Wahlaufruf der Socialist Alternative in den USA
Die meisten fortschrittlichen WählerInnen werden Hillary Clinton ihre Stimme geben, um einen Donald Trump im Weißen Haus zu verhindern. Das ist nachvollziehbar. Viel wichtiger ist es aber, eine Alternative zu den pro-kapitalistischen Parteien aufzubauen
von Kshama Sawant, sozialistische Stadträtin in Seattle und Mitglied von „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in den USA); zuerst veröffentlicht in „The Nation“
Üblicher Weise sind Jahre, in denen Präsidentschaftswahlen stattfinden, nicht gerade von starken sozialen Bewegungen gekennzeichnet. Allzu oft sorgt der Präsidentschaftswahlkampf dafür, dass es auf der politischen Bühne kaum noch Platz für andere Themen gibt. Auf diese Weise wird die Debatte verlagert. Sie bewegt sich weg von den Bedürfnissen der „einfachen Leute“ und hin zur trügerischen Wahl zwischen einem konzernfreundlichen „Demokraten“ und einem noch schrecklicheren „Republikaner“.
In diesem Jahr ist das jedoch anders. Zehntausende Menschen sind dabei, zum ersten Mal in ihrem Leben politisch aktiv zu werden. Allein in den letzten Monaten haben wir die Nachkommen der amerikanischen UreinwohnerInnen erlebt, wie sie im Reservat Standing Rock zu Kundgebungen zusammenkommen sind, um gegen die Dakota-Pipeline zu protestieren. Es war der Anlass für das größte Treffen von Indianerstämmen in diesem Jahrhundert. Dieses mutige Aufbegehren hat die Aufmerksamkeit sowohl auf den historischen und anhaltenden Widerstand dieser Volksgruppen gegen vertraglich ratifizierte Nachteile gelenkt wie auch den Fokus auf das Thema Klimawandel gerichtet. Und eine der letzten viel sagenden Meldungen aus diesem Wahlkampf war, dass zu den mutigen ProtestteilnehmerInnen am Standing Rock, gegen die Haftbefehle erlassen worden sind, auch die Kandidatin der „Green Party“, Jill Stein, gehört.
In den letzten Wochen haben wir erlebt, wie der Quarterback der Football-Mannschaft „San Francisco 49ers“, Colin Kaepernick, massive Unterstützung bekommen hat. Er hatte sich geweigert, beim Abspielen der Nationalhymne aufzustehen (um Protest gegen Polizeigewalt an dunkelhäutigen US-AmerikanerInnen zu äußern; Erg. d. Übers.). Ins Auge fällt dabei, wie schwach die politische Rechte aufgetreten ist, um ihn an dieser Aktion zu hindern. Fakt ist, dass die Unterstützung für ihn überall im Land zunimmt. Bundesweit kommt es zu einem unglaublichen Sinneswandel – nicht nach rechts sondern nach links. Eine Umfrage des Instituts „GenForward“ vom August hat gezeigt, dass 51 Prozent der hellhäutigen jungen Leute die neue Bürgerrechtsbewegung „Black Lives Matter“ unterstützen. Eine weitere Erhebung brachte zutage, dass 58 Prozent der AmerikanerInnen dafür sind, den Mindestlohn auf 15 Dollar die Stunde anzuheben. Auch die Unterstützung für sozialistische Ideen wird stärker. Das alles ist das Ergebnis einer mehr und mehr in Verruf geratenen Politik, die sich nur an den Interessen der Konzerne orientiert. Es geht gegen das kapitalistische System, das gescheitert ist.
Und dennoch haben die „einfachen Leute“ bei den Präsidentschaftswahlen das Gefühl, desillusioniert und machtlos zu sein. Für Donald Trump haben viele nur Abscheu übrig. Durchgehend über 60 Prozent der Menschen äußern in Meinungsumfragen, dass sie ihn und seinen Fanatismus ablehnen. Bei Trump handelt es sich um den unbeliebtesten Kandidaten, den eine der beiden großen Parteien je aufgestellt hat. Er hat es verdient, eine Klatsche zu bekommen. Kaum zu glauben, dass die „Demokraten“ es hinbekommen haben, mit Hillary Clinton die zweit-unbeliebteste Kandidatin der Geschichte ins Rennen geschickt zu haben. Wenn nach ihr gefragt wird, äußern sich 56 Prozent ablehnend. Um es ganz klar zu sagen: Ich will, dass Trump diese Wahl verliert. Doch die progressiven WählerInnen sollten nicht für Clinton stimmen. Ihre engen Verbindungen zu den US-amerikanischen Konzernen und ihre brutal neoliberale Agenda wird – auch für den Fall, dass sie gewinnt – nur dafür sorgen, dass der rechtsgerichtete Populismus noch mehr Zulauf bekommt.
Die Milliardäre, die zu Clintons Unterstützerkreis gehören und den ganzen August über mit ihr zu Tisch gesessen haben, verlangen von ihr, dass sie den „einfachen Leuten“ so wenig wie möglich verspricht. Schließlich fürchten sie, dass es unter einer von ihr geleiteten Administration zur Entwicklung von Massenbewegungen kommen könnte. Sie wissen, dass die arbeitenden Menschen – und vor allem die jungen Leute – so angestachelt sind wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Emails, die vor kurzem aus dem Büro von Nancy Pelosi (Vorsitzende der demokratischen Fraktion im Repräsentantenhaus) verschickt, abgefangen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind, enthalten konkrete Anweisungen, dass man sich nicht auf die Forderungen der „Black Lives Matter“-Bewegung einlassen darf.
Die „Democratic Party“ hat ein besonderes Talent, die politische Rechte in Position zu bringen. Präsident Obama ist 2008 auf einer Welle des Widerstands zu ersten Mal ins Amt gewählt worden. Die Menschen hatten genug von George W. Bush, der damals schon acht Jahre an der Macht war und nur Kriege sowie Steuererleichterungen für die Reichen gebracht hat. Doch auch Obama und die „Demokraten“ haben die Wall Street weiterhin mit Rettungspaketen versorgt und zugesehen, wie Millionen von Menschen ihre Eigenheime verloren haben. Die Vorstände der Gewerkschaften wie auch die meisten progressiven Organisationen haben ihn einfach gewähren lassen. Das hat der „Tea Party“ die Möglichkeit verschafft, die berechtigte Wut weiter Teile der arbeitenden Klasse und der Mittelschicht ausbeuten zu können. Erst im Jahr 2011 verlieh die Bewegung „Occupy Wall Street“ der weit verbreiteten Wut über die konzernfreundliche Politik einen echten und links ausgerichteten Ausdruck.
Wandel wird durch Massenbewegungen erreicht, er kommt nicht einfach von oben, wie Bernie Sanders so treffend gesagt hat. Sein Wahlkampf hat eindrücklich bewiesen, dass „einfache Leute“ eine einflussreiche Wahlkampf-Bewegung aufbauen können, die ihre Interessen vertritt, ohne auch nur einen Penny von den US-amerikanischen Konzernen anzunehmen. Die Umfragen haben durchgehend belegt, dass Sanders – wäre er nominiert worden – Trump bei den Präsidentschaftswahlen geschlagen hätte. Sein Wahlkampf war eingekeilt in einer Partei, deren Vorstand bereit war, so gut wie alles zu tun, um ihn aufzuhalten.
Wir brauchen eine neue politische Partei, die vollends lösgelöst vom Geld der Konzerne arbeitet und somit auch nicht von ihnen beeinflusst wird. Fest steht, dass „Socialist Alternative“ und ich Sanders dazu gedrängt haben, nach den Vorwahlen als unabhängiger Kandidat weiter anzutreten. Das hätte Millionen von Menschen motiviert und geholfen, die Grundlage für eine solche Partei zu schaffen.
Es ist in diesem Kalenderjahr aber immer noch möglich, sich für eine staatlich finanzierte Krankenversicherung, kostenlose Hochschulen, einen Mindestlohn von 15 Dollar, einen raschen Abschied von den fossilen Energieträgern und ein Ende der schier endlosen Kriege einzusetzen. Deshalb unterstütze ich Jill Stein. Wichtig ist, dass sie so viele Stimmen wie nur irgend möglich erhält, damit wir weiter daran arbeiten können, die sozialen Bewegungen noch mächtiger werden zu lassen und gegen die Rechte in Person von Trump und Gary Johnson von der „Libertarian Party“ anzukämpfen. Die Letztgenannten besitzen beide die Dreistigkeit, sich als „Anti-Establishment“-Kandidaten darzustellen.
Viele progressive WählerInnen werden trotz ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Clintons Politik der Kandidatin der „Demokraten“ ihre Stimme geben. Der einfach Grund dafür lautet: Die sollen verhindern, dass Trump einen Fuß ins Weiße Haus setzt. Ich kann den Wunsch, Trump verlieren zu sehen, vollkommen nachvollziehen. Wichtiger aber ist es, einen Prozess in Gang zu setzen, der eigentlich schon längst hätte beginnen müssen: Den Aufbau einer Alternative zu den pro-kapitalistischen Parteien, die in der US-amerikanischen Politik das Monopol inne haben.
Der Wahlkampf von Jill Stein bietet die Gelegenheit, um die Unterstützung für das zusammen zu bekommen, was allgemein gewünscht und notwendig ist: den radikalen Wandel. Selbst wenn nur einige Millionen für sie stimmen, so wäre das ein eindrucksvoller Ausdruck für die sich ändernde politische Landschaft. Das wäre ein Vorschuss für eine völlig neue Art von Politik in den kommenden Jahren und für eine neue Partei, die sich auf die sozialen Bewegungen und die „einfachen Leute“ gründet – eine Partei, von und für die viel zitierten „99 Prozent der Bevölkerung“.