Dieser Artikel erschien zuerst am 1. August auf Englisch auf www.socialistworld.net
Nur eine sozialistische Politik kann die Erpressung durch die Finanzmärkte beenden
von Danny Byrne, CWI („Committee for a Workers´ International“ // „Komitee für eine Arbeiterinternationale“, dessen Sektion in Deutschland die SAV ist)
13 Jahre nachdem es zum größten staatlichen Schuldenausfall der Geschichte gekommen ist, steht Argentinien erneut vor der Zahlungsunfähigkeit. Es geht um dieselben Schulden. Zuvor hatte es wochenlang Spekulationen und panikartige Verhandlungen zwischen der Regierung und den gierigen, sich „verweigernden“ Aktienbesitzern gegeben, um genau dieses Ergebnis zu verhindern. Die Gespräche kollabierten allerdings am 30. Juli, nach einer einmonatigen „Gnadenfrist“, die Argentinien gewährt wurde. Diese Situation erinnert uns daran, wie im kapitalistischen System ganze Staaten mitsamt ihrer Bevölkerung von „den Märkten“ in die Knie gezwungen werden können, wenn kein alternativer Ausweg aufgezeigt wird.
Die jüngste Krise wurde ausgelöst durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA, mit dem Argentinien aufgefordert wurde, 1,5 Milliarden US-Dollar zu bezahlen, um die „sich verweigernden“ Aktienbesitzer auszubezahlen. Die „sich verweigernden“ Gläubiger stellen eine Minderheit der Besitzer argentinischer Staatsanleihen dar. Sie wehren sich dagegen, sich dem Umschuldungsprogramm anzuschließen, das von den Regierungen unter Nestor bzw. Cristina Kirchner in den Jahren 2005 und 2010 ausgehandelt wurde. Bei dieser Neustrukturierung, die von 93 Prozent der Besitzer argentinischer Staatsanleihen mitgetragen wird, handelt es sich im Endeffekt um eine Vereinbarung über die Rückzahlung der Schulden, allerdings bei gleichzeitiger Abwertung der Anleihen.
Die Verweigerer haben einen jahrelangen Kampf darum geführt, voll und ganz ausbezahlt zu werden und der Oberste Gerichtshof der USA hat nun in ihrem Sinne entschieden. Das ist ein folgenschwerer Sieg für private Anleihebesitzer über Staatsregierungen und ein Präzedenzfall von großer Bedeutung für zukünftige Konflikte und Zahlungsausfälle. Finanzgeier, die dazu neigen, das Ersuchen von Staaten kurz vor einem Zahlungsausfall nach Umschuldung oder „haircuts“ zu ignorieren (obwohl damit die jeweiligen Volkswirtschaften vor einem unmittelbaren Kollaps bewahrt werden könnten), werden auf internationaler Ebene Unterstützung finden. Für SozialistInnen und die Arbeiterklasse sollte dieser Vorgang jedoch dazu dienen, sich ganz klar die Realität vor Augen zu führen, dass es nämlich im Kapitalismus keine gangbare Lösung für die Schuldenkrise gibt, die von Dauer ist. Die „Lösung“ der Kirchner-Dynastie, die darin bestand, einen jahrzehntelang anhaltenden Zahlungsausfall auszuhalten, war zuvor noch von kapitalistischen Zirkeln als leuchtendes Beispiel dafür gepriesen worden, wie Länder sich auch auf kapitalistischer Grundlage von Schuldenkrisen wieder erholen können. Alles schien lösbar zu sein durch Verhandlungen und eine spätere Rückkehr an die Märkte. Dass diese über den Klee gelobte Lösung nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten so schnell in sich zusammengefallen ist, zeigt, dass sie auf Sand gebaut war. Dieser Vorgang sollte eine eindeutige Warnung für all jene in Europa sein (wie z.B. für die Führung des Linksbündnisses „Syriza“ in Griechenland), die Illusionen in ganz ähnliche „Lösungswege“ im Rahmen des Kapitalismus schüren.
Es liegt in der Logik des Systems, welches auf dem Schutz des Privateigentums der Reichen basiert, dass die „Rechte“ privater und super-reicher Investoren über den „Rechten“ demokratisch gewählter Regierungen stehen. In gewisser Hinsicht steht das jüngste Gerichtsurteil für eine Machtprobe zwischen der argentinischen Regierung und dem Groß-Spekulanten Paul Singer, dessen Investment-Unternehmen NML die Forderungen der Gläubiger vertreten hat. Das Vermögen von Singer, der als Unterstützer und Finanzier der „Republikaner“ in den USA bekannt ist, wird auf 1,1 Milliarden Dollar geschätzt. Er hat sich auf das Spekulieren mit Staatsschulden spezialisiert. Das Gerichtsurteil bestätigt, für wen die Gesetze und Gerichte gemacht sind: für die Paul Singers dieser Welt. Nur der Bruch mit diesem System und eine sozialistische Alternative können dafür sorgen, dass die Rechte der Bevölkerungen und ihre Lebensgrundlage mehr zählen als die Rechte eines Multimillionärs, der nur noch mehr Profit machen will.
Für eine sozialistische Politik, um die Diktatur und die Erpressung der Finanzmärkte zu beenden
Die Regierung Kirchner hat ihrerseits bewiesen, dass sie nicht Willens ist, einen solchen Weg einzuschlagen. Nach dem Abbruch der Verhandlungen schlägt sie einen harten Ton an, und Finanzminister Alex Killicof verspricht: „Wir werden keine Vereinbarung unterzeichnen, die die Zukunft des argentinischen Volkes aufs Spiel setzt“. Diese Regierung hat in den letzten Wochen jedoch gegenüber den Finanzgeiern klar gemacht, dass sie bereit ist, sich so weit zu verbiegen, dass man zu einer Übereinkunft kommt. Der Zahlungsausfall kam genau zu dem Zeitpunkt, als die Regierung hoffte, endgültig und erfolgreich an die Märkte zurückkehren zu können. Vorangegangen war dem vor einigen Monaten ein Milliarden-schwerer Deal mit einer anderen Gruppe von sich verweigernden Gläubigern, dem sogenannten „Pariser Club“. Der Preis dafür und weitere Vereinbarungen bedeuten in der Tat eine Gefahr für die Zukunft der argentinischen Bevölkerung, die es mit einer außer Kontrolle geratenen Inflation und Austeritäts-, sprich: mit Kürzungsmaßnahmen zu tun hat. Die Regierung kämpfte bis zur letzten Minute, um eine Lösung zu finden, die die Anleihebesitzer hätte zufriedenstellen können. Allerdings fand man sich am Ende in einem juristischen Kuddelmuddel wieder. Verbunden ist dies mit Abkommen, die man mit jenen Gläubigern getroffen hat, welche die vorangegangenen Restrukturierungen akzeptiert hatten. Schließlich blieb außer dem Zahlungsausfall keine andere Alternative mehr übrig, weil man eingestehen musste, dass das Begleichen sämtlicher Forderungen aller Gläubiger auf einen Schlag im Bereich des Unmöglichen lag.
Eine Arbeiter-Regierung würde auf das Urteil des US-amerikanischen Gerichts und die Erpressung der Anleihebesitzer missachten und die Schulden voll und ganz ablehnen. Ein solches Vorgehen müsste allerdings einhergehen mit der Verstaatlichung der Banken und des Finanzsektors unter demokratischer Kontrolle und der Einführung eines Staatsmonopols im Bereich des Außenhandels, um die Volkswirtschaft zu schützen und der Kapitalflucht einen Riegel vorzuschieben. Diese und weitere sozialistische Maßnahmen müssten Teil eines Notfallplans sein, mit dem der Krise begegnet wird. Mit einem solchen Plan würde das Ziel verfolgt, die Reichen – sowohl im Land selbst als auch im Ausland – für die Krise zur Kasse zu bitten, während die Löhne und Lebensstandards der arbeitenden Menschen gegen die Auswirkungen der Inflation und Währungsabwertung geschützt werden. Anstatt Milliarden in die Taschen der Anleihebesitzer zu spülen, könnte ein umfassender Plan für öffentliche Beschäftigung aufgelegt werden, um für echtes Wirtschaftswachstum zu sorgen.
Sollte es tatsächlich dazu kommen, so hätte eine solche Politik die breite Sympathie der Menschen und würde internationale Unterstützung erhalten – nicht nur in Lateinamerika sondern weit darüber hinaus; so auch in Europa, wo die ArbeiterInnen unter einer nicht enden wollenden Austerität leiden, die im Namen von Anleihebesitzern derselben Sorte durchgeführt wird. Das könnte zum Aufbau einer internationalen Bewegung führen, um mit den Finanzmärkten zu brechen und eine sozialistische Föderation Lateinamerikas zu etablieren.
Die konkreten Folgen des Zahlungsausfalls Argentiniens im Land selber und was die internationale Ebene angeht, für die argentinische Volkswirtschaft wie auch für die Weltwirtschaft bleiben abzuwarten. Die ohnehin schon explosive ökonomische wie auch gesellschaftliche Gemengelage wird sich dadurch in jedem Fall weiter zuspitzen, da die Wirtschaft in die Rezession rutscht. Viele Schwergewichte des Kapitalismus weltweit werden nicht mit ansehen wollen, dass es zu einer übermäßig schweren Schuldenkrise kommt, weil sie sich um die Folgen sorgen, die das für haben könnte. Dass es am Ende doch noch zu einer Übereinkunft in letzter Minute kommt, ist somit nicht auszuschließen. Tatsache ist, dass argentinische Privatbanken sich in letzter Minute noch an den Verhandlungen über eine Einigung beteiligten. Sie könnten ein separates Abkommen auf privatwirtschaftlicher Ebene mit den Anleihebesitzern treffen, um einen schwerwiegenden Zahlungsausfall abzuwehren.
Es gibt allerdings schon Gerüchte, dass der darauffolgende Schaden, den der Zahlungsausfall Argentiniens für die Währungsmärkte bedeutet, die Regierung dazu bringen wird, ein zweites Mal in einem Jahr die Währung abzuwerten. Und das in einer Situation, in der die Inflation bereits Chaos verursacht und die Kaufkraft der ArbeiterInnen sowie der verarmten Schichten ins Bodenlose treibt. Es könnte auch zu einer parallel stattfindenden Auswirkung kommen: Der ohnehin schon eskalierende Klassenkampf könnte sich weiter radikalisieren und Erinnerungen an die Jahre 2000 bis 2002 wecken, als es zum Finanzcrash kam. Damals wurde eine ganze Reihe von Regierungen in kurzen Abständen zum Rücktritt gezwungen, weil es zu wiederholten gesellschaftlichen Explosionen und zum Kampf der Massen kam.
Für die Entwicklung einer solche Protestwelle und eines nachhaltigen Plans für kämpferische Aktionen der Beschäftigten (wozu auch eskalierende Generalstreiks zählen, um der Politik, nach der die arbeitenden Menschen und die verarmten Schichten den Preis für die Krise und die Zahlungsausfälle begleichen sollen, eine politische Alternative der ArbeiterInnen entgegenzusetzen) ist die Linke und die Arbeiterbewegung Argentiniens verantwortlich. Sie hat eine stolze und kämpferische Tradition. So dramatisch, wie die „Lösung“ der Kirchners für die Schuldenkrise in sich zusammengebrochen ist, zeigt dies, wie wichtig eine sozialistische Perspektive ist. Sie muss zum Kern der Bewegung werden, mit dem Ziel einer sozialistischen Revolution auf dem ganzen Kontinent und weltweit.