Wie weiter nach dem Leipziger Parteitag?
Der Parteitag der LINKEN war besser als seine mediale Darstellung und Außenwirkung. Seine Beschlüsse geben der Parteiführung genug Vorgaben, um die Partei weiter aufzubauen. Hier sieben Vorschläge der SAV für einen erfolgreichen Parteiaufbau in den nächsten Wochen und Monaten.
1. Volle Energie in die Umsetzung der Pflege- und Wohnen-Kampagnen!
Pflege und Wohnen sind die beschlossenen Schwerpunkt- und Kampagnethemen der Partei. Das sind genau die Themen, an denen es viel Bewegung und eine große gesellschaftliche Sensibilität gibt. DIE LINKE kann sich nicht nur mit klaren Forderungen und Konzepten als Vertreterin der Interessen von Beschäftigten, PatientInnen und MieterInnen profilieren, sondern auch als Dienstleisterin und Motor der Bewegungen.
Das bedeutet erstens: provokante und radikale Forderungen in den Mittelpunkt stellen, wie zum Beispiel die Enteignung der großen Immobilienkonzerne Vonovia und Deutsche Wohnen oder klar nachvollziehbare Personalschlüssel für Krankenhäuser, ein Ende des Fallkostenpauschalensystems, die Rücknahme der Privatisierungen von Krankenhäusern und die demokratische Verstaatlichung der Pharmaindustrie.
Das bedeutet zweitens: radikale und regelüberschreitende Aktionen unterstützen und durchführen. Zum Beispiel Besetzung von leerstehendem Wohnraum und von Spekulationsobjekten in allen Großstädten unter Beteiligung von LINKE-Abgeordneten – und zwar auch da wo die Partei (leider) an der Regierung beteiligt ist.
Das bedeutet drittens: die Kämpfe voran treiben und verbinden. Zum Beispiel durch eine Aktionskonferenz für Krankenhausbeschäftigte, um Vorschläge für eine Strategie der Streiks und Kämpfe für mehr Personal zu diskutieren und auszuarbeiten – etwas, dass die Gewerkschaft ver.di bisher vermissen lässt. Oder durch die Organisierung einer bundesweiten Großdemonstration für die Enteignung von Vonovia und Deutsche Wohnen und den Bau von 250.000 Sozialwohnungen aus öffentlicher Hand jährlich. Oder durch die Bildung von gemeinsamen lokalen Aktionsforen von Mieterinitiativen, PflegegewerkschafterInnen und anderen sozialen Bewegungen.
Erfolgreiche Kampagnen dieser Art sind die beste Vorbereitung, um bei den 2019 anstehenden Wahlen in Bremen, Hessen und anderen Bundesländern und Kommunen erfolgreich abzuschneiden.
2. Klare Kante gegen Rassismus, AfD und Krieg!
Der Parteitag hat eine klare Position zur Frage von Rassismus und Migration beschlossen. Hier sollten sich die Mitglieder nicht durch unzutreffende Interpretationen der Beschlusslage durch Sahra Wagenknecht durcheinander bringen lassen. DIE LINKE sollte weiterhin erste Ansprechpartnerin für Proteste gegen Rassismus und AfD sein, aber auch ganz konkrete Aktionen zur Verteidigung von Geflüchteten und von Abschiebung bedrohten Menschen durchführen. Möglich wäre hier zum Beispiel in allen Städten in den LINKE-Büros Rechtsberatung für Geflüchtete in unterschiedlichen Sprachen anzubieten und offensiv Geflüchtete für die Partei zu werben und ihre Selbstorganisation zu unterstützen oder die Mobilisierung zu und Beteiligung von Abgeordneten an direkten Aktionen zur Verhinderung von Abschiebungen. Gleichzeitig sollte der Parteivorstand die LINKE-Fraktionen in den Bundesländern mit LINKE-Regierungsbeteiligung auffordern, konkrete Maßnahmen einzufordern, die auf Landesebene die Situation von Geflüchteten verbessern und Abschiebungen verhindern können.
Zusätzlich sollte DIE LINKE ihr Engagement gegen Aufrüstung und Krieg verstärken, denn mit den zunehmenden Konflikten zwischen den imperialistischen Mächten wächst auch die Sorge vor einem neuen großen Krieg in der Bevölkerung. Unsere Forderungen nach Abzug der Bundeswehr von ihren Auslandseinsätzen, einem Verbot von Waffenexporten und radikaler Abrüstung sollten wir mit der Forderung nach der Enteignung der Rüstungsindustrie und der Umstellung der Produktion auf zivile Güter bei Erhalt aller Arbeitsplätze ergänzen. Aktionen gegen Bundeswehr-Werbung an Schulen, die Verschiffung von Rüstungsexporten und Unterstützung von Antikriegsprotesten sollten eine höhere Priorität bekommen.
3. Migrationsdebatte organisieren und die ganze Mitgliedschaft mitnehmen!
Der Parteitag hat im Rahmen des beschlossenen Leitantrags einerseits die migrationspolitischen Grundsätze der Partei bestätigt, andererseits beschlossen, eine Debatte zu dem Thema in der Partei zu führen, wie diese Grundsätze unterfüttert und konkretisiert werden können. Dazu bietet insbesondere der Antrag des Landesvorstands NRW, der beim Parteitag vorlag, eine gute Grundlage. Die Partei- und Fraktionsvorsitzenden haben angekündigt dazu eine Fachkonferenz durchzuführen. Nötig ist aber auch eine Debatte in der gesamten Partei über lokale und regionale Mitgliederversammlungen und Diskussionskonferenzen, die auch zum Inhalt haben sollte, die Geschichte und grundsätzliche Funktion von Rassismus in einer kapitalistischen Klassengesellschaft zu vermitteln. Es sollte mindestens eine Extra-Ausgabe der Mitgliederzeitschrift Disput erscheinen, die für Diskussionsbeiträge geöffnet wird, die außerdem auf einer Debattenseite im Internet veröffentlicht werden sollten.
4. Schluss mit öffentlichem Streit und dem Ignorieren von Parteibeschlüssen!
Der Parteitag hat unmissverständlich seine Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass die inhaltlichen Kontroversen nicht mehr durch die Massenmedien ausgetragen werden und Partei- und Fraktionsspitze auf der Basis der Parteibeschlüsse agieren. Nun hat Sahra Wagenknecht schon unmittelbar nach dem Parteitag deutlich gemacht, dass sie sich nicht dementsprechend verhalten wird. Das wird man nicht verhindern können. Aber der Parteivorstand und die Bundestagsfraktion, ggf. auch eine Minderheit der Abgeordneten, sollten selbstbewusst und deutlich auf Regelverstöße von Sahra Wagenknecht oder anderen prominenten Parteimitgliedern durch eigene Erklärungen und Richtigstellungen reagieren – deutlich in der Sache, aber ohne unnötige persönliche Polemik.
5. Einen antikapitalistischen Europawahlkampf vorbereiten – gegen das EU-Establishment!
Die größte Herausforderung für die Partei wird der Europawahlkampf und die Erarbeitung eines Europawahlprogramms. Ob man es will oder nicht – hier liegen die unterschiedlichen Positionen in der Partei weit auseinander und es werden neue „Frontlinien“ verlaufen, die sich von denen in der Migrationsdebatte unterscheiden. Aufgabe des neuen Bundesgeschäftsführers Jörg Schindler ist es, die gesamte Mitgliedschaft in die Ausarbeitung des Wahlprogramms und der Hauptslogans und – Botschaften des Wahlkampfes einzubeziehen. Dabei sollte eins klar sein: unabhängig von konkreten Positionen und Formulierungen, wird DIE LINKE nur dann einen erfolgreichen Wahlkampf hinlegen können, wenn sie sich unmissverständlich als DIE linke Opposition zu dieser neoliberalen, undemokratischen und militaristischen EU präsentiert, wenn sie die Verträge und Institutionen der EU scharf angreift und für grundsätzliche Veränderungen wirbt und nicht den Eindruck erweckt, es gehe ihr nur darum im Rahmen der bestehenden Institutionen an ein paar Stellschrauben zu drehen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, DIE LINKE wolle diese EU retten, genauso wenig wie der Eindruck entstehen darf, sie wolle ein Zurück zum kapitalistischen Nationalstaat. Ein linker, internationalistischer Anti-Establishment-Wahlkampf muss konzipiert werden unter Einbeziehung von linken Kräften aus anderen EU-Staaten – aber solchen, die Kämpfe führen und nicht, wie Syriza in Griechenland, neoliberale Gesetze gegen die eigene Bevölkerung exekutieren. Dabei sollten Slogans wie „Nein zum EUropa der Banken und Konzerne“, „Für ein Europa der ArbeiterInnen und Benachteiligten“, „ Europaweit gemeinsam kämpfen für Mindestlohn, Reichensteuer und Abrüstung“ oder ähnliche aufgestellt werden.
6. Regierungsbeteiligungen hinterfragen
2019 kann sich in mehreren Bundesländern für DIE LINKE (wieder) die Frage einer Regierungskoalition mit SPD und Grünen stellen. Dazu gehört auch Bremen, wo erstmals eine Regierungsbeteiligung in Westdeutschland möglich sein könnte. Hier sollte die Partei der Versuchung und dem Druck widerstehen und eine Politik der parlamentarischen Einzelfallentscheidung verfolgen: das heißt eine rot-grüne Minderheitsregierung ins Amt bringen und dann jeden Gesetzentwurf dieser Regierung auf Basis einer inhaltlichen Bewertung ablehnen oder zustimmen – aber keine vertragliche Kettung an prokapitalistische Parteien.
In Thüringen und Brandenburg ist das erklärte Ziel der Landesverbände, die Regierungsbeteiligung fortzusetzen. Es ist nicht realistisch, dass sich in den Landesverbänden zu dieser Frage andere Mehrheiten bilden – die Debatte sollte aber geführt werden und es sollte für Wahlprogramme gekämpft werden, die einen wirklichen sozialistischen Politikwechsel repräsentieren würden und die Latte für SPD und Grüne entsprechend hoch legen würden. Jede Überlegung mit der CDU zu regieren, um eine AfD-Regierungsbeteiligung zu verhindern, muss kategorisch ausgeschlossen werden, denn das käme einem AfD-Aufbauprogramm gleich.
7. Sahra sich sammeln lassen …
Sahra Wagenknecht wird ihr Projekt einer Sammlungsbewegung umsetzen, auch wenn es dafür keinen Beschluss der Partei gibt. Als Reaktion darauf reicht es nicht, DIE LINKE schon als die existierende Sammlungsbewegung darzustellen.
Nötig ist erstens eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Positionen des Sammlungsprojekts, die sehr wahrscheinlich sehr begrenzt und ein ganzes Stück weg von der LINKE-Programmatik sein werden. Wahrscheinlich wird es den Versuch geben, dass UnterstützerInnen der Sammlungsbewegung auf offenen Listen der Partei bei Wahlen antreten sollen. Hier muss klar sein: KandidatInnen sollten nur gewählt werden, wenn sie die beschlossenen Wahlprogramme der LINKEN bei den jeweiligen Wahlen offensiv vertreten.
Zweitens sollte die Partei offensiv an AktivistInnen von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und linken Gruppen herantreten und sie einladen, gemeinsam Positionen zu entwickeln, zu kämpfen und sich der LINKEN anzuschließen.