Zur Debatte und den Machtkämpfen in der LINKEN – Bericht aus dem Parteivorstand
Die Wogen in der Linkspartei haben in den letzten Tagen und Wochen hoch geschlagen. Anstatt den relativen Wahlerfolg der Bundestagswahl zu nutzen, um soziale Opposition gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Klassengesellschaft in den Mittelpunkt zu rücken, haben Teile der Fraktions- und Parteispitze es geschafft, dass die Medien wieder einmal das Bild einer zerstrittenen Partei malen konnten, die sich nicht solidarisch über Inhalte auseinandersetzt, sondern in der intrigiert wird und einige Spitzenleute Machtkämpfe um Posten und Einfluss führen und dabei auf das Gesamtinteresse der Partei und die Menschen, die von der LINKEN vertreten werden sollen (also diejenigen, die in dieser Gesellschaft sonst kaum eine Stimme haben) keine Rücksicht nehmen.
Das normale Parteimitglied konnte kaum durchblicken, wer da nun was gefordert hat. Behauptungen, es habe Rücktrittsforderungen gegen Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn gegeben und Sahra Wagenknecht solle als Fraktionsvorsitzende entmachtet werden, stellten sich schnell als falsch heraus. Einmal in den Massenmedien bestimmten sie aber die Debatte – offenbar von bestimmten Kräften auch so gewollt.
Die ganze Debatte offenbart einen erheblichen Klärungsbedarf in der Linkspartei zu verschiedenen Fragen. Zum einen einen inhaltlichen Klärungsbedarf der migrationspolitischen Positionen der Partei. Hier hatten Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine nach der Bundestagswahl mit öffentlichen Stellungnahmen die Positionen der Partei kritisiert und für das schlechte Abschneiden in Ostdeutschland verantwortlich gemacht. Aufbauend auf Äußerungen der beiden in der Vergangenheit gibt es in der LINKEN und unter vielen Aktiven der antirassistischen Bewegung und außerparlamentarischen Linken die große Sorge, dass Wagenknecht und Lafontaine hier eine Grenze überschreiten, die antirassistische und internationalistische Grundpositionen in Frage stellen (ein Artikel der SAV zu dieser Frage findet sich hier). Eine verbale Aufrüstung von einigen ihrer KritikerInnen, die Sahra Wagenknecht Rassismus vorwerfen (Thomas Seibert in der taz) hat dabei mehr zur Eskalation der Debatte beigetragen, als zu einer inhaltlichen Klärung. Es ist eine Sache darauf hinzuweisen, dass Sahra Wagenknechts Positionen den strukturellen Rassismus der kapitalistischen Gesellschaft in Bezug auf die Einwanderungspolitik nicht herausfordern. Sie aber als Rassistin zu bezeichnen ist falsch. Sie zu kritisieren, ohne gleichfalls die Abschiebepraxis von Landesregierungen mit LINKE-Beteiligung zu kritisieren, weist darauf hin, dass es auch manchem ihrer Kritiker nicht um eine inhaltliche Klärung der Fragen geht.
Umgekehrt wurde jede inhaltliche Kritik als Versuch der „Entmachtung“ Wagenknechts gekontert. Nötig ist eine breite Debatte über die migrationspolitischen Positionen der Linkspartei, die aber nicht auf diese beschränkt geführt werden sollte. Wagenknecht und Lafontaine weisen zurecht darauf hin, dass unter den herrschenden Verhältnissen eine größere Einwanderung die Konkurrenz der Armen und Ärmsten um Billigjobs und günstigen Wohnraum verstärken kann. Darauf muss DIE LINKE offensive Antworten formulieren, die aber nicht darin bestehen sollten, die Einwanderung als Ursache für solche sozialen Probleme zu benennen, sondern die herrschenden kapitalistischen Strukturen und einen gemeinsamen Kampf aller Betroffenen für höhere Löhne, gegen prekäre Arbeitsverhältnisse und für mehr und günstige Wohnungen etc. propagieren.
Zweitens hat DIE LINKE ein Demokratiedefizit, was in der Debatte deutlich geworden ist. Sahra Wagenknecht führt sich als über der Partei stehende Führungsperson auf, die ihre Popularität nutzt, um die Partei zu erpressen und vor vollendete Tatsachen zu stellen (siehe hierzu das Interview mit Klaus Ernst und die Stellungnahme von Bernd Riexinger). Eine linke Partei wird aber nur dann die Gesellschaft verändern können, wenn sie eine demokratische Mitgliederpartei ist. Top-Down-Strukturen und Alleingänge vom Spitzenpersonal treiben aktive Mitglieder im Zweifelsfall aus der Aktivität. Die als Entmachtungsversuche von Sahra Wagenknecht bezeichneten Anträge in der Bundestagsfraktion, die versuchten, den Einfluss der Partei in der Fraktion zu sichern, hatten daher eine richtige Intention. Die Verselbständigung von Fraktionen und die Tatsache, dass oftmals die eigentliche Politik nicht in den gewählten Parteigremien, sondern in den Parlamentsfraktionen gemacht wird, ist eine Bedrohung für die Entwicklung der LINKEN zu einer demokratischen Mitgliederpartei.
Wie veröffentlichen hier den Bericht von Lucy Redler und Thies Gleiss über die Sitzung des Parteivorstands am 16. Oktober, der ein erhellendes Licht auf die Debatte wirft und die aus Sicht der SAV richtigen Fragen stellt.
Bericht aus dem Parteivorstand
Oder: Was ist los in der Partei?
Der Sitzung des Parteivorstands waren eine über die Medien ausgetragene Debatte über einen möglichen Rücktritt des Bundesgeschäftsführers und Gerüchte über einen Machtkampf innerhalb der Bundestagsfraktion voraus gegangen. BILD verstieg sich zu der These, Sahra Wagenknecht werde in der Fraktion gemobbt.
Bei der Parteivorstandssitzung stellten die Parteivorsitzenden und der Bundesgeschäftsführer klar, dass sie zur Sitzung des Parteivorstands im November einen gemeinsamen Vorschlag unterbreiten wollen, wie mit der Position des Bundesgeschäftsführers verfahren werden soll. Die Vorsitzenden haben erklärt, dass niemand den Bundesgeschäftsführer zum Rücktritt aufgefordert habe und auch die Aussagen in der BILD-Zeitung nicht stimmen würden.
Bei der Sitzung des geschäftsführenden Parteivorstands einen Tag später (17.10.) wurden die beiden Spitzenkandidaten Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch der Fraktion einstimmig als neue Fraktionsvorsitzende vorgeschlagen.
Worum geht es also tatsächlich? Wir wollen hier nicht spekulieren und wir können auch nicht alles im Einzelnen bewerten. Die Haltung der Antikapitalistischen Linken war immer, sich nicht einfach auf eine der „beiden Seiten“ in der Fraktion zu stellen (weil wir mit beiden Differenzen haben), sondern die Fragen inhaltlich zu bewerten. Das versuchen wir im Folgenden.
Aus unserer Sicht gibt es zwei Ebenen in der Auseinandersetzung:
1. Es gibt eine inhaltliche Auseinandersetzung zur Einschätzung und des Umgangs mit AfD-Wähler*innen und der Vermittlung des Programms der LINKEN zu Migration. Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine haben hierzu richtige Fragen aufgeworfen, die sie leider komplett falsch beantworten. Wir weisen die Vorschläge zurück, Abstriche an unseren migrationspolitischen Forderungen vorzunehmen. Wir glauben nicht, dass DIE LINKE damit mehr Stimmen erreichen kann, denn sie verprellt dann all jene, die gerade mit Begeisterung in DIE LINKE eintreten, weil sie etwas gegen die Gefahr von rechts tun wollen. Doch selbst wenn Sahra und Oskar Recht damit hätten, dass DIE LINKE mit einer abgeschwächten Haltung mehr Wähler*innen erreichen könnte, meinen wir, dass die wichtigste Aufgabe der LINKEN nicht das Sammeln von Wählerstimmen, sondern der Aufbau einer gesellschaftlichen Alternative gegen Rechts ist. Wir halten es für ein erhebliches Problem, wenn die sehr wahrscheinlich alte und neue Fraktionsvorsitzende der LINKEN sich nicht an die Positionen der Partei hält. Die Aussagen von Bodo Ramelow vom 12.10. gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sind jedoch nicht weniger problematisch: „Wer sich nicht integrieren lassen will, der darf auch keinen Anspruch darauf geltend machen. Umgekehrt sage ich, wer hier richtig ankommen will, der muss auch unsere stützende Hand spüren.“ Und wenn dann über Regierungen, in denen DIE LINKE mitregiert und Menschen abschiebt, geschwiegen wird, bekommt die Debatte eine ziemliche Schieflage.
Wir haben uns in diesem Zusammenhang über die klare und kühn verfasste Stellungnahme der KPF gefreut, die wir hier veröffentlicht haben:
http://www.antikapitalistische-linke.de/?p=2243.
Ebenso haben wir vom AKL-Länderrat eine Stellungnahme zum Ausgang der Wahlen abgegeben. Sie findet sich hier: http://www.antikapitalistische-linke.de/?p=2226
Unsere Haltung ist: Wir brauchen eine breite Strategiedebatte in der Partei zu folgenden Fragen:
● Wie kann die Partei eine starke Bewegung gegen Rechts aufbauen, ohne sich mit bürgerlichen Parteien, die für Rassismus und Sozialabbau und damit den Aufstieg der AfD mitverantwortlich sind, in ein Boot zu setzen?
● Wie schätzen wir die AfD-WählerInnen und die Perspektive der AfD ein?
● Wie kann die LINKE ihre Haltung zu Geflüchteten noch offensiver und klassenpolitischer vermitteln, um darüber aufzuklären, dass die Grenzen nicht zwischen Völkern, sondern zwischen oben und unten verlaufen? Welche Slogans sollen wir nutzen?
● Wie können wir unsere Verankerung unter abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen und Jugendlichen ausbauen?
● Was droht mit der neuen Jamaica-Koalition und auf welche Angriffe müssen wir uns vorbereiten?
● Wie kann DIE LINKE die SPD in der Opposition vor sich hertreiben anstatt Koalition in der Opposition zu spielen?
● Wie kann ein Kurswechsel im Osten (aber nicht nur) – weg von einer staatstragenden, etablierten, auf Regierungsbeteiligung fixierten Position hin zu einem rebellischen Auftreten – aussehen?
● Wie muss die demokratische Verfasstheit der LINKEN verändert und verbessert werden, damit die Partei und die Mitgliedschaft nicht von der Übermacht der Parlamentsfraktionen überrollt wird? Wie kann die zunehmende Versumpfung im Parlamentarismus gebremst und zurückgedrängt werden?
Zu vielen dieser Fragen haben wir in den Stellungnahmn des AKL Länderrats oder des AKL-BundessprecherInnenrates schon mehrfach und detailliert Vorschläge gemacht. Leider finden weder unsere sich regelmäßig bestätigenden Kritiken noch unsere Änderungsvorschläge genügend Berücksichtigung im Parteivorstand und der Bundestagsfraktion. Unsere Positionen sind alle auf der AKL-Homepage nachzulesen: www.antikapitalistische-linke.de
2. Die Auseinandersetzung ist Teil eines seit längerer Zeit laufenden Machtkampfs in der Fraktion.
Hier fällt es immer schwerer durchzublicken, u.a. weil die Linien des Konflikts weniger an inhaltlichen Fragen sondern mehr an Machtkonstellationen verlaufen. Der gemeinsame Pakt zwischen AnhängerInnen von Sahra Wagenknecht und ReformerInnen um Dietmar Bartsch trägt dabei nicht zu einer inhaltlichen Klärung von Fragestellungen bei, sondern überlagert wichtige Positionierungen machtpolitisch. Wir können aber auch nicht einschätzen, wie die andere Seite genau agiert.
Wir sehen insgesamt, wie zunehmend politisch-inhaltliche und strategische Fragen auf dem Altar der taktischen und tagespolitischen Opportunitäten in der Fraktion geopfert werden.
Bei der Fraktionsklausur geht es um u.a. um die Fragestellungen, wer stellvertretende Fraktionsvorsitzende werden soll und ob die Parteivorsitzenden Stimmrecht im Fraktionsvorstand erhalten sollen.
Unsere Überlegungen zu den aufgekommenden Fragen und unsere weitergehenden Beobachtungen sind:
● Es ist ein gefährlicher Trend, dass die Fraktion immer mehr und die Partei immer weniger zu sagen hat. Bereits die Aufstellung der SpitzenkandidatInnen im Parteivorstand war hochproblematisch, weil mit Ultimaten gearbeitet wurde, um dem Vorstand eine Positionierung aufzudrängen.
● Wir sehen es überaus kritisch, dass der geschäftsführende Parteivorstand zu einem sehr großen Teil aus Mitgliedern der Bundestagsfraktion und Mitgliedern von Landtagsfraktionen zusammen gesetzt ist. Unseres Wissens gibt es nur drei Mitglieder des geschäftsführenden Parteivorstands, die kein Mandat haben. Das führt dazu, dass der Parteivorstand die Fraktion immer weniger kontrollieren kann und sich Machtkämpfe in der Fraktion im Parteivorstand niederschlagen.
● Wir halten die Position, dass die Parteivorsitzenden im Fraktionsvorstand vertreten und Stimmrecht haben sollten, für richtig, um den Einfluss der Partei in der Fraktion zu vergrößern.
● Wir setzen uns dafür ein, dass die Fraktionsvorsitzenden in der Regel immer an den Parteivorstandssitzungen teilnehmen und ihren Diskussionsbedarf in die Gremien einbringen (und sich entschuldigen, wenn sie verhindert sind).
● Die ganzen Debatten sollten zudem schleunigst aus den Hinterzimmern einer Weniger in die Stube der Partei und ihren Gremien gebracht werden. Bild, Tagesspiegel und andere Medien dürfen keine Partner in einer innerparteilichen Auseinandersetzung sein.
Was sonst noch geschah:
● Der Parteivorstand sieht den Wunsch nach einem Mitgliederentscheid der BAG BGE und anderen zur Entscheidung über das Bedingungslose Grundeinkommen kritisch. Sollte es dazu kommen, wird der Parteivorstand eine mehrheitliche Position fassen und dafür werben. Wir fügen an: eine solche komplexe Diskussion eignet sich für einen Parteitag und nicht für einen Ja/Nein-Mitgliederentscheid.
● Es gab eine weitgehend schöne politische Vorlage zum Thema Katalonien von Raul Zelik, Andrej Hunko und Christine Buchholz, auf die sich der Parteivorstand aufgrund erheblicher Differenzen zur nationalen Frage leider nicht verständigen konnte. Bei Interesse senden wir euch die Vorlage gern zu.
● Eine zweite kurze Auswertung der Bundestagswahlen fand statt. DIE LINKE hat viele neue Mitglieder gewonnen (seit Anfang des Jahres bisher 7000), was uns sehr erfreut. Thies hat in der Diskussion betont, dass es jetzt darum gehen muss, DIE LINKE als starke Kraft in Betrieben, Unis, Schulen und in Stadtvierteln aufzubauen. Einige Fakten zur Wahlauswertung können in einem Abschlussbericht aus der Bundesgeschäftsstelle nachgelesen werden (den wir euch gern zusenden) und unsere Position in der oben verlinkten AKL Stellungnahme. In der Debatte gab es eine gewisse Diskussion zum Ergebnis der Studie der Bertelsmannstiftung und der Einteilung der Wähler*innen in Modernisierungsgewinner*innen und -verlierer*innen. Katja Kipping hat in einer strategischen Rede einen starken Bezug auf diese Analyse genommen und regionale Foren oder Zukunftsdialoge angeregt, um strategische Fragen zu debattieren.
● Gemeinsam mit der für Niedersachsen neu in den Bundestag gewählten Genossin Amira Mohamed Ali wurden die Landtagswahlen in Niedersachsen ausgewertet. Hierzu gibt es eine offizielle Wahlauswertung aus der Abteilung für Strategie- und Grundsatzfragen der Bundesgeschäftsstelle. Leider haben wir mit 4,6 Prozent knapp den Einzug verfehlt, konnten aber fast 65.000 Stimmen und 1,5 Prozent hinzugewinnen. Der Trend von besseren Ergebnissen bei jungen Wähler*innen und in den urbanen Zentren, den wir bei den Bundestagswahlen und letzten Landtagswahlen beobachtet haben, setzt sich auch bei dieser Wahl fort. Einen Artikel von Heino Berg von der AKL Niedersachsen findet ihr hier: http://www.antikapitalistische-linke.de/?p=2238
● Weiterhin wurde beschlossen: Die Durchführung eines Ratschlags der kommunalen Mandatsträger*innen, der Sitzungsplan des Parteivorstands 2018, die Terminierung des Parteitags auf den 8.-10.Juni 2018 in Leipzig, eine Vorlage zur Mobilisierung gegen den AfD-Bundesparteitag in Hannover am 2. Dezember und Beteiligung an Protesten gegen die AfD zur Konstituierung des Bundestags um den 24.10. herum. Die Partei plant außerdem eine gute Präsenz bei den Klimaprotesten am 4. November in Bonn anlässlich des Klimagipfels und beteiligt sich an Aktionen des zivilen Ungehorsams am 5. November.
● Außerdem nahm der Parteivorstand einen Bericht des Bundesausschusses und der Europäischen Linken entgegen und erhielt den formellen Rechenschaftsbericht der Partei (für Finanzamt, Rechnungshof u.a.) für das Kalenderjahr 2016.
Thies Gleiss, Lucy Redler (Mitglieder im Parteivorstand und im Bundessprecher*innenrat der AKL), 17.10.2017