Seit Donnerstag verhandeln ver.di und Unternehmer in Baden-Württemberg über eine neue Tarifstruktur im Einzelhandel. Das klingt sperrig, könnte für die bundesweit rund 3,2 Millionen Beschäftigten der Branche aber weitreichende Folgen haben.
von Daniel Behruzi
Es ist die Fortsetzung des Tarifkonflikts von 2013 mit anderen Mitteln. Mehr als 130.000 Beschäftigte hatten sich über Monate hinweg an Arbeitsniederlegungen beteiligt, um die von den Konzernen betriebene Zersetzung ihrer Tarifverträge zu verhindern. Zunächst mit Erfolg: Im Dezember 2013 wurde der Manteltarifvertrag wieder in Kraft gesetzt. Allerdings wurden zugleich Verhandlungen über eine grundlegende Reform der aus Unternehmersicht antiquierten Tarifregelungen verabredet, die nun beginnen.
Auch dabei dürfte es eher konfliktreich zugehen. Denn die Agenda der Einzelhandelskonzerne wird sich nicht geändert haben. Ihnen geht es keineswegs darum, unzeitgemäße Berufe wie die Kaltmamsell, den Pelznäher oder den Fahrstuhlführer aus dem Tarifwerk zu entfernen. Ihre Ziele sind statt dessen, wie so oft: Kostensenkung und »Flexibilisierung«. Das vergleichsweise einheitliche Eingruppierungssystem im Einzelhandel soll zergliedert werden. Statt nach Ausbildung und Berufserfahrung soll sich die Bezahlung nach den jeweiligen Tätigkeiten richten. Insbesondere vor dem Hintergrund einer verstärkten Arbeitsteilung – die einen Beschäftigten räumen den ganzen Tag nur Waren in die Regale, andere kassieren, wiederum andere sollen hauptsächlich die Kunden beraten – hätte das für große Teile der Belegschaften eine Abgruppierung zur Folge.
Auf eine solche »analytische Arbeitsbewertung« hatten sich die ver.di-Spitze und der Einzelhandelsverband HDE in ihren Grundzügen schon einmal geeinigt. Doch an der Gewerkschaftsbasis stieß das Vorhaben auf heftigen Widerstand. Zu deutlich hatten die »Tarifreformen« im Öffentlichen Dienst und in der Metallindustrie gezeigt, dass die Unternehmer eine solche Systemumstellung zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nutzen würden. Die innergewerkschaftlichen Kritiker konnten die Verhandlungen damals stoppen. Es folgte der Arbeitskampf 2013, bei dem die Konzerne erfolglos versuchten, ihre Ziele mit Brachialgewalt durchzudrücken.
Nun also wieder Verhandlungen. Gut ist, dass diese im kampfstarken ver.di-Landesbezirk Baden-Württemberg beginnen, wo die entschiedensten Kritiker der bisherigen Reformdebatte beheimatet sind. Schlecht ist, dass während der Gespräche die Friedenspflicht gilt. Denn die Ziele der ver.di-Tarifkommission – keine Verschlechterungen; Sicherung und Verbesserung der Einkommen; keine Entwertung der Arbeit durch Aufgliederung von Tätigkeiten – werden sich sicher nicht ohne die Mobilisierung der Belegschaften durchsetzen lassen. Von tatsächlichen Reformen, wie der Anhebung der Gehälter für die (vor allem weiblichen) Verkäufer auf das Niveau der Löhne der (vor allem männlichen) Lagerarbeiter, ganz zu schweigen.