Vorwürfe ernst nehmen statt Frauen und Flüchtlinge zu diffamieren
Wir dokumentieren hier einen Text der SAV Köln zu dem Protest von Geflüchteten gegen sexuelle Übergriffe in einer Kölner Flüchtlingsunterkunft:
Wie mit den Vorwürfen der Flüchtlinge über die Zustände in der Turnhalle in der Westerwaldstraße in Humboldt-Gremberg (Stadtbezirk Kalk) und über Fälle von sexuellen Übergriffen durch Wach- bzw. Sicherheitspersonal umgegangen wird, ist teilweise extrem diskriminierend und frauenfeindlich. Die Flüchtlinge hatten sich in einem offenen Brief über die Zustände in der Turnhalle, in der 196 Flüchtlinge leben müssen, beklagt. In einem weiteren offenen Brief haben dort untergebrachte Frauen schwere Vorwürfe gegen Mitarbeiter der eingesetzten Sicherheits- und Wachdienste wegen sexueller Belästigung und Bedrohung erhoben.
Die Stadt geht in ihrer Pressemitteilung überhaupt nicht auf die konkreten Vorwürfe ein, sondern stellt lediglich dar, wie die Verhältnisse nach offizieller Lesart sein sollten. Sie zeigt damit, dass sie die Beschwerden und die Sorgen der Geflüchteten nicht ernst nehmen will.
Die Polizei rückte mit einem Großaufgebot in der Flüchtlingsunterkunft an und verkündete nach ersten Befragungen, die laut Berichten hautpsächlich durch Männer vorgenommen wurden, dass noch keine Anzeigen vorliegen würden. Nach erneuten Befragungen, die zwei Tage später stattfanden und bei denen dann Frauen als Polizeibeamte und Dolmetscher eingesetzt wurden, haben mindestens zwei Frauen Anzeige erstattet.
Die Medien betonten wiederholt ihre Skepsis insbesondere gegenüber den Vorwürfen sexueller Belästigung undBedrohung. Auch der Geschäftsführer des „Kölner Flüchtlingsrates“, Ulrich Prößl, äußerte laut Medienberichten Zweifel an den Vorwürfen.
Wir finden diese Herangehensweise skandalös. Die Haltung der SAV Köln ist eindeutig: Wenn Frauen Vorwürfe über sexuelle Belästigung erheben, dann muss man sie grundsätzlich ernst nehmen. Das war und ist die Haltung von allen, die sich gegen Gewalt gegen Frauen einsetzen. Alle Versuche, Frauen, die derartige Vorwürfe erheben, zuallererst mit Skepsis zu begegnen oder sogar zu delegitimieren, richten sich nicht nur gegen die konkret betroffenen Frauen, sondern sind ein Angriff auf Frauen im allgemeinen, denn es macht es ihnen schwerer, sich gegen sexuelle Übergriffe zu wehren. Es liegt ja gerade in der Natur der Sache, dass sexuelle Übergriffe gegen Frauen meistens stattfinden, wenn der Täter mit dem Opfer allein ist. Deshalb ist es wichtig, Frauen zu ermutigen, solche Übergriffe öffentlich zu machen, statt sie zusätzlich einzuschüchtern.
In vorliegenden Fall sollte man auch die Frage stellen, ob es denn so unwahrscheinlich ist, dass es Männer gibt, die ihre Machtposition in einer Flüchtlingsunterkunft gegenüber den um ihre Zukunft bangenden Menschen und insbesondere gegenüber den Frauen unter ihnen, ausnutzen?
Die SAV Köln stellt dieselbe Forderung, die wir nach den Vorfällen in der Silvester-Nacht erhoben haben: Bildung einer unabhängigen Untersuchungskommission von demokratisch gewählten Vertreter*innen der Opfer, von Frauen-Selbsthilfe-Organisationen, Frauenarbeitskreisen aus Gewerkschaften, zur Aufklärung der Vorfälle. Außerdem müssen, ähnlich wie es richtigerweise nach den Vorfällen in der Silvester-Nacht geschehen ist, auch die Bewohner*innen von anderen Flüchtlings-Sammelunterkünften ermutigt werden, Übergriffe anzuzeigen.
Gleichzeitig fordern wir, alle Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen. Dass in dieser und anderen Turnhallen Menschen ohne jede Privatsphäre über längere Zeit untergebracht sind, ist unbestritten, droht in der Debatte aber unterzugehen. In Köln gibt es leerstehenden Wohnraum und es gibt leerstehende Bürogebäude, die zu Wohnzwecken umgestaltet werden könnten. Notfalls müssten diese leerstehenden Gebäude durch die Stadt beschlagnahmt werden, für Flüchtlinge und für andere Wohnungssuchende. Dazu braucht es nur den politischen Willen. Im 21. Jahrhundert ist es kein technisches Problem, Gebäude innerhalb kurzer Zeit mit Küchen und Sanitäranlagen nachzurüsten, es ist auch kein technisches Problem, innerhalb kurzer Zeit feste Wohngebäude zu errichten. Menschen, Material und Maschinen dafür sind im Überfluss vorhanden.
Wenn trotzdem allein in Köln 3.900 Menschen in Turnhallen leben müssen, dann drängt sich der Verdacht auf, dass die Unterbringung in Turnhallen auch als Teil der Maßnahmen gedacht ist, um Flüchtlinge abzuschrecken. Wir halten solche eine Politik für zynisch und menschenverachtend.
Den Flüchtlingen und Frauen gilt unsere volle Solidarität. Weitere Infos, auch zu eventuellen weiteren Protesten, auf Facebook: SAV Köln , Köln gegen Rechts , Dignity for Refugees .
Die offenen Briefe der Flüchtlinge aus der Westerwaldstraße sind hier und hier nachzulesen. Hier findet sich die Presseerklärung der Stadt Köln.