Die Zukunft, für die wir kämpfen
„Es liegt an uns allen. Wollen wir den oberen Zehntausend in diesem Land mehr Macht und Einfluss geben und die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vertiefen? (…) Oder sind wir bereit, uns mit den Reichen und Mächtigen anzulegen?“ Mit diesen richtigen Fragestellungen beginnt der Programmentwurf „Die Zukunft für die wir kämpfen: Sozial. Gerecht. Für Alle“, den die Parteivorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping Mitte Januar vorgelegt haben und der derzeit in der Partei breit diskutiert wird.
Von Lucy Redler
DIE LINKE sieht sich mit vielen politischen Herausforderungen konfrontiert: Zunehmende Prekarisierung der Lebensverhältnisse durch die Politik der Großen Koalition, wider aller Erwartungen ein Hype um den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz, die Debatte um die sogenannte „Innere Sicherheit“ und die Gefahr von Rechts durch AfD und Nazis. Gleichzeitig finden ermutigende Bewegungen und Mobilisierungen statt: eine Tarifbewegung für mehr Personal in den Krankenhäusern, geplante Großproteste gegen den G20-Gipfel und starke Mobilisierungen gegen die AfD. Wie soll sich DIE LINKE vor diesem Hintergrund programmatisch aufstellen und welche Vorschläge soll sie zur Durchsetzung ihrer Forderungen unterbreiten?
Der Bundestagswahlkampf verspricht interessanter und polarisierter als vorige Wahlkämpfe zu werden. Eine Zeit lang schien es so, als würde das Thema „Innere Sicherheit“ zum Hauptwahlkampfthema werden. Aus Angst vor politischem Selbstmord schwenkte die SPD dann jedoch mit Martin Schulz als Kanzlerkandidaten auf das Thema soziale Gerechtigkeit um. Geschickter als beim bisherigen von der SPD bekannten Links-Blinken vor Wahlterminen (um dann rechts abzubiegen) präsentiert die SPD Schulz als Mann aus einfachen Verhältnissen, der nicht Teil der Großen Koalition im Bundestag war.
Kein Vertrauen in Schulz
Für DIE LINKE ist es von Vorteil, dass das Thema soziale Gerechtigkeit nun in den Mittelpunkt rückt. Gleichzeitig gibt es die Gefahr, dass DIE LINKE in Umfragen verliert und zwischen den großen Parteien zerrieben wird, wenn sie nicht deutlich ihren Gebrauchswert herausstellt. Ein Teil der Bevölkerung ist offenbar bereit, der SPD wegen Martin Schulz’ Versprechen nochmal ihre Stimme zu geben. Ein anderer Teil – laut Emnid-Umfrage vom 26. Februar immerhin 57 Prozent der Bevölkerung – hält die Versprechen von Schulz für unglaubwürdig. Das Falscheste was DIE LINKE in dieser Situation tun kann, ist auf eine rot-rot-grüne Regierung zu orientieren oder sich als Korrektiv zu Martin Schulz zu positionieren. Sie würde damit die Illusionen in Schulz verstärken, der in Wirklichkeit ein SPD-Rechter ist, im Europaparlament Teil der Großen Koalition war und in der Vergangenheit CETA durchgesetzt und die Agenda 2010 als Beispiel für andere Länder gepriesen hat.
DIE LINKE sollte stattdessen die Hoffnungen aufgreifen und Menschen begeistern, selbst aktiv zu werden, um die Verhältnisse zu ändern und erklären, warum nur DIE LINKE für eine wirkliche Wende zu sozialer Gerechtigkeit steht und kämpft. Dabei ist es notwendig, Menschen die jetzt nach dem „Hope-against-Hope“-Motto Hoffnungen in Schulz setzen, freundlich aber bestimmt über die reale Politik von Schulz und der SPD aufzuklären. Diesbezüglich hatten AKL-Mitglieder im Parteivorstand vorgeschlagen, zu Beginn der einzelnen Programmkapitel „Worst-of-Groko“-Kästen einzufügen, die über die unsoziale Politik der Großen Koalition aufklären. Denn was uns SPD und Grüne (und auch CDU) auftischen, ist in der Realität ungenießbar. DIE LINKE darf nicht versuchen, sich als Geschmacksverstärker anzupreisen, sondern muss mit eigenen Rezepten und eigenen Zutaten selber kochen – für und mit allen, die Hunger nach Veränderung haben.
Gleichzeitig sollte DIE LINKE die eigenen Forderungen für soziale Gerechtigkeit und gegen Krieg und Rüstungsexporte herausstellen und zuspitzen.
Weg mit Agenda 2010 & Hartz IV
Deshalb ist die klare Ablehnung von Agenda 2010 und Hartz IV im Programmentwurf und in der Kommunikation nach außen wichtig. DIE LINKE fordert im Programm zu Recht einen Mindestlohn von 12 Euro, die Abschaffung von Hartz IV und dessen Ersetzung durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 1050 Euro. Richtigerweise wird auch eine drastische Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich gefordert. An vielen Punkten erhebt DIE LINKE zentrale Forderungen, zu denen Martin Schulz und die SPD nichts anzubieten haben (Rente, Erbschaftssteuer und vieles mehr). Wichtig ist, dass diese Forderungen nicht geduldiges Papier bleiben, sondern den Geist des Wahlkampfes ausmachen. Jeder Auftritt von KandidatInnen auf Plätzen, bei Infotischen und in Talkshows muss zum Ausdruck bringen: DIE LINKE legt sich mit „denen da oben an“, sie will nicht nur (wie Schulz) kosmetische Korrekturen, sondern eine grundlegende Änderung der Verhältnisse im Interesse der Klasse der arbeitenden und erwerbslosen Menschen und deren Familien.
Geld für Kitas statt Kanonen
Die Ablehnung von allen Kriegs- und Auslandseinsätzen der Bundeswehr und ein klares Nein zu Rüstungsexporten ist ein Alleinstellungsmerkmal der LINKEN. Auch deshalb gehört das Kapitel im Programmentwurf ausgebaut und nicht erst auf Seite 67 im Programm. Unter der Großen Koalition und dem ehemaligen Wirtschaftsminister Gabriel sind die Waffenexporte weiter angestiegen und Ursula von der Leyen will eine massive Aufrüstung durchsetzen. Martin Schulz schweigt dazu. Es fällt der LINKEN zu, die Themen Aufrüstung/Krieg und soziale Gerechtigkeit miteinander zu verbinden. DIE LINKE kämpft für Abrüstung. Wir wollen Geld für Rente statt für Rüstung und für Kitas statt Kanonen. Die SPD sagt klar und deutlich, dass DIE LINKE ihr Nein zur NATO und zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr aufgeben müsste, wenn sie Teil einer rot-rot-grünen Koalition werden möchte. Damit müsste die Frage für die meisten in der LINKEN eigentlich klar sein: Mit der LINKEN darf es keinen einzigen Auslandseinsatz geben. Die Formulierungen hierzu sollten auch in Bezug auf die Regierungsfrage im Programmentwurf geschärft werden (hier heißt es bisher: keine „Kampfeinsätze“ statt „keine Auslandseinsätze“)
Positiv ist der Bezug im Programmentwurf auf Seite 67 auf die Unterstützung demokratischer Bewegungen statt Diktatoren und Autokraten. Damit stellt sich DIE LINKE der Idee entgegen, eine Ablehnung des deutschen oder US-Imperialismus würde eine Unterstützung von Assad oder anderer Autokraten bedeuten. Ebenfalls positiv ist die Forderung des Austritts der Bundesrepublik aus den militärischen Strukturen der NATO und nach der Auflösung der NATO. Die Idee der Ersetzung der NATO durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Einschluss Russlands und der positive Bezug zur UNO schaffen gleichzeitig Illusionen, dass es eine friedliche Umgestaltung im Rahmen der kapitalistischen Institutionen unter Beibehaltung der Eigentumsverhältnisse geben kann.
EU: nur in schlechter Verfassung?
Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Kapitel zur EU und Europa. Dort geht eine berechtigte scharfe Kritik an der EU und dem Euro mit der Vorstellung einher, es könne einen Neustart der EU mit neuen Verträgen, die nicht im Interesse des Kapitals sind, im Rahmen des Kapitalismus geben. Nicht erwähnt wird dabei, dass die EU und der Euro ja gerade deshalb gegründet und eingeführt wurden, um die Klasse der abhängig Beschäftigten besser auszubeuten und die wirtschaftliche Vormachtstellung von Ländern wie Frankreich und Deutschland gegenüber der „Peripherie“ auszubauen. Diese Widersprüchlichkeit von scharfer Kritik an den Zuständen und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem einerseits und dem Wunsch, diese zu reformieren andererseits zieht sich durch den Programmentwurf wie auch durch DIE LINKE selbst als reformistische Partei. Da die Partei diesen Widerspruch in sich birgt und in ihr SystembewahrerInnen, AntikapitalistInnen und SozialistInnen nebeneinander aktiv sind, wird dieser auch fortbestehen. Aufgabe von SozialistInnen ist, die Programmdebatte für eine produktive Diskussion über diese Widersprüche zu nutzen und sich für sozialistische Alternativen stark zu machen.
Eine gewisse Linksverschiebung gibt es im Programmentwurf zur Frage des Euros. Deutlicher als zuvor wird der Euro kritisiert und als „unvereinbar mit einer sozialen und demokratischen Entwicklung in Europa“ beschrieben. Gegen diese Formulierungen sowie große Teile des Europa-Kapitels des Programmentwurfs laufen bereits ReformerInnen (auch als „Parteirechte“ bezeichnet) Sturm und fordern eine positivere Bezugnahme auf EU und Euro und deren Reformierbarkeit: „Ein nur halbherziges Eintreten für Europa, wie in Großbritannien, wird immer zur Folge haben, dass vermeintliche Nachteile der EU im Blickfeld der Bevölkerung stehen“ (Vorschlag für eine Änderung des Wahlprogrammentwurfs von Wulf Gallert und anderen).
„Kapitalismus hat abgewirtschaftet“
DIE LINKE muss sich im Wahlkampf durch einen linken Anti-Establishment-Kurs und deutliche Kapitalismuskritik von allen anderen Parteien abheben. Erinnern wir uns daran, dass in den USA Bernie Sanders mit seinem Hauptslogan „Für eine politische Revolution gegen die Milliardärsklasse“ Millionen begeistert hat. Eine unversöhnliche Haltung gegenüber Millionären, Großkonzernen und einem System, das über Leichen geht, sollte DIE LINKE im Wahlkampf glaubwürdig vermitteln. In einer Umfrage von YouGov von Anfang 2016 gab es interessante Ergebnisse: „45 Prozent der Befragten hierzulande haben eine positive Meinung zum Sozialismus, 26 Prozent eine negative. Beim Kapitalismus liegt die Sache genau umgekehrt: Jeder Vierte (26 Prozent) hat eine positive, knapp die Hälfte (47 Prozent) der Befragten eine negative Meinung.“ Daran setzt DIE LINKE in Worten bereits an. So heißt es im Programmentwurf gleich in der Einführung: „Ein System, das Menschen massenhaft in die Altersarmut schickt, hat abgewirtschaftet. Wenn wir keine Alternativen durchsetzen, zerstört der Kapitalismus zunehmend die Gesundheit der Menschen, ihren sozialen Zusammenhalt und die Demokratie. (…) Dieses System im Interesse einer Klasse von Kapitaleigentümern und Superreichen widerspricht den Interessen der Mehrheit der Menschen. DIE LINKE kämpft daher für Alternativen zum Kapitalismus. Wir wollen einen neuen Sozialismus, einen demokratischen, ökologischen, feministischen und lustvollen Sozialismus.“
Es wäre gut, diese Aussagen in einen analytischeren neuen Teil des Programms einzuordnen, in dem genauer erklärt wird, in welchem Stadium des Kapitalismus wir uns heute befinden und welche Schlüsse DIE LINKE programmatisch und strategisch daraus zieht.
Vor allem aber ist es gut, dass DIE LINKE auch im Wahlkampf den Blick über das System hinaus richtet. Auch in der Einleitung heißt es bereits: „Wir halten es mit Naomi Klein: Kapitalismus oder Klima – wir müssen uns entscheiden. (…) DIE LINKE ist die einzige Partei, die für ein anderes Wirtschaftssystem eintritt: Menschen vor Profite.“
Damit diese Idee nicht ein Fernziel auf dem Papier bleibt, ist eine konkretere Verbindung der heutigen Kämpfe und Auseinandersetzungen mit dem Ziel einer sozialistischen Gesellschaft nötig. Das kann beispielsweise so aussehen, dass die Partei in ihrer Unterstützung für Streiks für mehr Personal im Krankenhaus thematisiert, warum im Gesundheitswesen Profite erwirtschaftet werden und PatientInnen und Beschäftigte darunter leiden und dass DIE LINKE dafür kämpft, dass Profitsystem im Gesundheitssektor und in der Gesellschaft zu beseitigen. In der Auseinandersetzung um Opel hat Bernd Riexinger am 16. Februar zu Recht gefordert, dass Opel „verstaatlicht und in einen Mobilitätskonzern der Zukunft umgebaut werden“ soll. Das sollte die Partei nicht nur für Opel sondern für die gesamte Autoindustrie aufwerfen und ihre Forderungen zur Eigentumsfrage schärfen. Im Wahlprogrammentwurf heißt es: „Die LINKE kämpft dafür, Unternehmen der Daseinsvorsorge, Banken und Versicherungen, Energiekonzerne, Unternehmen der Pharma- und medizinischen Industrie und der Telekommunikation in die öffentliche (oder genossenschaftliche) Hand und in gesellschaftliche Eigentumsformen zu überführen.“ Das ist weitergehender als vieles, was DIE LINKE in bisherigen Wahlprogrammen formuliert hat – auch wenn eine Gleichsetzung von genossenschaftlichem und öffentlichem Eigentum nicht richtig ist. Es wirft aber die berechtigte Frage auf: Was ist mit den Schlüsselindustrien, wie zum Beispiel der Auto- und der Chemieindustrie?
Kampf gegen Rechts
Erfreulicherweise wird im Kapitel zu rechter Gewalt die Verantwortung der Großen Koalition mit ihrer neoliberalen Politik für den Aufstieg der AfD erwähnt: „Die Politik der Großen Koalition hat mit ihrer Politik den Nährboden bereitet, auf dem Rassismus und Ideologien der Ausgrenzung gedeihen. Der Aufstieg der AfD ist auch Ergebnis dieser verfehlten Politik. Eine wirksame Politik dagegen muss die Ursachen bekämpfen: Prekarisierung zurückdrängen, die Demokratisierung der Gesellschaft voran treiben und soziale Sicherheit schaffen.“
Das wichtigste Mittel im Kampf gegen rechts ist linke Politik und der Aufbau einer starken sozialistischen Partei, die sich deutlich von SPD und Grünen (und natürlich auch von CDU/CSU und der AfD) abgrenzt.
Auch wenn es in diesem Kapitel einen positiven Bezug auf Demonstrationen und Blockaden gegen Naziaufmärsche gibt, ist die Idee des gemeinsames Kampfes hier wie auch in anderen Kapiteln unterbetont. Dabei ist es Aufgabe der LINKEN eine Vorstellung des gemeinsamen Kampfes von abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen, Geflüchteten, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gegen die Politik der Herrschenden zu schaffen. Es sind solche gemeinsamen Kämpfe, die Rassismus in der Arbeiterbewegung zurückdrängen können.
Durchsetzung
Im Gegensatz zu allen anderen Parteien präsentiert sich DIE LINKE nicht als Wahlverein. Sie ruft im Programmentwurf explizit zum Mitmachen auf. Das reicht jedoch nicht. Die Frage, wie all diese Forderungen durchgesetzt werden sollen, bleibt an vielen Stellen offen. Wer den Programmentwurf aufmerksam liest, versteht, dass dieses Programm keine Grundlage für eine gemeinsame Regierung mit SPD und Grünen ist. Es wäre nur ehrlich, das den Menschen auch zu sagen und trotzdem anzubieten, eine Minderheitsregierung von SPD und Grünen ins Amt zu verhelfen, allen potentiell positiven Maßnahmen im Einzelfall zuzustimmen ohne Verantwortung für die Koalition durch Regierungsbeteiligung oder Tolerierung zu übernehmen. Diese Position ist in der Partei derzeit leider nicht mehrheitsfähig. Es wäre ein wichtiger Fortschritt, wenn die im Pro-grammentwurf genannten Roten Haltelinien (keine Privatisierung, keine Kriege und Kampfeinsätze der Bundeswehr) geschärft werden würden in: Keine Auslandseinsätze der Bundeswehr, Nein zu CETA und TTIP, Rücknahme der Agenda 2010 und Hartz IV, Stopp aller Abschiebungen. Und die Partei sollte eine viel klarere Vorstellung davon geben, wie gesellschaftliche Kräfteverhältnisse durch Streiks, Proteste und öffentlichen Druck geändert werden können. Am besten wäre es, wenn dem Wahlprogramm ein Extra-Kapitel beigefügt würde mit Beispielen, was DIE LINKE bundesweit, in den Ländern oder Kommunen gemeinsam mit Bewegungen erkämpft hat wie zum Beispiel in der Auseinandersetzung für mehr Personal in den Krankenhäusern, bei Mieterinitiativen oder Protesten für Rekommunalisierungen von Stadtwerken und Kliniken. Das kann Menschen, ermutigen, selbst aktiv zu werden und eine Vorstellung von gesellschaftlichen Veränderungen außerhalb des Parlamentsbetriebs geben. Der schöne Titel „Die Zukunft, die wir erkämpfen“ würde dann einen noch schöneren Inhalt bekommen.
Und wenn sich dann auch noch alle SpitzenkandidatInnen an das Programm halten, kann das auch ein kämpferischer Wahlkampf werden.