sie seit 1988 Bestandteil jeder bundesweit-belgischen Regierung gewesen ist, war sie stets in der Lage, innerhalb einer von konservativen flämischen Formationen dominierten Regierung eine oppositionelle Rolle zu spielen. Sie konnte die Kürzungen zwar nicht stoppen, schaffte es aber zumindest diese abzumildern. Seit Di Rupo Premierminister ist, ist diese Position nicht mehr zu halten. Die Umfragen sprechen davon, dass die PS rund zehn Prozent verlieren und die PTB auf ein historisch bestes Ergebnis von sieben Prozent kommen wird. Die rechtsextreme „Parti Populaire“ kommt demnach auf etwas mehr als fünf Prozent.
Debatte in den Gewerkschaften
Die Vorstände der beiden größten Gewerkschaftsbünde bezeichnen ihre Verbindungen zu Politikern aus der Christ- und der Sozialdemokratie als wesentlich, um die Auswirkungen von Entlassungen und Kürzungen abzuschwächen. Um noch rechtere und arbeitnehmerfeindlichere Angriffe zu verhindern rufen sie dazu auf, die Stimme für diese Parteien und für die Grünen abzugeben. In Flandern ist dieser Ansatz komplett gescheitert. Und ohne eine Alternative von links waren die rechtspopulistischen Parteien in der Lage, daraus ihren Nutzen zu ziehen. In der französischsprachigen Region Belgiens schien es noch logischer, Verbindungen zu einer „Parti Socialiste“ zu pflegen, die als eine Art „interner Opposition“ in der Regierung auftrat. Viele abhängig Beschäftigte zogen und ziehen weiterhin in Betracht, ihre Stimme der PS zu geben, da diese die beste Versicherung gegen rechtslastige flämische Parteien sei.
Doch die Meinungen beginnen sich zu ändern. Nach dem Generalstreik vom Januar 2012 kam die Untergliederung des sozialistischen Gewerkschaftsbunds in Charleroi Hainaut Sud, die 110.000 KollegInnen organisiert, zu dem Schluss, dass es genug sei mit der PS. Am darauf folgenden Ersten Mai rief sie öffentlich dazu auf, dass die radikale Linke – namentlich die PTB, die PSL, LCR und die CP sowie der linke Flügel der PS und der Grünen (soweit sie überhaupt noch existieren) – zusammenkommen und eine neue politische Formation bilden müsse, die die Forderungen der ArbeiterInnen und ihrer Gewerkschaften wirklich vertritt. Bei den Kommunalwahlen, die später im selben Jahr stattfanden, kam die PTB/PvdA dann auf 52 Sitze in den Stadträten und Kreistagen. Zuvor lag sie bei 13.
Anfang 2013 lud dann der Bezirksbevollmächtigte dieser gewerkschaftlichen Untergliederung die außerparlamentarische Linke ein (darunter auch die PTB/PvdA und die PSL/LSP), um ein Koordinierungskomitee ins Leben zu rufen. Eine Veranstaltung wurde organisiert, an der 400 Personen teilnahmen. Bald darauf wurden zwei schriftliche Erklärungen in großer Auflage publiziert. Darin wird zum einen geäußert, dass man eine kämpferischere Haltung der Gewerkschaften anstrebt und die eigenen bisherigen politischen Verbindungen in Frage stellt. Abgeleitet davon wird die Frage wird nach der Notwendigkeit eines neuen politischen Partners aufgeworfen, der durch die vereinte außerparlamentarische Linke und mit Hilfe viel kämpferischerer Gewerkschaften geschaffen werden muss. Im zweiten Traktat werden zehn Problemfelder thematisiert, von denen die Notwendigkeit eines Sofortprogramms für Wirtschaft und Soziales abgeleitet wird.
Auch wenn diese Gewerkschaftsgliederung zum jetzigen Zeitpunkt noch alleine mit ihrer Position dasteht, kommt es auch in anderen Gewerkschaften und Regionen zu ganz ähnlichen Diskussionen. Als Folge des Widerstands gegen noch drastischere Kürzungen, zu denen es in den fünf Jahren nach dem 25. Mai kommen wird, wird dieser Trend weiter zunehmen. Ein Durchbruch bei diesen Wahlen würde die PTB/PvdA und ihre neu gewählten Mandatsträger in eine Position bringen, von der aus sie das Parlament als Plattform für die Gründung einer regelrechten Widerstandsfront gegen Kürzungen, zur Vereinigung der Linken, der kämpferischen Gewerkschaften sowie all jener ArbeiterInnen nutzen können, die zum derzeitigen Zeitpunkt noch in Wartestellung verharren. Ein derartiger Ansatz würde den Druck auf die gewerkschaftlichen Verbindungen zu den alten Parteien erhöhen, die im Kampf der Beschäftigten stets als Bremsklotz gewirkt hat. Auf diese Weise könnte zudem in naher Zukunft die Basis für eine neue Massenpartei der ArbeiterInnen geschaffen werden.
Ursprünge der PTB/PvdA
Bei der PTB/PvdA handelt es sich um die Fortführung des Bündnisses AMADA/TPO („Alle Macht den ArbeiterInnen“), dessen Ursprünge in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zu finden sind. Mitte der 1970er Jahre gab ihre Vorgänger-Struktur wöchentliche Zeitungen auf flämisch und französisch heraus und unterhielt eigene Gesundheitszentren, die „Medizinische Versorgung für das Volk“ genannt wurden und in denen ÄrztInnen zu günstigeren Konditionen ihre Dienste anboten. Sie kontrollierte an der Basis einige Arbeiterorganisationen, die als Reaktion auf den Verrat der Betriebsbesetzungsbewegung der frühen 1970er Jahre entstanden waren. Darüber hinaus schuf man einen kommunistischen Jugendverband. AMADA/TPO haftete einer kruden Form des Stalinismus an, die mit der offiziellen „Theorie der drei Welten“ der chinesischen KP in Einklang stand. Unter anderem unterstützte man die reaktionäre angolanische Bewegung „UNITA“ und die „Roten Khmer“ in Kambodscha. Die Forderung lautete, den offiziellen Gewerkschaften den Rücken zu kehren und stattdessen autonome rote Arbeiter-Gruppen zu bilden.
Nach Maos Tod wollte die AMADA/TPO mehr zu dem werden, was die „kommunistischen“ Parteien in den anderen Ländern waren. 1979 änderte sie ihren Namen unter bezeichnete sich fortan als PTB/PvdA. Die Haltung gegenüber den Gewerkschaften wurde abgemildert und die eigenen Strukturen geöffnet. Diese interne Wende endete allerdings abrupt im Jahre 1989, als die PTB/PvdA die Zerschlagung des Aufstands vom Tien-An-Men-Platz durch das chinesische Regime unterstützte und den rumänischen Diktator Ceausescu verteidigte. Von 1971 bis 2008 war Ludo Martens der historische Vorsitzende und Sprecher. Er wurde zu einem international bekannten Apologeten und Verteidiger von Stalin und des Stalinismus.
2008 erklärte die PTB/PvdA, dass Martens schwer krank sei, der dann 2011 verstarb. Neuer Sprecher wurde Peter Mertens. Er leitete 2008 im Zuge eines „Erneuerungskongresses“ eine Neuausrichtung ein. Nach Mertens handelte es sich bei dieser Neupositionierung um eine Frage des politischen Überlebens. Wörtlich sagte er: „Die PTB/PvdA schwört dem Dogmatismus und Sektierertum ab, strebt ein Weiterkommen auf Grundlage konkreter Lösungen für konkrete Probleme an und zieht es vor, als >aufstrebende Linke< bezeichnet zu werden statt als >radikale Linke<“. Was die Gewerkschaften angeht, so meinte Mertens: „Gegenüber den Gewerkschaftsvorständen waren wir lange auf Konfrontationskurs. Wir beschuldigten sie, Teil des Establishments zu sein. Das war falsch“. Seitdem vermeidet die PTB/PvdA öffentliche Kritik an den GewerkschaftsführerInnen, obgleich die eigenen Mitglieder immer mal wieder mit dem Gewerkschaftsapparat aneinandergeraten.
Konkrete Lösungen für konkrete Probleme?
Die erste „konkrete Lösung“, die 2004 aufgebracht wurde, verfolgte das Ziel einer günstigeren medizinischen Versorgung. Die PTB/PvdA schlug das sogenannte „Kiwi-Modell“ vor, was damit zusammenhing, dass man in Neuseeland ein bestimmtes Gesundheitssystem entdeckt hatte, das auf öffentlichen Ausschreibungsverfahren asierte. Die Sozialkassen kamen ausschließlich für Medikamente auf, die das beste Preis-Leistungsverhältnis aufwiesen. Als die Zentralregierung in Brüssel dazu überging, dieses System in Teilen zu übernehmen, kam es zu Kürzungen bei genau diesen Medikamenten. Die LSP/PSL (SAV-Schwesterorganisation und CWI-Sektion in Belgien) ist nie für dieses System eingetreten, weil die Pharmaindustrie diesen Mechanismus unserer Meinung nach unweigerlich aushebeln und damit drohen würde, Verträge auslaufen zu lassen, um auf diese Weise den Druck auf die Löhne und die Arbeitsbedingungen zu erhöhen. Nur die Verstaatlichung der Pharmaindustrie unter der Kontrolle der Beschäftigten und VerbraucherInnen kann eine Garantie für bezahlbare Preise und angemessene Versorgung sein, ohne dass dabei in der Produktion die Arbeitsbedingungen für die dort arbeitenden KollegInnen verschlechtert werden.
Gegen die steigende Erwerbslosigkeit schlägt die PTB/PvdA vor, dass es profitablen Unternehmen verboten wird, Massenentlassungen vorzunehmen, und dass Arbeitgeber sanktioniert werden, die sich nicht an diese Vorschrift halten. Natürlich ist die LSP/PSL für jedes juristische Mittel, das den Abbau von Arbeitsplätzen verhindert. Die bestehenden Gesetze sind in dieser Hinsicht unzulänglich. Allerdings dürfen die Maßnahmen, die zur Verteidigung von ArbeiterInnen und Arbeitsplätzen durchgeführt und herangezogen werden (darunter auch die entsprechenden Gesetze und Gerichte), nicht als Alternative zum Aufbau einer starken Basisbewegung und zu Solidaritätsaufrufen an andere Beschäftigte dienen.
Ein weiterer politischer Schwerpunkt der PTB/PvdA ist eine „Millionärssteuer“ in Höhe von einem Prozent auf Vermögen über einer Million, zwei Prozent auf Vermögen über zwei Millionen und drei Prozent auf Vermögen über drei Millionen Euro. Darüber sollen 8,7 Milliarden Euro für öffentliche Investitionen eingenommen werden. An der in Frankreich bestehenden Vermögenssteuer ansetzend, will die PTB/PvdA damit die Kapitalflucht eindämmen. Dabei bringt die französische Steuer nur 4,4 Milliarden jährlich ein, was der Hälfte des vorgegebenen Ziels der PTB/PvdA für ein Land entspricht, dessen Volkswirtschaft fünfeinhalb Mal größer ist als die Belgiens. Auch hier kann nur die Verstaatlichung des Finanzsektors und der großen Konzerne unter demokratischer Kontrolle durch die Beschäftigten und die Kommunen die nötigen Voraussetzungen liefern, um die für Schulgebäude, Bahnstrecken, Krankenhäuser und Seniorenheime, sozialen Wohnungsbau, öffentlich finanzierte Energieeffizienz-Häuser Umweltschutz etc. nötigen Investitionen zu erreichen.
Für eine vereinte Front gegen Kürzungen
Für neue linke Formationen ist die Frage von Bündnissen von entscheidender Bedeutung. Bei den Kommunalwahlen 2012 kam die PTB/PvdA in Borgerhout (Bezirk Antwerpen) auf 17 Prozent. Dann schloss sie dort ein Bündnis mit den Sozialdemokraten, Grünen und einem ehemaligen Christdemokraten, der als Unabhängiger im Rat sitzt. Peter Mertens erklärte dazu auf der Homepage von PTB/PvdA: „Wir werden Borgerhout nicht wieder der N-VA überlassen. [Der N-VA-Vorsitzende] Bart De Wever hat sich Antwerpen als Testfeld für seine künftige unabhängige Republik Flandern auserkoren […] Von unserem Programm ausgehend werden wir uns soweit wie möglich dafür einsetzen, ein soziales Programm auf die Agenda zu setzen. Das ist übrigens auch das, was all die, die uns gewählt haben, von uns erwarten“.
Vor kurzem erst ist die PTB/PvdA von einem rechtsgerichteten Akademiker angegriffen worden: „Nichts von dem, was die PTB/PvdA an Inhalten vorbringt, hat sich geändert. Sie geht immer noch vom Marxismus-Leninismus aus und verfolgt weiterhin das Ziel, den idealen sozialistischen Staat auszurufen, in dem es kein Privateigentum gibt“. Als Reaktion darauf nennt Mertens dies eine „groteske Absurdität“. Und weiter: „Wir gründen nicht auf dem Marxismus-Leninismus und sind nicht für ein System ohne Privatbesitz. Wir sind eine moderne marxistische Partei wie die >Socialistische Parteij< in den Niederlanden oder >Die.Linke< in Deutschland“.
Abgesehen von unserer Kritik gehen wir als LSP/PSL davon aus, dass die PTB/PvdA integraler Bestandteil eines Prozesses der Neuausrichtung der Arbeiterbewegung sein wird. Wir können auf eine ganze Reihe von Beispielen verweisen, in denen wir der PTB/PvdA verschiedene Formen der Zusammenarbeit vorgeschlagen haben. Unser Ansatz war dabei immer geprägt von der Idee: Gemeinsam kämpfen, getrennt marschieren. So beteiligt sich die LSP/PSL (wie auch die PTB/PvdA) am Organisationskomitee, das von der Gewerkschaftsgliederung in Charleroi ins Leben gerufen wurde.
Die Mehrheit der PTB/PvdA-WählerInnen hat mit dem alten stalinistischen Ballast nichts mehr zu tun. Sie betrachten die PTB/PvdA als die Partei, die das Projekt „Medizinische Versorgung für das Volk“ ins Leben gerufen hat, die die Auswüchse des Kapitalismus offenlegt und die sich in den Medien anders geriert und anhört als die anderen Parteien. Sie betrachten die PTB/PvdA als die Partei, die in einer von der Rechten dominierten politischen Landschaft letztlich für ein linksgerichtetes Projekt steht.
Für den französischsprachigen Teil Belgiens hat die PTB/PvdA eine offene Liste namens PTB-GO angeboten und für Flandern die „PvdA+“. Auf dieser Liste kandidieren ein paar linke Unabhängige, AkademikerInnen, KünstlerInnen u.a. Hinzu kommen einige KandidatInnen von der LCR und der KP. Wir haben mit der PTB/PvdA über die Möglichkeit diskutiert, dass auch KandidatInnen der LSP/PSL auf dieser Liste kandidieren. Die PTB/PvdA ist aber eindeutig geblieben: „Die LSP will genau wie wir größer werden, was ein Problem ist. Die LCR und die KP, die mit KandidatInnen auf unseren Listen kandidieren, haben dieses Vorhaben alles in allem aufgegeben. Die LSP/PSL wird es nicht unterlassen, Flugblätter zu verteilen und Zeitungen zu verkaufen. Die PTB/PvdA hat eine ganze Menge neuer Mitglieder, die unser Programm noch nicht in vollem Umfang kennen. Wenn die LSP/PSL mit dabei wäre, dann müsste die PTB/PvdA mehr Energie darauf verwenden, die Unterschiede zwischen beiden Strukturen zu erklären als sie Zeit für den eigenen Wahlkampf hätte“. Die PTB/PvdA akzeptiert mit anderen Worten nur, dass Einzelpersonen und Organisationen auf ihren Listen vorkommen, die ihr Programm nicht in Frage stellen. Trotzdem ruft die LSP/PSL zur Stimmabgabe für die PTB-GO in Wallonien und für die „PvdA+“ in den flämischsprachigen Gebieten auf – vor allem dort, wo sie echte Chance haben, Sitze zu erlangen.
In Brüssel wird die LSP/PSL bei den Wahlen am 25. Mai gemeinsam mit der kleinen linken „Parti Humaniste“ und einigen unabhängigen linken Einzelpersonen unter dem Namen „Gauche Commune“ antreten, weil die dort geltenden kommunalen Wahlrichtlinien es verschiedenen Listen erlauben, ihre Ergebnisse miteinander zu verbinden. Damit ist es möglich, die nötige Prozenthürde zu erreichen. Bedauerlicherweise hat die PTB/PvdA eine ebensolche Übereinkunft mit einer kleinen regionalen Liste namens „Pro-Brüssel“ und einer unitaristischen Liste („Belgique Unie België“) getroffen. Diese beiden Gruppen sind politisch auf der Rechten zu verorten. Einen gemeinsamen Block mit „Gauche Commune“ hat die PTB/PvdA zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch abgelehnt.
Bis zu den Wahlen sind es nur noch ein paar Wochen. Angesichts möglicher Wahlerfolge und eines wahlpolitischen Durchbruch sollte das vollkommen verständliche Gefühl der hoffnungsvollen Erwartungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Austerität und die Kürzungen definitiv weitergehen werden. Es wäre großartig, wenn es linke Abgeordnete gäbe, die sich für die Sache der „einfachen“ Leute einsetzen – nicht nur auf der Straße und in Versammlungen sondern auch in den Medien. Gleichzeitig muss von nun an aber auch der Widerstand von unten organisiert werden.
Für diesen Monat haben die Gewerkschaften eine Reihe von Demonstrationen gegen die Angriffe auf die Erwerbslosen und zur Verteidigung von Löhnen und Sozialleistungen organisiert. Für den 4. April hat der Europäische Gewerkschaftsbund EGB für eine europaweite Demonstration in Brüssel mobilisiert. Die politische Linke und die kämpferischeren Gewerkschaften sollten daran ansetzen, große Versammlungen einberufen und damit beginnen, eine Front des Widerstands gegen Kürzungen und Angriffe auf die Sozialstandards aufzubauen. Dazu muss auch die Verabschiedung eines Aktionsplans mit regionalen Demonstrationen, Streiks und Besetzungsaktionen gehören, wenn es um Schließungen und „Restrukturierungen“ geht. Wenn die PTB/PvdA das Parlament als Plattform nutzt, um diese Idee gemeinsam mit anderen (auch mit uns) zu verbreiten, dann kann eine solche Widerstandsfront zu einem entscheidenden Instrument bei der Verteidigung der ArbeiterInnen und der verarmten Schichten werden.
Übersicht der genannten Organisationen
Bei der „Arbeitspartei Belgiens“ handelt es sich um eine landesweite Partei, die auf flämisch „Partij van de Arbeid“ (PvdA) und auf französisch „Parti du Travail de Belgique“ (PTB) heißt.
Die „Linkssozialistische Partei/Sozialistische Partei des Kampfes“ (flämisch: „Linkse Socialistische Partij“ [LSP]; frz.: „Parti Socialiste de Lutte“ [PSL]) ist ebenfalls eine belgienweit vertretene Partei, die dem „Committee for a Workers International“ (CWI; dt.: „Komitee für eine Arbeiterinternationale“, dessen Sektion in Deutschland die SAV ist) angehört. Sie ist die zweitgrößte außerparlamentarische Partei in Belgien nach der WPB.
Die drittgrößte Kraft der radikalen Linken ist die „Kommunistische Partei“. Sie ist entlang der für Belgien typischen Linien ebenfalls geteilt: in die „Parti Communiste“ (für Wallonien und Brüssel) und die „Kommunistische Partij Vlaanderen“, wobei die letztgenannte praktisch nicht mehr existiert.
Die viertgrößte Formation ist die „Revolutionäre Kommunistische Liga“ („Ligue Communiste Révolutionnaire“, LCR) bzw. „Sozialistische Arbeiterpartei“ („Socialistische Arbeiderspartij“, SAP), die das „Internationale Sekretariat der Vierten Internationale“ repräsentiert.
Wie jede traditionelle Partei in Belgien hat sich auch die Sozialdemokratie in den 1970ern in zwei einzelne Parteien gespalten, was auf die in Belgien existierenden Regionsgrenzen zurückgeht. Im französischsprachigen Teil ist das die „Parti Socialiste“ (PS) und im flämischen Teil die Formation „Sociaal Progressief Alternatief“ (SP.a).
Bei den Grünen handelt es sich um „Ecolo“ (frz.) und „Groen“ (fläm.).
In Belgien gibt es zwei große Gewerkschaftsdachverbände. Der eine ist historisch mit der Sozialdemokratie verbunden und heißt auf flämisch ABVV bzw. auf französisch FGTB (dt.: „Allgemeiner Belgischer Gewerkschaftsbund“). Der andere Dachverband ist traditionell mit der Christdemokratie verbunden und heißt „Allgemeiner christlicher Gewerkschaftsbund“ (auf flämisch: ACV; auf französisch: CSC). Obwohl sich einige Einzelgewerkschaften dieser Gewerkschaftsbünde entlang der Regionsgrenzen in Belgien gespalten haben (wie z.B. die „Christliche Angestelltengewerkschaft“, die „Sozialistische Lehrergewerkschaft“ und die Metallgewerkschaften) handelt es sich bei beiden Gewerkschaftsdachverbänden weiterhin um landesweit organisierte Strukturen.